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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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Die Flottenvorlnge

weniger Reichsausgaben im Laufe einer so langen Zeit, wie die, um die es
sich hier auch im günstigsten Falle handelt. Jedenfalls ist man vorläufig voll¬
ständig im unklaren darüber, wie viel mau etwa dnrch neue Steuern und der¬
gleichen wird aufbringen müssen, und wieviel man aus den laufenden Ein¬
nahmen wird decken können.

In gerechter Würdigung dieser Sachlage haben die verbündeten Regie¬
rungen darauf verzichtet, die Festsetzung einer bestimmten Frist, in der das Ziel
erreicht werden müßte, im Gesetz zu verlangen oder auch nur eine jährliche
Minimalbausumme zu fordern. Sie haben nur das Ziel selbst so klar und
bestimmt, als das heute möglich ist, bezeichnet und seine gesetzliche Anerkennung
erbeten, dabei die heute immer nur annähernd schätzbaren Gesamtkosten infor¬
matorisch angegeben, aber dem Reichstag die Bereitstellung der Geldmittel zur
alljährlichen etatsmäßigen Bewilligung überlassen. Es ist ja, wenn die Bor¬
lage unverändert Gesetz wird, nicht ausgeschlossen, daß ein oder mehrere Jahre
lang gar keine Gelder für die Flottenvermehruug aufgewandt werden, und daß
statt einer zwanzigjährigen Frist eine dreißigjährige herauskommt, ehe das Ziel
erreicht ist. Freilich ist andrerseits auch die Möglichkeit offen gehalten, daß
je nach der Dringlichkeit der Flottenvermehrung und je nach dem Staude der
Reichsfinanzen sowie nach Lage der technischen Einrichtungen weit schneller,
als in der Begründung der Novelle vorläufig und schätzungsweise angenommen
ist, dem Ziele zugestrebt wird. Diese so überaus weitgehende Währung des
Rechts für den Reichstag, die Ausgaben für die Flottenvermehrung Jahr für
Jahr mit den ordentlichen Einnahmen und sonstigen Ausgaben des Reichs im
Einklang zu erhalten und jedem Draufloswirtschafteu aus Anleihen vorzubeugen,
muß doch in Betracht gezogen werden, wenn man die behauptete Dringlichkeit
der Deckungsfrage richtig beurteilen will. Das ganze bisherige Herumreiten
auf dieser Frage erscheint bei rechter Beleuchtung als eine parlamentarische
Pose ohne jede praktische Berechtigung und Wahrhaftigkeit, und die klaren
Köpfe in der Reichstagsmehrheit, die diese Pose einnehmen, sollen sich nicht
beklagen, wenn man ihnen dieses Verhalten im besten Falle als Eigensinn,
vielleicht aber auch als Absicht auslegt, die vorn für notwendig und dring¬
lich anerkannte Flottenvermehrung hinten herum zu Fall zu bringen oder doch
im Parteiinteresse die Bewilligung zu verschleppe" und zu erschweren.

Ganz besonders unverständlich ist es, wenn sich ernsthafte Politiker, die
die Berechtigung der Rcgiernngsfordernng in der Hauptsache anerkennen, in der
Erklärung gefallen: Für Anleihen sind wir unter keinen Umstünden zu haben!
Was soll denn das heißen? Auch wenn man der Ansicht ist, daß die Kosten
der Flottenvermehrung nicht einmal zum Teil auf die spätern Generationen,
in deren Interesse wir die Weltmacht Deutschlands jetzt fest begründen müssen,
abgewälzt werden darf, und auch wenn man die Schuldenlast des Reichs jetzt
schon für bedenklich hält, hat diese Erklärung gar keinen Sinn. Den Wähler¬
massen draußen mag sie ja imponieren, aber die Auguren im Reichstag können
doch nur darüber lachen. Ohne vorläufige Verwendung von Anleiheugeldern,


Die Flottenvorlnge

weniger Reichsausgaben im Laufe einer so langen Zeit, wie die, um die es
sich hier auch im günstigsten Falle handelt. Jedenfalls ist man vorläufig voll¬
ständig im unklaren darüber, wie viel mau etwa dnrch neue Steuern und der¬
gleichen wird aufbringen müssen, und wieviel man aus den laufenden Ein¬
nahmen wird decken können.

In gerechter Würdigung dieser Sachlage haben die verbündeten Regie¬
rungen darauf verzichtet, die Festsetzung einer bestimmten Frist, in der das Ziel
erreicht werden müßte, im Gesetz zu verlangen oder auch nur eine jährliche
Minimalbausumme zu fordern. Sie haben nur das Ziel selbst so klar und
bestimmt, als das heute möglich ist, bezeichnet und seine gesetzliche Anerkennung
erbeten, dabei die heute immer nur annähernd schätzbaren Gesamtkosten infor¬
matorisch angegeben, aber dem Reichstag die Bereitstellung der Geldmittel zur
alljährlichen etatsmäßigen Bewilligung überlassen. Es ist ja, wenn die Bor¬
lage unverändert Gesetz wird, nicht ausgeschlossen, daß ein oder mehrere Jahre
lang gar keine Gelder für die Flottenvermehruug aufgewandt werden, und daß
statt einer zwanzigjährigen Frist eine dreißigjährige herauskommt, ehe das Ziel
erreicht ist. Freilich ist andrerseits auch die Möglichkeit offen gehalten, daß
je nach der Dringlichkeit der Flottenvermehrung und je nach dem Staude der
Reichsfinanzen sowie nach Lage der technischen Einrichtungen weit schneller,
als in der Begründung der Novelle vorläufig und schätzungsweise angenommen
ist, dem Ziele zugestrebt wird. Diese so überaus weitgehende Währung des
Rechts für den Reichstag, die Ausgaben für die Flottenvermehrung Jahr für
Jahr mit den ordentlichen Einnahmen und sonstigen Ausgaben des Reichs im
Einklang zu erhalten und jedem Draufloswirtschafteu aus Anleihen vorzubeugen,
muß doch in Betracht gezogen werden, wenn man die behauptete Dringlichkeit
der Deckungsfrage richtig beurteilen will. Das ganze bisherige Herumreiten
auf dieser Frage erscheint bei rechter Beleuchtung als eine parlamentarische
Pose ohne jede praktische Berechtigung und Wahrhaftigkeit, und die klaren
Köpfe in der Reichstagsmehrheit, die diese Pose einnehmen, sollen sich nicht
beklagen, wenn man ihnen dieses Verhalten im besten Falle als Eigensinn,
vielleicht aber auch als Absicht auslegt, die vorn für notwendig und dring¬
lich anerkannte Flottenvermehrung hinten herum zu Fall zu bringen oder doch
im Parteiinteresse die Bewilligung zu verschleppe» und zu erschweren.

Ganz besonders unverständlich ist es, wenn sich ernsthafte Politiker, die
die Berechtigung der Rcgiernngsfordernng in der Hauptsache anerkennen, in der
Erklärung gefallen: Für Anleihen sind wir unter keinen Umstünden zu haben!
Was soll denn das heißen? Auch wenn man der Ansicht ist, daß die Kosten
der Flottenvermehrung nicht einmal zum Teil auf die spätern Generationen,
in deren Interesse wir die Weltmacht Deutschlands jetzt fest begründen müssen,
abgewälzt werden darf, und auch wenn man die Schuldenlast des Reichs jetzt
schon für bedenklich hält, hat diese Erklärung gar keinen Sinn. Den Wähler¬
massen draußen mag sie ja imponieren, aber die Auguren im Reichstag können
doch nur darüber lachen. Ohne vorläufige Verwendung von Anleiheugeldern,


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[0123] Die Flottenvorlnge weniger Reichsausgaben im Laufe einer so langen Zeit, wie die, um die es sich hier auch im günstigsten Falle handelt. Jedenfalls ist man vorläufig voll¬ ständig im unklaren darüber, wie viel mau etwa dnrch neue Steuern und der¬ gleichen wird aufbringen müssen, und wieviel man aus den laufenden Ein¬ nahmen wird decken können. In gerechter Würdigung dieser Sachlage haben die verbündeten Regie¬ rungen darauf verzichtet, die Festsetzung einer bestimmten Frist, in der das Ziel erreicht werden müßte, im Gesetz zu verlangen oder auch nur eine jährliche Minimalbausumme zu fordern. Sie haben nur das Ziel selbst so klar und bestimmt, als das heute möglich ist, bezeichnet und seine gesetzliche Anerkennung erbeten, dabei die heute immer nur annähernd schätzbaren Gesamtkosten infor¬ matorisch angegeben, aber dem Reichstag die Bereitstellung der Geldmittel zur alljährlichen etatsmäßigen Bewilligung überlassen. Es ist ja, wenn die Bor¬ lage unverändert Gesetz wird, nicht ausgeschlossen, daß ein oder mehrere Jahre lang gar keine Gelder für die Flottenvermehruug aufgewandt werden, und daß statt einer zwanzigjährigen Frist eine dreißigjährige herauskommt, ehe das Ziel erreicht ist. Freilich ist andrerseits auch die Möglichkeit offen gehalten, daß je nach der Dringlichkeit der Flottenvermehrung und je nach dem Staude der Reichsfinanzen sowie nach Lage der technischen Einrichtungen weit schneller, als in der Begründung der Novelle vorläufig und schätzungsweise angenommen ist, dem Ziele zugestrebt wird. Diese so überaus weitgehende Währung des Rechts für den Reichstag, die Ausgaben für die Flottenvermehrung Jahr für Jahr mit den ordentlichen Einnahmen und sonstigen Ausgaben des Reichs im Einklang zu erhalten und jedem Draufloswirtschafteu aus Anleihen vorzubeugen, muß doch in Betracht gezogen werden, wenn man die behauptete Dringlichkeit der Deckungsfrage richtig beurteilen will. Das ganze bisherige Herumreiten auf dieser Frage erscheint bei rechter Beleuchtung als eine parlamentarische Pose ohne jede praktische Berechtigung und Wahrhaftigkeit, und die klaren Köpfe in der Reichstagsmehrheit, die diese Pose einnehmen, sollen sich nicht beklagen, wenn man ihnen dieses Verhalten im besten Falle als Eigensinn, vielleicht aber auch als Absicht auslegt, die vorn für notwendig und dring¬ lich anerkannte Flottenvermehrung hinten herum zu Fall zu bringen oder doch im Parteiinteresse die Bewilligung zu verschleppe» und zu erschweren. Ganz besonders unverständlich ist es, wenn sich ernsthafte Politiker, die die Berechtigung der Rcgiernngsfordernng in der Hauptsache anerkennen, in der Erklärung gefallen: Für Anleihen sind wir unter keinen Umstünden zu haben! Was soll denn das heißen? Auch wenn man der Ansicht ist, daß die Kosten der Flottenvermehrung nicht einmal zum Teil auf die spätern Generationen, in deren Interesse wir die Weltmacht Deutschlands jetzt fest begründen müssen, abgewälzt werden darf, und auch wenn man die Schuldenlast des Reichs jetzt schon für bedenklich hält, hat diese Erklärung gar keinen Sinn. Den Wähler¬ massen draußen mag sie ja imponieren, aber die Auguren im Reichstag können doch nur darüber lachen. Ohne vorläufige Verwendung von Anleiheugeldern,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/123>, abgerufen am 03.07.2024.