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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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Auf Sizilien

ganz fremd war; sie erstrebten ein mitteleuropäisches Zentralreich unter der
Hegemonie der Deutschen; sie stellten also der Nation eine großartige Aufgabe,
und es war nicht ihre Schuld, daß die Deutschen, hitzköpfig und eigensinnig,
in kleinliche Interessen und Händel daheim verstrickt, wie gewöhnlich, ihnen
nicht genügend zu folgen vermochten. Sizilien aber war der Schlußstein des
großartigen dreigliedrigen Baues, der aus Deutschland, dem Königreich Italien
und dein Königreich Sizilien bestand. Erst Sizilien und Unteritalien boten ihnen
die Basis für die Beherrschung des Mittelmeers; von hier aus haben
Heinrich VI. und Friedrich II. begonnen, den Deutschen die ihnen gebührende
Stellung neben den Franzosen auch im Orient, gegenüber dem byzantinischen
Reiche und in Syrien zu verschaffen, also in den Ländern, nach denen die
Herrschnfts- und Kolonisationsbestrebungen der Abendländer damals ebenso
gerichtet waren, wie später nach Amerika und Indien, weil davon ihre Welt¬
stellung abhing.

Bon Messina aus sandte Heinrich VI. im Jahre 1197 die deutsch-italie¬
nische Flotte unter dem Bischof Konrad von Hildesheim, die Beirut eroberte
und 1198 die deutsche .Hospitalbrüderschaft von Se. Marie" zum Deutschen
Ritterorden erhob; von Brindisi segelte Friedrich II. 1228 aus, um seine Lehus-
hoheit über das Königreich Cypern festzustellen und sich die Königskrone von
Jerusalem aufs Haupt zu setzen, d. h. die Vorherrschaft der Deutschen in
Syrien zu begründen, in deren Interesse er auch den Deutschen Ritterorden
mit dem großen Hochmeister Hermann von Salza, seinem Vertrauten an der
Spitze, mit allen Mitteln förderte, auch u. a. in Palermo mit einer großen Laud-
schenkung ausstattete. Dieser Politik verdankte es Deutschland zum. guten Teil,
daß es seit dem Anfange des dreizehnten Jahrhunderts plötzlich in den Mittel¬
punkt des Welthandels trat und seine städtische Kultur mit reißender Schnellig¬
keit entwickelte. Seitdem die deutsche Arbeit und das deutsche Kapital in der
Türkei eine wirtschaftliche Herrschaft auszuüben und sich vor allem in Klein¬
asien, festzusetzen begonnen haben, seitdem unser .Kaiser in Jerusalem eingeritten
ist und dort die evangelische Erlöserkirche eingeweiht hat, und seitdem deutsche
Ingenieure die Bagdadbahn vermessen, erscheinen uns auch die Ziele dieser
Hohenstaufen verständlicher; aber allerdings, nicht von Deutschland, sondern erst
von Sizilien aus können sie ganz begriffen werden.

Doch das heutige Palermo kümmert sich vermutlich wenig um diese Er¬
innerungen; es ist eine moderne, rührige, sehr belebte, dabei elegante und
saubere Stadt vou beinahe 300000 Einwohnern, die Hauptstadt der Insel,
die seit der Begründung des Königreichs Italien mächtig emporblüht. Ein
ganz neues Viertel ist im Norden jenseits der modernen breiten Via Cavour
entstanden, mit dem kolossalen Theater Vittorio Emcmuele und dem Garibäldi-
denkmal, das hier besser am Platze ist als irgendwo anders. Denn der Be¬
freier Palermos und Siziliens ist der merkwürdige Volksheld allerdings ge¬
wesen. Mit Recht heißen deshalb die Straßen im Süden der Stadt, durch
die er am 27. Mai 1860 einzog, Corso dei Mille und Via Garibaldi, und


Auf Sizilien

ganz fremd war; sie erstrebten ein mitteleuropäisches Zentralreich unter der
Hegemonie der Deutschen; sie stellten also der Nation eine großartige Aufgabe,
und es war nicht ihre Schuld, daß die Deutschen, hitzköpfig und eigensinnig,
in kleinliche Interessen und Händel daheim verstrickt, wie gewöhnlich, ihnen
nicht genügend zu folgen vermochten. Sizilien aber war der Schlußstein des
großartigen dreigliedrigen Baues, der aus Deutschland, dem Königreich Italien
und dein Königreich Sizilien bestand. Erst Sizilien und Unteritalien boten ihnen
die Basis für die Beherrschung des Mittelmeers; von hier aus haben
Heinrich VI. und Friedrich II. begonnen, den Deutschen die ihnen gebührende
Stellung neben den Franzosen auch im Orient, gegenüber dem byzantinischen
Reiche und in Syrien zu verschaffen, also in den Ländern, nach denen die
Herrschnfts- und Kolonisationsbestrebungen der Abendländer damals ebenso
gerichtet waren, wie später nach Amerika und Indien, weil davon ihre Welt¬
stellung abhing.

Bon Messina aus sandte Heinrich VI. im Jahre 1197 die deutsch-italie¬
nische Flotte unter dem Bischof Konrad von Hildesheim, die Beirut eroberte
und 1198 die deutsche .Hospitalbrüderschaft von Se. Marie« zum Deutschen
Ritterorden erhob; von Brindisi segelte Friedrich II. 1228 aus, um seine Lehus-
hoheit über das Königreich Cypern festzustellen und sich die Königskrone von
Jerusalem aufs Haupt zu setzen, d. h. die Vorherrschaft der Deutschen in
Syrien zu begründen, in deren Interesse er auch den Deutschen Ritterorden
mit dem großen Hochmeister Hermann von Salza, seinem Vertrauten an der
Spitze, mit allen Mitteln förderte, auch u. a. in Palermo mit einer großen Laud-
schenkung ausstattete. Dieser Politik verdankte es Deutschland zum. guten Teil,
daß es seit dem Anfange des dreizehnten Jahrhunderts plötzlich in den Mittel¬
punkt des Welthandels trat und seine städtische Kultur mit reißender Schnellig¬
keit entwickelte. Seitdem die deutsche Arbeit und das deutsche Kapital in der
Türkei eine wirtschaftliche Herrschaft auszuüben und sich vor allem in Klein¬
asien, festzusetzen begonnen haben, seitdem unser .Kaiser in Jerusalem eingeritten
ist und dort die evangelische Erlöserkirche eingeweiht hat, und seitdem deutsche
Ingenieure die Bagdadbahn vermessen, erscheinen uns auch die Ziele dieser
Hohenstaufen verständlicher; aber allerdings, nicht von Deutschland, sondern erst
von Sizilien aus können sie ganz begriffen werden.

Doch das heutige Palermo kümmert sich vermutlich wenig um diese Er¬
innerungen; es ist eine moderne, rührige, sehr belebte, dabei elegante und
saubere Stadt vou beinahe 300000 Einwohnern, die Hauptstadt der Insel,
die seit der Begründung des Königreichs Italien mächtig emporblüht. Ein
ganz neues Viertel ist im Norden jenseits der modernen breiten Via Cavour
entstanden, mit dem kolossalen Theater Vittorio Emcmuele und dem Garibäldi-
denkmal, das hier besser am Platze ist als irgendwo anders. Denn der Be¬
freier Palermos und Siziliens ist der merkwürdige Volksheld allerdings ge¬
wesen. Mit Recht heißen deshalb die Straßen im Süden der Stadt, durch
die er am 27. Mai 1860 einzog, Corso dei Mille und Via Garibaldi, und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/104>, abgerufen am 01.07.2024.