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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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Auf Sizilien

Anders freilich im Innern, zu dein von dieser Seite her eine breite go¬
tische Vorhalle führt. Hier ist nur noch die allgemeine Gliederung in drei
Längsschiffe und ein Querschiff erhalten, sonst ist es, namentlich von Fuga,
ganz modernisiert. Modern ist auch die Kapelle der heiligen Rosalia, der
neuen Schntzpntronin Palermos, im Chor, mit dem vielgenannten, übrigens
gewöhnlich unsichtbaren Silbersarkophagc. Uns war das alles weniger wichtig;
wir suchten in einer Kapelle des rechten Seitenschiffs die "Königsgräber," 1s
Wirth 1-og.ki. Hier giebt es nichts von phantastischem Schmuck; in schlichter,
strenger Einfachheit stehn sie hinter dem kunstvollen Eisengitter neben einander,
die beiden kleinen offnen Mnrmortempel, deren Dach auf vier schlanken, korin¬
thischen Säulen ruht, und darunter dnnkelrote, ganz antik gehaltne Porphyr¬
sarkophage. In dem zur rechten Hand ruht Kaiser Heinrich VI. (1- 1197), in
dem zur linken sein Sohn Friedrich II. 1250), der erste der gewaltigste und
kühnste unter den Hohenstaufen, aber auch der härteste, unliebenswürdigste, uu-
ritterlichste dieses ritterlichen Geschlechts, der zweite der geistvollste Herrscher
des ganzen Mittelalters, ein völlig moderner Mensch, in antiker und arabischer
Bildung geschult, sprachenkundig und sprachgewaltig, selbst ein Künstler und
Dichter, ein freier weltlicher Geist, den die Bannflüche der Päpste innerlich
kaum berührten, ein stolzer Verfechter der staatlichen Souveränität gegen¬
über der kirchlichen Idee des Gottesstcints, d. h. der päpstlichen Weltherr¬
schaft, kein .Krieger, obwohl er die Furcht nicht kannte, aber ein Staatsmann
und Diplomat ersten Ranges, ein harter Absolutist, dem sein süditalienisches
Königreich gehorchte, wie dem Reiter sein gutgeschnltes Roß, den Arabern
sympathischer als den Deutschen, weil er ihnen innerlich näher stand und
ihnen gründlich imponierte. Arabische Gelehrte, Künstler, Dichter, Leibwachen
bildeten in diesem noch halb arabischen Sizilien seine vertraute Umgebung, und
in arabische Gewänder gehüllt hat er sich bestatten lassen. In derselben Ka¬
pelle ruhn hinter den beiden großen Sarkophagen seine Mutter Constanze und
deren Vater König Roger II. ^ 1154) mit einigen andern Mitgliedern des
Herrscherhauses; ein ganzes nordisches Königsgeschlecht hat hier seine letzte
Ruhestätte gefunden.

Ist es ein phantastischer Traum gewesen, der die Hohenstaufen nach
Sizilien geführt hat? Vor vierzig oder fünfzig Jahren, als der Groll über
das politische Elend des dentschen Volks, seine Zersplitterung und Machtlosig¬
keit an dein Herzen unsrer patriotischen Historiker nagte, hat man so gedacht
und die gewnltigeu Kaiser des Mittelalters hart angeklagt, daß sie über dem
Schattenbilde der römischen Kaiserkrone ihre nächsten Pflichten daheim versäumt
und Deutschland dem Verfall überlassen, also den ganzen Jammer der nach¬
folgenden Jahrhunderte verschuldet hätten. Seitdem unsrer Nationalstaat be¬
gründet ist und im Begriffe steht, sich zum Weltstaat zu erweitern, lernen wir
anders und gerechter denken, aus der Gegenwart die Vergangenheit verstehn.
Unsre mittelalterlichen Kaiser haben sich gar nicht in dem immerhin engen Be¬
griffe eines deutschen Nationalstaats bewegt, der überhaupt diesen Jahrhunderten


Auf Sizilien

Anders freilich im Innern, zu dein von dieser Seite her eine breite go¬
tische Vorhalle führt. Hier ist nur noch die allgemeine Gliederung in drei
Längsschiffe und ein Querschiff erhalten, sonst ist es, namentlich von Fuga,
ganz modernisiert. Modern ist auch die Kapelle der heiligen Rosalia, der
neuen Schntzpntronin Palermos, im Chor, mit dem vielgenannten, übrigens
gewöhnlich unsichtbaren Silbersarkophagc. Uns war das alles weniger wichtig;
wir suchten in einer Kapelle des rechten Seitenschiffs die „Königsgräber," 1s
Wirth 1-og.ki. Hier giebt es nichts von phantastischem Schmuck; in schlichter,
strenger Einfachheit stehn sie hinter dem kunstvollen Eisengitter neben einander,
die beiden kleinen offnen Mnrmortempel, deren Dach auf vier schlanken, korin¬
thischen Säulen ruht, und darunter dnnkelrote, ganz antik gehaltne Porphyr¬
sarkophage. In dem zur rechten Hand ruht Kaiser Heinrich VI. (1- 1197), in
dem zur linken sein Sohn Friedrich II. 1250), der erste der gewaltigste und
kühnste unter den Hohenstaufen, aber auch der härteste, unliebenswürdigste, uu-
ritterlichste dieses ritterlichen Geschlechts, der zweite der geistvollste Herrscher
des ganzen Mittelalters, ein völlig moderner Mensch, in antiker und arabischer
Bildung geschult, sprachenkundig und sprachgewaltig, selbst ein Künstler und
Dichter, ein freier weltlicher Geist, den die Bannflüche der Päpste innerlich
kaum berührten, ein stolzer Verfechter der staatlichen Souveränität gegen¬
über der kirchlichen Idee des Gottesstcints, d. h. der päpstlichen Weltherr¬
schaft, kein .Krieger, obwohl er die Furcht nicht kannte, aber ein Staatsmann
und Diplomat ersten Ranges, ein harter Absolutist, dem sein süditalienisches
Königreich gehorchte, wie dem Reiter sein gutgeschnltes Roß, den Arabern
sympathischer als den Deutschen, weil er ihnen innerlich näher stand und
ihnen gründlich imponierte. Arabische Gelehrte, Künstler, Dichter, Leibwachen
bildeten in diesem noch halb arabischen Sizilien seine vertraute Umgebung, und
in arabische Gewänder gehüllt hat er sich bestatten lassen. In derselben Ka¬
pelle ruhn hinter den beiden großen Sarkophagen seine Mutter Constanze und
deren Vater König Roger II. ^ 1154) mit einigen andern Mitgliedern des
Herrscherhauses; ein ganzes nordisches Königsgeschlecht hat hier seine letzte
Ruhestätte gefunden.

Ist es ein phantastischer Traum gewesen, der die Hohenstaufen nach
Sizilien geführt hat? Vor vierzig oder fünfzig Jahren, als der Groll über
das politische Elend des dentschen Volks, seine Zersplitterung und Machtlosig¬
keit an dein Herzen unsrer patriotischen Historiker nagte, hat man so gedacht
und die gewnltigeu Kaiser des Mittelalters hart angeklagt, daß sie über dem
Schattenbilde der römischen Kaiserkrone ihre nächsten Pflichten daheim versäumt
und Deutschland dem Verfall überlassen, also den ganzen Jammer der nach¬
folgenden Jahrhunderte verschuldet hätten. Seitdem unsrer Nationalstaat be¬
gründet ist und im Begriffe steht, sich zum Weltstaat zu erweitern, lernen wir
anders und gerechter denken, aus der Gegenwart die Vergangenheit verstehn.
Unsre mittelalterlichen Kaiser haben sich gar nicht in dem immerhin engen Be¬
griffe eines deutschen Nationalstaats bewegt, der überhaupt diesen Jahrhunderten


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[0103] Auf Sizilien Anders freilich im Innern, zu dein von dieser Seite her eine breite go¬ tische Vorhalle führt. Hier ist nur noch die allgemeine Gliederung in drei Längsschiffe und ein Querschiff erhalten, sonst ist es, namentlich von Fuga, ganz modernisiert. Modern ist auch die Kapelle der heiligen Rosalia, der neuen Schntzpntronin Palermos, im Chor, mit dem vielgenannten, übrigens gewöhnlich unsichtbaren Silbersarkophagc. Uns war das alles weniger wichtig; wir suchten in einer Kapelle des rechten Seitenschiffs die „Königsgräber," 1s Wirth 1-og.ki. Hier giebt es nichts von phantastischem Schmuck; in schlichter, strenger Einfachheit stehn sie hinter dem kunstvollen Eisengitter neben einander, die beiden kleinen offnen Mnrmortempel, deren Dach auf vier schlanken, korin¬ thischen Säulen ruht, und darunter dnnkelrote, ganz antik gehaltne Porphyr¬ sarkophage. In dem zur rechten Hand ruht Kaiser Heinrich VI. (1- 1197), in dem zur linken sein Sohn Friedrich II. 1250), der erste der gewaltigste und kühnste unter den Hohenstaufen, aber auch der härteste, unliebenswürdigste, uu- ritterlichste dieses ritterlichen Geschlechts, der zweite der geistvollste Herrscher des ganzen Mittelalters, ein völlig moderner Mensch, in antiker und arabischer Bildung geschult, sprachenkundig und sprachgewaltig, selbst ein Künstler und Dichter, ein freier weltlicher Geist, den die Bannflüche der Päpste innerlich kaum berührten, ein stolzer Verfechter der staatlichen Souveränität gegen¬ über der kirchlichen Idee des Gottesstcints, d. h. der päpstlichen Weltherr¬ schaft, kein .Krieger, obwohl er die Furcht nicht kannte, aber ein Staatsmann und Diplomat ersten Ranges, ein harter Absolutist, dem sein süditalienisches Königreich gehorchte, wie dem Reiter sein gutgeschnltes Roß, den Arabern sympathischer als den Deutschen, weil er ihnen innerlich näher stand und ihnen gründlich imponierte. Arabische Gelehrte, Künstler, Dichter, Leibwachen bildeten in diesem noch halb arabischen Sizilien seine vertraute Umgebung, und in arabische Gewänder gehüllt hat er sich bestatten lassen. In derselben Ka¬ pelle ruhn hinter den beiden großen Sarkophagen seine Mutter Constanze und deren Vater König Roger II. ^ 1154) mit einigen andern Mitgliedern des Herrscherhauses; ein ganzes nordisches Königsgeschlecht hat hier seine letzte Ruhestätte gefunden. Ist es ein phantastischer Traum gewesen, der die Hohenstaufen nach Sizilien geführt hat? Vor vierzig oder fünfzig Jahren, als der Groll über das politische Elend des dentschen Volks, seine Zersplitterung und Machtlosig¬ keit an dein Herzen unsrer patriotischen Historiker nagte, hat man so gedacht und die gewnltigeu Kaiser des Mittelalters hart angeklagt, daß sie über dem Schattenbilde der römischen Kaiserkrone ihre nächsten Pflichten daheim versäumt und Deutschland dem Verfall überlassen, also den ganzen Jammer der nach¬ folgenden Jahrhunderte verschuldet hätten. Seitdem unsrer Nationalstaat be¬ gründet ist und im Begriffe steht, sich zum Weltstaat zu erweitern, lernen wir anders und gerechter denken, aus der Gegenwart die Vergangenheit verstehn. Unsre mittelalterlichen Kaiser haben sich gar nicht in dem immerhin engen Be¬ griffe eines deutschen Nationalstaats bewegt, der überhaupt diesen Jahrhunderten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/103>, abgerufen am 03.07.2024.