Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Zur Frauenfrage

für unser soziales und das gesamte öffentliche Leben sei, und daß sich jeder
gebildete Deutsche in der Frage ein Urteil verschaffen und Stellung nehmen
müsse. Gewiß ist die Frage noch im Flusse, und sie ist in ihrem ganzen Uni¬
fange schwer zu übersehen. Wenn wir in diesem Sinne uns auch nicht zu¬
trauten, das gesamte Gebiet der Frauenfrage zu beherrschen oder sie zu lösen,
so kamen wir doch darin überein, daß es sich um eine Reihe wichtiger Einzel¬
fragen dabei handle, denen man scharf ins Gesicht sehen, und die man mit
nüchternem, gesundem Menschenverstande prüfen könne und müsse.

Das gab ein ernstes und für uns beide interessantes Gespräch, dessen
Niederschlag ich notiert habe. Und da die von uns durchgesprochnen Einzel¬
fragen ohne Zweifel heutzutage viele Männer und Frauen bewegen, so mögen
die Ergebnisse unsrer Unterhaltung in aller Bescheidenheit hier folgen.

Im Laufe des letzten Jahres ist auf dein Gebiete der Frauenfrage an¬
scheinend eine gewisse Beruhigung eingetreten. Die Forderungen der Frauen¬
rechtler und Frauenanwälte sind zwar nicht verstummt, sie mögen indessen
immerhin weniger stürmisch und weniger laut aufgetreten sein. Es wäre aber
eine Täuschung, anzunehmen, daß damit die Frage selbst von der Tagesord¬
nung der öffentlichen Erörterung zu verschwinden begonnen hätte. Die Frage
besteht und ist im wesentlichen ungelöst. Sie ist eine der großen Kulturfragen
der Zeit, die wohl zeitweise einmal mehr oder weniger in den Hintergrund
treten können, die aber immer wieder mit naturnotwendiger Gewalt hervor¬
brechen werden, bis eine dem innersten Wesen unsers Volkstums entsprechende
Lösung wenigstens angebahnt und in den Gemütern mächtig geworden sein
wird. Die augenblickliche größere Ruhe ist nur Schein.

Zwei große Strömungen muß man in der heutigen Frauenbewegung be¬
grifflich und praktisch scharf auseinanderhnlten, und das um so mehr, als sie
absichtlich und unabsichtlich, bewußt und unbewußt vielfach miteinander ver¬
mengt werden und dann ineinanderzufließen scheinen. Das ist einmal die
Forderung der Frauenemanzipntion, der sozialen, politischen, rechtlichen Gleich¬
stellung der Frau mit dem Manne, und sodann das Verlangen nach Erweite¬
rung der anständigen Erwerbsthätigkeit für Frauen.

Die ganze Emanzipationslehre ist, wie Treitschke sagt, verrückt.*) Was von
der Natur so grundverschieden angelegt und entwickelt ist, wie die beiden Ge¬
schlechter, läßt sich schlechterdings nicht als gleichartig behandeln. Wenn die
Sozialdemokraten einstweilen die Frnuenemanzipation unter ihre Flügel nehmen,
so geschieht das, um sich das höchst wertvolle Agitationsmaterial der unzu¬
friednen, begehrlichen und durch Logik nicht genierten Weiber nicht entgehn
zu lassen. Überdies hat die ganze sozialdemokratische Treiberei in der gleißenden
Betonung der angeblichen absoluten Gleichheit der Menschen denselben unver¬
nünftigen und unnatürlichen Zug wie das Geschrei nach rechtlicher und poli-



*) Vgl. Politik von Heinrich von Treitschke. Leipzig, Hirzel, 1897. Erster Band,
Seite 242.
Zur Frauenfrage

für unser soziales und das gesamte öffentliche Leben sei, und daß sich jeder
gebildete Deutsche in der Frage ein Urteil verschaffen und Stellung nehmen
müsse. Gewiß ist die Frage noch im Flusse, und sie ist in ihrem ganzen Uni¬
fange schwer zu übersehen. Wenn wir in diesem Sinne uns auch nicht zu¬
trauten, das gesamte Gebiet der Frauenfrage zu beherrschen oder sie zu lösen,
so kamen wir doch darin überein, daß es sich um eine Reihe wichtiger Einzel¬
fragen dabei handle, denen man scharf ins Gesicht sehen, und die man mit
nüchternem, gesundem Menschenverstande prüfen könne und müsse.

Das gab ein ernstes und für uns beide interessantes Gespräch, dessen
Niederschlag ich notiert habe. Und da die von uns durchgesprochnen Einzel¬
fragen ohne Zweifel heutzutage viele Männer und Frauen bewegen, so mögen
die Ergebnisse unsrer Unterhaltung in aller Bescheidenheit hier folgen.

Im Laufe des letzten Jahres ist auf dein Gebiete der Frauenfrage an¬
scheinend eine gewisse Beruhigung eingetreten. Die Forderungen der Frauen¬
rechtler und Frauenanwälte sind zwar nicht verstummt, sie mögen indessen
immerhin weniger stürmisch und weniger laut aufgetreten sein. Es wäre aber
eine Täuschung, anzunehmen, daß damit die Frage selbst von der Tagesord¬
nung der öffentlichen Erörterung zu verschwinden begonnen hätte. Die Frage
besteht und ist im wesentlichen ungelöst. Sie ist eine der großen Kulturfragen
der Zeit, die wohl zeitweise einmal mehr oder weniger in den Hintergrund
treten können, die aber immer wieder mit naturnotwendiger Gewalt hervor¬
brechen werden, bis eine dem innersten Wesen unsers Volkstums entsprechende
Lösung wenigstens angebahnt und in den Gemütern mächtig geworden sein
wird. Die augenblickliche größere Ruhe ist nur Schein.

Zwei große Strömungen muß man in der heutigen Frauenbewegung be¬
grifflich und praktisch scharf auseinanderhnlten, und das um so mehr, als sie
absichtlich und unabsichtlich, bewußt und unbewußt vielfach miteinander ver¬
mengt werden und dann ineinanderzufließen scheinen. Das ist einmal die
Forderung der Frauenemanzipntion, der sozialen, politischen, rechtlichen Gleich¬
stellung der Frau mit dem Manne, und sodann das Verlangen nach Erweite¬
rung der anständigen Erwerbsthätigkeit für Frauen.

Die ganze Emanzipationslehre ist, wie Treitschke sagt, verrückt.*) Was von
der Natur so grundverschieden angelegt und entwickelt ist, wie die beiden Ge¬
schlechter, läßt sich schlechterdings nicht als gleichartig behandeln. Wenn die
Sozialdemokraten einstweilen die Frnuenemanzipation unter ihre Flügel nehmen,
so geschieht das, um sich das höchst wertvolle Agitationsmaterial der unzu¬
friednen, begehrlichen und durch Logik nicht genierten Weiber nicht entgehn
zu lassen. Überdies hat die ganze sozialdemokratische Treiberei in der gleißenden
Betonung der angeblichen absoluten Gleichheit der Menschen denselben unver¬
nünftigen und unnatürlichen Zug wie das Geschrei nach rechtlicher und poli-



*) Vgl. Politik von Heinrich von Treitschke. Leipzig, Hirzel, 1897. Erster Band,
Seite 242.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0010" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/290421"/>
          <fw type="header" place="top"> Zur Frauenfrage</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_10" prev="#ID_9"> für unser soziales und das gesamte öffentliche Leben sei, und daß sich jeder<lb/>
gebildete Deutsche in der Frage ein Urteil verschaffen und Stellung nehmen<lb/>
müsse. Gewiß ist die Frage noch im Flusse, und sie ist in ihrem ganzen Uni¬<lb/>
fange schwer zu übersehen. Wenn wir in diesem Sinne uns auch nicht zu¬<lb/>
trauten, das gesamte Gebiet der Frauenfrage zu beherrschen oder sie zu lösen,<lb/>
so kamen wir doch darin überein, daß es sich um eine Reihe wichtiger Einzel¬<lb/>
fragen dabei handle, denen man scharf ins Gesicht sehen, und die man mit<lb/>
nüchternem, gesundem Menschenverstande prüfen könne und müsse.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_11"> Das gab ein ernstes und für uns beide interessantes Gespräch, dessen<lb/>
Niederschlag ich notiert habe. Und da die von uns durchgesprochnen Einzel¬<lb/>
fragen ohne Zweifel heutzutage viele Männer und Frauen bewegen, so mögen<lb/>
die Ergebnisse unsrer Unterhaltung in aller Bescheidenheit hier folgen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_12"> Im Laufe des letzten Jahres ist auf dein Gebiete der Frauenfrage an¬<lb/>
scheinend eine gewisse Beruhigung eingetreten. Die Forderungen der Frauen¬<lb/>
rechtler und Frauenanwälte sind zwar nicht verstummt, sie mögen indessen<lb/>
immerhin weniger stürmisch und weniger laut aufgetreten sein. Es wäre aber<lb/>
eine Täuschung, anzunehmen, daß damit die Frage selbst von der Tagesord¬<lb/>
nung der öffentlichen Erörterung zu verschwinden begonnen hätte. Die Frage<lb/>
besteht und ist im wesentlichen ungelöst. Sie ist eine der großen Kulturfragen<lb/>
der Zeit, die wohl zeitweise einmal mehr oder weniger in den Hintergrund<lb/>
treten können, die aber immer wieder mit naturnotwendiger Gewalt hervor¬<lb/>
brechen werden, bis eine dem innersten Wesen unsers Volkstums entsprechende<lb/>
Lösung wenigstens angebahnt und in den Gemütern mächtig geworden sein<lb/>
wird.  Die augenblickliche größere Ruhe ist nur Schein.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_13"> Zwei große Strömungen muß man in der heutigen Frauenbewegung be¬<lb/>
grifflich und praktisch scharf auseinanderhnlten, und das um so mehr, als sie<lb/>
absichtlich und unabsichtlich, bewußt und unbewußt vielfach miteinander ver¬<lb/>
mengt werden und dann ineinanderzufließen scheinen. Das ist einmal die<lb/>
Forderung der Frauenemanzipntion, der sozialen, politischen, rechtlichen Gleich¬<lb/>
stellung der Frau mit dem Manne, und sodann das Verlangen nach Erweite¬<lb/>
rung der anständigen Erwerbsthätigkeit für Frauen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_14" next="#ID_15"> Die ganze Emanzipationslehre ist, wie Treitschke sagt, verrückt.*) Was von<lb/>
der Natur so grundverschieden angelegt und entwickelt ist, wie die beiden Ge¬<lb/>
schlechter, läßt sich schlechterdings nicht als gleichartig behandeln. Wenn die<lb/>
Sozialdemokraten einstweilen die Frnuenemanzipation unter ihre Flügel nehmen,<lb/>
so geschieht das, um sich das höchst wertvolle Agitationsmaterial der unzu¬<lb/>
friednen, begehrlichen und durch Logik nicht genierten Weiber nicht entgehn<lb/>
zu lassen. Überdies hat die ganze sozialdemokratische Treiberei in der gleißenden<lb/>
Betonung der angeblichen absoluten Gleichheit der Menschen denselben unver¬<lb/>
nünftigen und unnatürlichen Zug wie das Geschrei nach rechtlicher und poli-</p><lb/>
          <note xml:id="FID_3" place="foot"> *) Vgl. Politik von Heinrich von Treitschke. Leipzig, Hirzel, 1897. Erster Band,<lb/>
Seite 242.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0010] Zur Frauenfrage für unser soziales und das gesamte öffentliche Leben sei, und daß sich jeder gebildete Deutsche in der Frage ein Urteil verschaffen und Stellung nehmen müsse. Gewiß ist die Frage noch im Flusse, und sie ist in ihrem ganzen Uni¬ fange schwer zu übersehen. Wenn wir in diesem Sinne uns auch nicht zu¬ trauten, das gesamte Gebiet der Frauenfrage zu beherrschen oder sie zu lösen, so kamen wir doch darin überein, daß es sich um eine Reihe wichtiger Einzel¬ fragen dabei handle, denen man scharf ins Gesicht sehen, und die man mit nüchternem, gesundem Menschenverstande prüfen könne und müsse. Das gab ein ernstes und für uns beide interessantes Gespräch, dessen Niederschlag ich notiert habe. Und da die von uns durchgesprochnen Einzel¬ fragen ohne Zweifel heutzutage viele Männer und Frauen bewegen, so mögen die Ergebnisse unsrer Unterhaltung in aller Bescheidenheit hier folgen. Im Laufe des letzten Jahres ist auf dein Gebiete der Frauenfrage an¬ scheinend eine gewisse Beruhigung eingetreten. Die Forderungen der Frauen¬ rechtler und Frauenanwälte sind zwar nicht verstummt, sie mögen indessen immerhin weniger stürmisch und weniger laut aufgetreten sein. Es wäre aber eine Täuschung, anzunehmen, daß damit die Frage selbst von der Tagesord¬ nung der öffentlichen Erörterung zu verschwinden begonnen hätte. Die Frage besteht und ist im wesentlichen ungelöst. Sie ist eine der großen Kulturfragen der Zeit, die wohl zeitweise einmal mehr oder weniger in den Hintergrund treten können, die aber immer wieder mit naturnotwendiger Gewalt hervor¬ brechen werden, bis eine dem innersten Wesen unsers Volkstums entsprechende Lösung wenigstens angebahnt und in den Gemütern mächtig geworden sein wird. Die augenblickliche größere Ruhe ist nur Schein. Zwei große Strömungen muß man in der heutigen Frauenbewegung be¬ grifflich und praktisch scharf auseinanderhnlten, und das um so mehr, als sie absichtlich und unabsichtlich, bewußt und unbewußt vielfach miteinander ver¬ mengt werden und dann ineinanderzufließen scheinen. Das ist einmal die Forderung der Frauenemanzipntion, der sozialen, politischen, rechtlichen Gleich¬ stellung der Frau mit dem Manne, und sodann das Verlangen nach Erweite¬ rung der anständigen Erwerbsthätigkeit für Frauen. Die ganze Emanzipationslehre ist, wie Treitschke sagt, verrückt.*) Was von der Natur so grundverschieden angelegt und entwickelt ist, wie die beiden Ge¬ schlechter, läßt sich schlechterdings nicht als gleichartig behandeln. Wenn die Sozialdemokraten einstweilen die Frnuenemanzipation unter ihre Flügel nehmen, so geschieht das, um sich das höchst wertvolle Agitationsmaterial der unzu¬ friednen, begehrlichen und durch Logik nicht genierten Weiber nicht entgehn zu lassen. Überdies hat die ganze sozialdemokratische Treiberei in der gleißenden Betonung der angeblichen absoluten Gleichheit der Menschen denselben unver¬ nünftigen und unnatürlichen Zug wie das Geschrei nach rechtlicher und poli- *) Vgl. Politik von Heinrich von Treitschke. Leipzig, Hirzel, 1897. Erster Band, Seite 242.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/10
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/10>, abgerufen am 01.07.2024.