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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr.

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Willibald Beyschlags Lebenserinnerungen

Thvlucks erwirken und neben mir für praktische Theologie meinen Freund
Wolters vorschlagen wollten, ich willig sei, den Berliner Ruf abzulehnen. Sie
hatten schon beschlossen, sich in diesem Sinne an den Minister zu wenden, und
derselbe ging mit großer Freundlichkeit auf unsre Wünsche ein. Die Hallische
Studentenschaft brachte mir zum Danke für mein Bleiben einen Fnckelzng, und
die weitere Entwicklung der Dinge sollte mir in glücklichen, wie in schmerzlichen
Erfahrungen bestätigen, daß ich die richtige Wahl getroffen." Das mehrjährige
erfreuliche Zusammenwirken mit Beyschlags Herzens- und Jugendfreunde Albrecht
Walters (der schon 1878 starb) zeitigte die Deutsch-Evangelischen Blätter,
deren Herausgeber Beyschlag noch heute ist. Die Gründung des "Evangelischen
Bundes zur Wahrung der deutsch-protestantischen Interessen" ging aus dem¬
selben Geiste hervor, wie die genannte Zeitschrift. Den Angriffen zum Trotz
gedieh dieser Bund, und der Aufruf, sich über alles Parteiwesen hinaus auf
die Gemeinsamkeit des Gotteserbes der deutschen Reformation zu besinnen,
fand rechts und links Wicderhnll. "Nicht als konnten wir, sagte Beyschlag
1886 in seiner Eröffnungsrede zur Erfurter Versammlung des Bundes, die
mancherlei Dinge, die uns voneinander unterscheiden, wegwerfen, als wären
sie nichts, wir haben ja nicht gestritten wie Kinder um Kindereien, daß wir
jetzt sagen könnten, wir wollens gut sein lassen und uns wieder vertragen.
Aber was wir als Männer können und sollen, das ist: unsre Streitfragen
zurückstellen und unterordnen gegen die gemeinsame hohe Aufgabe, unserm
Volke das Erbteil seiner Reformation zu erhalten, das ist jener Sinn des
edelsten der homerischen Helden, den man bedenklich machen will über den
Flug der Vögel zur Rechten und zur Linken, aber er antwortet: Ob sie rechts
fliegen oder links, Ein Wahrzeichen ist gut: fürs Vaterland sich zu wehren."

Resigniert sagt freilich Beyschlag ein paar Kapitel weiter: "Insonderheit
der evangelische Theologe hat in unserm Jahrhundert niemals das Glück, mit
seinein Lebensgedanken von dem großen Strom der Zeitgeschichte getragen zu
werden; er muß zufrieden sein, daß bei stets widrigen Winden sein Schifflein
von einer leisen Unterströmung bewegt wird." Inmitten des "zeitgeistigen
Wirrsals," der rein mnterialistischeu Weltanschauung der Sozialdcmokmtie, mit
der nach Beyschlags Meinung "die obern Zehntausend alle Ursache haben
glimpflich zu fahren, indem dieselbe nichts weiter ist, als die Übersetzung ihrer
eignen Lebensweisheit aus dem Patrizischen ins Plebejische"; inmitten des
Vordringens des ultramontanen Katholizismus, der "bei weitem folgerichtigem
und handgreiflicher!, Mnterialisierung des Christentums, allen sympathisch, die
Religion haben wollen, aber eine möglichst Versinnlichte Religion," ist es eine
undankbare Aufgabe, die großen Grundgedanken der Reformation zu vertreten.
"Und doch dürfte dieser Aufgabe nicht müde werden, wer in jenen reformato-
rischen Grundgedanken das alleinige Heil unsers deutschen Volks, die unver¬
äußerliche Bürgschaft unsrer Zukunft erblickt."

Willibald Beyschlag ist, wie jedem Leser mich der letzten Kapitel seiner
Selbstbiographie klar wird, niemals müde geworden. Nach seiner Überzeugung,


Willibald Beyschlags Lebenserinnerungen

Thvlucks erwirken und neben mir für praktische Theologie meinen Freund
Wolters vorschlagen wollten, ich willig sei, den Berliner Ruf abzulehnen. Sie
hatten schon beschlossen, sich in diesem Sinne an den Minister zu wenden, und
derselbe ging mit großer Freundlichkeit auf unsre Wünsche ein. Die Hallische
Studentenschaft brachte mir zum Danke für mein Bleiben einen Fnckelzng, und
die weitere Entwicklung der Dinge sollte mir in glücklichen, wie in schmerzlichen
Erfahrungen bestätigen, daß ich die richtige Wahl getroffen." Das mehrjährige
erfreuliche Zusammenwirken mit Beyschlags Herzens- und Jugendfreunde Albrecht
Walters (der schon 1878 starb) zeitigte die Deutsch-Evangelischen Blätter,
deren Herausgeber Beyschlag noch heute ist. Die Gründung des „Evangelischen
Bundes zur Wahrung der deutsch-protestantischen Interessen" ging aus dem¬
selben Geiste hervor, wie die genannte Zeitschrift. Den Angriffen zum Trotz
gedieh dieser Bund, und der Aufruf, sich über alles Parteiwesen hinaus auf
die Gemeinsamkeit des Gotteserbes der deutschen Reformation zu besinnen,
fand rechts und links Wicderhnll. „Nicht als konnten wir, sagte Beyschlag
1886 in seiner Eröffnungsrede zur Erfurter Versammlung des Bundes, die
mancherlei Dinge, die uns voneinander unterscheiden, wegwerfen, als wären
sie nichts, wir haben ja nicht gestritten wie Kinder um Kindereien, daß wir
jetzt sagen könnten, wir wollens gut sein lassen und uns wieder vertragen.
Aber was wir als Männer können und sollen, das ist: unsre Streitfragen
zurückstellen und unterordnen gegen die gemeinsame hohe Aufgabe, unserm
Volke das Erbteil seiner Reformation zu erhalten, das ist jener Sinn des
edelsten der homerischen Helden, den man bedenklich machen will über den
Flug der Vögel zur Rechten und zur Linken, aber er antwortet: Ob sie rechts
fliegen oder links, Ein Wahrzeichen ist gut: fürs Vaterland sich zu wehren."

Resigniert sagt freilich Beyschlag ein paar Kapitel weiter: „Insonderheit
der evangelische Theologe hat in unserm Jahrhundert niemals das Glück, mit
seinein Lebensgedanken von dem großen Strom der Zeitgeschichte getragen zu
werden; er muß zufrieden sein, daß bei stets widrigen Winden sein Schifflein
von einer leisen Unterströmung bewegt wird." Inmitten des „zeitgeistigen
Wirrsals," der rein mnterialistischeu Weltanschauung der Sozialdcmokmtie, mit
der nach Beyschlags Meinung „die obern Zehntausend alle Ursache haben
glimpflich zu fahren, indem dieselbe nichts weiter ist, als die Übersetzung ihrer
eignen Lebensweisheit aus dem Patrizischen ins Plebejische"; inmitten des
Vordringens des ultramontanen Katholizismus, der „bei weitem folgerichtigem
und handgreiflicher!, Mnterialisierung des Christentums, allen sympathisch, die
Religion haben wollen, aber eine möglichst Versinnlichte Religion," ist es eine
undankbare Aufgabe, die großen Grundgedanken der Reformation zu vertreten.
„Und doch dürfte dieser Aufgabe nicht müde werden, wer in jenen reformato-
rischen Grundgedanken das alleinige Heil unsers deutschen Volks, die unver¬
äußerliche Bürgschaft unsrer Zukunft erblickt."

Willibald Beyschlag ist, wie jedem Leser mich der letzten Kapitel seiner
Selbstbiographie klar wird, niemals müde geworden. Nach seiner Überzeugung,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551/90>, abgerufen am 02.07.2024.