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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr.

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Polnische Politik

als zu andern Leuten. Das wissen Schulze und Müller wohl zu werten,
bleiben deshalb gern bei ihren deutschen Namen, halten unter einander fest
zusammen und verpolen meist erst dann, wenn sie in die obern Klassen auf¬
steigen, in die polnische Aristokratie eindringen, in der polnischen Gesellschaft
Aufnahme zu finden wünschen, oder gar sich mit ihr verschwägern. Das
dürfte in Posen anders sein. Der einwandernde Deutsche kommt sogleich in
eine feindliche Stellung, in der er sich verteidigen muß. Dem Polen ist er
verhaßt, dem katholischen Klerus gleichfalls. Denn sie sehen in ihm ein Werk¬
zeug der Stantsregierung, von der sie bedrängt werden; sie sind erfüllt von
dem nationalen Eifer, der durch diese Bedrängung allmählich verstärkt worden
ist. Der Deutsche wird hier überall zurückgestoßen, man hat es lieber mit
Polen, ja mit Juden zu thun, als mit ihm, auch wenn er noch so tüchtig ist;
er wird als Kaufmann, als Handwerker boykottiert zu Gunsten polnischer
Konkurrenten; als Landarbeiter, Müller, Schmied wird er möglichst gemieden.
Und wie viel gefährlicher ist die polnische Konkurrenz dieser Gewerbe hier als
in Kronpvlen! Denn hier hat deutsche Schulung schon tüchtige polnische
Handwerker, Kaufleute, Ärzte und Landwirte in Menge erzogen.

Dieses polnische Bürgertum ist es, nächst dem katholischen Klerus, was
man auf deutscher Seite als deu gefährlichsten Gegner fürchtet: die politische
nationale Idee findet in ihm ihre beste Waffe, die Verpolung der Städte in
Posen geschieht durch das Wachsen der polnischen Mittelklasse,,. Wo aber
kommt denn dieses Bürgertum her in einem Volke, das nie früher städtische
Nahrung getrieben hat und auch heute weder in Kroupolen noch in Gnlizien
ein Bürgertum hat? Was die Polen selbst in Jahrhunderten nicht fertig ge¬
bracht haben, das hat höchst merkwürdigerweise der preußische Staat ge¬
schaffen: unter seiner Leitung und durch seine Bemühungen sind die Polen zu
dem gelangt, was ihnen für ihre Kulturentwicklung immer am meisten gefehlt
hat: einem Bürgertum. Nichts in der Welt, nicht einmal ein neugegründeter
Polenstaat wäre für die Zukunft dieses Volks von solcher Bedeutung, wie diese
Errungenschaft, und so ist mit deutschen Händen hier ein Fundament gelegt
für polnische Hoffnungen, wie es wertvoller nicht gedacht werden kann für die
weitere Entwicklung der polnischen Ansprüche.

Dn bemerkt man plötzlich, daß dieses Bürgertum deutscher Schöpfung sich
gegen den Schöpfer wendet, und man ist vielfach sogar entrüstet ob des Un¬
danks. Dieses polnische Bürgertum aber erwuchs doch nicht, um sich selbst
ans Dankbarkeit zu opfern. Man hat in früherer Zeit vielleicht mit Recht
gemeint, daß sich der durch die deutsche Schule gegangue Pole als Deutscher
fühlen werde. Aber das ist nicht mehr so in unsrer Zeit der nationalen Leiden¬
schaften. Der Pole lernt in der deutschen Schule, was deutsche Wissenschaft
und Kunst bieten, und die so gewonnenen Geisteswerkzeuge werden polnische
Waffen, diene" polnischer Kultur. Das ist natürlich, das ist für den Polen
ein Lob, und wir haben kein Recht, andres von ihm zu fordern. Wir haben
uns selbst in der nationalen Verwandlnngstraft der Schule getäuscht, wenigstens


Polnische Politik

als zu andern Leuten. Das wissen Schulze und Müller wohl zu werten,
bleiben deshalb gern bei ihren deutschen Namen, halten unter einander fest
zusammen und verpolen meist erst dann, wenn sie in die obern Klassen auf¬
steigen, in die polnische Aristokratie eindringen, in der polnischen Gesellschaft
Aufnahme zu finden wünschen, oder gar sich mit ihr verschwägern. Das
dürfte in Posen anders sein. Der einwandernde Deutsche kommt sogleich in
eine feindliche Stellung, in der er sich verteidigen muß. Dem Polen ist er
verhaßt, dem katholischen Klerus gleichfalls. Denn sie sehen in ihm ein Werk¬
zeug der Stantsregierung, von der sie bedrängt werden; sie sind erfüllt von
dem nationalen Eifer, der durch diese Bedrängung allmählich verstärkt worden
ist. Der Deutsche wird hier überall zurückgestoßen, man hat es lieber mit
Polen, ja mit Juden zu thun, als mit ihm, auch wenn er noch so tüchtig ist;
er wird als Kaufmann, als Handwerker boykottiert zu Gunsten polnischer
Konkurrenten; als Landarbeiter, Müller, Schmied wird er möglichst gemieden.
Und wie viel gefährlicher ist die polnische Konkurrenz dieser Gewerbe hier als
in Kronpvlen! Denn hier hat deutsche Schulung schon tüchtige polnische
Handwerker, Kaufleute, Ärzte und Landwirte in Menge erzogen.

Dieses polnische Bürgertum ist es, nächst dem katholischen Klerus, was
man auf deutscher Seite als deu gefährlichsten Gegner fürchtet: die politische
nationale Idee findet in ihm ihre beste Waffe, die Verpolung der Städte in
Posen geschieht durch das Wachsen der polnischen Mittelklasse,,. Wo aber
kommt denn dieses Bürgertum her in einem Volke, das nie früher städtische
Nahrung getrieben hat und auch heute weder in Kroupolen noch in Gnlizien
ein Bürgertum hat? Was die Polen selbst in Jahrhunderten nicht fertig ge¬
bracht haben, das hat höchst merkwürdigerweise der preußische Staat ge¬
schaffen: unter seiner Leitung und durch seine Bemühungen sind die Polen zu
dem gelangt, was ihnen für ihre Kulturentwicklung immer am meisten gefehlt
hat: einem Bürgertum. Nichts in der Welt, nicht einmal ein neugegründeter
Polenstaat wäre für die Zukunft dieses Volks von solcher Bedeutung, wie diese
Errungenschaft, und so ist mit deutschen Händen hier ein Fundament gelegt
für polnische Hoffnungen, wie es wertvoller nicht gedacht werden kann für die
weitere Entwicklung der polnischen Ansprüche.

Dn bemerkt man plötzlich, daß dieses Bürgertum deutscher Schöpfung sich
gegen den Schöpfer wendet, und man ist vielfach sogar entrüstet ob des Un¬
danks. Dieses polnische Bürgertum aber erwuchs doch nicht, um sich selbst
ans Dankbarkeit zu opfern. Man hat in früherer Zeit vielleicht mit Recht
gemeint, daß sich der durch die deutsche Schule gegangue Pole als Deutscher
fühlen werde. Aber das ist nicht mehr so in unsrer Zeit der nationalen Leiden¬
schaften. Der Pole lernt in der deutschen Schule, was deutsche Wissenschaft
und Kunst bieten, und die so gewonnenen Geisteswerkzeuge werden polnische
Waffen, diene» polnischer Kultur. Das ist natürlich, das ist für den Polen
ein Lob, und wir haben kein Recht, andres von ihm zu fordern. Wir haben
uns selbst in der nationalen Verwandlnngstraft der Schule getäuscht, wenigstens


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[0077] Polnische Politik als zu andern Leuten. Das wissen Schulze und Müller wohl zu werten, bleiben deshalb gern bei ihren deutschen Namen, halten unter einander fest zusammen und verpolen meist erst dann, wenn sie in die obern Klassen auf¬ steigen, in die polnische Aristokratie eindringen, in der polnischen Gesellschaft Aufnahme zu finden wünschen, oder gar sich mit ihr verschwägern. Das dürfte in Posen anders sein. Der einwandernde Deutsche kommt sogleich in eine feindliche Stellung, in der er sich verteidigen muß. Dem Polen ist er verhaßt, dem katholischen Klerus gleichfalls. Denn sie sehen in ihm ein Werk¬ zeug der Stantsregierung, von der sie bedrängt werden; sie sind erfüllt von dem nationalen Eifer, der durch diese Bedrängung allmählich verstärkt worden ist. Der Deutsche wird hier überall zurückgestoßen, man hat es lieber mit Polen, ja mit Juden zu thun, als mit ihm, auch wenn er noch so tüchtig ist; er wird als Kaufmann, als Handwerker boykottiert zu Gunsten polnischer Konkurrenten; als Landarbeiter, Müller, Schmied wird er möglichst gemieden. Und wie viel gefährlicher ist die polnische Konkurrenz dieser Gewerbe hier als in Kronpvlen! Denn hier hat deutsche Schulung schon tüchtige polnische Handwerker, Kaufleute, Ärzte und Landwirte in Menge erzogen. Dieses polnische Bürgertum ist es, nächst dem katholischen Klerus, was man auf deutscher Seite als deu gefährlichsten Gegner fürchtet: die politische nationale Idee findet in ihm ihre beste Waffe, die Verpolung der Städte in Posen geschieht durch das Wachsen der polnischen Mittelklasse,,. Wo aber kommt denn dieses Bürgertum her in einem Volke, das nie früher städtische Nahrung getrieben hat und auch heute weder in Kroupolen noch in Gnlizien ein Bürgertum hat? Was die Polen selbst in Jahrhunderten nicht fertig ge¬ bracht haben, das hat höchst merkwürdigerweise der preußische Staat ge¬ schaffen: unter seiner Leitung und durch seine Bemühungen sind die Polen zu dem gelangt, was ihnen für ihre Kulturentwicklung immer am meisten gefehlt hat: einem Bürgertum. Nichts in der Welt, nicht einmal ein neugegründeter Polenstaat wäre für die Zukunft dieses Volks von solcher Bedeutung, wie diese Errungenschaft, und so ist mit deutschen Händen hier ein Fundament gelegt für polnische Hoffnungen, wie es wertvoller nicht gedacht werden kann für die weitere Entwicklung der polnischen Ansprüche. Dn bemerkt man plötzlich, daß dieses Bürgertum deutscher Schöpfung sich gegen den Schöpfer wendet, und man ist vielfach sogar entrüstet ob des Un¬ danks. Dieses polnische Bürgertum aber erwuchs doch nicht, um sich selbst ans Dankbarkeit zu opfern. Man hat in früherer Zeit vielleicht mit Recht gemeint, daß sich der durch die deutsche Schule gegangue Pole als Deutscher fühlen werde. Aber das ist nicht mehr so in unsrer Zeit der nationalen Leiden¬ schaften. Der Pole lernt in der deutschen Schule, was deutsche Wissenschaft und Kunst bieten, und die so gewonnenen Geisteswerkzeuge werden polnische Waffen, diene» polnischer Kultur. Das ist natürlich, das ist für den Polen ein Lob, und wir haben kein Recht, andres von ihm zu fordern. Wir haben uns selbst in der nationalen Verwandlnngstraft der Schule getäuscht, wenigstens

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551/77>, abgerufen am 02.07.2024.