Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr.Aus den: Elsaß ziehn und ihn in eine Lage drängen, mit der er in ergötzlichen Kampfe zu Wird einem so gestaltungskrästig ausgebauten und vom sonnigsten Humor Aus den: Elsaß ziehn und ihn in eine Lage drängen, mit der er in ergötzlichen Kampfe zu Wird einem so gestaltungskrästig ausgebauten und vom sonnigsten Humor <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0638" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/233190"/> <fw type="header" place="top"> Aus den: Elsaß</fw><lb/> <p xml:id="ID_2038" prev="#ID_2037"> ziehn und ihn in eine Lage drängen, mit der er in ergötzlichen Kampfe zu<lb/> ringen hat. Die Verhältnisse haben dem eiteln und im Grunde doch herzlich<lb/> unbedeutenden Mann eine politische Rolle im kleinen ausgenötigt und ein<lb/> Strebertum in ihn: entwickelt, wie es Naturen von seiner Anlage und Lebens¬<lb/> stellung häufig genug zeigen, daß es thpische Bedeutung gewinnt, und doch<lb/> wieder von jener harmlosen Art, die keine sittliche Entrüstung und keine Bitter¬<lb/> keit aufkommen läßt, sondern ihn frohem Gelächter preisgiebt. Nicht der Sa¬<lb/> tire, sondern dem Humor verdankt diese köstliche Figur ihre Entstehung: ohne<lb/> subjektive Beimischung ist sie dein heitern Gemälde eingefügt, das sich dem schalk¬<lb/> haften Auge des Malers, den Stoskopf auch hier nicht verleugnet, geboten<lb/> hat. Und nur mit solchem Auge muß mau das Ganze und seine Einzelheiten<lb/> betrachten, den biderben Dorfpolizisten mit seinem juristischem Kauderwelsch<lb/> nicht minder wie den protzigen Bauernsimpel Seppl, und so auch die durch<lb/> Wesen und Geschick urkomische Gestalt des Dr, Freundlich, des in moderne<lb/> Verhältnisse des Elsasses eingeführten deutschen Gelehrten, der von jeher Har¬<lb/> lekins Pritsche auf seinem Rücken hat fühlen müssen und in den Fliegenden<lb/> Blättern seine stündige Rolle mit derselben Berechtigung spielt wie der schnei¬<lb/> dige Leutnant und der Kommerzienrat von deutlicher Herkunft. Daß aber der<lb/> Eifer des Sprach- und Sittenforschers wohl geeignet ist, beim Bauern, der<lb/> sich plötzlich als Merkwürdigkeit betrachtet sieht, ein staunendes Grinsen hervor¬<lb/> zurufen, mögen die redlichen Mitarbeiter am Idiotikon auch gelegentlich er¬<lb/> fahren haben, und drum nix vor unguet — „ich Stichel, awer meins uit bös!"<lb/> Auch diese Figur gehört ins heutige Elsaß und wird daher vom Publikum mit<lb/> heiterm Jubel, aber ohne Hohn begrüßt.</p><lb/> <p xml:id="ID_2039" next="#ID_2040"> Wird einem so gestaltungskrästig ausgebauten und vom sonnigsten Humor<lb/> durchwärinten Stücke auch noch die Gunst einer lebensvollen, natürlichen Dar¬<lb/> stellung zu teil, wie sie das Personal der Straßburger Volksbühne, allen voran<lb/> der mit urwüchsiger Komik ausgerüstete Vertreter der Titelrolle, Adolf Horsch,<lb/> thatsächlich zu bieten vermag, so erklärt sich der in der Geschichte des elsüssischen<lb/> Schauspiels unerhörte Erfolg, den Stoskopf mit seinem Maire davongetragen<lb/> hat, und läßt den Wunsch berechtigt erscheinen, daß diesem Theater Gunst von<lb/> jeder Seite beschert werde. Mag auch nicht jede Rolle hinreichend abgeklärt und<lb/> das Zusammenspiel um einzelnen Stellen noch nicht vollkommen sein, so weisen<lb/> doch Talent und Eifer dieser Dilettanten und nicht zum wenigsten auch die be¬<lb/> währte Kraft ihres technischen Leiters Leo Ackermann entschieden nach vorwärts,<lb/> und wenn die Dichtung selbst wohl hie und da altbekannte Motive verwertet und<lb/> namentlich im zweiten Akte der den ältern Dialektstückcn allgemeinen Neigung<lb/> zu behaglicher Schilderung auf Kosten des dramatischen Tempos zu sehr nach¬<lb/> giebt, so sind das Schwächen, die man einem soviel versprechenden An^<lb/> fang wohl zu gute halten darf, und die der Dichter auch in seinem zweiten<lb/> größern Stück „D'r Kandidat" im ganzen glücklich überwunden hat. Es führt<lb/> uns vom Lande in die Hauptstadt, und an die Stelle des Dorfschulzen ist der<lb/> durch launige Verhältnisse ins Wahlgetricbe hincingezognc Steckelburjer</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0638]
Aus den: Elsaß
ziehn und ihn in eine Lage drängen, mit der er in ergötzlichen Kampfe zu
ringen hat. Die Verhältnisse haben dem eiteln und im Grunde doch herzlich
unbedeutenden Mann eine politische Rolle im kleinen ausgenötigt und ein
Strebertum in ihn: entwickelt, wie es Naturen von seiner Anlage und Lebens¬
stellung häufig genug zeigen, daß es thpische Bedeutung gewinnt, und doch
wieder von jener harmlosen Art, die keine sittliche Entrüstung und keine Bitter¬
keit aufkommen läßt, sondern ihn frohem Gelächter preisgiebt. Nicht der Sa¬
tire, sondern dem Humor verdankt diese köstliche Figur ihre Entstehung: ohne
subjektive Beimischung ist sie dein heitern Gemälde eingefügt, das sich dem schalk¬
haften Auge des Malers, den Stoskopf auch hier nicht verleugnet, geboten
hat. Und nur mit solchem Auge muß mau das Ganze und seine Einzelheiten
betrachten, den biderben Dorfpolizisten mit seinem juristischem Kauderwelsch
nicht minder wie den protzigen Bauernsimpel Seppl, und so auch die durch
Wesen und Geschick urkomische Gestalt des Dr, Freundlich, des in moderne
Verhältnisse des Elsasses eingeführten deutschen Gelehrten, der von jeher Har¬
lekins Pritsche auf seinem Rücken hat fühlen müssen und in den Fliegenden
Blättern seine stündige Rolle mit derselben Berechtigung spielt wie der schnei¬
dige Leutnant und der Kommerzienrat von deutlicher Herkunft. Daß aber der
Eifer des Sprach- und Sittenforschers wohl geeignet ist, beim Bauern, der
sich plötzlich als Merkwürdigkeit betrachtet sieht, ein staunendes Grinsen hervor¬
zurufen, mögen die redlichen Mitarbeiter am Idiotikon auch gelegentlich er¬
fahren haben, und drum nix vor unguet — „ich Stichel, awer meins uit bös!"
Auch diese Figur gehört ins heutige Elsaß und wird daher vom Publikum mit
heiterm Jubel, aber ohne Hohn begrüßt.
Wird einem so gestaltungskrästig ausgebauten und vom sonnigsten Humor
durchwärinten Stücke auch noch die Gunst einer lebensvollen, natürlichen Dar¬
stellung zu teil, wie sie das Personal der Straßburger Volksbühne, allen voran
der mit urwüchsiger Komik ausgerüstete Vertreter der Titelrolle, Adolf Horsch,
thatsächlich zu bieten vermag, so erklärt sich der in der Geschichte des elsüssischen
Schauspiels unerhörte Erfolg, den Stoskopf mit seinem Maire davongetragen
hat, und läßt den Wunsch berechtigt erscheinen, daß diesem Theater Gunst von
jeder Seite beschert werde. Mag auch nicht jede Rolle hinreichend abgeklärt und
das Zusammenspiel um einzelnen Stellen noch nicht vollkommen sein, so weisen
doch Talent und Eifer dieser Dilettanten und nicht zum wenigsten auch die be¬
währte Kraft ihres technischen Leiters Leo Ackermann entschieden nach vorwärts,
und wenn die Dichtung selbst wohl hie und da altbekannte Motive verwertet und
namentlich im zweiten Akte der den ältern Dialektstückcn allgemeinen Neigung
zu behaglicher Schilderung auf Kosten des dramatischen Tempos zu sehr nach¬
giebt, so sind das Schwächen, die man einem soviel versprechenden An^
fang wohl zu gute halten darf, und die der Dichter auch in seinem zweiten
größern Stück „D'r Kandidat" im ganzen glücklich überwunden hat. Es führt
uns vom Lande in die Hauptstadt, und an die Stelle des Dorfschulzen ist der
durch launige Verhältnisse ins Wahlgetricbe hincingezognc Steckelburjer
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |