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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr.

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Herbstbilder ans Italien

dort durchgegangncn Maultieren gebracht hatten! Einige Tage später wurde
in Neapel die erste Expedition des deutschen Roten Kreuzes erwartet, die mit
dem Dampfer "König" nach Transvaal weitergehn wollte. Die alte Bedeutung
Mitteleuropas, Deutschlands und Italiens, als Zentrum des Weltverkehrs
macht sich eben wieder geltend, seitdem die Eröffnung des Suezkanals dem
Mittelmeer seinen frühern Rang als Pforte zum Indischen Ozean wieder¬
gegeben hat, und der Handel nach Süd- und Ostasien von den ungeheuern
Umwegen um Afrika und Südamerika herum in seine alten, natürlichen Bahnen
zurnckzulenken beginnt. Daß Italien auch als Seemacht seine Stellung wieder
einnimmt, beweist gerade Neapel. Im Kriegshafen lag ein ganzes Geschwader,
die kolossalen Linienschiffe (ooiasi^es) "Ne Umberto I." und "Sicilici," diese
mit der Admiralsflagge, die zu den größten Panzern der Welt gehören (denn
die Italiener haben immer unbeirrt in großen Schlachtschiffen den Kern der
Flotte gesehen), der Kreuzer (iueroeiatoi-ö) "Marco Polo," der eben erst ans
China zurückgekehrt war, und ein Torpedodivisionsboot (torpsclinisra), daneben
die weiße Königsjacht "Savoia"; auf der andern Seite hatte das nordameri¬
kanische Schulschiff "Essex" festgemacht. Dahinter aber vor der Dnrsena (Ar¬
senal) streckte sich der lange, graue Rumpf eines neuen müchtigeu Schlacht¬
schiffs, des "Emanuele Filiberto," das in der Ausrüstung begriffen war. Leider
hat das namentlich seit der Besitzergreifung von Tunis 1883 so sehr gespannte
Verhältnis mit Frankreich Italien nicht nur -- zu seinem Glücke -- in den
Dreibund hineingeführt, sondern auch zur Anlehnung an England gedrängt,
da es nur so möglich schien, die langgestreckten Küsten der Halbinsel vor einem
übermächtigen französischen Angriff zu schützen, und somit dazu beigetragen, die
unnatürliche Herrschaft Englands im Mittelmeere zu befestigen, statt daß die
dortigen Seemächte zusammenhielten, um sie mindestens einzuschränken. Als
eine Wirkung dieser Abhängigkeit Italiens von England erschien es auch, daß
hier die Presse in ihrem Urteil über den südafrikanischen Krieg nicht ganz so
einmütig war, wie sonst in Europa. Denn die Italiener haben es den Eng¬
ländern noch nicht vergessen, daß diese allein von allen Großmächten der italie¬
nischen Einheitsbewegung schon 1859 bis 1861 freundlich gegenüberstanden, und
die Radikalen sehen obendrein in England das Mutterland der "Freiheit." So
erklärten sich insbesondre die alten Garibaldianer, obwohl sie die Sache der
Buren für die gerechte hielten und die englische Politik in diesem Falle als
sreiheitsfeindlich verurteilten, doch gegen jede antienglische Kundgebung, wie
sie von andrer Seite beabsichtigt wurde, und gegen den Zuzug italienischer
Freiwilliger nach Transvaal.

Ob nun die zunehmende Verflechtung der osllg. Z^avoit in den großen
Weltverkehr und die ungeheure Erweiterung des Gesichtskreises, die sich daraus
ergiebt, den Charakter dieses Volkslebens wesentlich ändern wird? Schwerlich,
denn das Volk ist trotz seiner Leichtlebigkeit und trotz aller politischen Um¬
wälzungen, die darüber hingegangen sind, sehr konservativ, und es wäre auch
sehr zu bedauern, wenn dieses höchst eigentümliche Dasein seine bunten Farben


Herbstbilder ans Italien

dort durchgegangncn Maultieren gebracht hatten! Einige Tage später wurde
in Neapel die erste Expedition des deutschen Roten Kreuzes erwartet, die mit
dem Dampfer „König" nach Transvaal weitergehn wollte. Die alte Bedeutung
Mitteleuropas, Deutschlands und Italiens, als Zentrum des Weltverkehrs
macht sich eben wieder geltend, seitdem die Eröffnung des Suezkanals dem
Mittelmeer seinen frühern Rang als Pforte zum Indischen Ozean wieder¬
gegeben hat, und der Handel nach Süd- und Ostasien von den ungeheuern
Umwegen um Afrika und Südamerika herum in seine alten, natürlichen Bahnen
zurnckzulenken beginnt. Daß Italien auch als Seemacht seine Stellung wieder
einnimmt, beweist gerade Neapel. Im Kriegshafen lag ein ganzes Geschwader,
die kolossalen Linienschiffe (ooiasi^es) „Ne Umberto I." und „Sicilici," diese
mit der Admiralsflagge, die zu den größten Panzern der Welt gehören (denn
die Italiener haben immer unbeirrt in großen Schlachtschiffen den Kern der
Flotte gesehen), der Kreuzer (iueroeiatoi-ö) „Marco Polo," der eben erst ans
China zurückgekehrt war, und ein Torpedodivisionsboot (torpsclinisra), daneben
die weiße Königsjacht „Savoia"; auf der andern Seite hatte das nordameri¬
kanische Schulschiff „Essex" festgemacht. Dahinter aber vor der Dnrsena (Ar¬
senal) streckte sich der lange, graue Rumpf eines neuen müchtigeu Schlacht¬
schiffs, des „Emanuele Filiberto," das in der Ausrüstung begriffen war. Leider
hat das namentlich seit der Besitzergreifung von Tunis 1883 so sehr gespannte
Verhältnis mit Frankreich Italien nicht nur — zu seinem Glücke — in den
Dreibund hineingeführt, sondern auch zur Anlehnung an England gedrängt,
da es nur so möglich schien, die langgestreckten Küsten der Halbinsel vor einem
übermächtigen französischen Angriff zu schützen, und somit dazu beigetragen, die
unnatürliche Herrschaft Englands im Mittelmeere zu befestigen, statt daß die
dortigen Seemächte zusammenhielten, um sie mindestens einzuschränken. Als
eine Wirkung dieser Abhängigkeit Italiens von England erschien es auch, daß
hier die Presse in ihrem Urteil über den südafrikanischen Krieg nicht ganz so
einmütig war, wie sonst in Europa. Denn die Italiener haben es den Eng¬
ländern noch nicht vergessen, daß diese allein von allen Großmächten der italie¬
nischen Einheitsbewegung schon 1859 bis 1861 freundlich gegenüberstanden, und
die Radikalen sehen obendrein in England das Mutterland der „Freiheit." So
erklärten sich insbesondre die alten Garibaldianer, obwohl sie die Sache der
Buren für die gerechte hielten und die englische Politik in diesem Falle als
sreiheitsfeindlich verurteilten, doch gegen jede antienglische Kundgebung, wie
sie von andrer Seite beabsichtigt wurde, und gegen den Zuzug italienischer
Freiwilliger nach Transvaal.

Ob nun die zunehmende Verflechtung der osllg. Z^avoit in den großen
Weltverkehr und die ungeheure Erweiterung des Gesichtskreises, die sich daraus
ergiebt, den Charakter dieses Volkslebens wesentlich ändern wird? Schwerlich,
denn das Volk ist trotz seiner Leichtlebigkeit und trotz aller politischen Um¬
wälzungen, die darüber hingegangen sind, sehr konservativ, und es wäre auch
sehr zu bedauern, wenn dieses höchst eigentümliche Dasein seine bunten Farben


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[0610] Herbstbilder ans Italien dort durchgegangncn Maultieren gebracht hatten! Einige Tage später wurde in Neapel die erste Expedition des deutschen Roten Kreuzes erwartet, die mit dem Dampfer „König" nach Transvaal weitergehn wollte. Die alte Bedeutung Mitteleuropas, Deutschlands und Italiens, als Zentrum des Weltverkehrs macht sich eben wieder geltend, seitdem die Eröffnung des Suezkanals dem Mittelmeer seinen frühern Rang als Pforte zum Indischen Ozean wieder¬ gegeben hat, und der Handel nach Süd- und Ostasien von den ungeheuern Umwegen um Afrika und Südamerika herum in seine alten, natürlichen Bahnen zurnckzulenken beginnt. Daß Italien auch als Seemacht seine Stellung wieder einnimmt, beweist gerade Neapel. Im Kriegshafen lag ein ganzes Geschwader, die kolossalen Linienschiffe (ooiasi^es) „Ne Umberto I." und „Sicilici," diese mit der Admiralsflagge, die zu den größten Panzern der Welt gehören (denn die Italiener haben immer unbeirrt in großen Schlachtschiffen den Kern der Flotte gesehen), der Kreuzer (iueroeiatoi-ö) „Marco Polo," der eben erst ans China zurückgekehrt war, und ein Torpedodivisionsboot (torpsclinisra), daneben die weiße Königsjacht „Savoia"; auf der andern Seite hatte das nordameri¬ kanische Schulschiff „Essex" festgemacht. Dahinter aber vor der Dnrsena (Ar¬ senal) streckte sich der lange, graue Rumpf eines neuen müchtigeu Schlacht¬ schiffs, des „Emanuele Filiberto," das in der Ausrüstung begriffen war. Leider hat das namentlich seit der Besitzergreifung von Tunis 1883 so sehr gespannte Verhältnis mit Frankreich Italien nicht nur — zu seinem Glücke — in den Dreibund hineingeführt, sondern auch zur Anlehnung an England gedrängt, da es nur so möglich schien, die langgestreckten Küsten der Halbinsel vor einem übermächtigen französischen Angriff zu schützen, und somit dazu beigetragen, die unnatürliche Herrschaft Englands im Mittelmeere zu befestigen, statt daß die dortigen Seemächte zusammenhielten, um sie mindestens einzuschränken. Als eine Wirkung dieser Abhängigkeit Italiens von England erschien es auch, daß hier die Presse in ihrem Urteil über den südafrikanischen Krieg nicht ganz so einmütig war, wie sonst in Europa. Denn die Italiener haben es den Eng¬ ländern noch nicht vergessen, daß diese allein von allen Großmächten der italie¬ nischen Einheitsbewegung schon 1859 bis 1861 freundlich gegenüberstanden, und die Radikalen sehen obendrein in England das Mutterland der „Freiheit." So erklärten sich insbesondre die alten Garibaldianer, obwohl sie die Sache der Buren für die gerechte hielten und die englische Politik in diesem Falle als sreiheitsfeindlich verurteilten, doch gegen jede antienglische Kundgebung, wie sie von andrer Seite beabsichtigt wurde, und gegen den Zuzug italienischer Freiwilliger nach Transvaal. Ob nun die zunehmende Verflechtung der osllg. Z^avoit in den großen Weltverkehr und die ungeheure Erweiterung des Gesichtskreises, die sich daraus ergiebt, den Charakter dieses Volkslebens wesentlich ändern wird? Schwerlich, denn das Volk ist trotz seiner Leichtlebigkeit und trotz aller politischen Um¬ wälzungen, die darüber hingegangen sind, sehr konservativ, und es wäre auch sehr zu bedauern, wenn dieses höchst eigentümliche Dasein seine bunten Farben

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551/610>, abgerufen am 04.07.2024.