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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr.

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Aus dein Llsaß

täuschung gern ein Stück seiner besondern eignen Art, Eben diese aber liegt
ihm am Herzen, und alles, was sie von deutscher und namentlich norddeutscher
Seite her zu gefährden scheint, erregt ihm Mißtrauen und Unbehagen, Ihm
erscheinen seine altdeutschen Mitbürger nicht uur als Eindringlinge, die sichs um
seiner Tafel Wohl sein lassen, sondern vielfach auch als Störenfriede, die ihn
mit fremden Gewohnheiten beirren; das Kastentnm ihrer Beamtenwelt, das
junkerhafte Gebaren so mancher ihrer Aristokraten verletzen sein demokratisches
Empfinden, und die militärische Straffheit ihres Verwaltungsshstems beengt
ihn in seiner Neigung zur Gemächlichkeit, Nicht selten sieht er sich auch wohl
durch barsche Behandlung oder taktlose Aufdringlichkeit belästigt. Mehr als
irgend ein andrer deutscher Volksstamm haftet der elsässische an seiner Scholle,
und diese Gebundenheit hemmt im Verein mit einem ausgeprägten Nützlich¬
keitssinn höhern Flug und weitern Ausblick, So empfindet er die deutsche
Knlturmacht, in deren Bann er sich nach so langer Entfremdung unfreiwillig
gezogen sieht, mit ihrem Zug zum Ideellen und Allgemeinen, mit ihrem Auf¬
gebot von Selbstzucht und uneigennütziger Energie vor der Hand noch vielfach
als einen Druck; er fühlt Wohl ihre Überlegenheit, aber dieses Gefühl ist ihm
unbehaglich und bestärkt ihn in der Neigung, sich in seine Enge zurückzuziehn
und seine eigne Art in trotziger Selbstgefälligkeit hervorzukehren.

Nun hat freilich der praktische Verstand des Elsässcrs schon längst die
Vorteile zu erfassen begonnen, die ihm die Zugehörigkeit zum Deutschen Reiche,
die Stetigkeit in der Entwicklung unsrer innern Verhältnisse, die ruhige Festig¬
keit unsrer auswärtigen Politik in wirtschaftlicher Hinsicht bieten; die dank¬
baren Worte, mit denen jüngst bei Eröffnung des neuen Reichspostgebäudes
zu Straßbnrg die drei Handelskammern des Elsas; gemeinsam die Büste
Stephans übergeben ließen, haben wohlthuend zum Ausdruck gebracht, wie
sehr man auch hier den mächtigen Aufschwung deutschen Verkehrswesens und
die hervorragendem Leistungen unsrer PostVerwaltung anerkennt. Auch redet
die ersprießliche Fürsorge, die die Landesregierung hauptsächlich deu landwirt¬
schaftlichen Interessen der Bevölkerung zuwendet, die Entwicklung in Handel
und Bauwesen, deren sich die Hauptstadt unter der überlegten Leitung ihres
altdeutschem Bürgermeisters erfreut, eine viel zu deutliche Sprache, als daß der
Wunsch nach Rückkehr in die alten Verhältnisse nicht allmählich verstummen
müßte. Aber mit dem Verstände ist nicht mich schon das Herz gewonnen, und
die aufrichtigen Sympathien, die einzelne sich hie und da erworben haben,
übertragen sich noch keineswegs auf das Ganze, Noch immer ist mancherlei
Mißtrauen und Widerstand zu überwinden; der Schar derer, die sich rückhalt¬
los der deutschen Sache angeschlossen haben, steht eine beträchtliche Anzahl
solcher gegenüber, die jedes gemeinsame Zusnmmengehn ablehnen, und zwischen
beiden die Masse derer, die weder kalt noch warm erscheinen. Nicht eher aber
können wir die Bevölkerung unser nennen, als bis es gelungen ist, die Ge¬
samtheit ihrer Kräfte zu offner Teilnahme an deutscher Kulturarbeit heran-
zuziehn.


Aus dein Llsaß

täuschung gern ein Stück seiner besondern eignen Art, Eben diese aber liegt
ihm am Herzen, und alles, was sie von deutscher und namentlich norddeutscher
Seite her zu gefährden scheint, erregt ihm Mißtrauen und Unbehagen, Ihm
erscheinen seine altdeutschen Mitbürger nicht uur als Eindringlinge, die sichs um
seiner Tafel Wohl sein lassen, sondern vielfach auch als Störenfriede, die ihn
mit fremden Gewohnheiten beirren; das Kastentnm ihrer Beamtenwelt, das
junkerhafte Gebaren so mancher ihrer Aristokraten verletzen sein demokratisches
Empfinden, und die militärische Straffheit ihres Verwaltungsshstems beengt
ihn in seiner Neigung zur Gemächlichkeit, Nicht selten sieht er sich auch wohl
durch barsche Behandlung oder taktlose Aufdringlichkeit belästigt. Mehr als
irgend ein andrer deutscher Volksstamm haftet der elsässische an seiner Scholle,
und diese Gebundenheit hemmt im Verein mit einem ausgeprägten Nützlich¬
keitssinn höhern Flug und weitern Ausblick, So empfindet er die deutsche
Knlturmacht, in deren Bann er sich nach so langer Entfremdung unfreiwillig
gezogen sieht, mit ihrem Zug zum Ideellen und Allgemeinen, mit ihrem Auf¬
gebot von Selbstzucht und uneigennütziger Energie vor der Hand noch vielfach
als einen Druck; er fühlt Wohl ihre Überlegenheit, aber dieses Gefühl ist ihm
unbehaglich und bestärkt ihn in der Neigung, sich in seine Enge zurückzuziehn
und seine eigne Art in trotziger Selbstgefälligkeit hervorzukehren.

Nun hat freilich der praktische Verstand des Elsässcrs schon längst die
Vorteile zu erfassen begonnen, die ihm die Zugehörigkeit zum Deutschen Reiche,
die Stetigkeit in der Entwicklung unsrer innern Verhältnisse, die ruhige Festig¬
keit unsrer auswärtigen Politik in wirtschaftlicher Hinsicht bieten; die dank¬
baren Worte, mit denen jüngst bei Eröffnung des neuen Reichspostgebäudes
zu Straßbnrg die drei Handelskammern des Elsas; gemeinsam die Büste
Stephans übergeben ließen, haben wohlthuend zum Ausdruck gebracht, wie
sehr man auch hier den mächtigen Aufschwung deutschen Verkehrswesens und
die hervorragendem Leistungen unsrer PostVerwaltung anerkennt. Auch redet
die ersprießliche Fürsorge, die die Landesregierung hauptsächlich deu landwirt¬
schaftlichen Interessen der Bevölkerung zuwendet, die Entwicklung in Handel
und Bauwesen, deren sich die Hauptstadt unter der überlegten Leitung ihres
altdeutschem Bürgermeisters erfreut, eine viel zu deutliche Sprache, als daß der
Wunsch nach Rückkehr in die alten Verhältnisse nicht allmählich verstummen
müßte. Aber mit dem Verstände ist nicht mich schon das Herz gewonnen, und
die aufrichtigen Sympathien, die einzelne sich hie und da erworben haben,
übertragen sich noch keineswegs auf das Ganze, Noch immer ist mancherlei
Mißtrauen und Widerstand zu überwinden; der Schar derer, die sich rückhalt¬
los der deutschen Sache angeschlossen haben, steht eine beträchtliche Anzahl
solcher gegenüber, die jedes gemeinsame Zusnmmengehn ablehnen, und zwischen
beiden die Masse derer, die weder kalt noch warm erscheinen. Nicht eher aber
können wir die Bevölkerung unser nennen, als bis es gelungen ist, die Ge¬
samtheit ihrer Kräfte zu offner Teilnahme an deutscher Kulturarbeit heran-
zuziehn.


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[0600] Aus dein Llsaß täuschung gern ein Stück seiner besondern eignen Art, Eben diese aber liegt ihm am Herzen, und alles, was sie von deutscher und namentlich norddeutscher Seite her zu gefährden scheint, erregt ihm Mißtrauen und Unbehagen, Ihm erscheinen seine altdeutschen Mitbürger nicht uur als Eindringlinge, die sichs um seiner Tafel Wohl sein lassen, sondern vielfach auch als Störenfriede, die ihn mit fremden Gewohnheiten beirren; das Kastentnm ihrer Beamtenwelt, das junkerhafte Gebaren so mancher ihrer Aristokraten verletzen sein demokratisches Empfinden, und die militärische Straffheit ihres Verwaltungsshstems beengt ihn in seiner Neigung zur Gemächlichkeit, Nicht selten sieht er sich auch wohl durch barsche Behandlung oder taktlose Aufdringlichkeit belästigt. Mehr als irgend ein andrer deutscher Volksstamm haftet der elsässische an seiner Scholle, und diese Gebundenheit hemmt im Verein mit einem ausgeprägten Nützlich¬ keitssinn höhern Flug und weitern Ausblick, So empfindet er die deutsche Knlturmacht, in deren Bann er sich nach so langer Entfremdung unfreiwillig gezogen sieht, mit ihrem Zug zum Ideellen und Allgemeinen, mit ihrem Auf¬ gebot von Selbstzucht und uneigennütziger Energie vor der Hand noch vielfach als einen Druck; er fühlt Wohl ihre Überlegenheit, aber dieses Gefühl ist ihm unbehaglich und bestärkt ihn in der Neigung, sich in seine Enge zurückzuziehn und seine eigne Art in trotziger Selbstgefälligkeit hervorzukehren. Nun hat freilich der praktische Verstand des Elsässcrs schon längst die Vorteile zu erfassen begonnen, die ihm die Zugehörigkeit zum Deutschen Reiche, die Stetigkeit in der Entwicklung unsrer innern Verhältnisse, die ruhige Festig¬ keit unsrer auswärtigen Politik in wirtschaftlicher Hinsicht bieten; die dank¬ baren Worte, mit denen jüngst bei Eröffnung des neuen Reichspostgebäudes zu Straßbnrg die drei Handelskammern des Elsas; gemeinsam die Büste Stephans übergeben ließen, haben wohlthuend zum Ausdruck gebracht, wie sehr man auch hier den mächtigen Aufschwung deutschen Verkehrswesens und die hervorragendem Leistungen unsrer PostVerwaltung anerkennt. Auch redet die ersprießliche Fürsorge, die die Landesregierung hauptsächlich deu landwirt¬ schaftlichen Interessen der Bevölkerung zuwendet, die Entwicklung in Handel und Bauwesen, deren sich die Hauptstadt unter der überlegten Leitung ihres altdeutschem Bürgermeisters erfreut, eine viel zu deutliche Sprache, als daß der Wunsch nach Rückkehr in die alten Verhältnisse nicht allmählich verstummen müßte. Aber mit dem Verstände ist nicht mich schon das Herz gewonnen, und die aufrichtigen Sympathien, die einzelne sich hie und da erworben haben, übertragen sich noch keineswegs auf das Ganze, Noch immer ist mancherlei Mißtrauen und Widerstand zu überwinden; der Schar derer, die sich rückhalt¬ los der deutschen Sache angeschlossen haben, steht eine beträchtliche Anzahl solcher gegenüber, die jedes gemeinsame Zusnmmengehn ablehnen, und zwischen beiden die Masse derer, die weder kalt noch warm erscheinen. Nicht eher aber können wir die Bevölkerung unser nennen, als bis es gelungen ist, die Ge¬ samtheit ihrer Kräfte zu offner Teilnahme an deutscher Kulturarbeit heran- zuziehn.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551/600>, abgerufen am 30.06.2024.