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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr.

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Das Doppelgeschwader, die Gefechtseinheit der deutschen Schlachtflotte

Diese Linie wurde daher als die einzige Schlachtordnung und folglich als
die Basis aller Flottentaktik angenommen. Damit diese Schlachtordnung, diese
lange Linie von Kanonen, nicht an irgend einem schwachen Punkte gefährdet
oder durchbrochen wurde, ergab sich zu derselben Zeit die Notwendigkeit, in sie
nur Schiffe von gleicher Stärke oder zum mindesten von gleich starken Breit¬
seiten einzustellen. Es folgte daraus unmittelbar, daß sich mit der endgiltigen
Annahme der Linie als Schlachtordnung ein Unterschied zwischen "Linien¬
schiffen", die einzig und allein für diese Linie bestimmt waren, und leichtern
Schiffen für andre Zwecke ausbildete."

In dieser Schlachtlinie beim Winde sind eine Reihe der großen See¬
schlachten der vergangnen drei Jahrhunderte geschlagen worden, sofern es sich
nicht um vor Anker liegende Flotten handelte, und voll Bewundrung sehen wir
auf die Thaten eines Tromp, de Ruyter, Nelson zurück, die es verstanden,
diese gewaltigen Massen von Schiffen durch geschickte Manöver zu leiten und
zum Siege zu führen. Aus den Seeschlachten der Vergangenheit können wir
immer lernen. Wenn sich auch Schiffe und Waffen mit der Zeit in voll¬
kommenster Weise ausgebildet haben, bestimmte Grundsätze, aus denen sich Sieg
und Niederlage ergiebt, werden immer bestehn bleiben, wir müssen nur ver-
stehn, diese Grundsätze den Änderungen im Schiff und in den Waffen an¬
zupassen. Daß es in der damaligen Zeit möglich war, eine so große Zahl
von Schiffen zu leiten, hatte vor allem seinen Grund darin, daß die Schiffe
von einer gemeinsam bewegenden Kraft, dein Winde, abhängig waren. Vor¬
zügliche Ausbildung der Kommandanten im Manövrieren, geschickte seemännische
Schulung der Besatzungen in der Bedienung der Segel waren die Haupt-
anfordemngeu, die in erster Reihe gestellt wurden und häufig auf den Aus¬
gang des Gefechts von mehr Einfluß waren, als die gute Bedienung der Ge¬
schütze. Je geschlossener die Schlachtlinie an den Feind herankam, desto größer
waren von vornherein die Aussichten auf den Sieg. Die Flotte, die auf der
Windseite war, konnte meistens den Kampf erzwingen. Kam es dann zur
Schlacht, so handelte es sich größtenteils um ein stehendes Gefecht. In nächster
Nähe brachte der Geschützkampf oder der Kampf durch die Enterung "Mann
gegen Mann" die Entscheidung. Die Schlacht löste sich in eine Reihe von
Einzelkämpfen auf, wobei der Grundsatz, dem Feinde mit möglichst überlegnen
Streitkräften an einzelnen Stellen entgegenzutreten, maßgebend war. Aber
immer blieb infolge der Abhängigkeit vom Winde das Gefecht in den einzelnen
Gruppen auf einen geringen Raum beschränkt, und dies ist eben das Kriterium
für die Seegefechte der damaligen Zeit.

Wie ganz anders liegen die Verhältnisse jetzt für die Flotten von modernen
Linienschiffen! Die Einführung des Dampfes setzte die Schiffe in den Stand,
sich unabhängig vom Winde den Kurs zu wählen, welchen sie wollten. Selbst¬
verständlich wurde für eine Flotte eine bestimmte Formation erforderlich.
Richtung und Abstand ließen sich unter den veränderten Verhältnissen genauer
als bisher innehalten. Einfache Linien genügten nicht mehr den Ansprüchen;


Das Doppelgeschwader, die Gefechtseinheit der deutschen Schlachtflotte

Diese Linie wurde daher als die einzige Schlachtordnung und folglich als
die Basis aller Flottentaktik angenommen. Damit diese Schlachtordnung, diese
lange Linie von Kanonen, nicht an irgend einem schwachen Punkte gefährdet
oder durchbrochen wurde, ergab sich zu derselben Zeit die Notwendigkeit, in sie
nur Schiffe von gleicher Stärke oder zum mindesten von gleich starken Breit¬
seiten einzustellen. Es folgte daraus unmittelbar, daß sich mit der endgiltigen
Annahme der Linie als Schlachtordnung ein Unterschied zwischen »Linien¬
schiffen«, die einzig und allein für diese Linie bestimmt waren, und leichtern
Schiffen für andre Zwecke ausbildete."

In dieser Schlachtlinie beim Winde sind eine Reihe der großen See¬
schlachten der vergangnen drei Jahrhunderte geschlagen worden, sofern es sich
nicht um vor Anker liegende Flotten handelte, und voll Bewundrung sehen wir
auf die Thaten eines Tromp, de Ruyter, Nelson zurück, die es verstanden,
diese gewaltigen Massen von Schiffen durch geschickte Manöver zu leiten und
zum Siege zu führen. Aus den Seeschlachten der Vergangenheit können wir
immer lernen. Wenn sich auch Schiffe und Waffen mit der Zeit in voll¬
kommenster Weise ausgebildet haben, bestimmte Grundsätze, aus denen sich Sieg
und Niederlage ergiebt, werden immer bestehn bleiben, wir müssen nur ver-
stehn, diese Grundsätze den Änderungen im Schiff und in den Waffen an¬
zupassen. Daß es in der damaligen Zeit möglich war, eine so große Zahl
von Schiffen zu leiten, hatte vor allem seinen Grund darin, daß die Schiffe
von einer gemeinsam bewegenden Kraft, dein Winde, abhängig waren. Vor¬
zügliche Ausbildung der Kommandanten im Manövrieren, geschickte seemännische
Schulung der Besatzungen in der Bedienung der Segel waren die Haupt-
anfordemngeu, die in erster Reihe gestellt wurden und häufig auf den Aus¬
gang des Gefechts von mehr Einfluß waren, als die gute Bedienung der Ge¬
schütze. Je geschlossener die Schlachtlinie an den Feind herankam, desto größer
waren von vornherein die Aussichten auf den Sieg. Die Flotte, die auf der
Windseite war, konnte meistens den Kampf erzwingen. Kam es dann zur
Schlacht, so handelte es sich größtenteils um ein stehendes Gefecht. In nächster
Nähe brachte der Geschützkampf oder der Kampf durch die Enterung „Mann
gegen Mann" die Entscheidung. Die Schlacht löste sich in eine Reihe von
Einzelkämpfen auf, wobei der Grundsatz, dem Feinde mit möglichst überlegnen
Streitkräften an einzelnen Stellen entgegenzutreten, maßgebend war. Aber
immer blieb infolge der Abhängigkeit vom Winde das Gefecht in den einzelnen
Gruppen auf einen geringen Raum beschränkt, und dies ist eben das Kriterium
für die Seegefechte der damaligen Zeit.

Wie ganz anders liegen die Verhältnisse jetzt für die Flotten von modernen
Linienschiffen! Die Einführung des Dampfes setzte die Schiffe in den Stand,
sich unabhängig vom Winde den Kurs zu wählen, welchen sie wollten. Selbst¬
verständlich wurde für eine Flotte eine bestimmte Formation erforderlich.
Richtung und Abstand ließen sich unter den veränderten Verhältnissen genauer
als bisher innehalten. Einfache Linien genügten nicht mehr den Ansprüchen;


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[0592] Das Doppelgeschwader, die Gefechtseinheit der deutschen Schlachtflotte Diese Linie wurde daher als die einzige Schlachtordnung und folglich als die Basis aller Flottentaktik angenommen. Damit diese Schlachtordnung, diese lange Linie von Kanonen, nicht an irgend einem schwachen Punkte gefährdet oder durchbrochen wurde, ergab sich zu derselben Zeit die Notwendigkeit, in sie nur Schiffe von gleicher Stärke oder zum mindesten von gleich starken Breit¬ seiten einzustellen. Es folgte daraus unmittelbar, daß sich mit der endgiltigen Annahme der Linie als Schlachtordnung ein Unterschied zwischen »Linien¬ schiffen«, die einzig und allein für diese Linie bestimmt waren, und leichtern Schiffen für andre Zwecke ausbildete." In dieser Schlachtlinie beim Winde sind eine Reihe der großen See¬ schlachten der vergangnen drei Jahrhunderte geschlagen worden, sofern es sich nicht um vor Anker liegende Flotten handelte, und voll Bewundrung sehen wir auf die Thaten eines Tromp, de Ruyter, Nelson zurück, die es verstanden, diese gewaltigen Massen von Schiffen durch geschickte Manöver zu leiten und zum Siege zu führen. Aus den Seeschlachten der Vergangenheit können wir immer lernen. Wenn sich auch Schiffe und Waffen mit der Zeit in voll¬ kommenster Weise ausgebildet haben, bestimmte Grundsätze, aus denen sich Sieg und Niederlage ergiebt, werden immer bestehn bleiben, wir müssen nur ver- stehn, diese Grundsätze den Änderungen im Schiff und in den Waffen an¬ zupassen. Daß es in der damaligen Zeit möglich war, eine so große Zahl von Schiffen zu leiten, hatte vor allem seinen Grund darin, daß die Schiffe von einer gemeinsam bewegenden Kraft, dein Winde, abhängig waren. Vor¬ zügliche Ausbildung der Kommandanten im Manövrieren, geschickte seemännische Schulung der Besatzungen in der Bedienung der Segel waren die Haupt- anfordemngeu, die in erster Reihe gestellt wurden und häufig auf den Aus¬ gang des Gefechts von mehr Einfluß waren, als die gute Bedienung der Ge¬ schütze. Je geschlossener die Schlachtlinie an den Feind herankam, desto größer waren von vornherein die Aussichten auf den Sieg. Die Flotte, die auf der Windseite war, konnte meistens den Kampf erzwingen. Kam es dann zur Schlacht, so handelte es sich größtenteils um ein stehendes Gefecht. In nächster Nähe brachte der Geschützkampf oder der Kampf durch die Enterung „Mann gegen Mann" die Entscheidung. Die Schlacht löste sich in eine Reihe von Einzelkämpfen auf, wobei der Grundsatz, dem Feinde mit möglichst überlegnen Streitkräften an einzelnen Stellen entgegenzutreten, maßgebend war. Aber immer blieb infolge der Abhängigkeit vom Winde das Gefecht in den einzelnen Gruppen auf einen geringen Raum beschränkt, und dies ist eben das Kriterium für die Seegefechte der damaligen Zeit. Wie ganz anders liegen die Verhältnisse jetzt für die Flotten von modernen Linienschiffen! Die Einführung des Dampfes setzte die Schiffe in den Stand, sich unabhängig vom Winde den Kurs zu wählen, welchen sie wollten. Selbst¬ verständlich wurde für eine Flotte eine bestimmte Formation erforderlich. Richtung und Abstand ließen sich unter den veränderten Verhältnissen genauer als bisher innehalten. Einfache Linien genügten nicht mehr den Ansprüchen;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551/592>, abgerufen am 04.07.2024.