Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches aus dem Kistchen -- es sind jetzt ganz kleine, denn er gewöhnt sich ja schon seit Er sah mich verwundert an. Die Lehrlingsprüfungsvorlage? fragte er. Ja, antwortete ich. Der Buchhandel, der bis jetzt noch das freie Gewerbe Maßgebliches und Unmaßgebliches aus dem Kistchen — es sind jetzt ganz kleine, denn er gewöhnt sich ja schon seit Er sah mich verwundert an. Die Lehrlingsprüfungsvorlage? fragte er. Ja, antwortete ich. Der Buchhandel, der bis jetzt noch das freie Gewerbe <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0570" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/233122"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_1865" prev="#ID_1864"> aus dem Kistchen — es sind jetzt ganz kleine, denn er gewöhnt sich ja schon seit<lb/> einigen Jahren das Rauchen ab, früher mit ganz großen, jetzt mit ganz kleinen<lb/> Cigarren; es wird wohl aber so werden, wie bei dem alten Kulemann, als er<lb/> sich auf ärztliche Verordnung das Bier abgewöhnen und nur noch einen Schnitt<lb/> trinken sollte. Sie erinnern sich. Nein? Einen Abend führte er es aus, aber am<lb/> nächsten waren es schon ein paar, und nach und nach wurden es wieder Ganze,<lb/> im stillen Einvernehmen mit dem Kellner, dem er nur mit gerunzelten Brauen:<lb/> Schnitt! zurief, wenn er sich am Stammtisch niederließ — bis einmal ein neuer<lb/> Kellner kam. Als der ihn gehorsam bediente, sah er erst sprachlos das Seidel an,<lb/> dann den Kellner, dann uns, und daun sagte er: Bringt mir das Rindvieh wirklich<lb/> einen Schnitt! — Also während ich mir meine Cigarre anzündete, sagte Grnnow:<lb/> Nein, ich weiß kaum, wie ich durchkommen soll. Aber ich überlegte mir gerade,<lb/> wie ich mich um den Kerlen rächen soll — ich gebrauche seine eignen Worte;<lb/> er Pflegt sich etwas drastisch auszudrücken, gerade wie Sie. Er hat überhaupt manche<lb/> Ähnlichkeit mit Ihnen — Sie müssen sich doch einmal kennen lernen! Wenn er<lb/> nur ans seiner Höhle herauszulocken wäre; aber er ist zu bequem, seine langen<lb/> Beine zum Laufen zu gebrauchen; höchstens benutzt er sie dazu, das Rad zu treten<lb/> und die Straßenbahnwagen in die Gefahr zu bringen, mit ihm zusammenzureimen,<lb/> wahrend seine Frau in Angst um ihn zu Hause sitzt. — An was für Kerle»?<lb/> fragte ich. — An diesen Vertretern von Deutschlands litterarischem Gewissen, ant¬<lb/> wortete er düster. Den Herren Kritikern. Da geht man langsam und geduldig<lb/> und sorgsam vor und baut behutsam Stein auf Stein, indem man das Beste aus<lb/> dem heraushebt, was sich einem bietet, und die besten Kräfte um sich zu sammeln<lb/> sucht, die noch verlegerfrei sind, und wenn man dann ein Jahr fleißig gearbeitet<lb/> hat — wäre meine Frau nicht so geduldig, alle Manuskripte erst durchzusehen,<lb/> die ich ihr hinaufschleppe, würde ich ja gar nicht fertig —, um ein paar feine<lb/> Sachen fein hinaufzubringen, dann kommt diese sprachdummheitenverkrüppelte, an<lb/> den Brüsten der Moderne gehängte Ritterschaft von der Feder und verdirbt einem<lb/> die ganze Freude durch ihr süffisantes Gewäsch. Zum Glück glaubt das bessere<lb/> Publikum nicht, was so ein Hanswurst schreibt, denn man weiß, daß ein Buch, das<lb/> ich bringe, gut ist. Viele glauben aber doch, was ihre Zeitung sagt. — An diese<lb/> kräftigen Worte dachte ich, als ich Sie sah: so ungefähr hätten Sie sich auch aus¬<lb/> drücken können. Grunow fuhr dann noch fort: Ich weiß aber, wie ich mich rächen<lb/> werde! Ich werde zu Cantate die Lehrlingsprüfungsvorlage unterstützen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1866"> Er sah mich verwundert an. Die Lehrlingsprüfungsvorlage? fragte er.</p><lb/> <p xml:id="ID_1867" next="#ID_1868"> Ja, antwortete ich. Der Buchhandel, der bis jetzt noch das freie Gewerbe<lb/> freier Männer war, ist zu der Entdeckung gekommen, daß ihm der Zopf fehle. Er<lb/> will den Dr. lib. durchsetzen mit Hilfe von Examinibus. Jeder gebildete Deutsche<lb/> erhält seine Qualifikation für seine Existenz vermittelst der Examina. Der Buch¬<lb/> handel ist so ipso der Stand der höhern Bildung, also muß er das, wie es das Recht<lb/> jedes andern vollwertigen Staatsbürgers ist, durch Examina bethätigen können.<lb/> Die sollen also jetzt komme». Der Börsenverein der deutschen Buchhändler hat eine<lb/> Kommission eingesetzt, die sich mit umfassenden Vorbereitungen beschäftigt und einen<lb/> Studienplan sowie eine Prüfungsordnung ausgearbeitet hat. In allen Gauen<lb/> Deutschlands werden aus den kundigsten Vertretern des Fachs Prüfungskommissionen<lb/> gebildet werden. Es kommt dabei natürlich nicht allein darauf an — ich zitiere<lb/> Grunows Meinung —, vor einer auserwählten Corona ergrauter Berufsgenossen<lb/> einen vollgiltigen Beweis dafür zu erbringen, daß man weiß, auf welcher Seite man<lb/> de» Bindfaden eines Pakets durchzuschneiden hat, sodaß er ganz bleibt, oder wie<lb/> man ein Paket sachgemäß unter dem Arm trägt, das man ans die Bibliothek zu<lb/> bringen hat, weil der Lausbursche schon unterwegs ist, und wie man zugleich,</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0570]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
aus dem Kistchen — es sind jetzt ganz kleine, denn er gewöhnt sich ja schon seit
einigen Jahren das Rauchen ab, früher mit ganz großen, jetzt mit ganz kleinen
Cigarren; es wird wohl aber so werden, wie bei dem alten Kulemann, als er
sich auf ärztliche Verordnung das Bier abgewöhnen und nur noch einen Schnitt
trinken sollte. Sie erinnern sich. Nein? Einen Abend führte er es aus, aber am
nächsten waren es schon ein paar, und nach und nach wurden es wieder Ganze,
im stillen Einvernehmen mit dem Kellner, dem er nur mit gerunzelten Brauen:
Schnitt! zurief, wenn er sich am Stammtisch niederließ — bis einmal ein neuer
Kellner kam. Als der ihn gehorsam bediente, sah er erst sprachlos das Seidel an,
dann den Kellner, dann uns, und daun sagte er: Bringt mir das Rindvieh wirklich
einen Schnitt! — Also während ich mir meine Cigarre anzündete, sagte Grnnow:
Nein, ich weiß kaum, wie ich durchkommen soll. Aber ich überlegte mir gerade,
wie ich mich um den Kerlen rächen soll — ich gebrauche seine eignen Worte;
er Pflegt sich etwas drastisch auszudrücken, gerade wie Sie. Er hat überhaupt manche
Ähnlichkeit mit Ihnen — Sie müssen sich doch einmal kennen lernen! Wenn er
nur ans seiner Höhle herauszulocken wäre; aber er ist zu bequem, seine langen
Beine zum Laufen zu gebrauchen; höchstens benutzt er sie dazu, das Rad zu treten
und die Straßenbahnwagen in die Gefahr zu bringen, mit ihm zusammenzureimen,
wahrend seine Frau in Angst um ihn zu Hause sitzt. — An was für Kerle»?
fragte ich. — An diesen Vertretern von Deutschlands litterarischem Gewissen, ant¬
wortete er düster. Den Herren Kritikern. Da geht man langsam und geduldig
und sorgsam vor und baut behutsam Stein auf Stein, indem man das Beste aus
dem heraushebt, was sich einem bietet, und die besten Kräfte um sich zu sammeln
sucht, die noch verlegerfrei sind, und wenn man dann ein Jahr fleißig gearbeitet
hat — wäre meine Frau nicht so geduldig, alle Manuskripte erst durchzusehen,
die ich ihr hinaufschleppe, würde ich ja gar nicht fertig —, um ein paar feine
Sachen fein hinaufzubringen, dann kommt diese sprachdummheitenverkrüppelte, an
den Brüsten der Moderne gehängte Ritterschaft von der Feder und verdirbt einem
die ganze Freude durch ihr süffisantes Gewäsch. Zum Glück glaubt das bessere
Publikum nicht, was so ein Hanswurst schreibt, denn man weiß, daß ein Buch, das
ich bringe, gut ist. Viele glauben aber doch, was ihre Zeitung sagt. — An diese
kräftigen Worte dachte ich, als ich Sie sah: so ungefähr hätten Sie sich auch aus¬
drücken können. Grunow fuhr dann noch fort: Ich weiß aber, wie ich mich rächen
werde! Ich werde zu Cantate die Lehrlingsprüfungsvorlage unterstützen.
Er sah mich verwundert an. Die Lehrlingsprüfungsvorlage? fragte er.
Ja, antwortete ich. Der Buchhandel, der bis jetzt noch das freie Gewerbe
freier Männer war, ist zu der Entdeckung gekommen, daß ihm der Zopf fehle. Er
will den Dr. lib. durchsetzen mit Hilfe von Examinibus. Jeder gebildete Deutsche
erhält seine Qualifikation für seine Existenz vermittelst der Examina. Der Buch¬
handel ist so ipso der Stand der höhern Bildung, also muß er das, wie es das Recht
jedes andern vollwertigen Staatsbürgers ist, durch Examina bethätigen können.
Die sollen also jetzt komme». Der Börsenverein der deutschen Buchhändler hat eine
Kommission eingesetzt, die sich mit umfassenden Vorbereitungen beschäftigt und einen
Studienplan sowie eine Prüfungsordnung ausgearbeitet hat. In allen Gauen
Deutschlands werden aus den kundigsten Vertretern des Fachs Prüfungskommissionen
gebildet werden. Es kommt dabei natürlich nicht allein darauf an — ich zitiere
Grunows Meinung —, vor einer auserwählten Corona ergrauter Berufsgenossen
einen vollgiltigen Beweis dafür zu erbringen, daß man weiß, auf welcher Seite man
de» Bindfaden eines Pakets durchzuschneiden hat, sodaß er ganz bleibt, oder wie
man ein Paket sachgemäß unter dem Arm trägt, das man ans die Bibliothek zu
bringen hat, weil der Lausbursche schon unterwegs ist, und wie man zugleich,
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |