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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr.

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Unser Landvolk und die Uirche

es hat ein Haussegen sein sollen, damit es den Bruder desto mehr freut. --
In einem "Poesiealbum" -- denn auch diese Einrichtung ist längst zu dem
Landvolk gedrungen -- las ich den Spruch, den ein zweiundzwanzigjähriger
Bursche seiner Kameradin aufgeschrieben hatte. Er lautete kurz und gut: Sei
fromm und fleißig. Mitten unter den andern aus Büchern abgeschriebnen,
zum Teil abgestandncn, albernen Sprüchen mutete dieser Spruch ordentlich
erfreulich an. Und der Bursche, der ihn schrieb, ist gar nicht einmal einer von
den sanftesten.

Solche und ähnliche Äußerungen des frommen Sinns bei Bauern könnte
ich uoch in Menge anführen. Manche unter ihnen verraten eine eigentümliche,
eine persönliche Frömmigkeit, keine landläufige. Man denkt unwillkürlich: Was
der Mann da sagt, hat er von sich; er schwätzt es nicht andern nach. Das
Gemeinsame dieser Äußerungen ist der Ausdruck frischen, unmittelbaren Gott¬
vertrauens, wohl auch der Gottesfurcht. Über den zureichenden Grund des
Gottvertrauens giebt sich der gemeine Mann keine Rechenschaft. Er ficht den
Himmel an und die Erde, sieht das Walten einer Ordnung, die des Bauern
Arbeit umspannt, Saat und Ernte, Blüte und Frucht. Der Bauer denkt
dem allen vielleicht weniger nach, als wir meinen; aber er fühlt, daß er mit
seinem ganzen Dasein abhängig ist von einer scgenspendenden Macht. Er
nennt sie gläubig "unsern Herrgott." Selten wird sich der Bauer über dieses
unmittelbare und seiner selbst gewisse Gefühl hinweg zum Nachdenken und
Grübeln über Gottes Wesen und Wirken versteigen. Er kommt dann Wohl
auf Gedanken und Sätze wie etwa folgende: Alles in der Welt hat seinen
guten Grund, oder: Was kommen muß, das kommt, oder: Es giebt gar zu
viel in der Welt, was keiner versteht, man muß sich halt hineinschicken, und
dergleichen. Im allgemeinen aber läßt es der Bauer bei der Leitung der Welt
durch Gott bewenden, und widerfährt ihm selber übles, so spricht er: In Gottes
Namen. Es ist eine Eigentümlichkeit des Bauern, daß er sich verhältnismäßig
leicht ins Schwere und Unabänderliche hineinfindet.

Dagegen eine Frömmigkeit in besonderm christlichen Sinne, eine Frömmig¬
keit, bei der die Person Christi die Richtung des sittlichen Handelns und die
Kraft der religiösen Empfindung vermittelt, wird man so leicht nnter unsern
Bauern nicht finden. Das, was nach Schleiermacher das Wesen der christ¬
lichen Frömmigkeit ausmacht, daß in ihr alles bezogen ist ans die durch Jesum
von Nazareth geschehene Erlösung, wird unsern Bauern mehr oder weniger
unverständlich bleiben. Sünde und Gnade liegen dem genieinen Mann nicht so
nahe wie Recht und Unrecht. Jesum nennt er ja gern den Heiland, unsern
Heiland, und darin liegt gewiß etwas Gemütvolles. Sie verleihen seinein Bilde
wohl auch gewisse bäuerliche Züge. Auch er hat die Tugend, die beim Bauern
viel gilt: die Zufriedenheit, die Zufriedenheit besonders im Unglück. "Ich
tröste mich, sagt wohl der Kranke, mit unserm Heiland; der hat auch viel
durchmachen müssen und ist doch ein junger Mann gewesen." "Der Heiland
hat gesagt, meinte einmal ein in bescheidnen aber geordneten Verhältnissen


Unser Landvolk und die Uirche

es hat ein Haussegen sein sollen, damit es den Bruder desto mehr freut. —
In einem „Poesiealbum" — denn auch diese Einrichtung ist längst zu dem
Landvolk gedrungen — las ich den Spruch, den ein zweiundzwanzigjähriger
Bursche seiner Kameradin aufgeschrieben hatte. Er lautete kurz und gut: Sei
fromm und fleißig. Mitten unter den andern aus Büchern abgeschriebnen,
zum Teil abgestandncn, albernen Sprüchen mutete dieser Spruch ordentlich
erfreulich an. Und der Bursche, der ihn schrieb, ist gar nicht einmal einer von
den sanftesten.

Solche und ähnliche Äußerungen des frommen Sinns bei Bauern könnte
ich uoch in Menge anführen. Manche unter ihnen verraten eine eigentümliche,
eine persönliche Frömmigkeit, keine landläufige. Man denkt unwillkürlich: Was
der Mann da sagt, hat er von sich; er schwätzt es nicht andern nach. Das
Gemeinsame dieser Äußerungen ist der Ausdruck frischen, unmittelbaren Gott¬
vertrauens, wohl auch der Gottesfurcht. Über den zureichenden Grund des
Gottvertrauens giebt sich der gemeine Mann keine Rechenschaft. Er ficht den
Himmel an und die Erde, sieht das Walten einer Ordnung, die des Bauern
Arbeit umspannt, Saat und Ernte, Blüte und Frucht. Der Bauer denkt
dem allen vielleicht weniger nach, als wir meinen; aber er fühlt, daß er mit
seinem ganzen Dasein abhängig ist von einer scgenspendenden Macht. Er
nennt sie gläubig „unsern Herrgott." Selten wird sich der Bauer über dieses
unmittelbare und seiner selbst gewisse Gefühl hinweg zum Nachdenken und
Grübeln über Gottes Wesen und Wirken versteigen. Er kommt dann Wohl
auf Gedanken und Sätze wie etwa folgende: Alles in der Welt hat seinen
guten Grund, oder: Was kommen muß, das kommt, oder: Es giebt gar zu
viel in der Welt, was keiner versteht, man muß sich halt hineinschicken, und
dergleichen. Im allgemeinen aber läßt es der Bauer bei der Leitung der Welt
durch Gott bewenden, und widerfährt ihm selber übles, so spricht er: In Gottes
Namen. Es ist eine Eigentümlichkeit des Bauern, daß er sich verhältnismäßig
leicht ins Schwere und Unabänderliche hineinfindet.

Dagegen eine Frömmigkeit in besonderm christlichen Sinne, eine Frömmig¬
keit, bei der die Person Christi die Richtung des sittlichen Handelns und die
Kraft der religiösen Empfindung vermittelt, wird man so leicht nnter unsern
Bauern nicht finden. Das, was nach Schleiermacher das Wesen der christ¬
lichen Frömmigkeit ausmacht, daß in ihr alles bezogen ist ans die durch Jesum
von Nazareth geschehene Erlösung, wird unsern Bauern mehr oder weniger
unverständlich bleiben. Sünde und Gnade liegen dem genieinen Mann nicht so
nahe wie Recht und Unrecht. Jesum nennt er ja gern den Heiland, unsern
Heiland, und darin liegt gewiß etwas Gemütvolles. Sie verleihen seinein Bilde
wohl auch gewisse bäuerliche Züge. Auch er hat die Tugend, die beim Bauern
viel gilt: die Zufriedenheit, die Zufriedenheit besonders im Unglück. „Ich
tröste mich, sagt wohl der Kranke, mit unserm Heiland; der hat auch viel
durchmachen müssen und ist doch ein junger Mann gewesen." „Der Heiland
hat gesagt, meinte einmal ein in bescheidnen aber geordneten Verhältnissen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551/539>, abgerufen am 01.07.2024.