Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches Menschen ins Herz gelegt und nicht voneinander zu trennen. Der Kampf um das Der edle Stamm nun, von dem die schwächern Zweige abgefallen und zu Maßgebliches und Unmaßgebliches Menschen ins Herz gelegt und nicht voneinander zu trennen. Der Kampf um das Der edle Stamm nun, von dem die schwächern Zweige abgefallen und zu <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0522" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/233074"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_1739" prev="#ID_1738"> Menschen ins Herz gelegt und nicht voneinander zu trennen. Der Kampf um das<lb/> Dasein, in dem der Mensch seine Anlagen entfaltet und sich zu höherer Vollkommen¬<lb/> heit emporarbeitet, ist ein Kampf um die Behauptung der Freiheit. Die Menschen,<lb/> denen diese Behauptung gelingt, bilden die edeln Nationen, den Kern der Mensch¬<lb/> heit, die Zukunftsvölker, die, je nachdem, den passiven Heroismus oder den der<lb/> That bewähren; jenen, der bis zur Aufopferung des Lebens geht, besonders den<lb/> unpersönlichen Mächten gegenüber, die die Freiheit beschränken oder unterdrücken<lb/> wollen, diesen im Kampf mit persönlichen Feinden. Die übrigen Völker zweigen<lb/> sich vom Stamme auf seinen verschiednen Entwicklungsstufen ähnlich ab wie vor¬<lb/> mals die Tiere und verkümmern. Solche Verkümmerung schließt eine imponierende<lb/> Blütenpracht nicht aus. Indem ein Volk auf den heroischen Kampf um das Höchste<lb/> verzichtet, werden ihm Kräfte für die Befriedigung der Gegenwartsbedürfnisse frei,<lb/> durch deren Anwendung es eine Kultur erzeugt, die dem Genuß dient. Eine solche<lb/> Kultur ist die antike gewesen, daher mußten ihre Träger, die Griechen und Römer,<lb/> zu Grunde gehn. Völker von wahrer Geistes- und Herzenskultur bleiben in der<lb/> äußerlichen Kultur oft hinter andern zurück; wo diese äußerliche Kultur durch die<lb/> wirtschaftliche Abhängigkeit der Mehrzahl von einer Minderheit der Besitzenden er¬<lb/> kauft wird, da ist die wahre Kultur verloren gegangen. (Wer dächte da heute<lb/> nicht an den Gegensatz zwischen Engländern und Buren!)</p><lb/> <p xml:id="ID_1740" next="#ID_1741"> Der edle Stamm nun, von dem die schwächern Zweige abgefallen und zu<lb/> Wesen unedler Art verkümmert sind, ist die indogermanische Völkerfamilie. (Man<lb/> liebt diese Bezeichnung heute nicht mehr, wenigstens gebraucht man sie nicht gern<lb/> im ethnologischen Sinne, da man annimmt, daß die eigne Sprache leicht auf¬<lb/> gegeben und mit einer fremden vertauscht wird; Werner, der viel Sprachgelehrsam¬<lb/> keit entfaltet, scheint noch gleich den frühern Forschern die Sprache für das sicherste<lb/> Kennzeichen der Abstammung zu halten und auf anatomische Merkmale wenig zu<lb/> geben. So hüte er die Bewohner des heutigen Deutschen Reichs für ziemlich reine<lb/> Germanen; die dunkeln Haare und Auge» erklärt er aus klimatischen und sozialen<lb/> Einwirkungen; auch die Kinder der brünetten deutschen Eltern würden meist blond<lb/> geboren, und die Charaktereigenschaften der heutige» Deutschen, die Freiheitsliebe,<lb/> Gutmütigkeit und Treue, wie die Spiel-, Raus- und Sauflust, ließen den alt¬<lb/> germanischen Charakter ganz klar erkennen.) Aber bei diesem Stamme, der durch<lb/> die zwischen zwei Eiszeiten fallende Sintflut in Turkestan von der in andern Ländern<lb/> und Erdteilen fortlebenden vorsintflutlichen Menschheit abgesondert worden ist, wieder¬<lb/> holte sich der Prozeß der Abzweigungen. Alle abgezweigten Völker und Völker-<lb/> familien, znerst die Semiten, dann die Gräko-Jtaliker, dann die Slawen, dann die<lb/> Romanen, zuletzt die amerikanischen Angelsachsen, sind auf eine tiefere Stufe hinab¬<lb/> gesunken, nur die Germanen und deren rein gebliebner Überrest, die Deutschen,<lb/> haben den der Menschheit in der Urzeit anvertrauten Schatz bewahrt und in<lb/> Freiheitskämpfen, namentlich im Kampfe um die Gewissensfreiheit von der Refor¬<lb/> mation ab, verteidigt. Sie allein sind daher auch die wirklichen Träger des<lb/> Christentums geblieben, das überall sonst mißverstanden und zu einem Kultus<lb/> herabgesunken ist gleich den heidnischen Religionen, d. h. zu einer Zauberkunst,<lb/> durch Kulthandlungen die Gottheit zur Gewährung von Vergünstigungen zu be¬<lb/> wegen oder zu zwingen. Den echt sittlichen Sinn haben die Germanen schon in<lb/> der Ausbildung ihrer Mythologie dadurch erwiesen, daß sie ihren Göttern zwar,<lb/> wie es deutschem Sinne ziemte, treu blieben, dieselben Götter aber ihrer vielen<lb/> Verbrechen wegen schuldig erkannten und zum Untergänge verurteilten. In dieser<lb/> Krisis kam ihnen das Christentum zu Hilfe, indem es ihnen durch die Person des<lb/> Gottmenschen das wankende Vertrauen auf die eigne sittliche Kraft wiedergab.<lb/> Der Tod Christi ist mir als Bewährung der Treue gegen die höchsten Aufgaben<lb/> der Menschheit zu fassen, uicht als Sühnopfer im dogmatischen Sinne. Der Er-</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0522]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
Menschen ins Herz gelegt und nicht voneinander zu trennen. Der Kampf um das
Dasein, in dem der Mensch seine Anlagen entfaltet und sich zu höherer Vollkommen¬
heit emporarbeitet, ist ein Kampf um die Behauptung der Freiheit. Die Menschen,
denen diese Behauptung gelingt, bilden die edeln Nationen, den Kern der Mensch¬
heit, die Zukunftsvölker, die, je nachdem, den passiven Heroismus oder den der
That bewähren; jenen, der bis zur Aufopferung des Lebens geht, besonders den
unpersönlichen Mächten gegenüber, die die Freiheit beschränken oder unterdrücken
wollen, diesen im Kampf mit persönlichen Feinden. Die übrigen Völker zweigen
sich vom Stamme auf seinen verschiednen Entwicklungsstufen ähnlich ab wie vor¬
mals die Tiere und verkümmern. Solche Verkümmerung schließt eine imponierende
Blütenpracht nicht aus. Indem ein Volk auf den heroischen Kampf um das Höchste
verzichtet, werden ihm Kräfte für die Befriedigung der Gegenwartsbedürfnisse frei,
durch deren Anwendung es eine Kultur erzeugt, die dem Genuß dient. Eine solche
Kultur ist die antike gewesen, daher mußten ihre Träger, die Griechen und Römer,
zu Grunde gehn. Völker von wahrer Geistes- und Herzenskultur bleiben in der
äußerlichen Kultur oft hinter andern zurück; wo diese äußerliche Kultur durch die
wirtschaftliche Abhängigkeit der Mehrzahl von einer Minderheit der Besitzenden er¬
kauft wird, da ist die wahre Kultur verloren gegangen. (Wer dächte da heute
nicht an den Gegensatz zwischen Engländern und Buren!)
Der edle Stamm nun, von dem die schwächern Zweige abgefallen und zu
Wesen unedler Art verkümmert sind, ist die indogermanische Völkerfamilie. (Man
liebt diese Bezeichnung heute nicht mehr, wenigstens gebraucht man sie nicht gern
im ethnologischen Sinne, da man annimmt, daß die eigne Sprache leicht auf¬
gegeben und mit einer fremden vertauscht wird; Werner, der viel Sprachgelehrsam¬
keit entfaltet, scheint noch gleich den frühern Forschern die Sprache für das sicherste
Kennzeichen der Abstammung zu halten und auf anatomische Merkmale wenig zu
geben. So hüte er die Bewohner des heutigen Deutschen Reichs für ziemlich reine
Germanen; die dunkeln Haare und Auge» erklärt er aus klimatischen und sozialen
Einwirkungen; auch die Kinder der brünetten deutschen Eltern würden meist blond
geboren, und die Charaktereigenschaften der heutige» Deutschen, die Freiheitsliebe,
Gutmütigkeit und Treue, wie die Spiel-, Raus- und Sauflust, ließen den alt¬
germanischen Charakter ganz klar erkennen.) Aber bei diesem Stamme, der durch
die zwischen zwei Eiszeiten fallende Sintflut in Turkestan von der in andern Ländern
und Erdteilen fortlebenden vorsintflutlichen Menschheit abgesondert worden ist, wieder¬
holte sich der Prozeß der Abzweigungen. Alle abgezweigten Völker und Völker-
familien, znerst die Semiten, dann die Gräko-Jtaliker, dann die Slawen, dann die
Romanen, zuletzt die amerikanischen Angelsachsen, sind auf eine tiefere Stufe hinab¬
gesunken, nur die Germanen und deren rein gebliebner Überrest, die Deutschen,
haben den der Menschheit in der Urzeit anvertrauten Schatz bewahrt und in
Freiheitskämpfen, namentlich im Kampfe um die Gewissensfreiheit von der Refor¬
mation ab, verteidigt. Sie allein sind daher auch die wirklichen Träger des
Christentums geblieben, das überall sonst mißverstanden und zu einem Kultus
herabgesunken ist gleich den heidnischen Religionen, d. h. zu einer Zauberkunst,
durch Kulthandlungen die Gottheit zur Gewährung von Vergünstigungen zu be¬
wegen oder zu zwingen. Den echt sittlichen Sinn haben die Germanen schon in
der Ausbildung ihrer Mythologie dadurch erwiesen, daß sie ihren Göttern zwar,
wie es deutschem Sinne ziemte, treu blieben, dieselben Götter aber ihrer vielen
Verbrechen wegen schuldig erkannten und zum Untergänge verurteilten. In dieser
Krisis kam ihnen das Christentum zu Hilfe, indem es ihnen durch die Person des
Gottmenschen das wankende Vertrauen auf die eigne sittliche Kraft wiedergab.
Der Tod Christi ist mir als Bewährung der Treue gegen die höchsten Aufgaben
der Menschheit zu fassen, uicht als Sühnopfer im dogmatischen Sinne. Der Er-
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