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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr.

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Herbstbilder aus Italien

Stelle, die jetzt ungefährlich ist, seitdem die italienische Regierung das Gestein
hat wegbrecheu lassen -- man sieht noch die frische Bruchstriche --, schweben die
Klostergebäude, in mehreren Stockwerken aufgebaut, wie Schwalbennester an
der Bergwand über dem Abgrunde des Aniothnls, gegenüber und weiter links
steigen die zackigen Berghüupter auf. Eine tiefe, weltabgeschiedene malerische
Gebirgseinsamkeit wie irgendwo in den Kalknlpeu! Das dunkle Auge unsers
freundlichem Führers leuchtete auf, als er uns auf die wilde Schönheit ringsum
hinwies und dabei seiner fernen Heimat Genua gedachte. Ein Aussichts¬
punkt über dem Kloster, zu dem er uns noch führte, gewährte den Blick auch
thalabwärts. Auf schmalem, steinigem Pfade, blühende Alpenveilchen pflückend,
stiegen wir dann wieder zu dein Hauptwege hinab, wo die Esel unsrer wartete",
und bald sahen wir, vorsichtig abwärts reitend, auf die Dächer und die dre?
Kreuzgänge (odiostri) des vor uns liegenden Klosters der heiligen Scholastik
hinab.

Diese Anlage ist viel umfassender als das obere Höhlenkloster und wird
jetzt von fünfzehn Mönchen bewohnt. Die Kirche und die Wohngebäude mit
hohen, luftigen Gängen und breiten Treppen verraten schon in ihrer groß-
räumigen Anlage das achtzehnte Jahrhundert, dagegen stammt der mittlere
romanische Kreuzgang aus der Mitte des elften Jahrhunderts, der Hintere,
mit prächtigen Säulenarkaden, die an den herrlichen Kreuzgang von San Paolo
fuori le aura bei Rom erinnern, ist eine schöne Kosmatenarbeit des dreizehnten
Jahrhunderts. Besondres Interesse aber erweckt die Bibliothek, ein hoher,
schlichter, sehr behaglicher Raum, wo es sich vortrefflich arbeiten lasten
muß, denn außer zahlreichen Urkunden, schönen Meßbücher,: und modernen
Werken enthält sie die ersten italienischen Drucke, die hier in diesem Bergkloster
zwei Deutsche aus Mainz, Kommt Schwcinsheym und Arnold Pannartz
1464 bis 1467 herstellten, den Donatus, Lactantius as äivinis instiwticmious,
Cicero als orkckors und Augustinus alö eivitatö Asi, wie alle diese ältesten
Druckwerke sofort in meisterlicher Ausführung, die nichts von der Unbeholfen¬
heit einer erst anfangenden Kunstübung hat und nur in den Formen der
Schrift, den Abkürzungen, Initialen, Randleisten u. dergl. die enge Abhängn^
keit von den handschriftlichen Vorlagen verrät. Hier trugen wir unsre Namen
in das Fremdenbuch ein. Eine Einladung unsers geistlichen Führers zu einer
Tasse Kaffee mußten wir mit Rücksicht auf unsre knapp bemessene Zeit leider
ablehnen, aber seiue freundliche Aufforderung, gelegentlich die toröZwria deo
Klosters zu einem längern Aufenthalte zu benutzen, um das Leben der Bene¬
diktiner näher kennen zu lernen, wiesen wir nicht ganz ab, und das a rivsclsM-
beim Abschiede war von beiden Seiten aufrichtig gemeint.

Als wir wieder auf Subiaco zu abwärts ritten, that sich die ganze Pracht
dieses Gebirgskessels auf: links tief unten der Anio, darüber der Monte
Carpineto, auf dem Abhänge Trümmer Neronischer Anlagen, ringsum hoch/
aufstrebende, malerische Berghäupter, rechts über der Stadt hoch oben an der
steilen nördlichen Thalwand die langgestreckten Gebäude des alten Kapuziner-


Herbstbilder aus Italien

Stelle, die jetzt ungefährlich ist, seitdem die italienische Regierung das Gestein
hat wegbrecheu lassen — man sieht noch die frische Bruchstriche —, schweben die
Klostergebäude, in mehreren Stockwerken aufgebaut, wie Schwalbennester an
der Bergwand über dem Abgrunde des Aniothnls, gegenüber und weiter links
steigen die zackigen Berghüupter auf. Eine tiefe, weltabgeschiedene malerische
Gebirgseinsamkeit wie irgendwo in den Kalknlpeu! Das dunkle Auge unsers
freundlichem Führers leuchtete auf, als er uns auf die wilde Schönheit ringsum
hinwies und dabei seiner fernen Heimat Genua gedachte. Ein Aussichts¬
punkt über dem Kloster, zu dem er uns noch führte, gewährte den Blick auch
thalabwärts. Auf schmalem, steinigem Pfade, blühende Alpenveilchen pflückend,
stiegen wir dann wieder zu dein Hauptwege hinab, wo die Esel unsrer wartete»,
und bald sahen wir, vorsichtig abwärts reitend, auf die Dächer und die dre?
Kreuzgänge (odiostri) des vor uns liegenden Klosters der heiligen Scholastik
hinab.

Diese Anlage ist viel umfassender als das obere Höhlenkloster und wird
jetzt von fünfzehn Mönchen bewohnt. Die Kirche und die Wohngebäude mit
hohen, luftigen Gängen und breiten Treppen verraten schon in ihrer groß-
räumigen Anlage das achtzehnte Jahrhundert, dagegen stammt der mittlere
romanische Kreuzgang aus der Mitte des elften Jahrhunderts, der Hintere,
mit prächtigen Säulenarkaden, die an den herrlichen Kreuzgang von San Paolo
fuori le aura bei Rom erinnern, ist eine schöne Kosmatenarbeit des dreizehnten
Jahrhunderts. Besondres Interesse aber erweckt die Bibliothek, ein hoher,
schlichter, sehr behaglicher Raum, wo es sich vortrefflich arbeiten lasten
muß, denn außer zahlreichen Urkunden, schönen Meßbücher,: und modernen
Werken enthält sie die ersten italienischen Drucke, die hier in diesem Bergkloster
zwei Deutsche aus Mainz, Kommt Schwcinsheym und Arnold Pannartz
1464 bis 1467 herstellten, den Donatus, Lactantius as äivinis instiwticmious,
Cicero als orkckors und Augustinus alö eivitatö Asi, wie alle diese ältesten
Druckwerke sofort in meisterlicher Ausführung, die nichts von der Unbeholfen¬
heit einer erst anfangenden Kunstübung hat und nur in den Formen der
Schrift, den Abkürzungen, Initialen, Randleisten u. dergl. die enge Abhängn^
keit von den handschriftlichen Vorlagen verrät. Hier trugen wir unsre Namen
in das Fremdenbuch ein. Eine Einladung unsers geistlichen Führers zu einer
Tasse Kaffee mußten wir mit Rücksicht auf unsre knapp bemessene Zeit leider
ablehnen, aber seiue freundliche Aufforderung, gelegentlich die toröZwria deo
Klosters zu einem längern Aufenthalte zu benutzen, um das Leben der Bene¬
diktiner näher kennen zu lernen, wiesen wir nicht ganz ab, und das a rivsclsM-
beim Abschiede war von beiden Seiten aufrichtig gemeint.

Als wir wieder auf Subiaco zu abwärts ritten, that sich die ganze Pracht
dieses Gebirgskessels auf: links tief unten der Anio, darüber der Monte
Carpineto, auf dem Abhänge Trümmer Neronischer Anlagen, ringsum hoch/
aufstrebende, malerische Berghäupter, rechts über der Stadt hoch oben an der
steilen nördlichen Thalwand die langgestreckten Gebäude des alten Kapuziner-


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[0504] Herbstbilder aus Italien Stelle, die jetzt ungefährlich ist, seitdem die italienische Regierung das Gestein hat wegbrecheu lassen — man sieht noch die frische Bruchstriche —, schweben die Klostergebäude, in mehreren Stockwerken aufgebaut, wie Schwalbennester an der Bergwand über dem Abgrunde des Aniothnls, gegenüber und weiter links steigen die zackigen Berghüupter auf. Eine tiefe, weltabgeschiedene malerische Gebirgseinsamkeit wie irgendwo in den Kalknlpeu! Das dunkle Auge unsers freundlichem Führers leuchtete auf, als er uns auf die wilde Schönheit ringsum hinwies und dabei seiner fernen Heimat Genua gedachte. Ein Aussichts¬ punkt über dem Kloster, zu dem er uns noch führte, gewährte den Blick auch thalabwärts. Auf schmalem, steinigem Pfade, blühende Alpenveilchen pflückend, stiegen wir dann wieder zu dein Hauptwege hinab, wo die Esel unsrer wartete», und bald sahen wir, vorsichtig abwärts reitend, auf die Dächer und die dre? Kreuzgänge (odiostri) des vor uns liegenden Klosters der heiligen Scholastik hinab. Diese Anlage ist viel umfassender als das obere Höhlenkloster und wird jetzt von fünfzehn Mönchen bewohnt. Die Kirche und die Wohngebäude mit hohen, luftigen Gängen und breiten Treppen verraten schon in ihrer groß- räumigen Anlage das achtzehnte Jahrhundert, dagegen stammt der mittlere romanische Kreuzgang aus der Mitte des elften Jahrhunderts, der Hintere, mit prächtigen Säulenarkaden, die an den herrlichen Kreuzgang von San Paolo fuori le aura bei Rom erinnern, ist eine schöne Kosmatenarbeit des dreizehnten Jahrhunderts. Besondres Interesse aber erweckt die Bibliothek, ein hoher, schlichter, sehr behaglicher Raum, wo es sich vortrefflich arbeiten lasten muß, denn außer zahlreichen Urkunden, schönen Meßbücher,: und modernen Werken enthält sie die ersten italienischen Drucke, die hier in diesem Bergkloster zwei Deutsche aus Mainz, Kommt Schwcinsheym und Arnold Pannartz 1464 bis 1467 herstellten, den Donatus, Lactantius as äivinis instiwticmious, Cicero als orkckors und Augustinus alö eivitatö Asi, wie alle diese ältesten Druckwerke sofort in meisterlicher Ausführung, die nichts von der Unbeholfen¬ heit einer erst anfangenden Kunstübung hat und nur in den Formen der Schrift, den Abkürzungen, Initialen, Randleisten u. dergl. die enge Abhängn^ keit von den handschriftlichen Vorlagen verrät. Hier trugen wir unsre Namen in das Fremdenbuch ein. Eine Einladung unsers geistlichen Führers zu einer Tasse Kaffee mußten wir mit Rücksicht auf unsre knapp bemessene Zeit leider ablehnen, aber seiue freundliche Aufforderung, gelegentlich die toröZwria deo Klosters zu einem längern Aufenthalte zu benutzen, um das Leben der Bene¬ diktiner näher kennen zu lernen, wiesen wir nicht ganz ab, und das a rivsclsM- beim Abschiede war von beiden Seiten aufrichtig gemeint. Als wir wieder auf Subiaco zu abwärts ritten, that sich die ganze Pracht dieses Gebirgskessels auf: links tief unten der Anio, darüber der Monte Carpineto, auf dem Abhänge Trümmer Neronischer Anlagen, ringsum hoch/ aufstrebende, malerische Berghäupter, rechts über der Stadt hoch oben an der steilen nördlichen Thalwand die langgestreckten Gebäude des alten Kapuziner-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551/504>, abgerufen am 04.07.2024.