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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr.

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Unser Landvolk und die Kirche

ander,, Gegenden Deutschlands, Der Gegenstand dringt es mit sich, daß der
Bnncr selber so viel als möglich zu Worte kommen muß. Der Bauer soll
uns selber sagen, wie er über Religion und Kirche denkt, Daraus lernen Nur
ihn besser kennen als aus langen Betrachtungen und Erörterungen.

Ein sehr achtbarer und verständiger Man aus meiner Gemeinde, mit
dem ich einmal ein Gespräch hatte über die kirchlichen Zustände der Gemeinde,
faßte das Ergebnis seines Nachdenkens in die Worte zusammen: "Herr Pfarrer,
meine Meinung ist: Schule und Kirche müssen sein. Ohne Schule und Kirche
kaun man nicht existieren. Es gehört zur Ordnung: die Kinder müssen in
die Schule, und die Leute sollen in die Kirche. Wenn keine Schule und keine
Kirche und keine Religion wäre, die Leute thäten stehlen und einander tot¬
schlagen." Das ist ein klassischer Ausdruck für die Art und Weise, wie der
Bauer über die Kirche denkt. Die Kirche erscheint dem Bauern vor allen
Dingen als eine öffentliche Einrichtung, Diese Einrichtung ist nnn einmal da,
und es ist im allgemeinen recht gut, daß sie da ist. Die Kirche sorgt für
Ordnung und verhindert, daß schlimme Zustände aufkommen. Der Pfarrer hat
den Leuten zu predigen, daß sie ordentlich leben sollen, er soll die Sünde also
gehörig strafen. Bezeichnend ist hierbei, daß im Munde des Bauern Kirche,
Religion und Christentum ungefähr dieselbe Bedeutung habe". Auch Religion
und Christentum, ist eine Einrichtung, ein Zustand, bei dem an das persönliche
Empfinden zunächst nicht gedacht wird. In diesem Stücke ist der Bauer der
reinste Realpolitiker. Der Bauer hat eben einen nusgesprochnen Sinn für das,
was nun einmal in Geltung steht. "Das ist halt so. Machs anders!" Diese
Redensart kaun um, unzählige male hören.

Es ist deshalb begreiflich, wenn das, was wir Glauben nennen, und was
dem überzeugten Frommen bei allem kirchlichen Wesen die Hauptsache ist, beim
Bauern zur Nebensache wird. Glauben! Ja -- es kann ja jeder glauben, was
er will. Aber verstnndigerweise sollte man nnr glauben, was man sieht. "Was
ich nicht seh, glaub ich nicht." So sagte einmal ein Manu: "Die Katholischen
sagen, Brot und Wein thut sich in Leib und Blut Christi verwandeln. Das
glaub ich nicht. Ich Habs einmal nicht gesehen." Könnte ers einmal sehen,
so würde ers auch glauben. Wer den Teufel, wer Hexen und Gespenster selber
gesehen hat, mag nnr getrost daran glauben; wer sie noch nicht gesehen hat,
läßt es ebenso getrost bleiben. Was liegt daran? Es kommt nicht darauf an,
was einer glaubt, sondern wie er lebt. Darum hat es auch nicht viel zu
sagen, wenn einer von einem andern wegwerfend sagt: "Was glaubt denn der?
der glaubt nichts!" Das bedeutet vielleicht bloß, daß der so Geschvltne selten
in die Kirche geht und sich darauf etwas zu gute thut, weil er sich für ge¬
scheiter hält als die Leute, die nichts können als in die .Kirche springen, wenns
läutet.

Freilich kennt unser Bauer das Wort Glauben auch noch in einer andern
Bedeutung als in der, daß man etwas für wahr hält, was man mit eignen
Augen gesehen hat. Der Glaube hat dann und wann den Sinn von Glaubens-


Unser Landvolk und die Kirche

ander,, Gegenden Deutschlands, Der Gegenstand dringt es mit sich, daß der
Bnncr selber so viel als möglich zu Worte kommen muß. Der Bauer soll
uns selber sagen, wie er über Religion und Kirche denkt, Daraus lernen Nur
ihn besser kennen als aus langen Betrachtungen und Erörterungen.

Ein sehr achtbarer und verständiger Man aus meiner Gemeinde, mit
dem ich einmal ein Gespräch hatte über die kirchlichen Zustände der Gemeinde,
faßte das Ergebnis seines Nachdenkens in die Worte zusammen: „Herr Pfarrer,
meine Meinung ist: Schule und Kirche müssen sein. Ohne Schule und Kirche
kaun man nicht existieren. Es gehört zur Ordnung: die Kinder müssen in
die Schule, und die Leute sollen in die Kirche. Wenn keine Schule und keine
Kirche und keine Religion wäre, die Leute thäten stehlen und einander tot¬
schlagen." Das ist ein klassischer Ausdruck für die Art und Weise, wie der
Bauer über die Kirche denkt. Die Kirche erscheint dem Bauern vor allen
Dingen als eine öffentliche Einrichtung, Diese Einrichtung ist nnn einmal da,
und es ist im allgemeinen recht gut, daß sie da ist. Die Kirche sorgt für
Ordnung und verhindert, daß schlimme Zustände aufkommen. Der Pfarrer hat
den Leuten zu predigen, daß sie ordentlich leben sollen, er soll die Sünde also
gehörig strafen. Bezeichnend ist hierbei, daß im Munde des Bauern Kirche,
Religion und Christentum ungefähr dieselbe Bedeutung habe». Auch Religion
und Christentum, ist eine Einrichtung, ein Zustand, bei dem an das persönliche
Empfinden zunächst nicht gedacht wird. In diesem Stücke ist der Bauer der
reinste Realpolitiker. Der Bauer hat eben einen nusgesprochnen Sinn für das,
was nun einmal in Geltung steht. „Das ist halt so. Machs anders!" Diese
Redensart kaun um, unzählige male hören.

Es ist deshalb begreiflich, wenn das, was wir Glauben nennen, und was
dem überzeugten Frommen bei allem kirchlichen Wesen die Hauptsache ist, beim
Bauern zur Nebensache wird. Glauben! Ja — es kann ja jeder glauben, was
er will. Aber verstnndigerweise sollte man nnr glauben, was man sieht. „Was
ich nicht seh, glaub ich nicht." So sagte einmal ein Manu: „Die Katholischen
sagen, Brot und Wein thut sich in Leib und Blut Christi verwandeln. Das
glaub ich nicht. Ich Habs einmal nicht gesehen." Könnte ers einmal sehen,
so würde ers auch glauben. Wer den Teufel, wer Hexen und Gespenster selber
gesehen hat, mag nnr getrost daran glauben; wer sie noch nicht gesehen hat,
läßt es ebenso getrost bleiben. Was liegt daran? Es kommt nicht darauf an,
was einer glaubt, sondern wie er lebt. Darum hat es auch nicht viel zu
sagen, wenn einer von einem andern wegwerfend sagt: „Was glaubt denn der?
der glaubt nichts!" Das bedeutet vielleicht bloß, daß der so Geschvltne selten
in die Kirche geht und sich darauf etwas zu gute thut, weil er sich für ge¬
scheiter hält als die Leute, die nichts können als in die .Kirche springen, wenns
läutet.

Freilich kennt unser Bauer das Wort Glauben auch noch in einer andern
Bedeutung als in der, daß man etwas für wahr hält, was man mit eignen
Augen gesehen hat. Der Glaube hat dann und wann den Sinn von Glaubens-


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[0476] Unser Landvolk und die Kirche ander,, Gegenden Deutschlands, Der Gegenstand dringt es mit sich, daß der Bnncr selber so viel als möglich zu Worte kommen muß. Der Bauer soll uns selber sagen, wie er über Religion und Kirche denkt, Daraus lernen Nur ihn besser kennen als aus langen Betrachtungen und Erörterungen. Ein sehr achtbarer und verständiger Man aus meiner Gemeinde, mit dem ich einmal ein Gespräch hatte über die kirchlichen Zustände der Gemeinde, faßte das Ergebnis seines Nachdenkens in die Worte zusammen: „Herr Pfarrer, meine Meinung ist: Schule und Kirche müssen sein. Ohne Schule und Kirche kaun man nicht existieren. Es gehört zur Ordnung: die Kinder müssen in die Schule, und die Leute sollen in die Kirche. Wenn keine Schule und keine Kirche und keine Religion wäre, die Leute thäten stehlen und einander tot¬ schlagen." Das ist ein klassischer Ausdruck für die Art und Weise, wie der Bauer über die Kirche denkt. Die Kirche erscheint dem Bauern vor allen Dingen als eine öffentliche Einrichtung, Diese Einrichtung ist nnn einmal da, und es ist im allgemeinen recht gut, daß sie da ist. Die Kirche sorgt für Ordnung und verhindert, daß schlimme Zustände aufkommen. Der Pfarrer hat den Leuten zu predigen, daß sie ordentlich leben sollen, er soll die Sünde also gehörig strafen. Bezeichnend ist hierbei, daß im Munde des Bauern Kirche, Religion und Christentum ungefähr dieselbe Bedeutung habe». Auch Religion und Christentum, ist eine Einrichtung, ein Zustand, bei dem an das persönliche Empfinden zunächst nicht gedacht wird. In diesem Stücke ist der Bauer der reinste Realpolitiker. Der Bauer hat eben einen nusgesprochnen Sinn für das, was nun einmal in Geltung steht. „Das ist halt so. Machs anders!" Diese Redensart kaun um, unzählige male hören. Es ist deshalb begreiflich, wenn das, was wir Glauben nennen, und was dem überzeugten Frommen bei allem kirchlichen Wesen die Hauptsache ist, beim Bauern zur Nebensache wird. Glauben! Ja — es kann ja jeder glauben, was er will. Aber verstnndigerweise sollte man nnr glauben, was man sieht. „Was ich nicht seh, glaub ich nicht." So sagte einmal ein Manu: „Die Katholischen sagen, Brot und Wein thut sich in Leib und Blut Christi verwandeln. Das glaub ich nicht. Ich Habs einmal nicht gesehen." Könnte ers einmal sehen, so würde ers auch glauben. Wer den Teufel, wer Hexen und Gespenster selber gesehen hat, mag nnr getrost daran glauben; wer sie noch nicht gesehen hat, läßt es ebenso getrost bleiben. Was liegt daran? Es kommt nicht darauf an, was einer glaubt, sondern wie er lebt. Darum hat es auch nicht viel zu sagen, wenn einer von einem andern wegwerfend sagt: „Was glaubt denn der? der glaubt nichts!" Das bedeutet vielleicht bloß, daß der so Geschvltne selten in die Kirche geht und sich darauf etwas zu gute thut, weil er sich für ge¬ scheiter hält als die Leute, die nichts können als in die .Kirche springen, wenns läutet. Freilich kennt unser Bauer das Wort Glauben auch noch in einer andern Bedeutung als in der, daß man etwas für wahr hält, was man mit eignen Augen gesehen hat. Der Glaube hat dann und wann den Sinn von Glaubens-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551/476>, abgerufen am 04.07.2024.