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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr.

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voll unserm türkischen Freunde

siebte, so blieben nicht mehr Schlösser im Siebe, als in der Nähe von Kon¬
stantinopel an den Küsten des Bosporus und am Marmarameer liegen. Dort
giebt es allerdings welche von fürstlicher Pracht. Aber im Innern giebt es
nur Ruinen und im Ban stecken gebliebne, dürftige Gouverncurshänscr. Je
weiter ein Gouverneur ins Innere geschickt wird, um so sichrer ist, daß seine
Feinde daran schuld sind. Sicherheit giebt es für die Großen mir mitten im
Jntriguenspiel am Hofe. In der Provinz giebt es keine großen Vermögen.
Sie würden ihre Besitzer verdächtig machen, und wenn es welche giebt, so sind
es Geldvermögen, die sich verheimlichen lassen. .Handelsleute und Steuer-
Pächter sind die reichen Leute des Landes. Landbesitz ist kein großes Ver¬
mögen, weil es zumeist keine Rente giebt. Enorme Landstrecken, zum großen
Teil Kronländereien liegen brach; je großer privater Landbesitz ist, umso
weniger ist davon angebaut. Großbetrieb der Landwirtschaft giebt es nicht,
sondern meist Halbpacht. Eine Steuer, die den achten Teil der Ernte nimmt,
verhindert jeden intensivem, mit Aufwand vou Kapital und Arbeit geleisteten
Betrieb. Europäischer Betrieb würde vielleicht das Doppelte der jetzigen Ernte
liefern, aber es ist eine Thatsache, die sich überall, wo es Ackerbau giebt,
wiederholen muß, daß mit dem Aufwand von Kapital und Arbeit der Ertrag
nicht proportional steigt. Wenn von der jetzigen anatolischen Ernte 100)
die Hälfte 50) den Unterhalt der Arbeit ersetzt, so kann von dem Nest
50) sehr wohl die Steiler (-^ ""/s ^ 12) gezahlt werden. Es bleibt dann
noch Rente 38) für den Eigentümer übrig. Wenn aber von Europäern
auf demselben Gute die doppelte Ernte erreicht wird 200), so betragen ti
Unkosten nicht das Doppelte, sondern vielleicht das Dreifache (--^ 150); soll dann
noch die Steuer (-- 24) gezahlt werdeu, so trägt das Gut weniger Rente als
vorher 26). Alle großen landwirtschaftlichen Unternehmungen werden in
der Steuer auf den Rohertrag ein Hindernis ihrer Entwicklung sehen.e

Man könnte noch viele Parallelen zwischen dem alten Frankreich und der
Türkei ziehn, z. B. erinnern an das Salzmouopol dort und das Tabal-
wonopol hier, an dessen Folge: die berufsmäßige, bewaffnete und vom Volk
begünstigte Schmuggelei und Räuberei, ferner an die unklaren aus der Fcudnlzcit
herübergekommnen Bcsitzvcrhültuisse, die schlechten Wege lind den allgemeinen
Rückschritt gegen frühere Zeiten, das Fehlen jeder politischen Selbständigkeit in
der Provinz, die Zerrissenheit des Volkes, dort durch Stnndesunterschiede, hier
durch Nassen- und Glaubeusuuterschiede.

Allerdings hinkt der Vergleich mit Frankreich. Die Steuer scheint in der
Türkei lange nicht so schwer zu sein. War dort die Revolution das Ende
b"in Liede, so braucht das hier nicht ebenso ausznklingen. Europäisches und
orientalisches Temperament sind voneinander verschieden, wie der Alkoholransch
^'om Opiumrausch. Hier alles Leidenschaft, Übertreibung, Katastrophe, dort
alles Beruhigung, Nachgeben und Einschlafen. Dasselbe Regime wird im
Orient vermutlich von unten her mit viel mehr Langmut getragen und von
°ben her mit viel weniger Prinzipienhnrte und Folgerichtigkeit ausgeübt. Wir


voll unserm türkischen Freunde

siebte, so blieben nicht mehr Schlösser im Siebe, als in der Nähe von Kon¬
stantinopel an den Küsten des Bosporus und am Marmarameer liegen. Dort
giebt es allerdings welche von fürstlicher Pracht. Aber im Innern giebt es
nur Ruinen und im Ban stecken gebliebne, dürftige Gouverncurshänscr. Je
weiter ein Gouverneur ins Innere geschickt wird, um so sichrer ist, daß seine
Feinde daran schuld sind. Sicherheit giebt es für die Großen mir mitten im
Jntriguenspiel am Hofe. In der Provinz giebt es keine großen Vermögen.
Sie würden ihre Besitzer verdächtig machen, und wenn es welche giebt, so sind
es Geldvermögen, die sich verheimlichen lassen. .Handelsleute und Steuer-
Pächter sind die reichen Leute des Landes. Landbesitz ist kein großes Ver¬
mögen, weil es zumeist keine Rente giebt. Enorme Landstrecken, zum großen
Teil Kronländereien liegen brach; je großer privater Landbesitz ist, umso
weniger ist davon angebaut. Großbetrieb der Landwirtschaft giebt es nicht,
sondern meist Halbpacht. Eine Steuer, die den achten Teil der Ernte nimmt,
verhindert jeden intensivem, mit Aufwand vou Kapital und Arbeit geleisteten
Betrieb. Europäischer Betrieb würde vielleicht das Doppelte der jetzigen Ernte
liefern, aber es ist eine Thatsache, die sich überall, wo es Ackerbau giebt,
wiederholen muß, daß mit dem Aufwand von Kapital und Arbeit der Ertrag
nicht proportional steigt. Wenn von der jetzigen anatolischen Ernte 100)
die Hälfte 50) den Unterhalt der Arbeit ersetzt, so kann von dem Nest
50) sehr wohl die Steiler (-^ ""/s ^ 12) gezahlt werden. Es bleibt dann
noch Rente 38) für den Eigentümer übrig. Wenn aber von Europäern
auf demselben Gute die doppelte Ernte erreicht wird 200), so betragen ti
Unkosten nicht das Doppelte, sondern vielleicht das Dreifache (--^ 150); soll dann
noch die Steuer (— 24) gezahlt werdeu, so trägt das Gut weniger Rente als
vorher 26). Alle großen landwirtschaftlichen Unternehmungen werden in
der Steuer auf den Rohertrag ein Hindernis ihrer Entwicklung sehen.e

Man könnte noch viele Parallelen zwischen dem alten Frankreich und der
Türkei ziehn, z. B. erinnern an das Salzmouopol dort und das Tabal-
wonopol hier, an dessen Folge: die berufsmäßige, bewaffnete und vom Volk
begünstigte Schmuggelei und Räuberei, ferner an die unklaren aus der Fcudnlzcit
herübergekommnen Bcsitzvcrhültuisse, die schlechten Wege lind den allgemeinen
Rückschritt gegen frühere Zeiten, das Fehlen jeder politischen Selbständigkeit in
der Provinz, die Zerrissenheit des Volkes, dort durch Stnndesunterschiede, hier
durch Nassen- und Glaubeusuuterschiede.

Allerdings hinkt der Vergleich mit Frankreich. Die Steuer scheint in der
Türkei lange nicht so schwer zu sein. War dort die Revolution das Ende
b»in Liede, so braucht das hier nicht ebenso ausznklingen. Europäisches und
orientalisches Temperament sind voneinander verschieden, wie der Alkoholransch
^'om Opiumrausch. Hier alles Leidenschaft, Übertreibung, Katastrophe, dort
alles Beruhigung, Nachgeben und Einschlafen. Dasselbe Regime wird im
Orient vermutlich von unten her mit viel mehr Langmut getragen und von
°ben her mit viel weniger Prinzipienhnrte und Folgerichtigkeit ausgeübt. Wir


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[0467] voll unserm türkischen Freunde siebte, so blieben nicht mehr Schlösser im Siebe, als in der Nähe von Kon¬ stantinopel an den Küsten des Bosporus und am Marmarameer liegen. Dort giebt es allerdings welche von fürstlicher Pracht. Aber im Innern giebt es nur Ruinen und im Ban stecken gebliebne, dürftige Gouverncurshänscr. Je weiter ein Gouverneur ins Innere geschickt wird, um so sichrer ist, daß seine Feinde daran schuld sind. Sicherheit giebt es für die Großen mir mitten im Jntriguenspiel am Hofe. In der Provinz giebt es keine großen Vermögen. Sie würden ihre Besitzer verdächtig machen, und wenn es welche giebt, so sind es Geldvermögen, die sich verheimlichen lassen. .Handelsleute und Steuer- Pächter sind die reichen Leute des Landes. Landbesitz ist kein großes Ver¬ mögen, weil es zumeist keine Rente giebt. Enorme Landstrecken, zum großen Teil Kronländereien liegen brach; je großer privater Landbesitz ist, umso weniger ist davon angebaut. Großbetrieb der Landwirtschaft giebt es nicht, sondern meist Halbpacht. Eine Steuer, die den achten Teil der Ernte nimmt, verhindert jeden intensivem, mit Aufwand vou Kapital und Arbeit geleisteten Betrieb. Europäischer Betrieb würde vielleicht das Doppelte der jetzigen Ernte liefern, aber es ist eine Thatsache, die sich überall, wo es Ackerbau giebt, wiederholen muß, daß mit dem Aufwand von Kapital und Arbeit der Ertrag nicht proportional steigt. Wenn von der jetzigen anatolischen Ernte 100) die Hälfte 50) den Unterhalt der Arbeit ersetzt, so kann von dem Nest 50) sehr wohl die Steiler (-^ ""/s ^ 12) gezahlt werden. Es bleibt dann noch Rente 38) für den Eigentümer übrig. Wenn aber von Europäern auf demselben Gute die doppelte Ernte erreicht wird 200), so betragen ti Unkosten nicht das Doppelte, sondern vielleicht das Dreifache (--^ 150); soll dann noch die Steuer (— 24) gezahlt werdeu, so trägt das Gut weniger Rente als vorher 26). Alle großen landwirtschaftlichen Unternehmungen werden in der Steuer auf den Rohertrag ein Hindernis ihrer Entwicklung sehen.e Man könnte noch viele Parallelen zwischen dem alten Frankreich und der Türkei ziehn, z. B. erinnern an das Salzmouopol dort und das Tabal- wonopol hier, an dessen Folge: die berufsmäßige, bewaffnete und vom Volk begünstigte Schmuggelei und Räuberei, ferner an die unklaren aus der Fcudnlzcit herübergekommnen Bcsitzvcrhültuisse, die schlechten Wege lind den allgemeinen Rückschritt gegen frühere Zeiten, das Fehlen jeder politischen Selbständigkeit in der Provinz, die Zerrissenheit des Volkes, dort durch Stnndesunterschiede, hier durch Nassen- und Glaubeusuuterschiede. Allerdings hinkt der Vergleich mit Frankreich. Die Steuer scheint in der Türkei lange nicht so schwer zu sein. War dort die Revolution das Ende b»in Liede, so braucht das hier nicht ebenso ausznklingen. Europäisches und orientalisches Temperament sind voneinander verschieden, wie der Alkoholransch ^'om Opiumrausch. Hier alles Leidenschaft, Übertreibung, Katastrophe, dort alles Beruhigung, Nachgeben und Einschlafen. Dasselbe Regime wird im Orient vermutlich von unten her mit viel mehr Langmut getragen und von °ben her mit viel weniger Prinzipienhnrte und Folgerichtigkeit ausgeübt. Wir

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551/467>, abgerufen am 04.07.2024.