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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr.

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Von unserm türkischen freunde

der Ernte ein die Gesellschaft. Natürlich müßte diese den Einwandrern Häuser,
wenn auch nur in primitivster Form, bauen. Ob das eine oder das andre
einen höhern Gewinn verspricht, ist eine Sache der Kalkulation; jedenfalls aber
sollte man zu der unentbehrlichen Handarbeit die Bewohner des Landes oder
türkische Einwandrer nehmen, ans Gründen, die uns aus dem Vorausgegangnen
nicht fremd sind.

"Ich bin überzeugt, daß die türkische Negierung einer solchen Gesellschaft
alle nur möglichen Erleichterungen gewähre"? würde, da es ja in dem größten
Interesse des Landes liegt, wenn die Landeskultur durch gute Beispiele ge¬
fördert wird." --

Dies ist der Schluß eines Buches über Anatolische Landwirtschaft, dessen
Verfasser sechs Jahre lang im Auftrage der Anatomischen Eisenbahngesellschaft
Kleinasien bereist und dort Kulturen augelegt hat.") Jetzt ist er General¬
inspektor im türkischen Ministerium für Landwirtschaft. Ich selbst habe das
Glück und die Ehre gehabt, mehrere Wochen mit ihm in Anatolien reisen zu
können. Er hat mich zu seineu türkischen Freunden geführt, auch zu dem ehr¬
würdigen Ahmed-Bey, ich habe seine Kenntnis der türkischen Sprache be¬
wundert und mehr noch sein Verständnis der orientalischen Verkehrswege. Er
hat verstanden, die deutsche Schneidigkeit zu verbergen, und hat den langsamen,
vorsichtigen Weg der Höflichkeit gelernt, der zu der Freundschaft und zu dem
Vertrauen des Orientalen führt. In diesem Buche hat er kurz die Ergebnisse
seiner anatolischen Erfahrungen niedergelegt, und es giebt bisher wohl niemand,
der eine ähnliche, in sechs Jahre langer, unmittelbarer Beobachtung erworbne
Sprachkenntnis, Landes- und Sachkenntnis nachweisen könnte wie er.

Die fünftausend deutschen Familien, von denen er spricht, sind nun freilich
ausgeblieben, und die ackerbauende deutsche Gesellschaft auch. Dafür hat das
Eisenbahnunternehmer selbst einen großen Schritt vorwärts gethan. Die Deutsche
Bank hat die Konzession zur Bahn nach Bagdad erhalten und hat damit eine
Aufgabe übernommen, auf deren Lösung im nächsten Jahrzehnt man gespannt
sein darf. Es handelt sich da zunächst um eine höchst interessante technische
Aufgabe. Schon der Aufstieg vom Meere nach dem 800 Meter hohen Hoch¬
land hat hervorragende Bauten nötig gemacht. Der Abstieg in das Tigris-
land wird die Bahn zu einer Gebirgsbahn machen, deren Schwierigkeiten nicht
gering sein werden in einem Lande, wo am Orte alle Hilfsmittel fehlen, und
wo die Bergabhänge, denen der Wald fehlt, viel weniger zuverlässig sind als
bei uns.

Ist die Bahn gebaut, so soll sie sich rentieren -- eine Aufgabe wirtschaft¬
licher Art. Die englisch-indische Post wird der Bagdadbahn sicher zufallen. Da¬
gegen wird der indische Frachtverkehr wohl weiterhin den billigen Seeweg durch



Anatolische Landwirtschaft. Auf Grund sechsjähriger Erfahrung dargestellt von
Richard Herrmann, Genernlinspektor der Landwirtschaft im Ministerium für Landwirtschaft,
Minen und Forsten und im Ministerium der kaiserlichen Civilliste in Konstnntinopel. Leipzig,
Fr. Wilh. Grunvw, 1ö00.
Von unserm türkischen freunde

der Ernte ein die Gesellschaft. Natürlich müßte diese den Einwandrern Häuser,
wenn auch nur in primitivster Form, bauen. Ob das eine oder das andre
einen höhern Gewinn verspricht, ist eine Sache der Kalkulation; jedenfalls aber
sollte man zu der unentbehrlichen Handarbeit die Bewohner des Landes oder
türkische Einwandrer nehmen, ans Gründen, die uns aus dem Vorausgegangnen
nicht fremd sind.

„Ich bin überzeugt, daß die türkische Negierung einer solchen Gesellschaft
alle nur möglichen Erleichterungen gewähre«? würde, da es ja in dem größten
Interesse des Landes liegt, wenn die Landeskultur durch gute Beispiele ge¬
fördert wird." —

Dies ist der Schluß eines Buches über Anatolische Landwirtschaft, dessen
Verfasser sechs Jahre lang im Auftrage der Anatomischen Eisenbahngesellschaft
Kleinasien bereist und dort Kulturen augelegt hat.") Jetzt ist er General¬
inspektor im türkischen Ministerium für Landwirtschaft. Ich selbst habe das
Glück und die Ehre gehabt, mehrere Wochen mit ihm in Anatolien reisen zu
können. Er hat mich zu seineu türkischen Freunden geführt, auch zu dem ehr¬
würdigen Ahmed-Bey, ich habe seine Kenntnis der türkischen Sprache be¬
wundert und mehr noch sein Verständnis der orientalischen Verkehrswege. Er
hat verstanden, die deutsche Schneidigkeit zu verbergen, und hat den langsamen,
vorsichtigen Weg der Höflichkeit gelernt, der zu der Freundschaft und zu dem
Vertrauen des Orientalen führt. In diesem Buche hat er kurz die Ergebnisse
seiner anatolischen Erfahrungen niedergelegt, und es giebt bisher wohl niemand,
der eine ähnliche, in sechs Jahre langer, unmittelbarer Beobachtung erworbne
Sprachkenntnis, Landes- und Sachkenntnis nachweisen könnte wie er.

Die fünftausend deutschen Familien, von denen er spricht, sind nun freilich
ausgeblieben, und die ackerbauende deutsche Gesellschaft auch. Dafür hat das
Eisenbahnunternehmer selbst einen großen Schritt vorwärts gethan. Die Deutsche
Bank hat die Konzession zur Bahn nach Bagdad erhalten und hat damit eine
Aufgabe übernommen, auf deren Lösung im nächsten Jahrzehnt man gespannt
sein darf. Es handelt sich da zunächst um eine höchst interessante technische
Aufgabe. Schon der Aufstieg vom Meere nach dem 800 Meter hohen Hoch¬
land hat hervorragende Bauten nötig gemacht. Der Abstieg in das Tigris-
land wird die Bahn zu einer Gebirgsbahn machen, deren Schwierigkeiten nicht
gering sein werden in einem Lande, wo am Orte alle Hilfsmittel fehlen, und
wo die Bergabhänge, denen der Wald fehlt, viel weniger zuverlässig sind als
bei uns.

Ist die Bahn gebaut, so soll sie sich rentieren — eine Aufgabe wirtschaft¬
licher Art. Die englisch-indische Post wird der Bagdadbahn sicher zufallen. Da¬
gegen wird der indische Frachtverkehr wohl weiterhin den billigen Seeweg durch



Anatolische Landwirtschaft. Auf Grund sechsjähriger Erfahrung dargestellt von
Richard Herrmann, Genernlinspektor der Landwirtschaft im Ministerium für Landwirtschaft,
Minen und Forsten und im Ministerium der kaiserlichen Civilliste in Konstnntinopel. Leipzig,
Fr. Wilh. Grunvw, 1ö00.
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[0464] Von unserm türkischen freunde der Ernte ein die Gesellschaft. Natürlich müßte diese den Einwandrern Häuser, wenn auch nur in primitivster Form, bauen. Ob das eine oder das andre einen höhern Gewinn verspricht, ist eine Sache der Kalkulation; jedenfalls aber sollte man zu der unentbehrlichen Handarbeit die Bewohner des Landes oder türkische Einwandrer nehmen, ans Gründen, die uns aus dem Vorausgegangnen nicht fremd sind. „Ich bin überzeugt, daß die türkische Negierung einer solchen Gesellschaft alle nur möglichen Erleichterungen gewähre«? würde, da es ja in dem größten Interesse des Landes liegt, wenn die Landeskultur durch gute Beispiele ge¬ fördert wird." — Dies ist der Schluß eines Buches über Anatolische Landwirtschaft, dessen Verfasser sechs Jahre lang im Auftrage der Anatomischen Eisenbahngesellschaft Kleinasien bereist und dort Kulturen augelegt hat.") Jetzt ist er General¬ inspektor im türkischen Ministerium für Landwirtschaft. Ich selbst habe das Glück und die Ehre gehabt, mehrere Wochen mit ihm in Anatolien reisen zu können. Er hat mich zu seineu türkischen Freunden geführt, auch zu dem ehr¬ würdigen Ahmed-Bey, ich habe seine Kenntnis der türkischen Sprache be¬ wundert und mehr noch sein Verständnis der orientalischen Verkehrswege. Er hat verstanden, die deutsche Schneidigkeit zu verbergen, und hat den langsamen, vorsichtigen Weg der Höflichkeit gelernt, der zu der Freundschaft und zu dem Vertrauen des Orientalen führt. In diesem Buche hat er kurz die Ergebnisse seiner anatolischen Erfahrungen niedergelegt, und es giebt bisher wohl niemand, der eine ähnliche, in sechs Jahre langer, unmittelbarer Beobachtung erworbne Sprachkenntnis, Landes- und Sachkenntnis nachweisen könnte wie er. Die fünftausend deutschen Familien, von denen er spricht, sind nun freilich ausgeblieben, und die ackerbauende deutsche Gesellschaft auch. Dafür hat das Eisenbahnunternehmer selbst einen großen Schritt vorwärts gethan. Die Deutsche Bank hat die Konzession zur Bahn nach Bagdad erhalten und hat damit eine Aufgabe übernommen, auf deren Lösung im nächsten Jahrzehnt man gespannt sein darf. Es handelt sich da zunächst um eine höchst interessante technische Aufgabe. Schon der Aufstieg vom Meere nach dem 800 Meter hohen Hoch¬ land hat hervorragende Bauten nötig gemacht. Der Abstieg in das Tigris- land wird die Bahn zu einer Gebirgsbahn machen, deren Schwierigkeiten nicht gering sein werden in einem Lande, wo am Orte alle Hilfsmittel fehlen, und wo die Bergabhänge, denen der Wald fehlt, viel weniger zuverlässig sind als bei uns. Ist die Bahn gebaut, so soll sie sich rentieren — eine Aufgabe wirtschaft¬ licher Art. Die englisch-indische Post wird der Bagdadbahn sicher zufallen. Da¬ gegen wird der indische Frachtverkehr wohl weiterhin den billigen Seeweg durch Anatolische Landwirtschaft. Auf Grund sechsjähriger Erfahrung dargestellt von Richard Herrmann, Genernlinspektor der Landwirtschaft im Ministerium für Landwirtschaft, Minen und Forsten und im Ministerium der kaiserlichen Civilliste in Konstnntinopel. Leipzig, Fr. Wilh. Grunvw, 1ö00.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551/464>, abgerufen am 02.07.2024.