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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr.

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und das Großkapital immer mehr in den wirtschaftlichen Vordergrund geraten,
je weiter der Güteraustausch der Welt die Volkswirtschaft der einzelnen Nationen
beeinflußt. Dementsprechend sinkt die wirtschaftliche Bedeutung des mit ge¬
ringern Mitteln und in kleinerm Kreise arbeitenden Gewerbes. Das lokale
Gewerbe wird geschwächt und entweder vernichtet oder in Abhängigkeit vom
Großgewerbe gebracht. Dieser letzte Zustand ist dabei noch der günstigere,
weil da dem Kleingewerbe wenigstens die ständige Arbeitsgelegenheit bleibt.
Der Gewinn des kleinen und des abhängigen Gewerbemanues hält sich bei
ihrer beschränkten Arbeitsfähigkeit immer in denselben Grenzen und kann nie
u> demselben Verhältnis steigen, wie der des Großgewerbcmannes, fiir dessen
Gewinnhöhe den Ausschlag geben einmal seine Intelligenz (zur Beurteilung
der Weltmarktvcrhältnisse) und dann die Mittel, die ihm zur Verfügung stehn,
seine Intelligenz zu verwerten (Kapital und abhängige Arbeitskräfte). Obgleich
Erfahrung es längst widerlegt hat, daß der Industriestaat nach der einen
^ der abhängigen -- Seite hin zur Berelendnug führt -- im Gegenteil, er
schafft breitere Lebensbedingungen --, so ist doch die Gefahr groß, daß der
Gegensatz zwischen einer geringen Anzahl reicher Unternehmer und der Masse
der von ihnen abhängigen Arbeiter zu einem unüberbrückbaren Klasfenhasse
und dann zu einem Sinken des Stantsgefühls bei den Arbeitern und einem
übermüßigen Machtanspruch der Unternehmer führt -- lauter Zustände, die
keine dauernde Grundlage für ein den Weltstürmen ausgesetztes Reich geben
to'unen: ein Industriestaat, worin die Mehrzahl des Volks eine sozial-politisch
bedeutungslose Masse ist, bietet nicht minder innere Gefahren als ein Agrarstaat,
wo es Herren und Knechte giebt, und der vermittelnde freie Bauernstand
fehlt. Wir ° sehen ans der Geschichte, welche Art Industriestaat verderb¬
lich ist. J,n römischen Kniserstaat, im mcrtantilistischen Frankreich und im
materialistischen England wurde die Industrie um ihrer selbst willen vom
Staate gepflegt, in allen dreien herrschte die Ansicht, daß es genüge, wenn
das Unternehmertum gefördert werde, und daß es die Hauptsache sei, Reich¬
tümer in das Land zu bringen, und niemand kümmerte sich darum, wohin
diese Reichtümer flössen, und'welchen Einfluß die äußere Blüte der Industrie
"uf die soziale Lage der arbeitenden Menge ausübte. Diese einseitige Förte-
"og des Wohlstands eines kleinen Teils der Bevölkerung hat sich bitter an
"eher Staaten gerächt. Das lebende Geschlecht ist Augenzeuge, in eine wie
gefährliche Lage ein Staat geraten kann, wo der materialistische Großkapitalismus
a^ Stantssteuer in der Hand hat, zumal wenn die Bevölkerung durch deu
^lenz einer scheinbaren Freiheit getäuscht wird, wie in England. Gerade die
Uahrnngen, die unsre Vettern jenseits des Kanals jetzt machen müssen, augen-
lHcrnlich ohne wach zu werden, müssen dem deutschen Weltpolitiicr die Wege
^im, die er in der innern Politik gehn muß, um im Gegensatz zu England
^ ^stehende deutsche Weltreich auf'eine gesunde Grundlage zu stellen. Wie
he^" ^ auswärtigen Politik des britischen Reichs ihr materialistischer, eng-
s^g egoistischer und despotischer Charakter in zahlreichen mehr oder minder


und das Großkapital immer mehr in den wirtschaftlichen Vordergrund geraten,
je weiter der Güteraustausch der Welt die Volkswirtschaft der einzelnen Nationen
beeinflußt. Dementsprechend sinkt die wirtschaftliche Bedeutung des mit ge¬
ringern Mitteln und in kleinerm Kreise arbeitenden Gewerbes. Das lokale
Gewerbe wird geschwächt und entweder vernichtet oder in Abhängigkeit vom
Großgewerbe gebracht. Dieser letzte Zustand ist dabei noch der günstigere,
weil da dem Kleingewerbe wenigstens die ständige Arbeitsgelegenheit bleibt.
Der Gewinn des kleinen und des abhängigen Gewerbemanues hält sich bei
ihrer beschränkten Arbeitsfähigkeit immer in denselben Grenzen und kann nie
u> demselben Verhältnis steigen, wie der des Großgewerbcmannes, fiir dessen
Gewinnhöhe den Ausschlag geben einmal seine Intelligenz (zur Beurteilung
der Weltmarktvcrhältnisse) und dann die Mittel, die ihm zur Verfügung stehn,
seine Intelligenz zu verwerten (Kapital und abhängige Arbeitskräfte). Obgleich
Erfahrung es längst widerlegt hat, daß der Industriestaat nach der einen
^ der abhängigen — Seite hin zur Berelendnug führt — im Gegenteil, er
schafft breitere Lebensbedingungen —, so ist doch die Gefahr groß, daß der
Gegensatz zwischen einer geringen Anzahl reicher Unternehmer und der Masse
der von ihnen abhängigen Arbeiter zu einem unüberbrückbaren Klasfenhasse
und dann zu einem Sinken des Stantsgefühls bei den Arbeitern und einem
übermüßigen Machtanspruch der Unternehmer führt — lauter Zustände, die
keine dauernde Grundlage für ein den Weltstürmen ausgesetztes Reich geben
to'unen: ein Industriestaat, worin die Mehrzahl des Volks eine sozial-politisch
bedeutungslose Masse ist, bietet nicht minder innere Gefahren als ein Agrarstaat,
wo es Herren und Knechte giebt, und der vermittelnde freie Bauernstand
fehlt. Wir ° sehen ans der Geschichte, welche Art Industriestaat verderb¬
lich ist. J,n römischen Kniserstaat, im mcrtantilistischen Frankreich und im
materialistischen England wurde die Industrie um ihrer selbst willen vom
Staate gepflegt, in allen dreien herrschte die Ansicht, daß es genüge, wenn
das Unternehmertum gefördert werde, und daß es die Hauptsache sei, Reich¬
tümer in das Land zu bringen, und niemand kümmerte sich darum, wohin
diese Reichtümer flössen, und'welchen Einfluß die äußere Blüte der Industrie
"uf die soziale Lage der arbeitenden Menge ausübte. Diese einseitige Förte-
"og des Wohlstands eines kleinen Teils der Bevölkerung hat sich bitter an
"eher Staaten gerächt. Das lebende Geschlecht ist Augenzeuge, in eine wie
gefährliche Lage ein Staat geraten kann, wo der materialistische Großkapitalismus
a^ Stantssteuer in der Hand hat, zumal wenn die Bevölkerung durch deu
^lenz einer scheinbaren Freiheit getäuscht wird, wie in England. Gerade die
Uahrnngen, die unsre Vettern jenseits des Kanals jetzt machen müssen, augen-
lHcrnlich ohne wach zu werden, müssen dem deutschen Weltpolitiicr die Wege
^im, die er in der innern Politik gehn muß, um im Gegensatz zu England
^ ^stehende deutsche Weltreich auf'eine gesunde Grundlage zu stellen. Wie
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[0437] und das Großkapital immer mehr in den wirtschaftlichen Vordergrund geraten, je weiter der Güteraustausch der Welt die Volkswirtschaft der einzelnen Nationen beeinflußt. Dementsprechend sinkt die wirtschaftliche Bedeutung des mit ge¬ ringern Mitteln und in kleinerm Kreise arbeitenden Gewerbes. Das lokale Gewerbe wird geschwächt und entweder vernichtet oder in Abhängigkeit vom Großgewerbe gebracht. Dieser letzte Zustand ist dabei noch der günstigere, weil da dem Kleingewerbe wenigstens die ständige Arbeitsgelegenheit bleibt. Der Gewinn des kleinen und des abhängigen Gewerbemanues hält sich bei ihrer beschränkten Arbeitsfähigkeit immer in denselben Grenzen und kann nie u> demselben Verhältnis steigen, wie der des Großgewerbcmannes, fiir dessen Gewinnhöhe den Ausschlag geben einmal seine Intelligenz (zur Beurteilung der Weltmarktvcrhältnisse) und dann die Mittel, die ihm zur Verfügung stehn, seine Intelligenz zu verwerten (Kapital und abhängige Arbeitskräfte). Obgleich Erfahrung es längst widerlegt hat, daß der Industriestaat nach der einen ^ der abhängigen — Seite hin zur Berelendnug führt — im Gegenteil, er schafft breitere Lebensbedingungen —, so ist doch die Gefahr groß, daß der Gegensatz zwischen einer geringen Anzahl reicher Unternehmer und der Masse der von ihnen abhängigen Arbeiter zu einem unüberbrückbaren Klasfenhasse und dann zu einem Sinken des Stantsgefühls bei den Arbeitern und einem übermüßigen Machtanspruch der Unternehmer führt — lauter Zustände, die keine dauernde Grundlage für ein den Weltstürmen ausgesetztes Reich geben to'unen: ein Industriestaat, worin die Mehrzahl des Volks eine sozial-politisch bedeutungslose Masse ist, bietet nicht minder innere Gefahren als ein Agrarstaat, wo es Herren und Knechte giebt, und der vermittelnde freie Bauernstand fehlt. Wir ° sehen ans der Geschichte, welche Art Industriestaat verderb¬ lich ist. J,n römischen Kniserstaat, im mcrtantilistischen Frankreich und im materialistischen England wurde die Industrie um ihrer selbst willen vom Staate gepflegt, in allen dreien herrschte die Ansicht, daß es genüge, wenn das Unternehmertum gefördert werde, und daß es die Hauptsache sei, Reich¬ tümer in das Land zu bringen, und niemand kümmerte sich darum, wohin diese Reichtümer flössen, und'welchen Einfluß die äußere Blüte der Industrie "uf die soziale Lage der arbeitenden Menge ausübte. Diese einseitige Förte- "og des Wohlstands eines kleinen Teils der Bevölkerung hat sich bitter an "eher Staaten gerächt. Das lebende Geschlecht ist Augenzeuge, in eine wie gefährliche Lage ein Staat geraten kann, wo der materialistische Großkapitalismus a^ Stantssteuer in der Hand hat, zumal wenn die Bevölkerung durch deu ^lenz einer scheinbaren Freiheit getäuscht wird, wie in England. Gerade die Uahrnngen, die unsre Vettern jenseits des Kanals jetzt machen müssen, augen- lHcrnlich ohne wach zu werden, müssen dem deutschen Weltpolitiicr die Wege ^im, die er in der innern Politik gehn muß, um im Gegensatz zu England ^ ^stehende deutsche Weltreich auf'eine gesunde Grundlage zu stellen. Wie he^" ^ auswärtigen Politik des britischen Reichs ihr materialistischer, eng- s^g egoistischer und despotischer Charakter in zahlreichen mehr oder minder

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551/437>, abgerufen am 01.07.2024.