Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Sibiriens wirtschaftliche Ledeutmig

Die reiche Fauna der östlichen und nördlichen Meere ernährt zahlreiche
große Seetiere, allein im Ochotskischen Meere sechs Arten Seehunde, zwei
Arten Delphine, drei Arte" Walfische. Von 1847 bis 1861 ist von dort auf
amerikanischen Schiffen für 130 Millionen Dollars Walfischbein und Walfisch¬
thran ausgeführt worden. Man hofft den Amerikanern das Geschäft zu er¬
schweren, wenn unter dem Einfluß der sibirischen Eisenbahn auf den Flüssen
und Meeren auch die Schiffahrt den erwarteten kräftigen Aufschwung genommen
hat und z. B. von den an die Eisenbahn angeschlossenen Flußhäfen für polare
Reisen eingerichtete Schiffe ausgehn werden. Es mag hier noch erwähnt
werden, daß die Stoßzähne der in den vereisten Tundren des Gebiets Jakutsk
und der neusibirischen Inseln eingefrornen Mammute immerhin, solange die
Vorräte reichen, eine nicht unwichtige Einnahmequelle sind. Im Jahre 1895
lauten in Jakutsk für 97000 Rudel Mammutknochen und Wälroßzähne auf
den Markt.

Wenn null Jagd, Fischerei und verwandte Betriebe einen nicht unwesent¬
lichen Teil der Bevölkerung nähren, so können diese doch niemals für größere
Kreise, geschweige denn für das ganze Land eine Quelle des Wohlstands
werden. Anders ist es mit der Landwirtschaft: auf ihr uicht zum wenigsten
beruht Sibiriens Zukunft. Aber die Landwirtschaft ist in Sibirien in einer
besondern Lage, weil das gesamte Land rechtlich Staatseigentum ist. Davon
macht nur der 40 Millionen Dessjetinen ^ 8400 Quadratmeilen umfassende
Privatbesitz des Kaisers am Altai und in Trnnsbaikalien und die Zubilligung
einer Reihe kleinerer Bezirke an kirchliche und Unterrichtsanstalten, sowie an
einige Privatpersonen eine Ausnahme. Von dein Kronland und kaiserlichen
Privatbesitz ist seit jeher ein Teil, sowie mich die Bcrggerechtigieit verpachtet ;
der weitaus größte Teil ist als schwer zugängliches Taigalaud und Tnndre
für den Anbau nicht geeignet. Der nun noch verbleibende Teil wird von den
Bauern und seßhaften, das Steppenland von den uomadisiereudeu, Viehzucht
treibenden fremden Völkern benutzt, und zwar auf Grund bestehenden thatsäch
lichen Besitzes oder alter urkundlicher Verträge.

Nein veranlassen die wirtschaftliche Notlage und die fortwährenden Hungers¬
nöte in Rußland einen reichlichen Zuzug von Kolonisten von dorther. Dn aber
das bessere Land zum größten Teil, so sonderbar es klingen mag, in den dem
Ural zunächst gelegnen Gouvernements schon okkupiert ist und ohne weiteres
keine ländliche Bevölkerung mehr aufzunehmen vermochte, so wurde eine gesetz¬
liche Regelung der Vesitzverhältuisse notwendig. Es geschah dies dnrch das
Gesetz vom 23. Mai (4. Juni) 1896, das zunächst sür die vier West- und
mittel(ost)sibirischen Gouvernements, jedoch ohne Geltung für die fremden Völker
eingeführt ist. Dieses Gesetz billigt einem jede" männlichen Mitglied einer
Familie fünfzehn Dessjetinen (16,5 Hektar) Land zu. Indem es den Altein¬
gesessenen derartige für ihre Bedürfnisse ausreichende Parzellen eigentümlich
meent, werden durch Entziehung der bisher über das Bedürfnis zeitweise be¬
nutzten Ländereien Landlose für ueneintreffeude Kolonisten gewonnen. Die


Sibiriens wirtschaftliche Ledeutmig

Die reiche Fauna der östlichen und nördlichen Meere ernährt zahlreiche
große Seetiere, allein im Ochotskischen Meere sechs Arten Seehunde, zwei
Arten Delphine, drei Arte» Walfische. Von 1847 bis 1861 ist von dort auf
amerikanischen Schiffen für 130 Millionen Dollars Walfischbein und Walfisch¬
thran ausgeführt worden. Man hofft den Amerikanern das Geschäft zu er¬
schweren, wenn unter dem Einfluß der sibirischen Eisenbahn auf den Flüssen
und Meeren auch die Schiffahrt den erwarteten kräftigen Aufschwung genommen
hat und z. B. von den an die Eisenbahn angeschlossenen Flußhäfen für polare
Reisen eingerichtete Schiffe ausgehn werden. Es mag hier noch erwähnt
werden, daß die Stoßzähne der in den vereisten Tundren des Gebiets Jakutsk
und der neusibirischen Inseln eingefrornen Mammute immerhin, solange die
Vorräte reichen, eine nicht unwichtige Einnahmequelle sind. Im Jahre 1895
lauten in Jakutsk für 97000 Rudel Mammutknochen und Wälroßzähne auf
den Markt.

Wenn null Jagd, Fischerei und verwandte Betriebe einen nicht unwesent¬
lichen Teil der Bevölkerung nähren, so können diese doch niemals für größere
Kreise, geschweige denn für das ganze Land eine Quelle des Wohlstands
werden. Anders ist es mit der Landwirtschaft: auf ihr uicht zum wenigsten
beruht Sibiriens Zukunft. Aber die Landwirtschaft ist in Sibirien in einer
besondern Lage, weil das gesamte Land rechtlich Staatseigentum ist. Davon
macht nur der 40 Millionen Dessjetinen ^ 8400 Quadratmeilen umfassende
Privatbesitz des Kaisers am Altai und in Trnnsbaikalien und die Zubilligung
einer Reihe kleinerer Bezirke an kirchliche und Unterrichtsanstalten, sowie an
einige Privatpersonen eine Ausnahme. Von dein Kronland und kaiserlichen
Privatbesitz ist seit jeher ein Teil, sowie mich die Bcrggerechtigieit verpachtet ;
der weitaus größte Teil ist als schwer zugängliches Taigalaud und Tnndre
für den Anbau nicht geeignet. Der nun noch verbleibende Teil wird von den
Bauern und seßhaften, das Steppenland von den uomadisiereudeu, Viehzucht
treibenden fremden Völkern benutzt, und zwar auf Grund bestehenden thatsäch
lichen Besitzes oder alter urkundlicher Verträge.

Nein veranlassen die wirtschaftliche Notlage und die fortwährenden Hungers¬
nöte in Rußland einen reichlichen Zuzug von Kolonisten von dorther. Dn aber
das bessere Land zum größten Teil, so sonderbar es klingen mag, in den dem
Ural zunächst gelegnen Gouvernements schon okkupiert ist und ohne weiteres
keine ländliche Bevölkerung mehr aufzunehmen vermochte, so wurde eine gesetz¬
liche Regelung der Vesitzverhältuisse notwendig. Es geschah dies dnrch das
Gesetz vom 23. Mai (4. Juni) 1896, das zunächst sür die vier West- und
mittel(ost)sibirischen Gouvernements, jedoch ohne Geltung für die fremden Völker
eingeführt ist. Dieses Gesetz billigt einem jede» männlichen Mitglied einer
Familie fünfzehn Dessjetinen (16,5 Hektar) Land zu. Indem es den Altein¬
gesessenen derartige für ihre Bedürfnisse ausreichende Parzellen eigentümlich
meent, werden durch Entziehung der bisher über das Bedürfnis zeitweise be¬
nutzten Ländereien Landlose für ueneintreffeude Kolonisten gewonnen. Die


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0432" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/232984"/>
          <fw type="header" place="top"> Sibiriens wirtschaftliche Ledeutmig</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1428"> Die reiche Fauna der östlichen und nördlichen Meere ernährt zahlreiche<lb/>
große Seetiere, allein im Ochotskischen Meere sechs Arten Seehunde, zwei<lb/>
Arten Delphine, drei Arte» Walfische. Von 1847 bis 1861 ist von dort auf<lb/>
amerikanischen Schiffen für 130 Millionen Dollars Walfischbein und Walfisch¬<lb/>
thran ausgeführt worden. Man hofft den Amerikanern das Geschäft zu er¬<lb/>
schweren, wenn unter dem Einfluß der sibirischen Eisenbahn auf den Flüssen<lb/>
und Meeren auch die Schiffahrt den erwarteten kräftigen Aufschwung genommen<lb/>
hat und z. B. von den an die Eisenbahn angeschlossenen Flußhäfen für polare<lb/>
Reisen eingerichtete Schiffe ausgehn werden. Es mag hier noch erwähnt<lb/>
werden, daß die Stoßzähne der in den vereisten Tundren des Gebiets Jakutsk<lb/>
und der neusibirischen Inseln eingefrornen Mammute immerhin, solange die<lb/>
Vorräte reichen, eine nicht unwichtige Einnahmequelle sind. Im Jahre 1895<lb/>
lauten in Jakutsk für 97000 Rudel Mammutknochen und Wälroßzähne auf<lb/>
den Markt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1429"> Wenn null Jagd, Fischerei und verwandte Betriebe einen nicht unwesent¬<lb/>
lichen Teil der Bevölkerung nähren, so können diese doch niemals für größere<lb/>
Kreise, geschweige denn für das ganze Land eine Quelle des Wohlstands<lb/>
werden. Anders ist es mit der Landwirtschaft: auf ihr uicht zum wenigsten<lb/>
beruht Sibiriens Zukunft. Aber die Landwirtschaft ist in Sibirien in einer<lb/>
besondern Lage, weil das gesamte Land rechtlich Staatseigentum ist. Davon<lb/>
macht nur der 40 Millionen Dessjetinen ^ 8400 Quadratmeilen umfassende<lb/>
Privatbesitz des Kaisers am Altai und in Trnnsbaikalien und die Zubilligung<lb/>
einer Reihe kleinerer Bezirke an kirchliche und Unterrichtsanstalten, sowie an<lb/>
einige Privatpersonen eine Ausnahme. Von dein Kronland und kaiserlichen<lb/>
Privatbesitz ist seit jeher ein Teil, sowie mich die Bcrggerechtigieit verpachtet ;<lb/>
der weitaus größte Teil ist als schwer zugängliches Taigalaud und Tnndre<lb/>
für den Anbau nicht geeignet. Der nun noch verbleibende Teil wird von den<lb/>
Bauern und seßhaften, das Steppenland von den uomadisiereudeu, Viehzucht<lb/>
treibenden fremden Völkern benutzt, und zwar auf Grund bestehenden thatsäch<lb/>
lichen Besitzes oder alter urkundlicher Verträge.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1430" next="#ID_1431"> Nein veranlassen die wirtschaftliche Notlage und die fortwährenden Hungers¬<lb/>
nöte in Rußland einen reichlichen Zuzug von Kolonisten von dorther. Dn aber<lb/>
das bessere Land zum größten Teil, so sonderbar es klingen mag, in den dem<lb/>
Ural zunächst gelegnen Gouvernements schon okkupiert ist und ohne weiteres<lb/>
keine ländliche Bevölkerung mehr aufzunehmen vermochte, so wurde eine gesetz¬<lb/>
liche Regelung der Vesitzverhältuisse notwendig. Es geschah dies dnrch das<lb/>
Gesetz vom 23. Mai (4. Juni) 1896, das zunächst sür die vier West- und<lb/>
mittel(ost)sibirischen Gouvernements, jedoch ohne Geltung für die fremden Völker<lb/>
eingeführt ist. Dieses Gesetz billigt einem jede» männlichen Mitglied einer<lb/>
Familie fünfzehn Dessjetinen (16,5 Hektar) Land zu. Indem es den Altein¬<lb/>
gesessenen derartige für ihre Bedürfnisse ausreichende Parzellen eigentümlich<lb/>
meent, werden durch Entziehung der bisher über das Bedürfnis zeitweise be¬<lb/>
nutzten Ländereien Landlose für ueneintreffeude Kolonisten gewonnen. Die</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0432] Sibiriens wirtschaftliche Ledeutmig Die reiche Fauna der östlichen und nördlichen Meere ernährt zahlreiche große Seetiere, allein im Ochotskischen Meere sechs Arten Seehunde, zwei Arten Delphine, drei Arte» Walfische. Von 1847 bis 1861 ist von dort auf amerikanischen Schiffen für 130 Millionen Dollars Walfischbein und Walfisch¬ thran ausgeführt worden. Man hofft den Amerikanern das Geschäft zu er¬ schweren, wenn unter dem Einfluß der sibirischen Eisenbahn auf den Flüssen und Meeren auch die Schiffahrt den erwarteten kräftigen Aufschwung genommen hat und z. B. von den an die Eisenbahn angeschlossenen Flußhäfen für polare Reisen eingerichtete Schiffe ausgehn werden. Es mag hier noch erwähnt werden, daß die Stoßzähne der in den vereisten Tundren des Gebiets Jakutsk und der neusibirischen Inseln eingefrornen Mammute immerhin, solange die Vorräte reichen, eine nicht unwichtige Einnahmequelle sind. Im Jahre 1895 lauten in Jakutsk für 97000 Rudel Mammutknochen und Wälroßzähne auf den Markt. Wenn null Jagd, Fischerei und verwandte Betriebe einen nicht unwesent¬ lichen Teil der Bevölkerung nähren, so können diese doch niemals für größere Kreise, geschweige denn für das ganze Land eine Quelle des Wohlstands werden. Anders ist es mit der Landwirtschaft: auf ihr uicht zum wenigsten beruht Sibiriens Zukunft. Aber die Landwirtschaft ist in Sibirien in einer besondern Lage, weil das gesamte Land rechtlich Staatseigentum ist. Davon macht nur der 40 Millionen Dessjetinen ^ 8400 Quadratmeilen umfassende Privatbesitz des Kaisers am Altai und in Trnnsbaikalien und die Zubilligung einer Reihe kleinerer Bezirke an kirchliche und Unterrichtsanstalten, sowie an einige Privatpersonen eine Ausnahme. Von dein Kronland und kaiserlichen Privatbesitz ist seit jeher ein Teil, sowie mich die Bcrggerechtigieit verpachtet ; der weitaus größte Teil ist als schwer zugängliches Taigalaud und Tnndre für den Anbau nicht geeignet. Der nun noch verbleibende Teil wird von den Bauern und seßhaften, das Steppenland von den uomadisiereudeu, Viehzucht treibenden fremden Völkern benutzt, und zwar auf Grund bestehenden thatsäch lichen Besitzes oder alter urkundlicher Verträge. Nein veranlassen die wirtschaftliche Notlage und die fortwährenden Hungers¬ nöte in Rußland einen reichlichen Zuzug von Kolonisten von dorther. Dn aber das bessere Land zum größten Teil, so sonderbar es klingen mag, in den dem Ural zunächst gelegnen Gouvernements schon okkupiert ist und ohne weiteres keine ländliche Bevölkerung mehr aufzunehmen vermochte, so wurde eine gesetz¬ liche Regelung der Vesitzverhältuisse notwendig. Es geschah dies dnrch das Gesetz vom 23. Mai (4. Juni) 1896, das zunächst sür die vier West- und mittel(ost)sibirischen Gouvernements, jedoch ohne Geltung für die fremden Völker eingeführt ist. Dieses Gesetz billigt einem jede» männlichen Mitglied einer Familie fünfzehn Dessjetinen (16,5 Hektar) Land zu. Indem es den Altein¬ gesessenen derartige für ihre Bedürfnisse ausreichende Parzellen eigentümlich meent, werden durch Entziehung der bisher über das Bedürfnis zeitweise be¬ nutzten Ländereien Landlose für ueneintreffeude Kolonisten gewonnen. Die

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551/432
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551/432>, abgerufen am 04.07.2024.