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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr.

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Der Sinn des Christentums

niemals entdeckt werden würden, daß niemcils elektrisches Licht die Straßen
gewaltiger Städte bestrahlen und elektrische Kraft Wagen voll Menschen blitz¬
schnell befördern, daß Rafael niemals malen, Mozart niemals komponieren,
Goethe niemals dichten würde, und daß von den Millionen Kinderaugen, die
vorige Weihnachten die Wunder der Bescherung angestaunt, und von den
Millionen Wangen, die der frische Lufthauch schöner klarer Wintertnge gerötet
hat, nicht ein einziges wirklich da sein würde?

Hilty hat den Schlüssel zu deu Schwierigkeiten, soweit solche ans Bibel
Worten erwachsen, gefunden, gebraucht ihn aber nicht; er besteht in dem, was
er über das Wort Christi von den Weltkindern, die in ihrer Art klüger seien
als die Kinder des Lichts, I, 140 ausführt. Zunächst liege in diesem "ge¬
fährlichen"*) Worte eine große Anerkennung der Weltkinder, "Diese werden
überhaupt nirgends in den Worten Christi so scharf behandelt, wie die Geist
lichen von Beruf und die pharisäischen Frommen überhaupt. Ein Wort, wie
das Matth, 21, 31 ansgesprochnc >die Zöllner und Hurer werden noch eher
of Reich Gottes eingehn als ihrj, würde mau gegen sie vergeblich suchen.
Auch gegen den Verkehr mit ihnen wird nirgends gewarnt, wie gegen den mit
den damaligen Inhabern der offiziellen Frömmigkeit. Es sind Leute, die meist
wissen, was sie wollen, und das, was sie sich vorgenommen haben, auch mit
Nuß und Ausdauer, nnter Beiseitesctzuug alles Eutgegeustehcudeu verfolgen,
'wriu es ihnen die Kinder des Lichts, wenigstens in ihren ersten Anfangs¬
lagen, nnr selten gleichthun, Sie sind auch gar nicht unempfänglich gegen
etwas Höheres und Besseres, und jedenfalls können sie sich darauf berufen,
^asi acht sie es vorzugsweise gewesen sind, die Kreuze und Scheiterhaufen für
a>e Vekenner der Wahrheit errichtet haben. Man muß sich also unter Wclt-
neern keineswegs ohne weiteres schlechte oder für das, was man Tugend
""'"t' ""empfängliche Leute vorstellen, Sie sind im Gegenteil meistens besser,
a v sie siel) den Anschein geben zu sein, und es giebt unter ihnen sogar sehr
v'cle umgekehrte Heuchler, die ihre besten Gedanken verbergen," Also es sind
u'ehe die tüchtigen Weltleute, die Christus verdammt, "ut somit bedeutet auch
^ ^Mslentuiu leine Verdammung der Welt und der Weltgeschichte! die
^redende der gnostischen Stellen des Johanncsevangeliums, in denen der
mil <- erscheint, lassen wir dahingestellt sein; ein Schrift-
'eder ,se auch er sieht in deu Evangelien nur ziemlich
"Ngelhafte Berichte über die Lehre und das Leben Jesu,

(Schluß folgt)





rechnn N^"° Anmerkung hierzu lautet: "Das 16. Kapitel des Lukasevangeliums jvom unge¬
löste Z/^^ ""d vom reichen Manne und dem armen Lazarusj ist überhaupt das gefähr-
worden ist^ ^ öffentliche Ordnung unsers modernen Polizeistaats geschrieben
Der Sinn des Christentums

niemals entdeckt werden würden, daß niemcils elektrisches Licht die Straßen
gewaltiger Städte bestrahlen und elektrische Kraft Wagen voll Menschen blitz¬
schnell befördern, daß Rafael niemals malen, Mozart niemals komponieren,
Goethe niemals dichten würde, und daß von den Millionen Kinderaugen, die
vorige Weihnachten die Wunder der Bescherung angestaunt, und von den
Millionen Wangen, die der frische Lufthauch schöner klarer Wintertnge gerötet
hat, nicht ein einziges wirklich da sein würde?

Hilty hat den Schlüssel zu deu Schwierigkeiten, soweit solche ans Bibel
Worten erwachsen, gefunden, gebraucht ihn aber nicht; er besteht in dem, was
er über das Wort Christi von den Weltkindern, die in ihrer Art klüger seien
als die Kinder des Lichts, I, 140 ausführt. Zunächst liege in diesem „ge¬
fährlichen"*) Worte eine große Anerkennung der Weltkinder, „Diese werden
überhaupt nirgends in den Worten Christi so scharf behandelt, wie die Geist
lichen von Beruf und die pharisäischen Frommen überhaupt. Ein Wort, wie
das Matth, 21, 31 ansgesprochnc >die Zöllner und Hurer werden noch eher
of Reich Gottes eingehn als ihrj, würde mau gegen sie vergeblich suchen.
Auch gegen den Verkehr mit ihnen wird nirgends gewarnt, wie gegen den mit
den damaligen Inhabern der offiziellen Frömmigkeit. Es sind Leute, die meist
wissen, was sie wollen, und das, was sie sich vorgenommen haben, auch mit
Nuß und Ausdauer, nnter Beiseitesctzuug alles Eutgegeustehcudeu verfolgen,
'wriu es ihnen die Kinder des Lichts, wenigstens in ihren ersten Anfangs¬
lagen, nnr selten gleichthun, Sie sind auch gar nicht unempfänglich gegen
etwas Höheres und Besseres, und jedenfalls können sie sich darauf berufen,
^asi acht sie es vorzugsweise gewesen sind, die Kreuze und Scheiterhaufen für
a>e Vekenner der Wahrheit errichtet haben. Man muß sich also unter Wclt-
neern keineswegs ohne weiteres schlechte oder für das, was man Tugend
""'"t' ""empfängliche Leute vorstellen, Sie sind im Gegenteil meistens besser,
a v sie siel) den Anschein geben zu sein, und es giebt unter ihnen sogar sehr
v'cle umgekehrte Heuchler, die ihre besten Gedanken verbergen," Also es sind
u'ehe die tüchtigen Weltleute, die Christus verdammt, »ut somit bedeutet auch
^ ^Mslentuiu leine Verdammung der Welt und der Weltgeschichte! die
^redende der gnostischen Stellen des Johanncsevangeliums, in denen der
mil <- erscheint, lassen wir dahingestellt sein; ein Schrift-
'eder ,se auch er sieht in deu Evangelien nur ziemlich
"Ngelhafte Berichte über die Lehre und das Leben Jesu,

(Schluß folgt)





rechnn N^"° Anmerkung hierzu lautet: „Das 16. Kapitel des Lukasevangeliums jvom unge¬
löste Z/^^ ""d vom reichen Manne und dem armen Lazarusj ist überhaupt das gefähr-
worden ist^ ^ öffentliche Ordnung unsers modernen Polizeistaats geschrieben
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[0397] Der Sinn des Christentums niemals entdeckt werden würden, daß niemcils elektrisches Licht die Straßen gewaltiger Städte bestrahlen und elektrische Kraft Wagen voll Menschen blitz¬ schnell befördern, daß Rafael niemals malen, Mozart niemals komponieren, Goethe niemals dichten würde, und daß von den Millionen Kinderaugen, die vorige Weihnachten die Wunder der Bescherung angestaunt, und von den Millionen Wangen, die der frische Lufthauch schöner klarer Wintertnge gerötet hat, nicht ein einziges wirklich da sein würde? Hilty hat den Schlüssel zu deu Schwierigkeiten, soweit solche ans Bibel Worten erwachsen, gefunden, gebraucht ihn aber nicht; er besteht in dem, was er über das Wort Christi von den Weltkindern, die in ihrer Art klüger seien als die Kinder des Lichts, I, 140 ausführt. Zunächst liege in diesem „ge¬ fährlichen"*) Worte eine große Anerkennung der Weltkinder, „Diese werden überhaupt nirgends in den Worten Christi so scharf behandelt, wie die Geist lichen von Beruf und die pharisäischen Frommen überhaupt. Ein Wort, wie das Matth, 21, 31 ansgesprochnc >die Zöllner und Hurer werden noch eher of Reich Gottes eingehn als ihrj, würde mau gegen sie vergeblich suchen. Auch gegen den Verkehr mit ihnen wird nirgends gewarnt, wie gegen den mit den damaligen Inhabern der offiziellen Frömmigkeit. Es sind Leute, die meist wissen, was sie wollen, und das, was sie sich vorgenommen haben, auch mit Nuß und Ausdauer, nnter Beiseitesctzuug alles Eutgegeustehcudeu verfolgen, 'wriu es ihnen die Kinder des Lichts, wenigstens in ihren ersten Anfangs¬ lagen, nnr selten gleichthun, Sie sind auch gar nicht unempfänglich gegen etwas Höheres und Besseres, und jedenfalls können sie sich darauf berufen, ^asi acht sie es vorzugsweise gewesen sind, die Kreuze und Scheiterhaufen für a>e Vekenner der Wahrheit errichtet haben. Man muß sich also unter Wclt- neern keineswegs ohne weiteres schlechte oder für das, was man Tugend ""'"t' ""empfängliche Leute vorstellen, Sie sind im Gegenteil meistens besser, a v sie siel) den Anschein geben zu sein, und es giebt unter ihnen sogar sehr v'cle umgekehrte Heuchler, die ihre besten Gedanken verbergen," Also es sind u'ehe die tüchtigen Weltleute, die Christus verdammt, »ut somit bedeutet auch ^ ^Mslentuiu leine Verdammung der Welt und der Weltgeschichte! die ^redende der gnostischen Stellen des Johanncsevangeliums, in denen der mil <- erscheint, lassen wir dahingestellt sein; ein Schrift- 'eder ,se auch er sieht in deu Evangelien nur ziemlich "Ngelhafte Berichte über die Lehre und das Leben Jesu, (Schluß folgt) rechnn N^"° Anmerkung hierzu lautet: „Das 16. Kapitel des Lukasevangeliums jvom unge¬ löste Z/^^ ""d vom reichen Manne und dem armen Lazarusj ist überhaupt das gefähr- worden ist^ ^ öffentliche Ordnung unsers modernen Polizeistaats geschrieben

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551/397>, abgerufen am 01.07.2024.