Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Der Sir", des e^nstewums

Augustus. Hills U'eiß das auch selbst; aber trotzdem er sich der Kirche gegen--
über die Unabhängigkeit und eine" freien, kühne" Blick wahrt, scheint er doch
"och zu sehr in kirchlichen Anschauungen befangen zu sein, als dnß er diese
Auffassung des Christentums folgerichtig durchführen konnte. Doch sind gerade
seine widersprechend klingenden Bemerkungen und Betrachtungen geeignet, uus
zur Klarheit zu verhelfen; wir wollen uns deshalb daran halten.

Daß die Gebote des Neuen Testaments für alle gelten, das; alle sie er¬
füllen können und zum Heil im christlichen Sinne Zugang haben, spricht er
oft aus. Meuscheuqebote, wie sie unverständige Eltern ihren Kindern und
Kirchen ihre" Bekennern auflegten. seien freilich oft ""erfüllbar. "Pünktlicher,
buchstäblicher Gehorsam für alle wirklich göttlichen Gebote, die alle ausführbar
siud, und gänzliche Verachtung und Ablehnung aller Meuschensatzungen, das
ist allein der Weg, auf dem jetzt unsre christlichen Konfessionen sich neuerdings
beleben könnten"'(II, 237). Gott sei wirklich getreu und lasse niemand über
seine Kräfte versucht werden. Eine die Willensfreiheit aufhebende erbliche Be¬
lastung anzunehmen, das nennt er II, 82 eine der größte" Gotteslästerungen.
deren sich ein Mensch schuldig mache" to.me. Das Christentum sei der einzige
Weg ->um Glück, der weder hervorragende Bildung noch außergewöhnliche
Charakterstärke erfordre "ud für jederman", uicht bloß für eine philosophische
Bildungöaristokratie vorhanden sei. Das Gute. heißt es I, 11", hätten die
ideellen Güter jedenfalls vor den materiellen voraus, daß sie ganz sicher und
jedermann zugänglich seien; man brauche sie nur zu wollen, lind I, 85 schreibt
er, die christliche Anschauung sei die einzige, die "nicht nur eine Elite der Mensch¬
heit, sondern ihr Ganzes derselben aus einem tierähnlichen Zustande zu einem
höhern Leben in vollkouuuuer Freiheit und Gleichheit zu hebe" versprechen
kann, und die dieses Versprechen in höherm Grade und in weiterer Ausdehnung
alö die klassische Philosophie gehalten hat." Da muß doch gleich daran erinnert
werden, daß zur Erhebung der Menschen aus einem tierähnlichen Zustande
weder Philosophie "och Christentum erforderlich ist. Die alten Griechen "ud
die Jtaliker -- von den Ägyptern und den Semiten Vorderasiens dürfte ähn¬
liches zu behaupten sei" haben vor ihrer Blütezeit allesamt ganz menschlich
gelebt, und wenn gerade vo" dieser Blütezeit an die überhandnehmende Sklaverei
eine" große" Teil der Bevölkerung in einen .ziemlich tierähnliche" Zustand
lwmbgedrückt hat, so haben wir ähnliches als Wirkung der gesellschaftlichen
Differenzierung innerhalb der Christenheit wiederholt erlebt; in tierische Roheit
versunken ist stellenweise die leibeigne Bauernbevölkerung Mitteleuropas, und
n"en Mcnschenschmntz wie den des dunkelsten Londons hat das mittelalterliche
C"glaub und noch das England Cromwells nicht gekannt; von der vollkommnen
Freiheit und Gleichheit aber ist das heutige Enropa noch so weit entfernt wie
etwa die Welt Homers. An einer andern Stelle, wo er davon spricht, daß°'e höchsten Güter des Christentums für alle bestimmt seien, setzt er einschränkend
'"inzipiell" hinzu; wenn aber das. was prinzipiell für alle bestimmt ist, thät¬
lich den meisten fehlt, so ist eben die Absicht des Stifters verfehlt worden.


Der Sir», des e^nstewums

Augustus. Hills U'eiß das auch selbst; aber trotzdem er sich der Kirche gegen--
über die Unabhängigkeit und eine» freien, kühne» Blick wahrt, scheint er doch
»och zu sehr in kirchlichen Anschauungen befangen zu sein, als dnß er diese
Auffassung des Christentums folgerichtig durchführen konnte. Doch sind gerade
seine widersprechend klingenden Bemerkungen und Betrachtungen geeignet, uus
zur Klarheit zu verhelfen; wir wollen uns deshalb daran halten.

Daß die Gebote des Neuen Testaments für alle gelten, das; alle sie er¬
füllen können und zum Heil im christlichen Sinne Zugang haben, spricht er
oft aus. Meuscheuqebote, wie sie unverständige Eltern ihren Kindern und
Kirchen ihre» Bekennern auflegten. seien freilich oft »»erfüllbar. „Pünktlicher,
buchstäblicher Gehorsam für alle wirklich göttlichen Gebote, die alle ausführbar
siud, und gänzliche Verachtung und Ablehnung aller Meuschensatzungen, das
ist allein der Weg, auf dem jetzt unsre christlichen Konfessionen sich neuerdings
beleben könnten"'(II, 237). Gott sei wirklich getreu und lasse niemand über
seine Kräfte versucht werden. Eine die Willensfreiheit aufhebende erbliche Be¬
lastung anzunehmen, das nennt er II, 82 eine der größte» Gotteslästerungen.
deren sich ein Mensch schuldig mache» to.me. Das Christentum sei der einzige
Weg ->um Glück, der weder hervorragende Bildung noch außergewöhnliche
Charakterstärke erfordre »ud für jederman», uicht bloß für eine philosophische
Bildungöaristokratie vorhanden sei. Das Gute. heißt es I, 11», hätten die
ideellen Güter jedenfalls vor den materiellen voraus, daß sie ganz sicher und
jedermann zugänglich seien; man brauche sie nur zu wollen, lind I, 85 schreibt
er, die christliche Anschauung sei die einzige, die „nicht nur eine Elite der Mensch¬
heit, sondern ihr Ganzes derselben aus einem tierähnlichen Zustande zu einem
höhern Leben in vollkouuuuer Freiheit und Gleichheit zu hebe» versprechen
kann, und die dieses Versprechen in höherm Grade und in weiterer Ausdehnung
alö die klassische Philosophie gehalten hat." Da muß doch gleich daran erinnert
werden, daß zur Erhebung der Menschen aus einem tierähnlichen Zustande
weder Philosophie »och Christentum erforderlich ist. Die alten Griechen »ud
die Jtaliker — von den Ägyptern und den Semiten Vorderasiens dürfte ähn¬
liches zu behaupten sei» haben vor ihrer Blütezeit allesamt ganz menschlich
gelebt, und wenn gerade vo» dieser Blütezeit an die überhandnehmende Sklaverei
eine» große» Teil der Bevölkerung in einen .ziemlich tierähnliche» Zustand
lwmbgedrückt hat, so haben wir ähnliches als Wirkung der gesellschaftlichen
Differenzierung innerhalb der Christenheit wiederholt erlebt; in tierische Roheit
versunken ist stellenweise die leibeigne Bauernbevölkerung Mitteleuropas, und
n»en Mcnschenschmntz wie den des dunkelsten Londons hat das mittelalterliche
C»glaub und noch das England Cromwells nicht gekannt; von der vollkommnen
Freiheit und Gleichheit aber ist das heutige Enropa noch so weit entfernt wie
etwa die Welt Homers. An einer andern Stelle, wo er davon spricht, daß°'e höchsten Güter des Christentums für alle bestimmt seien, setzt er einschränkend
'"inzipiell" hinzu; wenn aber das. was prinzipiell für alle bestimmt ist, thät¬
lich den meisten fehlt, so ist eben die Absicht des Stifters verfehlt worden.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0389" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/232941"/>
          <fw type="header" place="top"> Der Sir», des e^nstewums</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1225" prev="#ID_1224"> Augustus. Hills U'eiß das auch selbst; aber trotzdem er sich der Kirche gegen--<lb/>
über die Unabhängigkeit und eine» freien, kühne» Blick wahrt, scheint er doch<lb/>
»och zu sehr in kirchlichen Anschauungen befangen zu sein, als dnß er diese<lb/>
Auffassung des Christentums folgerichtig durchführen konnte. Doch sind gerade<lb/>
seine widersprechend klingenden Bemerkungen und Betrachtungen geeignet, uus<lb/>
zur Klarheit zu verhelfen; wir wollen uns deshalb daran halten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1226" next="#ID_1227"> Daß die Gebote des Neuen Testaments für alle gelten, das; alle sie er¬<lb/>
füllen können und zum Heil im christlichen Sinne Zugang haben, spricht er<lb/>
oft aus. Meuscheuqebote, wie sie unverständige Eltern ihren Kindern und<lb/>
Kirchen ihre» Bekennern auflegten. seien freilich oft »»erfüllbar. &#x201E;Pünktlicher,<lb/>
buchstäblicher Gehorsam für alle wirklich göttlichen Gebote, die alle ausführbar<lb/>
siud, und gänzliche Verachtung und Ablehnung aller Meuschensatzungen, das<lb/>
ist allein der Weg, auf dem jetzt unsre christlichen Konfessionen sich neuerdings<lb/>
beleben könnten"'(II, 237). Gott sei wirklich getreu und lasse niemand über<lb/>
seine Kräfte versucht werden. Eine die Willensfreiheit aufhebende erbliche Be¬<lb/>
lastung anzunehmen, das nennt er II, 82 eine der größte» Gotteslästerungen.<lb/>
deren sich ein Mensch schuldig mache» to.me. Das Christentum sei der einzige<lb/>
Weg -&gt;um Glück, der weder hervorragende Bildung noch außergewöhnliche<lb/>
Charakterstärke erfordre »ud für jederman», uicht bloß für eine philosophische<lb/>
Bildungöaristokratie vorhanden sei. Das Gute. heißt es I, 11», hätten die<lb/>
ideellen Güter jedenfalls vor den materiellen voraus, daß sie ganz sicher und<lb/>
jedermann zugänglich seien; man brauche sie nur zu wollen, lind I, 85 schreibt<lb/>
er, die christliche Anschauung sei die einzige, die &#x201E;nicht nur eine Elite der Mensch¬<lb/>
heit, sondern ihr Ganzes derselben aus einem tierähnlichen Zustande zu einem<lb/>
höhern Leben in vollkouuuuer Freiheit und Gleichheit zu hebe» versprechen<lb/>
kann, und die dieses Versprechen in höherm Grade und in weiterer Ausdehnung<lb/>
alö die klassische Philosophie gehalten hat." Da muß doch gleich daran erinnert<lb/>
werden, daß zur Erhebung der Menschen aus einem tierähnlichen Zustande<lb/>
weder Philosophie »och Christentum erforderlich ist. Die alten Griechen »ud<lb/>
die Jtaliker &#x2014; von den Ägyptern und den Semiten Vorderasiens dürfte ähn¬<lb/>
liches zu behaupten sei» haben vor ihrer Blütezeit allesamt ganz menschlich<lb/>
gelebt, und wenn gerade vo» dieser Blütezeit an die überhandnehmende Sklaverei<lb/>
eine» große» Teil der Bevölkerung in einen .ziemlich tierähnliche» Zustand<lb/>
lwmbgedrückt hat, so haben wir ähnliches als Wirkung der gesellschaftlichen<lb/>
Differenzierung innerhalb der Christenheit wiederholt erlebt; in tierische Roheit<lb/>
versunken ist stellenweise die leibeigne Bauernbevölkerung Mitteleuropas, und<lb/>
n»en Mcnschenschmntz wie den des dunkelsten Londons hat das mittelalterliche<lb/>
C»glaub und noch das England Cromwells nicht gekannt; von der vollkommnen<lb/>
Freiheit und Gleichheit aber ist das heutige Enropa noch so weit entfernt wie<lb/>
etwa die Welt Homers. An einer andern Stelle, wo er davon spricht, daß°'e höchsten Güter des Christentums für alle bestimmt seien, setzt er einschränkend<lb/>
'"inzipiell" hinzu; wenn aber das. was prinzipiell für alle bestimmt ist, thät¬<lb/>
lich den meisten fehlt, so ist eben die Absicht des Stifters verfehlt worden.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0389] Der Sir», des e^nstewums Augustus. Hills U'eiß das auch selbst; aber trotzdem er sich der Kirche gegen-- über die Unabhängigkeit und eine» freien, kühne» Blick wahrt, scheint er doch »och zu sehr in kirchlichen Anschauungen befangen zu sein, als dnß er diese Auffassung des Christentums folgerichtig durchführen konnte. Doch sind gerade seine widersprechend klingenden Bemerkungen und Betrachtungen geeignet, uus zur Klarheit zu verhelfen; wir wollen uns deshalb daran halten. Daß die Gebote des Neuen Testaments für alle gelten, das; alle sie er¬ füllen können und zum Heil im christlichen Sinne Zugang haben, spricht er oft aus. Meuscheuqebote, wie sie unverständige Eltern ihren Kindern und Kirchen ihre» Bekennern auflegten. seien freilich oft »»erfüllbar. „Pünktlicher, buchstäblicher Gehorsam für alle wirklich göttlichen Gebote, die alle ausführbar siud, und gänzliche Verachtung und Ablehnung aller Meuschensatzungen, das ist allein der Weg, auf dem jetzt unsre christlichen Konfessionen sich neuerdings beleben könnten"'(II, 237). Gott sei wirklich getreu und lasse niemand über seine Kräfte versucht werden. Eine die Willensfreiheit aufhebende erbliche Be¬ lastung anzunehmen, das nennt er II, 82 eine der größte» Gotteslästerungen. deren sich ein Mensch schuldig mache» to.me. Das Christentum sei der einzige Weg ->um Glück, der weder hervorragende Bildung noch außergewöhnliche Charakterstärke erfordre »ud für jederman», uicht bloß für eine philosophische Bildungöaristokratie vorhanden sei. Das Gute. heißt es I, 11», hätten die ideellen Güter jedenfalls vor den materiellen voraus, daß sie ganz sicher und jedermann zugänglich seien; man brauche sie nur zu wollen, lind I, 85 schreibt er, die christliche Anschauung sei die einzige, die „nicht nur eine Elite der Mensch¬ heit, sondern ihr Ganzes derselben aus einem tierähnlichen Zustande zu einem höhern Leben in vollkouuuuer Freiheit und Gleichheit zu hebe» versprechen kann, und die dieses Versprechen in höherm Grade und in weiterer Ausdehnung alö die klassische Philosophie gehalten hat." Da muß doch gleich daran erinnert werden, daß zur Erhebung der Menschen aus einem tierähnlichen Zustande weder Philosophie »och Christentum erforderlich ist. Die alten Griechen »ud die Jtaliker — von den Ägyptern und den Semiten Vorderasiens dürfte ähn¬ liches zu behaupten sei» haben vor ihrer Blütezeit allesamt ganz menschlich gelebt, und wenn gerade vo» dieser Blütezeit an die überhandnehmende Sklaverei eine» große» Teil der Bevölkerung in einen .ziemlich tierähnliche» Zustand lwmbgedrückt hat, so haben wir ähnliches als Wirkung der gesellschaftlichen Differenzierung innerhalb der Christenheit wiederholt erlebt; in tierische Roheit versunken ist stellenweise die leibeigne Bauernbevölkerung Mitteleuropas, und n»en Mcnschenschmntz wie den des dunkelsten Londons hat das mittelalterliche C»glaub und noch das England Cromwells nicht gekannt; von der vollkommnen Freiheit und Gleichheit aber ist das heutige Enropa noch so weit entfernt wie etwa die Welt Homers. An einer andern Stelle, wo er davon spricht, daß°'e höchsten Güter des Christentums für alle bestimmt seien, setzt er einschränkend '"inzipiell" hinzu; wenn aber das. was prinzipiell für alle bestimmt ist, thät¬ lich den meisten fehlt, so ist eben die Absicht des Stifters verfehlt worden.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551/389
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551/389>, abgerufen am 01.07.2024.