Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Kanonier Abraham

Die Rekruten traten etwas später ein als wir Einjährig-Freiwilligen; wir
hatten deshalb schon vor ihrer Ankunft etwas militärischen Schliff, waren mit den
tausend Kleinigkeiten des militärischen Lebens schon einigermaßen vertraut geworden
und wußten uns den Vorgesetzten gegenüber zu benehmen. Und obgleich der
Bahnhof in einer kleinen Garnison eine wenig angenehme Stätte für den jungen
Soldaten ist, so waren wir Einjährigen doch hinausgegangen, um uns die einrückenden
neuen Kameraden anzusehen. Der Rekruteuzug kam mit ziemlich großer Verspätung
ein. Der Feldwebel Rührte stand auf dem Bahnsteig und ließ die Augen von
einem Wagenfenster zum andern fliegen. Die begleitenden Unteroffiziere sprangen
aus den Coupes, und allmählich, langsam, schwerfällig kletterten auch die Rekruten
heraus -- eine bunt zusammengewürfelte Gesellschaft aus allen Lebenskreisen und
allen Gesellschaftsschichten. Sie waren schon in Reih und Glied aufgestellt, als
auch Sally Abraham im Cylinderhut und mit Glaceehandschuhen ausstieg; er sah
sich scheu um und wollte in den Wartesaal zweiter Klasse schlüpfen. Aber Ursule
hatte - ihn sogleich beim Wickel: Er sehe es ihm an, daß er der Rekrut Sally
Abraham sei. Er habe sich gefälligst in Reih und Glied zu stellen mit den übrigen
Mannschaften, die Standesunterschiede ans Grund lackierter Angströhren hörten hier
auf. Für Erfrischungen sei in der Kaserne reichlich gesorgt. Ein paar Kommandos
folgten, und die Rekruten rückten lautlos ab. Das eiserne Knsernenthor öffnete sich;
sie marschierten auf den Kasernenhof. Das Thor schloß sich. Für Sally Abraham
begann ein neuer Lebensabschnitt.

Als ich ihn um nächsten Tage über den Kasernenhof gehn sah im Drillich¬
anzug mit einer alten Feldmütze auf dem kurzgeschvrnen Kopf, erkannte ich ihn kaum
wieder. Die erste" militärischen Erlebnisse schienen für ihn nicht sehr ermutigend
gewesen zu sein, seine Persönlichkeit war dahin, denn er ging gebeugt, hatte den
Kopf vorgestreckt und zuckte mit den Händen. Erst als ein Unteroffizier ihm zurief:
Abraham, gehn Sie militärisch. Nehmen Sie die Nase aus dem Sand und zappeln
Sie nicht mit den Händen, als wollten Sie hier Aktien greifen! richtete er sich
auf, aber mit einem Gesichtsausdruck, als wollte er sagen: Ich werth versuchen,
aber was ihr hier von mir verlangt, das krieg ich mein Lebtag nicht fertig.

Und in der That, Sally war schon auf der Schule kein Freund körperlicher
Übungen und Anstrengungen gewesen; er hatte sich gewöhnlich, soweit es ging, von
den Turnstunden gedrückt. Seitdem einmal die halbe Quarta angestellt werden
mußte, um ihm beim Aufschwung über das Reck behilflich zu sein, und die meisten
ihm dabei weniger geholfen als ihn gekniffen hatten, war er nicht mehr auf diese
Marterstange zu bringen gewesen. Auch den Laufspielen war er ängstlich aus dem
Wege gegangen, weil er den vielleicht nicht unbegründeten Verdacht hatte, daß es
die Kameraden mehr erfreute, ihn zu Prügeln als einen andern Jungen. Aber
Man konnte nicht sagen, daß er immer feige war; manchmal packte ihn doch der
Mut der Verzweiflung, und dann schlug er wie toll um sich, trat mit deu Füßen
und hätte sein Opfer am liebsten erwürgen mögen. Er ließ dann nicht los, man
hatte ihn in Stücke schneiden können.

Was hätte er jetzt als Kanonier darum gegeben, wenn er am Querbaum einen
Ärschen Klimmzug hätte machen können; er wäre sicher in den Angen seiner Kame¬
raden und seiner Vorgesetzten sogleich um hundert Prozent gestiegen. So aber hing
er an den, Turngerät ohnmächtig, hilflos, verzweifelt, mit dem Augenaufschlag eiues
sterbenden Huhns -- wie Rührte sagte --, ohne Borax und Kraftbrühe, wie ein
'uit Papiergeld vollgestopfter Strumpf. Und neben ihm hing gewöhnlich Kanonier
Schimanski aus der Tuchter Heide, ebenso hilflos und ohnmächtig aber noch mehr
dem Schicksal ergeben, während Abraham doch noch zuweilen mit den Beinen gegen
die Luft stieß, in der Hoffnung, er könnte dadurch in höhere Regionen gelangen.


Kanonier Abraham

Die Rekruten traten etwas später ein als wir Einjährig-Freiwilligen; wir
hatten deshalb schon vor ihrer Ankunft etwas militärischen Schliff, waren mit den
tausend Kleinigkeiten des militärischen Lebens schon einigermaßen vertraut geworden
und wußten uns den Vorgesetzten gegenüber zu benehmen. Und obgleich der
Bahnhof in einer kleinen Garnison eine wenig angenehme Stätte für den jungen
Soldaten ist, so waren wir Einjährigen doch hinausgegangen, um uns die einrückenden
neuen Kameraden anzusehen. Der Rekruteuzug kam mit ziemlich großer Verspätung
ein. Der Feldwebel Rührte stand auf dem Bahnsteig und ließ die Augen von
einem Wagenfenster zum andern fliegen. Die begleitenden Unteroffiziere sprangen
aus den Coupes, und allmählich, langsam, schwerfällig kletterten auch die Rekruten
heraus — eine bunt zusammengewürfelte Gesellschaft aus allen Lebenskreisen und
allen Gesellschaftsschichten. Sie waren schon in Reih und Glied aufgestellt, als
auch Sally Abraham im Cylinderhut und mit Glaceehandschuhen ausstieg; er sah
sich scheu um und wollte in den Wartesaal zweiter Klasse schlüpfen. Aber Ursule
hatte - ihn sogleich beim Wickel: Er sehe es ihm an, daß er der Rekrut Sally
Abraham sei. Er habe sich gefälligst in Reih und Glied zu stellen mit den übrigen
Mannschaften, die Standesunterschiede ans Grund lackierter Angströhren hörten hier
auf. Für Erfrischungen sei in der Kaserne reichlich gesorgt. Ein paar Kommandos
folgten, und die Rekruten rückten lautlos ab. Das eiserne Knsernenthor öffnete sich;
sie marschierten auf den Kasernenhof. Das Thor schloß sich. Für Sally Abraham
begann ein neuer Lebensabschnitt.

Als ich ihn um nächsten Tage über den Kasernenhof gehn sah im Drillich¬
anzug mit einer alten Feldmütze auf dem kurzgeschvrnen Kopf, erkannte ich ihn kaum
wieder. Die erste» militärischen Erlebnisse schienen für ihn nicht sehr ermutigend
gewesen zu sein, seine Persönlichkeit war dahin, denn er ging gebeugt, hatte den
Kopf vorgestreckt und zuckte mit den Händen. Erst als ein Unteroffizier ihm zurief:
Abraham, gehn Sie militärisch. Nehmen Sie die Nase aus dem Sand und zappeln
Sie nicht mit den Händen, als wollten Sie hier Aktien greifen! richtete er sich
auf, aber mit einem Gesichtsausdruck, als wollte er sagen: Ich werth versuchen,
aber was ihr hier von mir verlangt, das krieg ich mein Lebtag nicht fertig.

Und in der That, Sally war schon auf der Schule kein Freund körperlicher
Übungen und Anstrengungen gewesen; er hatte sich gewöhnlich, soweit es ging, von
den Turnstunden gedrückt. Seitdem einmal die halbe Quarta angestellt werden
mußte, um ihm beim Aufschwung über das Reck behilflich zu sein, und die meisten
ihm dabei weniger geholfen als ihn gekniffen hatten, war er nicht mehr auf diese
Marterstange zu bringen gewesen. Auch den Laufspielen war er ängstlich aus dem
Wege gegangen, weil er den vielleicht nicht unbegründeten Verdacht hatte, daß es
die Kameraden mehr erfreute, ihn zu Prügeln als einen andern Jungen. Aber
Man konnte nicht sagen, daß er immer feige war; manchmal packte ihn doch der
Mut der Verzweiflung, und dann schlug er wie toll um sich, trat mit deu Füßen
und hätte sein Opfer am liebsten erwürgen mögen. Er ließ dann nicht los, man
hatte ihn in Stücke schneiden können.

Was hätte er jetzt als Kanonier darum gegeben, wenn er am Querbaum einen
Ärschen Klimmzug hätte machen können; er wäre sicher in den Angen seiner Kame¬
raden und seiner Vorgesetzten sogleich um hundert Prozent gestiegen. So aber hing
er an den, Turngerät ohnmächtig, hilflos, verzweifelt, mit dem Augenaufschlag eiues
sterbenden Huhns — wie Rührte sagte —, ohne Borax und Kraftbrühe, wie ein
'uit Papiergeld vollgestopfter Strumpf. Und neben ihm hing gewöhnlich Kanonier
Schimanski aus der Tuchter Heide, ebenso hilflos und ohnmächtig aber noch mehr
dem Schicksal ergeben, während Abraham doch noch zuweilen mit den Beinen gegen
die Luft stieß, in der Hoffnung, er könnte dadurch in höhere Regionen gelangen.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0359" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/232911"/>
          <fw type="header" place="top"> Kanonier Abraham</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1105"> Die Rekruten traten etwas später ein als wir Einjährig-Freiwilligen; wir<lb/>
hatten deshalb schon vor ihrer Ankunft etwas militärischen Schliff, waren mit den<lb/>
tausend Kleinigkeiten des militärischen Lebens schon einigermaßen vertraut geworden<lb/>
und wußten uns den Vorgesetzten gegenüber zu benehmen. Und obgleich der<lb/>
Bahnhof in einer kleinen Garnison eine wenig angenehme Stätte für den jungen<lb/>
Soldaten ist, so waren wir Einjährigen doch hinausgegangen, um uns die einrückenden<lb/>
neuen Kameraden anzusehen. Der Rekruteuzug kam mit ziemlich großer Verspätung<lb/>
ein. Der Feldwebel Rührte stand auf dem Bahnsteig und ließ die Augen von<lb/>
einem Wagenfenster zum andern fliegen. Die begleitenden Unteroffiziere sprangen<lb/>
aus den Coupes, und allmählich, langsam, schwerfällig kletterten auch die Rekruten<lb/>
heraus &#x2014; eine bunt zusammengewürfelte Gesellschaft aus allen Lebenskreisen und<lb/>
allen Gesellschaftsschichten. Sie waren schon in Reih und Glied aufgestellt, als<lb/>
auch Sally Abraham im Cylinderhut und mit Glaceehandschuhen ausstieg; er sah<lb/>
sich scheu um und wollte in den Wartesaal zweiter Klasse schlüpfen. Aber Ursule<lb/>
hatte - ihn sogleich beim Wickel: Er sehe es ihm an, daß er der Rekrut Sally<lb/>
Abraham sei. Er habe sich gefälligst in Reih und Glied zu stellen mit den übrigen<lb/>
Mannschaften, die Standesunterschiede ans Grund lackierter Angströhren hörten hier<lb/>
auf. Für Erfrischungen sei in der Kaserne reichlich gesorgt. Ein paar Kommandos<lb/>
folgten, und die Rekruten rückten lautlos ab. Das eiserne Knsernenthor öffnete sich;<lb/>
sie marschierten auf den Kasernenhof. Das Thor schloß sich. Für Sally Abraham<lb/>
begann ein neuer Lebensabschnitt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1106"> Als ich ihn um nächsten Tage über den Kasernenhof gehn sah im Drillich¬<lb/>
anzug mit einer alten Feldmütze auf dem kurzgeschvrnen Kopf, erkannte ich ihn kaum<lb/>
wieder. Die erste» militärischen Erlebnisse schienen für ihn nicht sehr ermutigend<lb/>
gewesen zu sein, seine Persönlichkeit war dahin, denn er ging gebeugt, hatte den<lb/>
Kopf vorgestreckt und zuckte mit den Händen. Erst als ein Unteroffizier ihm zurief:<lb/>
Abraham, gehn Sie militärisch. Nehmen Sie die Nase aus dem Sand und zappeln<lb/>
Sie nicht mit den Händen, als wollten Sie hier Aktien greifen! richtete er sich<lb/>
auf, aber mit einem Gesichtsausdruck, als wollte er sagen: Ich werth versuchen,<lb/>
aber was ihr hier von mir verlangt, das krieg ich mein Lebtag nicht fertig.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1107"> Und in der That, Sally war schon auf der Schule kein Freund körperlicher<lb/>
Übungen und Anstrengungen gewesen; er hatte sich gewöhnlich, soweit es ging, von<lb/>
den Turnstunden gedrückt. Seitdem einmal die halbe Quarta angestellt werden<lb/>
mußte, um ihm beim Aufschwung über das Reck behilflich zu sein, und die meisten<lb/>
ihm dabei weniger geholfen als ihn gekniffen hatten, war er nicht mehr auf diese<lb/>
Marterstange zu bringen gewesen. Auch den Laufspielen war er ängstlich aus dem<lb/>
Wege gegangen, weil er den vielleicht nicht unbegründeten Verdacht hatte, daß es<lb/>
die Kameraden mehr erfreute, ihn zu Prügeln als einen andern Jungen. Aber<lb/>
Man konnte nicht sagen, daß er immer feige war; manchmal packte ihn doch der<lb/>
Mut der Verzweiflung, und dann schlug er wie toll um sich, trat mit deu Füßen<lb/>
und hätte sein Opfer am liebsten erwürgen mögen. Er ließ dann nicht los, man<lb/>
hatte ihn in Stücke schneiden können.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1108"> Was hätte er jetzt als Kanonier darum gegeben, wenn er am Querbaum einen<lb/>
Ärschen Klimmzug hätte machen können; er wäre sicher in den Angen seiner Kame¬<lb/>
raden und seiner Vorgesetzten sogleich um hundert Prozent gestiegen. So aber hing<lb/>
er an den, Turngerät ohnmächtig, hilflos, verzweifelt, mit dem Augenaufschlag eiues<lb/>
sterbenden Huhns &#x2014; wie Rührte sagte &#x2014;, ohne Borax und Kraftbrühe, wie ein<lb/>
'uit Papiergeld vollgestopfter Strumpf. Und neben ihm hing gewöhnlich Kanonier<lb/>
Schimanski aus der Tuchter Heide, ebenso hilflos und ohnmächtig aber noch mehr<lb/>
dem Schicksal ergeben, während Abraham doch noch zuweilen mit den Beinen gegen<lb/>
die Luft stieß, in der Hoffnung, er könnte dadurch in höhere Regionen gelangen.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0359] Kanonier Abraham Die Rekruten traten etwas später ein als wir Einjährig-Freiwilligen; wir hatten deshalb schon vor ihrer Ankunft etwas militärischen Schliff, waren mit den tausend Kleinigkeiten des militärischen Lebens schon einigermaßen vertraut geworden und wußten uns den Vorgesetzten gegenüber zu benehmen. Und obgleich der Bahnhof in einer kleinen Garnison eine wenig angenehme Stätte für den jungen Soldaten ist, so waren wir Einjährigen doch hinausgegangen, um uns die einrückenden neuen Kameraden anzusehen. Der Rekruteuzug kam mit ziemlich großer Verspätung ein. Der Feldwebel Rührte stand auf dem Bahnsteig und ließ die Augen von einem Wagenfenster zum andern fliegen. Die begleitenden Unteroffiziere sprangen aus den Coupes, und allmählich, langsam, schwerfällig kletterten auch die Rekruten heraus — eine bunt zusammengewürfelte Gesellschaft aus allen Lebenskreisen und allen Gesellschaftsschichten. Sie waren schon in Reih und Glied aufgestellt, als auch Sally Abraham im Cylinderhut und mit Glaceehandschuhen ausstieg; er sah sich scheu um und wollte in den Wartesaal zweiter Klasse schlüpfen. Aber Ursule hatte - ihn sogleich beim Wickel: Er sehe es ihm an, daß er der Rekrut Sally Abraham sei. Er habe sich gefälligst in Reih und Glied zu stellen mit den übrigen Mannschaften, die Standesunterschiede ans Grund lackierter Angströhren hörten hier auf. Für Erfrischungen sei in der Kaserne reichlich gesorgt. Ein paar Kommandos folgten, und die Rekruten rückten lautlos ab. Das eiserne Knsernenthor öffnete sich; sie marschierten auf den Kasernenhof. Das Thor schloß sich. Für Sally Abraham begann ein neuer Lebensabschnitt. Als ich ihn um nächsten Tage über den Kasernenhof gehn sah im Drillich¬ anzug mit einer alten Feldmütze auf dem kurzgeschvrnen Kopf, erkannte ich ihn kaum wieder. Die erste» militärischen Erlebnisse schienen für ihn nicht sehr ermutigend gewesen zu sein, seine Persönlichkeit war dahin, denn er ging gebeugt, hatte den Kopf vorgestreckt und zuckte mit den Händen. Erst als ein Unteroffizier ihm zurief: Abraham, gehn Sie militärisch. Nehmen Sie die Nase aus dem Sand und zappeln Sie nicht mit den Händen, als wollten Sie hier Aktien greifen! richtete er sich auf, aber mit einem Gesichtsausdruck, als wollte er sagen: Ich werth versuchen, aber was ihr hier von mir verlangt, das krieg ich mein Lebtag nicht fertig. Und in der That, Sally war schon auf der Schule kein Freund körperlicher Übungen und Anstrengungen gewesen; er hatte sich gewöhnlich, soweit es ging, von den Turnstunden gedrückt. Seitdem einmal die halbe Quarta angestellt werden mußte, um ihm beim Aufschwung über das Reck behilflich zu sein, und die meisten ihm dabei weniger geholfen als ihn gekniffen hatten, war er nicht mehr auf diese Marterstange zu bringen gewesen. Auch den Laufspielen war er ängstlich aus dem Wege gegangen, weil er den vielleicht nicht unbegründeten Verdacht hatte, daß es die Kameraden mehr erfreute, ihn zu Prügeln als einen andern Jungen. Aber Man konnte nicht sagen, daß er immer feige war; manchmal packte ihn doch der Mut der Verzweiflung, und dann schlug er wie toll um sich, trat mit deu Füßen und hätte sein Opfer am liebsten erwürgen mögen. Er ließ dann nicht los, man hatte ihn in Stücke schneiden können. Was hätte er jetzt als Kanonier darum gegeben, wenn er am Querbaum einen Ärschen Klimmzug hätte machen können; er wäre sicher in den Angen seiner Kame¬ raden und seiner Vorgesetzten sogleich um hundert Prozent gestiegen. So aber hing er an den, Turngerät ohnmächtig, hilflos, verzweifelt, mit dem Augenaufschlag eiues sterbenden Huhns — wie Rührte sagte —, ohne Borax und Kraftbrühe, wie ein 'uit Papiergeld vollgestopfter Strumpf. Und neben ihm hing gewöhnlich Kanonier Schimanski aus der Tuchter Heide, ebenso hilflos und ohnmächtig aber noch mehr dem Schicksal ergeben, während Abraham doch noch zuweilen mit den Beinen gegen die Luft stieß, in der Hoffnung, er könnte dadurch in höhere Regionen gelangen.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551/359
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551/359>, abgerufen am 04.07.2024.