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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr.

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Die Verdopplung der deutschen Schlachtflotto

53,3 Millionen); ja sogar der Verkehr mit Ländern des europäischen Festlandes,
wie der Türkei, Griechenland und Italien bewegt sich größtenteils zur See.
Den Gesamtwert berechnete man 1894 auf 4862 Millionen, 1898 aber auf
6582 Millionen. Unter allen Großstaaten steht Deutschland in der prozentualen
Zunahme seines Handels an erster Stelle. Da der Seehandel den Austausch
vornehmlich der deutschen Jndustrieerzeugnisse mit ausländischen Rohprodukten
besorgt, so sind an seinem Bestände alle Erwerbszweige mehr oder weniger
stark beteiligt, von ihm hängt also die Existenz von Millionen von Menschen
ganz unmittelbar ab, denn alle deutschen Industrien sind auf den Export an¬
gewiesen, Deutschland kann also ohne den Export gar nicht mehr leben. Man
mag diese Wendung preisen oder beklagen, sie ist eine harte Thatsache, die
entscheidende Thatsache der wirtschaftlichen Entwicklung Deutschlands am Ende
des neunzehnten Jahrhunderts.

Indem die amtliche Denkschrift "Die Steigerung der deutschen Seeinteresseu
von 1896 bis 1898," die der Novelle zum Flottengesetz vom 10. April 1898
beigegeben ist, aus diesem umfänglichen statistischen Material, dein die obigen
Zahlen entlehnt sind, den unerhörten Aufschwung der deutschen Seeinteressen an
der Hand unwiderleglicher Zählen nachweist, verzichtet sie doch auf die Betonung
der Gründe, weil das nicht ihre Sache ist. Sie liegen auf der Hand und sind
dem Auslande vielleicht klarer als uns selbst. Wie es 1870/71 erstaunt war
über die plötzliche, unwiderstehliche Entfaltung der politischen und militärischen
Kräfte Deutschlands, so sieht es jetzt mit Sorge und Eifersucht diesem wuchtigen
Hervorbrechen unsrer wirtschaftlichen Kräfte zu und fragt sich: Woher kommt
das? Nun, zuerst natürlich von der Begründung des Deutschen Reichs, das
seinen Volksgenossen eine einheitliche energische Vertretung nach außen ver¬
schaffte und sie mit dem lange entbehrten stolzen Bewußtsein erfüllte, einer
großen, mächtigen, geachteten Nation anzugehören. Die Vorwürfe, die in den
letzten Jahren der Reichsregierung häusig gemacht worden sind, als ob sie da
und dort die deutschen Interessen nicht kräftig genug schütze, waren zwar nach
Lage der Sache ungerechtfertigt, aber erfreulich, insofern als sie einer Er¬
starkung unsers nationalen Selbstbewußtseins entsprangen, das jede Schädigung
schmerzlich empfand. Doch das Deutsche Reich wäre unmöglich gewesen ohne die
längst bestehende wirtschaftliche Einigung der Nation im Zollverein, also ohne
den energischen Aufschwung und die geduldige Arbeit vieler Jahrzehnte. Und
diese Leistungsfähigkeit der deutschen Arbeit beruht zu einem guten Teile auf
dem hohen Stande unsrer Volksbildung. Wenn man 1866 sagte, bei Königgrätz
habe der preußische Schulmeister gesiegt, so könnte man jetzt, ebenso einseitig und
übertrieben, aber mit demselben Rechte sagen: in dem ungeahnten Aufschwünge
unsers Weltverkehrs und also unsrer Weltstellung siegt die deutsche Schule
aller Stufen. Das sehen die Fremden sehr wohl ein, und deshalb verzweifeln
sie uns nachzuahmen, denn sie wissen, daß auch diese Leistungsfähigkeit ans
der geduldigen Arbeit nicht von Jahrzehnten, fondern von Generationen beruht.
Aber eins sehen sie nicht, und das können sie auch nicht ändern, das ist die


Die Verdopplung der deutschen Schlachtflotto

53,3 Millionen); ja sogar der Verkehr mit Ländern des europäischen Festlandes,
wie der Türkei, Griechenland und Italien bewegt sich größtenteils zur See.
Den Gesamtwert berechnete man 1894 auf 4862 Millionen, 1898 aber auf
6582 Millionen. Unter allen Großstaaten steht Deutschland in der prozentualen
Zunahme seines Handels an erster Stelle. Da der Seehandel den Austausch
vornehmlich der deutschen Jndustrieerzeugnisse mit ausländischen Rohprodukten
besorgt, so sind an seinem Bestände alle Erwerbszweige mehr oder weniger
stark beteiligt, von ihm hängt also die Existenz von Millionen von Menschen
ganz unmittelbar ab, denn alle deutschen Industrien sind auf den Export an¬
gewiesen, Deutschland kann also ohne den Export gar nicht mehr leben. Man
mag diese Wendung preisen oder beklagen, sie ist eine harte Thatsache, die
entscheidende Thatsache der wirtschaftlichen Entwicklung Deutschlands am Ende
des neunzehnten Jahrhunderts.

Indem die amtliche Denkschrift „Die Steigerung der deutschen Seeinteresseu
von 1896 bis 1898," die der Novelle zum Flottengesetz vom 10. April 1898
beigegeben ist, aus diesem umfänglichen statistischen Material, dein die obigen
Zahlen entlehnt sind, den unerhörten Aufschwung der deutschen Seeinteressen an
der Hand unwiderleglicher Zählen nachweist, verzichtet sie doch auf die Betonung
der Gründe, weil das nicht ihre Sache ist. Sie liegen auf der Hand und sind
dem Auslande vielleicht klarer als uns selbst. Wie es 1870/71 erstaunt war
über die plötzliche, unwiderstehliche Entfaltung der politischen und militärischen
Kräfte Deutschlands, so sieht es jetzt mit Sorge und Eifersucht diesem wuchtigen
Hervorbrechen unsrer wirtschaftlichen Kräfte zu und fragt sich: Woher kommt
das? Nun, zuerst natürlich von der Begründung des Deutschen Reichs, das
seinen Volksgenossen eine einheitliche energische Vertretung nach außen ver¬
schaffte und sie mit dem lange entbehrten stolzen Bewußtsein erfüllte, einer
großen, mächtigen, geachteten Nation anzugehören. Die Vorwürfe, die in den
letzten Jahren der Reichsregierung häusig gemacht worden sind, als ob sie da
und dort die deutschen Interessen nicht kräftig genug schütze, waren zwar nach
Lage der Sache ungerechtfertigt, aber erfreulich, insofern als sie einer Er¬
starkung unsers nationalen Selbstbewußtseins entsprangen, das jede Schädigung
schmerzlich empfand. Doch das Deutsche Reich wäre unmöglich gewesen ohne die
längst bestehende wirtschaftliche Einigung der Nation im Zollverein, also ohne
den energischen Aufschwung und die geduldige Arbeit vieler Jahrzehnte. Und
diese Leistungsfähigkeit der deutschen Arbeit beruht zu einem guten Teile auf
dem hohen Stande unsrer Volksbildung. Wenn man 1866 sagte, bei Königgrätz
habe der preußische Schulmeister gesiegt, so könnte man jetzt, ebenso einseitig und
übertrieben, aber mit demselben Rechte sagen: in dem ungeahnten Aufschwünge
unsers Weltverkehrs und also unsrer Weltstellung siegt die deutsche Schule
aller Stufen. Das sehen die Fremden sehr wohl ein, und deshalb verzweifeln
sie uns nachzuahmen, denn sie wissen, daß auch diese Leistungsfähigkeit ans
der geduldigen Arbeit nicht von Jahrzehnten, fondern von Generationen beruht.
Aber eins sehen sie nicht, und das können sie auch nicht ändern, das ist die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551/316>, abgerufen am 04.07.2024.