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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr.

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Die Verdopplung der deutschen Schlachtflotte

Ländern, oder die Portugals und Englands in Indien während des sechzehnten
und siebzehnten Jahrhunderts wollte die Länder nur ausnutzen, aber durchaus
nicht auf eine höhere Stufe der Kultur emporheben. Uneigennützig sind
natürlich auch die modernen Unternehmungen nicht und können es gar nicht
sein, aber in China sind Rußland, Deutschland, England, Frankreich an der
Arbeit, gewaltige Eisenbahnlinien zu bauen, in Persien hat sich Rußland schon
ein Vorrecht auf solche Anlagen vertragsmäßig gesichert, im türkischen Asien
ist es Deutschland soeben gelungen, zu den anatolischen Eisenbahnlinien, die
es bis 1897 gebant hat, die Konzession für die ungeheure Strecke von Koma
bis Bagdad und Bassora, etwa 2000 Kilometer, zu erringen, die einen Auf¬
wand von mindestens 800 Millionen Mark erfordern wird. Nun, Gasanstalten
und Straßenbahnen haben schon früher englische Gesellschaften in vielen fest¬
ländischen Städten gebaut, aber das Eigentümliche dieser modernsten Unter¬
nehmungen ist, daß sie auf Verträgen mit der Landesregierung beruhn, daß
die herrische Regierung hinter ihnen steht, daß deren politischer Einfluß auf
die Landesherrschaft die Verträge überhaupt erst ermöglicht, sie also von An¬
fang an nicht als rein wirtschaftliche erscheinen. Daß vielmehr in China und
Persien die fremden Mächte, deren Angehörige diese Eisenbahnen banen oder
bauen wollen, dabei auch an politische Zwecke denken, liegt ans der Hand, und
die Bedeutung der anatolisch-mesopotamisehen Bahn besteht gerade darin, daß
sie nicht nur der kürzeste Weg nach Indien und ganz Südasien sein wird, wie
die sibirische Bahn nach Ostasien, sondern darin, daß sich mit ihr zwischen die
beiden in Asien rivalisierenden Riesenmächte England und Rußland eine dritte
Macht einschiebt, die damit ihren Anspruch an der großen Erbschaftsregulie¬
rung in Vorderasien stillschweigend, aber sehr nachdrücklich anmeldet, nämlich
Deutschland im Blinde mit Frankreich. Diese sozusagen kapitalistische Koko
uisation bedarf zunächst nicht einer bäuerlichen, ans Ackerbau gerichteten Zu-
wnndrung, für die wir gegenwärtig bei unsrer schwachen Auswaudruug (1894
noch 37000, 1896 nur noch 21000 Köpfe) und der "Leutenot" im Osten
kaum viel .Kräfte übrig haben, sondern vielmehr des Zuzngs gebildeter, zur
Leitung, zur Herrschaft berufner Kräfte, von Kaufleuten, Ingenieuren, Fabri¬
kanten, Beamten n. dergl., und an solchen haben wir gerade in Deutschland
Überfluß. So bildet sich allmählich -- oder kann sich wenigstens bilden --
eine neue geistige Aristokratie fremden Ursprungs, die immer mehr die Herr¬
schaft über das Wirtschaftsleben des Landes in die Hand nimmt. Ob sich
daran einmal eine politische Herrschaft anschließen wird, kann heilte noch
niemand sagen; aber es ziemt sich weder, sich diese Möglichkeit zu verschleiern,
noch sie jetzt als die Hauptsache zu betrachten.

Alles das, was über See in diesen großen Unternehmungen angelegt ist
-- gegenwärtig etwa 7^/z Milliarden Mark --, alle die Hunderttausende und
Millionen von Deutschen, die sich draußen als solche fühlen, mögen sie unter
deutscher Flagge wohnen oder unter fremder, hat der Kaiser zusammengefaßt
unter dem Namen des "größern Deutschlands," und er hat es als eine der


Die Verdopplung der deutschen Schlachtflotte

Ländern, oder die Portugals und Englands in Indien während des sechzehnten
und siebzehnten Jahrhunderts wollte die Länder nur ausnutzen, aber durchaus
nicht auf eine höhere Stufe der Kultur emporheben. Uneigennützig sind
natürlich auch die modernen Unternehmungen nicht und können es gar nicht
sein, aber in China sind Rußland, Deutschland, England, Frankreich an der
Arbeit, gewaltige Eisenbahnlinien zu bauen, in Persien hat sich Rußland schon
ein Vorrecht auf solche Anlagen vertragsmäßig gesichert, im türkischen Asien
ist es Deutschland soeben gelungen, zu den anatolischen Eisenbahnlinien, die
es bis 1897 gebant hat, die Konzession für die ungeheure Strecke von Koma
bis Bagdad und Bassora, etwa 2000 Kilometer, zu erringen, die einen Auf¬
wand von mindestens 800 Millionen Mark erfordern wird. Nun, Gasanstalten
und Straßenbahnen haben schon früher englische Gesellschaften in vielen fest¬
ländischen Städten gebaut, aber das Eigentümliche dieser modernsten Unter¬
nehmungen ist, daß sie auf Verträgen mit der Landesregierung beruhn, daß
die herrische Regierung hinter ihnen steht, daß deren politischer Einfluß auf
die Landesherrschaft die Verträge überhaupt erst ermöglicht, sie also von An¬
fang an nicht als rein wirtschaftliche erscheinen. Daß vielmehr in China und
Persien die fremden Mächte, deren Angehörige diese Eisenbahnen banen oder
bauen wollen, dabei auch an politische Zwecke denken, liegt ans der Hand, und
die Bedeutung der anatolisch-mesopotamisehen Bahn besteht gerade darin, daß
sie nicht nur der kürzeste Weg nach Indien und ganz Südasien sein wird, wie
die sibirische Bahn nach Ostasien, sondern darin, daß sich mit ihr zwischen die
beiden in Asien rivalisierenden Riesenmächte England und Rußland eine dritte
Macht einschiebt, die damit ihren Anspruch an der großen Erbschaftsregulie¬
rung in Vorderasien stillschweigend, aber sehr nachdrücklich anmeldet, nämlich
Deutschland im Blinde mit Frankreich. Diese sozusagen kapitalistische Koko
uisation bedarf zunächst nicht einer bäuerlichen, ans Ackerbau gerichteten Zu-
wnndrung, für die wir gegenwärtig bei unsrer schwachen Auswaudruug (1894
noch 37000, 1896 nur noch 21000 Köpfe) und der „Leutenot" im Osten
kaum viel .Kräfte übrig haben, sondern vielmehr des Zuzngs gebildeter, zur
Leitung, zur Herrschaft berufner Kräfte, von Kaufleuten, Ingenieuren, Fabri¬
kanten, Beamten n. dergl., und an solchen haben wir gerade in Deutschland
Überfluß. So bildet sich allmählich — oder kann sich wenigstens bilden —
eine neue geistige Aristokratie fremden Ursprungs, die immer mehr die Herr¬
schaft über das Wirtschaftsleben des Landes in die Hand nimmt. Ob sich
daran einmal eine politische Herrschaft anschließen wird, kann heilte noch
niemand sagen; aber es ziemt sich weder, sich diese Möglichkeit zu verschleiern,
noch sie jetzt als die Hauptsache zu betrachten.

Alles das, was über See in diesen großen Unternehmungen angelegt ist
— gegenwärtig etwa 7^/z Milliarden Mark —, alle die Hunderttausende und
Millionen von Deutschen, die sich draußen als solche fühlen, mögen sie unter
deutscher Flagge wohnen oder unter fremder, hat der Kaiser zusammengefaßt
unter dem Namen des „größern Deutschlands," und er hat es als eine der


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[0314] Die Verdopplung der deutschen Schlachtflotte Ländern, oder die Portugals und Englands in Indien während des sechzehnten und siebzehnten Jahrhunderts wollte die Länder nur ausnutzen, aber durchaus nicht auf eine höhere Stufe der Kultur emporheben. Uneigennützig sind natürlich auch die modernen Unternehmungen nicht und können es gar nicht sein, aber in China sind Rußland, Deutschland, England, Frankreich an der Arbeit, gewaltige Eisenbahnlinien zu bauen, in Persien hat sich Rußland schon ein Vorrecht auf solche Anlagen vertragsmäßig gesichert, im türkischen Asien ist es Deutschland soeben gelungen, zu den anatolischen Eisenbahnlinien, die es bis 1897 gebant hat, die Konzession für die ungeheure Strecke von Koma bis Bagdad und Bassora, etwa 2000 Kilometer, zu erringen, die einen Auf¬ wand von mindestens 800 Millionen Mark erfordern wird. Nun, Gasanstalten und Straßenbahnen haben schon früher englische Gesellschaften in vielen fest¬ ländischen Städten gebaut, aber das Eigentümliche dieser modernsten Unter¬ nehmungen ist, daß sie auf Verträgen mit der Landesregierung beruhn, daß die herrische Regierung hinter ihnen steht, daß deren politischer Einfluß auf die Landesherrschaft die Verträge überhaupt erst ermöglicht, sie also von An¬ fang an nicht als rein wirtschaftliche erscheinen. Daß vielmehr in China und Persien die fremden Mächte, deren Angehörige diese Eisenbahnen banen oder bauen wollen, dabei auch an politische Zwecke denken, liegt ans der Hand, und die Bedeutung der anatolisch-mesopotamisehen Bahn besteht gerade darin, daß sie nicht nur der kürzeste Weg nach Indien und ganz Südasien sein wird, wie die sibirische Bahn nach Ostasien, sondern darin, daß sich mit ihr zwischen die beiden in Asien rivalisierenden Riesenmächte England und Rußland eine dritte Macht einschiebt, die damit ihren Anspruch an der großen Erbschaftsregulie¬ rung in Vorderasien stillschweigend, aber sehr nachdrücklich anmeldet, nämlich Deutschland im Blinde mit Frankreich. Diese sozusagen kapitalistische Koko uisation bedarf zunächst nicht einer bäuerlichen, ans Ackerbau gerichteten Zu- wnndrung, für die wir gegenwärtig bei unsrer schwachen Auswaudruug (1894 noch 37000, 1896 nur noch 21000 Köpfe) und der „Leutenot" im Osten kaum viel .Kräfte übrig haben, sondern vielmehr des Zuzngs gebildeter, zur Leitung, zur Herrschaft berufner Kräfte, von Kaufleuten, Ingenieuren, Fabri¬ kanten, Beamten n. dergl., und an solchen haben wir gerade in Deutschland Überfluß. So bildet sich allmählich — oder kann sich wenigstens bilden — eine neue geistige Aristokratie fremden Ursprungs, die immer mehr die Herr¬ schaft über das Wirtschaftsleben des Landes in die Hand nimmt. Ob sich daran einmal eine politische Herrschaft anschließen wird, kann heilte noch niemand sagen; aber es ziemt sich weder, sich diese Möglichkeit zu verschleiern, noch sie jetzt als die Hauptsache zu betrachten. Alles das, was über See in diesen großen Unternehmungen angelegt ist — gegenwärtig etwa 7^/z Milliarden Mark —, alle die Hunderttausende und Millionen von Deutschen, die sich draußen als solche fühlen, mögen sie unter deutscher Flagge wohnen oder unter fremder, hat der Kaiser zusammengefaßt unter dem Namen des „größern Deutschlands," und er hat es als eine der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551/314>, abgerufen am 02.07.2024.