Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
An der Schwelle des (Orients

zu lenken. Mit Recht ist deshalb gesagt worden, die eigentliche orientalische
Frage datiere von den Niederlagen Österreichs in den Jahren 1737 bis 1739
und dem Frieden von Belgrad, der sie besiegelte, und mit dem es endgiltig
Halt machte an der Schwelle des Orients.

Wenn ich die oben geschilderte Strecke zwischen Belgrad und Orsova als
die Schwelle des Orients bezeichnet habe, so ist es deshalb geschehn, weil hier
die beiden Haupthandels- und Heerstraßen von der Tiefebne Ungarns, das
der westeuropäische" Kultur durch deutsche Kraft angegliedert worden ist, aus¬
gehn, deren eine in Belgrad und bei Semendria die Donan verlassend süd¬
wärts nach Risch führt, sich hier gabelt in die über Üsküb nach Salonik
ans Ägäische Meer und in die über Sofia, Philippopel und Adrianopel nach
Stambul an den Bosporus führenden Wege. Die andre Hauptstraße läuft
von Orsova ans in die weite rumänische Ebne und führt durch sie an das
Schwarze Meer. Jenseits von dieser Strecke liegt auch heute noch der Orient.
Österreich, das am Ende des siebzehnten und zu Beginn des achtzehnten Jahr¬
hunderts vorübergehend über diese Linie hinaus erobernd vorgedrungen ist,
verlor durch die Unfähigkeit und Zaghaftigkeit seiner Heerführer und Uuter-
häudler im Frieden von Belgrad alles wieder, was es jenseits dieser Strecke
durch die Thatkraft deutscher Fürsten und das Genie des Prinzen Eugen von
Savoyen erworben hatte, sowohl die nördliche Hälfte des heutigen Serbiens
als die westliche Hälfte von Rumänien, das es von 1717 bis 1739 bis an den
Alt besessen hatte; und auch in dem mit Nußland gemeinsam geführten Kriege von
1788 bis 1790 gelang es ihm nicht mehr, dauernd über diese Schwelle des
Orients hinauszudrängen, sondern es mußte sich im Frieden von Sischvwa
(1791) mit der Erhaltung seines vorherigen Besitzes begnügen. Aber dank
der weitschauenden Politik und der großherzigen Unterstützung, die Bismarck dem
von Andrassy geleiteten Habsburgischen Kaiserstaat gewährte, und dank der
militärischen und politischen Tüchtigkeit des Herzogs Wilhelm von Württemberg
konnte dann Österreich vor zwanzig Jahren wenigstens westlich von dieser
eigentlichen Schwelle des Orients über die save nach Süden Vordringen und
durch Wegnahme Bosniens und der Herzegowina der an die Stelle der
Türkei getretner neuen orientalischen Vormacht, Rußland, einen Riegel vor¬
schieben in ihren Bemühungen, über Rumänien, Serbien und Montenegro ihre
Machtsphäre bis an das Adriatische Meer auszudehnen und so hier rittlings
über die Donan und quer durch die Balkanhalbinsel der westeuropäischen Kultur
Ane Barriere vorzulegen, hinter der es dann allein und ungestört die Türkei
Hütte vollends verspeisen können. Demselben Zwecke, Rußland ausschließlich
um der Beschlagnahme der von Österreich-Ungarn nach Kleinasien und ans
Schwarze Meer führenden Straßen in ihrem östlichen und südlichen Teile zu
verhindern, dürfte es aber vor allem auch gedient haben, wenn Bismarck, trotz
seinem berühmten spätern Ausspruch über die Balkanhalbinsel Hekuba und die
Knochen des pommerschen Grenadiers, schon 1866 alles anstrengte, um Ru¬
mänien in dem von ihm als tüchtig erkannten Fürsten Karl von Hohenzollern


An der Schwelle des (Orients

zu lenken. Mit Recht ist deshalb gesagt worden, die eigentliche orientalische
Frage datiere von den Niederlagen Österreichs in den Jahren 1737 bis 1739
und dem Frieden von Belgrad, der sie besiegelte, und mit dem es endgiltig
Halt machte an der Schwelle des Orients.

Wenn ich die oben geschilderte Strecke zwischen Belgrad und Orsova als
die Schwelle des Orients bezeichnet habe, so ist es deshalb geschehn, weil hier
die beiden Haupthandels- und Heerstraßen von der Tiefebne Ungarns, das
der westeuropäische« Kultur durch deutsche Kraft angegliedert worden ist, aus¬
gehn, deren eine in Belgrad und bei Semendria die Donan verlassend süd¬
wärts nach Risch führt, sich hier gabelt in die über Üsküb nach Salonik
ans Ägäische Meer und in die über Sofia, Philippopel und Adrianopel nach
Stambul an den Bosporus führenden Wege. Die andre Hauptstraße läuft
von Orsova ans in die weite rumänische Ebne und führt durch sie an das
Schwarze Meer. Jenseits von dieser Strecke liegt auch heute noch der Orient.
Österreich, das am Ende des siebzehnten und zu Beginn des achtzehnten Jahr¬
hunderts vorübergehend über diese Linie hinaus erobernd vorgedrungen ist,
verlor durch die Unfähigkeit und Zaghaftigkeit seiner Heerführer und Uuter-
häudler im Frieden von Belgrad alles wieder, was es jenseits dieser Strecke
durch die Thatkraft deutscher Fürsten und das Genie des Prinzen Eugen von
Savoyen erworben hatte, sowohl die nördliche Hälfte des heutigen Serbiens
als die westliche Hälfte von Rumänien, das es von 1717 bis 1739 bis an den
Alt besessen hatte; und auch in dem mit Nußland gemeinsam geführten Kriege von
1788 bis 1790 gelang es ihm nicht mehr, dauernd über diese Schwelle des
Orients hinauszudrängen, sondern es mußte sich im Frieden von Sischvwa
(1791) mit der Erhaltung seines vorherigen Besitzes begnügen. Aber dank
der weitschauenden Politik und der großherzigen Unterstützung, die Bismarck dem
von Andrassy geleiteten Habsburgischen Kaiserstaat gewährte, und dank der
militärischen und politischen Tüchtigkeit des Herzogs Wilhelm von Württemberg
konnte dann Österreich vor zwanzig Jahren wenigstens westlich von dieser
eigentlichen Schwelle des Orients über die save nach Süden Vordringen und
durch Wegnahme Bosniens und der Herzegowina der an die Stelle der
Türkei getretner neuen orientalischen Vormacht, Rußland, einen Riegel vor¬
schieben in ihren Bemühungen, über Rumänien, Serbien und Montenegro ihre
Machtsphäre bis an das Adriatische Meer auszudehnen und so hier rittlings
über die Donan und quer durch die Balkanhalbinsel der westeuropäischen Kultur
Ane Barriere vorzulegen, hinter der es dann allein und ungestört die Türkei
Hütte vollends verspeisen können. Demselben Zwecke, Rußland ausschließlich
um der Beschlagnahme der von Österreich-Ungarn nach Kleinasien und ans
Schwarze Meer führenden Straßen in ihrem östlichen und südlichen Teile zu
verhindern, dürfte es aber vor allem auch gedient haben, wenn Bismarck, trotz
seinem berühmten spätern Ausspruch über die Balkanhalbinsel Hekuba und die
Knochen des pommerschen Grenadiers, schon 1866 alles anstrengte, um Ru¬
mänien in dem von ihm als tüchtig erkannten Fürsten Karl von Hohenzollern


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0311" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/232863"/>
          <fw type="header" place="top"> An der Schwelle des (Orients</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_979" prev="#ID_978"> zu lenken. Mit Recht ist deshalb gesagt worden, die eigentliche orientalische<lb/>
Frage datiere von den Niederlagen Österreichs in den Jahren 1737 bis 1739<lb/>
und dem Frieden von Belgrad, der sie besiegelte, und mit dem es endgiltig<lb/>
Halt machte an der Schwelle des Orients.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_980" next="#ID_981"> Wenn ich die oben geschilderte Strecke zwischen Belgrad und Orsova als<lb/>
die Schwelle des Orients bezeichnet habe, so ist es deshalb geschehn, weil hier<lb/>
die beiden Haupthandels- und Heerstraßen von der Tiefebne Ungarns, das<lb/>
der westeuropäische« Kultur durch deutsche Kraft angegliedert worden ist, aus¬<lb/>
gehn, deren eine in Belgrad und bei Semendria die Donan verlassend süd¬<lb/>
wärts nach Risch führt, sich hier gabelt in die über Üsküb nach Salonik<lb/>
ans Ägäische Meer und in die über Sofia, Philippopel und Adrianopel nach<lb/>
Stambul an den Bosporus führenden Wege. Die andre Hauptstraße läuft<lb/>
von Orsova ans in die weite rumänische Ebne und führt durch sie an das<lb/>
Schwarze Meer. Jenseits von dieser Strecke liegt auch heute noch der Orient.<lb/>
Österreich, das am Ende des siebzehnten und zu Beginn des achtzehnten Jahr¬<lb/>
hunderts vorübergehend über diese Linie hinaus erobernd vorgedrungen ist,<lb/>
verlor durch die Unfähigkeit und Zaghaftigkeit seiner Heerführer und Uuter-<lb/>
häudler im Frieden von Belgrad alles wieder, was es jenseits dieser Strecke<lb/>
durch die Thatkraft deutscher Fürsten und das Genie des Prinzen Eugen von<lb/>
Savoyen erworben hatte, sowohl die nördliche Hälfte des heutigen Serbiens<lb/>
als die westliche Hälfte von Rumänien, das es von 1717 bis 1739 bis an den<lb/>
Alt besessen hatte; und auch in dem mit Nußland gemeinsam geführten Kriege von<lb/>
1788 bis 1790 gelang es ihm nicht mehr, dauernd über diese Schwelle des<lb/>
Orients hinauszudrängen, sondern es mußte sich im Frieden von Sischvwa<lb/>
(1791) mit der Erhaltung seines vorherigen Besitzes begnügen. Aber dank<lb/>
der weitschauenden Politik und der großherzigen Unterstützung, die Bismarck dem<lb/>
von Andrassy geleiteten Habsburgischen Kaiserstaat gewährte, und dank der<lb/>
militärischen und politischen Tüchtigkeit des Herzogs Wilhelm von Württemberg<lb/>
konnte dann Österreich vor zwanzig Jahren wenigstens westlich von dieser<lb/>
eigentlichen Schwelle des Orients über die save nach Süden Vordringen und<lb/>
durch Wegnahme Bosniens und der Herzegowina der an die Stelle der<lb/>
Türkei getretner neuen orientalischen Vormacht, Rußland, einen Riegel vor¬<lb/>
schieben in ihren Bemühungen, über Rumänien, Serbien und Montenegro ihre<lb/>
Machtsphäre bis an das Adriatische Meer auszudehnen und so hier rittlings<lb/>
über die Donan und quer durch die Balkanhalbinsel der westeuropäischen Kultur<lb/>
Ane Barriere vorzulegen, hinter der es dann allein und ungestört die Türkei<lb/>
Hütte vollends verspeisen können. Demselben Zwecke, Rußland ausschließlich<lb/>
um der Beschlagnahme der von Österreich-Ungarn nach Kleinasien und ans<lb/>
Schwarze Meer führenden Straßen in ihrem östlichen und südlichen Teile zu<lb/>
verhindern, dürfte es aber vor allem auch gedient haben, wenn Bismarck, trotz<lb/>
seinem berühmten spätern Ausspruch über die Balkanhalbinsel Hekuba und die<lb/>
Knochen des pommerschen Grenadiers, schon 1866 alles anstrengte, um Ru¬<lb/>
mänien in dem von ihm als tüchtig erkannten Fürsten Karl von Hohenzollern</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0311] An der Schwelle des (Orients zu lenken. Mit Recht ist deshalb gesagt worden, die eigentliche orientalische Frage datiere von den Niederlagen Österreichs in den Jahren 1737 bis 1739 und dem Frieden von Belgrad, der sie besiegelte, und mit dem es endgiltig Halt machte an der Schwelle des Orients. Wenn ich die oben geschilderte Strecke zwischen Belgrad und Orsova als die Schwelle des Orients bezeichnet habe, so ist es deshalb geschehn, weil hier die beiden Haupthandels- und Heerstraßen von der Tiefebne Ungarns, das der westeuropäische« Kultur durch deutsche Kraft angegliedert worden ist, aus¬ gehn, deren eine in Belgrad und bei Semendria die Donan verlassend süd¬ wärts nach Risch führt, sich hier gabelt in die über Üsküb nach Salonik ans Ägäische Meer und in die über Sofia, Philippopel und Adrianopel nach Stambul an den Bosporus führenden Wege. Die andre Hauptstraße läuft von Orsova ans in die weite rumänische Ebne und führt durch sie an das Schwarze Meer. Jenseits von dieser Strecke liegt auch heute noch der Orient. Österreich, das am Ende des siebzehnten und zu Beginn des achtzehnten Jahr¬ hunderts vorübergehend über diese Linie hinaus erobernd vorgedrungen ist, verlor durch die Unfähigkeit und Zaghaftigkeit seiner Heerführer und Uuter- häudler im Frieden von Belgrad alles wieder, was es jenseits dieser Strecke durch die Thatkraft deutscher Fürsten und das Genie des Prinzen Eugen von Savoyen erworben hatte, sowohl die nördliche Hälfte des heutigen Serbiens als die westliche Hälfte von Rumänien, das es von 1717 bis 1739 bis an den Alt besessen hatte; und auch in dem mit Nußland gemeinsam geführten Kriege von 1788 bis 1790 gelang es ihm nicht mehr, dauernd über diese Schwelle des Orients hinauszudrängen, sondern es mußte sich im Frieden von Sischvwa (1791) mit der Erhaltung seines vorherigen Besitzes begnügen. Aber dank der weitschauenden Politik und der großherzigen Unterstützung, die Bismarck dem von Andrassy geleiteten Habsburgischen Kaiserstaat gewährte, und dank der militärischen und politischen Tüchtigkeit des Herzogs Wilhelm von Württemberg konnte dann Österreich vor zwanzig Jahren wenigstens westlich von dieser eigentlichen Schwelle des Orients über die save nach Süden Vordringen und durch Wegnahme Bosniens und der Herzegowina der an die Stelle der Türkei getretner neuen orientalischen Vormacht, Rußland, einen Riegel vor¬ schieben in ihren Bemühungen, über Rumänien, Serbien und Montenegro ihre Machtsphäre bis an das Adriatische Meer auszudehnen und so hier rittlings über die Donan und quer durch die Balkanhalbinsel der westeuropäischen Kultur Ane Barriere vorzulegen, hinter der es dann allein und ungestört die Türkei Hütte vollends verspeisen können. Demselben Zwecke, Rußland ausschließlich um der Beschlagnahme der von Österreich-Ungarn nach Kleinasien und ans Schwarze Meer führenden Straßen in ihrem östlichen und südlichen Teile zu verhindern, dürfte es aber vor allem auch gedient haben, wenn Bismarck, trotz seinem berühmten spätern Ausspruch über die Balkanhalbinsel Hekuba und die Knochen des pommerschen Grenadiers, schon 1866 alles anstrengte, um Ru¬ mänien in dem von ihm als tüchtig erkannten Fürsten Karl von Hohenzollern

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551/311
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551/311>, abgerufen am 30.06.2024.