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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr.

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An der Schwelle des Orients

und Felsen bedrückende Stimmung in die Seele senken." Uns aber war ein
herrlicher Tag beschieden, und während in unermeßlicher Höhe über uns drei
Adler kreisten, ging es dahin durch die immer neuen wunderbaren Strom-
Partien der untern Kazauenge bis zu dem im glänzenden Sonnenlichte sich er¬
hebenden Stirbetzbcrg, der mit seinen steilen Riffen gleichsam den Ausgang
des Passes zu sperren scheint. Schon öffnet sich links die Landschaft zu einem
wohlbestellten lieblichen Gebiete von Hügeln und kleinen Ebnen am Ufer des
Flusses, und nachdem dieser um das letzte Riff auf serbischer Seite vollends
nach Osten eingebogen ist, gewahrt das Auge die von den Serben nach
lauger Vernachlässigung nun wieder hergestellte Trajanstafel, auf der der große
Herrscher mitteilt: "Herr nud Kaiser Nerva Trajan, Majestät, Germaniensieger,
Sohn des verewigten Nervn, Oberpriester, Tribun zum vierten male, Vater
des Vaterlands, Konsul zum vierten mal, überwand die Felsen und Hindernisse
des Flusses und bahnte den Weg."

Nachdem man an der Trajanstafel vorüber ist, begleiten auf serbischer
Seite die schroffen Felsen, in denen hier Steinbrecher arbeiten, noch eine Zeit
lang den mächtigen, um wieder breiter werdenden Strom. Dann wird auch
rechts allmählich das Ufer etwas weniger steil, und umgeben und überragt von
Maisfeldern und Weinbergen zeigt sich hier das liebliche serbische Telle, noch
in seinem türkischen Namen die Erinnerung an den Halbmond bewahrend; ihm
gegenüber am Fuße wohlbebauter Hügel zieht sich das saubere Städtchen
Orsova hiu in langgestrecktem Bogen der Donau folgend und dann nord¬
wärts nach dem Tschernathal einbiegend; hier langten wir gegen Abend an
und blieben bei guter und nicht zu teurer Verpflegung und Unterkunft mehrere
Tage an diesem schönen und geschichtlich interessanten Orte; dann besuchten
wir für einige Tage das weltberühmte, nicht minder interessante Mehadia.

An Orsova, namentlich Neuvrsvva, die Jnselfestung Adakaleh und Me¬
hadia, das nur wenige Stunden weiter nördlich im Theile der Tscherna
liegt, knüpfen sich die trübsten Erinnerungen der österreichischen Geschichte.
Denn in diesen Gegenden spielte sich der zweite Akt des türkischen Kriegs ab,
den Österreich als Verbündeter des namentlich in der Krim kämpfenden Ru߬
lands in den Jahren 1737 bis 1739 gegen den Halbmond nusfocht. Die kläg¬
liche Unfähigkeit der Führung, die Osterreich in diesem Kriege an den Tag
legte, und die nach den glorreichen Tagen der Armee unter Prinz Eugen um
so schärfer in die Augen stach, mag für Friedrich den Großen ein Hauptantrieb
zu seinem kurz darauf erfolgten kecken Einmarsch in Schlesien gewesen sein, der
nicht nnr für die deutsche, sondern für die europäische Geschichte einen Wende¬
punkt bedeutet, wie es kaum einen andern giebt; vor allem aber war dieser
traurige Feldzug das Ende des kühnen Vordringens von Österreich gegen den
Orient seit der zweiten Belagerung Wiens durch die Türken; er kostete den
Habsburger" nicht nur fast alles, was Prinz Eugen ihnen im Frieden von
Passarowitz erworben hatte, sondern bewog auch die Südslawen, von um an
ihre Blicke entschieden auf das aufstrebende und konfessionsverwandte Rußland


An der Schwelle des Orients

und Felsen bedrückende Stimmung in die Seele senken." Uns aber war ein
herrlicher Tag beschieden, und während in unermeßlicher Höhe über uns drei
Adler kreisten, ging es dahin durch die immer neuen wunderbaren Strom-
Partien der untern Kazauenge bis zu dem im glänzenden Sonnenlichte sich er¬
hebenden Stirbetzbcrg, der mit seinen steilen Riffen gleichsam den Ausgang
des Passes zu sperren scheint. Schon öffnet sich links die Landschaft zu einem
wohlbestellten lieblichen Gebiete von Hügeln und kleinen Ebnen am Ufer des
Flusses, und nachdem dieser um das letzte Riff auf serbischer Seite vollends
nach Osten eingebogen ist, gewahrt das Auge die von den Serben nach
lauger Vernachlässigung nun wieder hergestellte Trajanstafel, auf der der große
Herrscher mitteilt: „Herr nud Kaiser Nerva Trajan, Majestät, Germaniensieger,
Sohn des verewigten Nervn, Oberpriester, Tribun zum vierten male, Vater
des Vaterlands, Konsul zum vierten mal, überwand die Felsen und Hindernisse
des Flusses und bahnte den Weg."

Nachdem man an der Trajanstafel vorüber ist, begleiten auf serbischer
Seite die schroffen Felsen, in denen hier Steinbrecher arbeiten, noch eine Zeit
lang den mächtigen, um wieder breiter werdenden Strom. Dann wird auch
rechts allmählich das Ufer etwas weniger steil, und umgeben und überragt von
Maisfeldern und Weinbergen zeigt sich hier das liebliche serbische Telle, noch
in seinem türkischen Namen die Erinnerung an den Halbmond bewahrend; ihm
gegenüber am Fuße wohlbebauter Hügel zieht sich das saubere Städtchen
Orsova hiu in langgestrecktem Bogen der Donau folgend und dann nord¬
wärts nach dem Tschernathal einbiegend; hier langten wir gegen Abend an
und blieben bei guter und nicht zu teurer Verpflegung und Unterkunft mehrere
Tage an diesem schönen und geschichtlich interessanten Orte; dann besuchten
wir für einige Tage das weltberühmte, nicht minder interessante Mehadia.

An Orsova, namentlich Neuvrsvva, die Jnselfestung Adakaleh und Me¬
hadia, das nur wenige Stunden weiter nördlich im Theile der Tscherna
liegt, knüpfen sich die trübsten Erinnerungen der österreichischen Geschichte.
Denn in diesen Gegenden spielte sich der zweite Akt des türkischen Kriegs ab,
den Österreich als Verbündeter des namentlich in der Krim kämpfenden Ru߬
lands in den Jahren 1737 bis 1739 gegen den Halbmond nusfocht. Die kläg¬
liche Unfähigkeit der Führung, die Osterreich in diesem Kriege an den Tag
legte, und die nach den glorreichen Tagen der Armee unter Prinz Eugen um
so schärfer in die Augen stach, mag für Friedrich den Großen ein Hauptantrieb
zu seinem kurz darauf erfolgten kecken Einmarsch in Schlesien gewesen sein, der
nicht nnr für die deutsche, sondern für die europäische Geschichte einen Wende¬
punkt bedeutet, wie es kaum einen andern giebt; vor allem aber war dieser
traurige Feldzug das Ende des kühnen Vordringens von Österreich gegen den
Orient seit der zweiten Belagerung Wiens durch die Türken; er kostete den
Habsburger» nicht nur fast alles, was Prinz Eugen ihnen im Frieden von
Passarowitz erworben hatte, sondern bewog auch die Südslawen, von um an
ihre Blicke entschieden auf das aufstrebende und konfessionsverwandte Rußland


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[0310] An der Schwelle des Orients und Felsen bedrückende Stimmung in die Seele senken." Uns aber war ein herrlicher Tag beschieden, und während in unermeßlicher Höhe über uns drei Adler kreisten, ging es dahin durch die immer neuen wunderbaren Strom- Partien der untern Kazauenge bis zu dem im glänzenden Sonnenlichte sich er¬ hebenden Stirbetzbcrg, der mit seinen steilen Riffen gleichsam den Ausgang des Passes zu sperren scheint. Schon öffnet sich links die Landschaft zu einem wohlbestellten lieblichen Gebiete von Hügeln und kleinen Ebnen am Ufer des Flusses, und nachdem dieser um das letzte Riff auf serbischer Seite vollends nach Osten eingebogen ist, gewahrt das Auge die von den Serben nach lauger Vernachlässigung nun wieder hergestellte Trajanstafel, auf der der große Herrscher mitteilt: „Herr nud Kaiser Nerva Trajan, Majestät, Germaniensieger, Sohn des verewigten Nervn, Oberpriester, Tribun zum vierten male, Vater des Vaterlands, Konsul zum vierten mal, überwand die Felsen und Hindernisse des Flusses und bahnte den Weg." Nachdem man an der Trajanstafel vorüber ist, begleiten auf serbischer Seite die schroffen Felsen, in denen hier Steinbrecher arbeiten, noch eine Zeit lang den mächtigen, um wieder breiter werdenden Strom. Dann wird auch rechts allmählich das Ufer etwas weniger steil, und umgeben und überragt von Maisfeldern und Weinbergen zeigt sich hier das liebliche serbische Telle, noch in seinem türkischen Namen die Erinnerung an den Halbmond bewahrend; ihm gegenüber am Fuße wohlbebauter Hügel zieht sich das saubere Städtchen Orsova hiu in langgestrecktem Bogen der Donau folgend und dann nord¬ wärts nach dem Tschernathal einbiegend; hier langten wir gegen Abend an und blieben bei guter und nicht zu teurer Verpflegung und Unterkunft mehrere Tage an diesem schönen und geschichtlich interessanten Orte; dann besuchten wir für einige Tage das weltberühmte, nicht minder interessante Mehadia. An Orsova, namentlich Neuvrsvva, die Jnselfestung Adakaleh und Me¬ hadia, das nur wenige Stunden weiter nördlich im Theile der Tscherna liegt, knüpfen sich die trübsten Erinnerungen der österreichischen Geschichte. Denn in diesen Gegenden spielte sich der zweite Akt des türkischen Kriegs ab, den Österreich als Verbündeter des namentlich in der Krim kämpfenden Ru߬ lands in den Jahren 1737 bis 1739 gegen den Halbmond nusfocht. Die kläg¬ liche Unfähigkeit der Führung, die Osterreich in diesem Kriege an den Tag legte, und die nach den glorreichen Tagen der Armee unter Prinz Eugen um so schärfer in die Augen stach, mag für Friedrich den Großen ein Hauptantrieb zu seinem kurz darauf erfolgten kecken Einmarsch in Schlesien gewesen sein, der nicht nnr für die deutsche, sondern für die europäische Geschichte einen Wende¬ punkt bedeutet, wie es kaum einen andern giebt; vor allem aber war dieser traurige Feldzug das Ende des kühnen Vordringens von Österreich gegen den Orient seit der zweiten Belagerung Wiens durch die Türken; er kostete den Habsburger» nicht nur fast alles, was Prinz Eugen ihnen im Frieden von Passarowitz erworben hatte, sondern bewog auch die Südslawen, von um an ihre Blicke entschieden auf das aufstrebende und konfessionsverwandte Rußland

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551/310>, abgerufen am 02.07.2024.