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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr.

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An der Schwelle des Grients

z. B. zu dem jungen Deutschland nach den neusten Büchern gemeint, sondern
die Rechnung müßte von Grund an, ganz ernsthaft und mit der Gegenprobe
gemacht werden: Welche Defekte würde unser geistiges und litterarisches Leben
heute haben, wenn Rahel nicht gewesen wäre? Wir gewinne,! auch nichts
dadurch, daß der Verfasser dem Orakelmann Brandes seine Phrasen nachschreibt,
z. B, "Rahel ist das erste große und moderne Weib im deutschen Kulturleben,"
Das hat Berdrow so gefallen, daß er hinzufügt: "Eine solche Erscheinung
mußte bahnbrechend wirken und eine ganz neue Auffassung vom. Wesen und
von der Bedeutung der Frnn in Deutschland herbeiführen." Rahel habe der
heutigen wirtschaftlichen Emanzipation der Frauen vorgearbeitet, als Vor¬
kämpferin für die geistige Befreiung ihres Geschlechts, und sie selbst habe das
Streben nach intellektueller und sozialer Selbständigkeit am kühnsten und er¬
folgreichsten in sich verkörpert. Ich gebe diese Sätze hier nicht wörtlich, aber
doch auszugsweise und ohne alle Verantwortung, Ich verstehe von der Frauen¬
bewegung viel zu wenig, als daß ich wüßte, ob sich ihre heutigen Führerinnen
zu diesem Stammbaum bekennen würden. Höchstens würde ich mir dann ge¬
trauen zu sagen, daß Rudel ihren Geist auf keine ihrer redenden und schrei¬
benden Nachfolgerinnen vererbt Hütte, Möge das inhaltreiche Buch viel ge¬
l A, p. esen werden, anregen und nützen!




An der Schwelle des Orients
von L. Ad. Letzer (Schluß)

ach Passierung des Grebendefilees hatte der Kapitän, der bisher
das Schiff durch die schwierigere Strompartie von Golnbaz ab
selbst geführt hatte, das Kommando an den erstell Leutnant ab¬
gegeben, nnter dem trotz dem stürmischen Winde in elegantem
Bogen an der Landebrücke von Milauowaz migefahreu worden
war. Unter seiner Obhut ging es nun weiter stromabwärts der Kazaneuge zu.

Wie um das Auge ausruhn zu lasse" für den neuen Genuß des schönsten
Teils der ganzen Strvmpnrtie zwischen Golubaz und Turm-Severin, für den
Kazanpnß, dessen Eingang schon von weitem kenntlich ist durch eine steil ab¬
stürzende Felswand, mit der ein langgezogner hoher Bergrücken gegen die
Donau hin endigt, fließt nun der Strom von Milauowaz bei Gvlubiuje
zwischeu sanft aufsteigenden Hängen dahin, vorbei an dem ungarischen Sviniza,
das wie das serbische Milauowaz und Golubinje Ruinen römischer Vefesti-
glmgsbauteil birgt; zur Rechten sind nur noch die serbischen Berge mit ihren


Grenz boten I 1900 88
An der Schwelle des Grients

z. B. zu dem jungen Deutschland nach den neusten Büchern gemeint, sondern
die Rechnung müßte von Grund an, ganz ernsthaft und mit der Gegenprobe
gemacht werden: Welche Defekte würde unser geistiges und litterarisches Leben
heute haben, wenn Rahel nicht gewesen wäre? Wir gewinne,! auch nichts
dadurch, daß der Verfasser dem Orakelmann Brandes seine Phrasen nachschreibt,
z. B, „Rahel ist das erste große und moderne Weib im deutschen Kulturleben,"
Das hat Berdrow so gefallen, daß er hinzufügt: „Eine solche Erscheinung
mußte bahnbrechend wirken und eine ganz neue Auffassung vom. Wesen und
von der Bedeutung der Frnn in Deutschland herbeiführen." Rahel habe der
heutigen wirtschaftlichen Emanzipation der Frauen vorgearbeitet, als Vor¬
kämpferin für die geistige Befreiung ihres Geschlechts, und sie selbst habe das
Streben nach intellektueller und sozialer Selbständigkeit am kühnsten und er¬
folgreichsten in sich verkörpert. Ich gebe diese Sätze hier nicht wörtlich, aber
doch auszugsweise und ohne alle Verantwortung, Ich verstehe von der Frauen¬
bewegung viel zu wenig, als daß ich wüßte, ob sich ihre heutigen Führerinnen
zu diesem Stammbaum bekennen würden. Höchstens würde ich mir dann ge¬
trauen zu sagen, daß Rudel ihren Geist auf keine ihrer redenden und schrei¬
benden Nachfolgerinnen vererbt Hütte, Möge das inhaltreiche Buch viel ge¬
l A, p. esen werden, anregen und nützen!




An der Schwelle des Orients
von L. Ad. Letzer (Schluß)

ach Passierung des Grebendefilees hatte der Kapitän, der bisher
das Schiff durch die schwierigere Strompartie von Golnbaz ab
selbst geführt hatte, das Kommando an den erstell Leutnant ab¬
gegeben, nnter dem trotz dem stürmischen Winde in elegantem
Bogen an der Landebrücke von Milauowaz migefahreu worden
war. Unter seiner Obhut ging es nun weiter stromabwärts der Kazaneuge zu.

Wie um das Auge ausruhn zu lasse» für den neuen Genuß des schönsten
Teils der ganzen Strvmpnrtie zwischen Golubaz und Turm-Severin, für den
Kazanpnß, dessen Eingang schon von weitem kenntlich ist durch eine steil ab¬
stürzende Felswand, mit der ein langgezogner hoher Bergrücken gegen die
Donau hin endigt, fließt nun der Strom von Milauowaz bei Gvlubiuje
zwischeu sanft aufsteigenden Hängen dahin, vorbei an dem ungarischen Sviniza,
das wie das serbische Milauowaz und Golubinje Ruinen römischer Vefesti-
glmgsbauteil birgt; zur Rechten sind nur noch die serbischen Berge mit ihren


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551/305>, abgerufen am 04.07.2024.