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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr.

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Böhmische Wirren

Nihilisten, Karlisten, Fenicr sind Tag für Tag damit beschäftigt, aus soeben er¬
schienenen radikalen und revolutionären französischen Blättern aufzusaugen, was
für ihre Zwecke paßt, und es noch vor Sonnenuntergang zu glühenden und
geharnischten Artikeln zu verarbeiten, die der Eilzug nach der Hauptstadt ihres
Landes tragen soll. Wie viel von der maßlosen Leidenschaftlichkeit dieser Artikel
dem angebornen Temperament, der gegenseitigen Überreizung oder dein Absinth
der Cafes, in denen sie sich zusammenfinden, zuzuschreiben ist, entscheide, wer
kann. Der Grundton ist fast durchweg Auflehnung gegen jede Autorität und
ein pessimistisches Sichherumtummeln auf Gemeinplätzen, unter denen sich das
Prinzip, daß jede zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung getroffne
Maßregel >zö ipLO ein Eingriff in die Rechte des Individuums ist, besondrer
Beliebtheit erfreut. An der Gehässigkeit gegen Deutschland, die diese Kreise
beseelt, tragen neben dem Einflüsse begabter Schriftsteller -- wir greifen als
besonders bekanntes Beispiel nur M>ne Adam heraus -- die Verleumdungen
schuld, die gegen deutsche Staatsmänner, deutsche Kriegführung und deutsche
Politik um so ungestrafter verbreitet werden dürfen, als Deutschland in diesen
Comateln so gut wie keine Stimme hat; eher kommt noch mitunter ein Deutsch-
Österreicher zu Wort.

Es war kein Halten mehr von dem Tage an, wo für diese kosmopolitische
Presse die Parole ausgegeben wurde, daß eine panslawistische Bewegung in
Böhmen allen Interessen, denen man in diesen Kreisen das Wort redet, förder¬
lich sei, das heißt, daß sie dazu angethan sei, eine monarchische und mit Deutsch¬
land verbündete Regierung zu schwächen und den mit den umstürzlerischen
Elementen aller Länder Hand in Hand gehenden Panslawismus dein Deutsch¬
tum gegenüber zu unterstützen. Die vernichtenden und vergötternden Epitheta
für den Unterdrücker und den Unterdrückten wollten nicht vorn und nicht hinten
reichen, und ein ungarischer Skribent, den die Erinnerung an seinen letzten
"großartigen" Artikel begeisterte, und der dabei doch empfand, daß es ihm
nicht gelungen war, der soeben nach Budapest abgesandten Prosa seine ganze
ohnmächtige Wut einzuhauchen, versuchte dies dadurch auszudrücken, daß er
ganz erschöpft ausrief: ^'üurg-is voulu ein'ils in'sntsnäissknt rug-ir.

Schwer war es nicht gewesen, die Tschechen von ihrem guten Recht, das
ihnen schon Palacty auseinandergesetzt hatte, und von der wohlwollenden Teil¬
nahme insbesondre Frankreichs und Rußlands zu überzeugen. Man weiß,
mit wie tendenziöser Auszeichnung die Soloth in Paris aufgenommen wurden,
und bis zum heutigen Tage bringen noch die ersten Pariser Journale ihren
Revanchegelüsten das pekuniäre Opfer, daß sie, um französischen Anschauungen
Eingang in Böhmen zu verschaffen, einer Anzahl tschechischer Studentenver¬
einigungen regelmäßige Gratisexemplare bewilligen.

Wie wenig sich aber den Franzosen diese künstlich hervorgerufne Teil¬
nahme an dem "zum Himmel schreienden" Schicksal Böhmens mitgeteilt hatte,
konnten wiederholt junge Tschechen bestätigen, die in den Kreisen der franzö¬
sischen Studentenschaft erst ausführlich hatten beschreiben müssen, was eigentlich


Böhmische Wirren

Nihilisten, Karlisten, Fenicr sind Tag für Tag damit beschäftigt, aus soeben er¬
schienenen radikalen und revolutionären französischen Blättern aufzusaugen, was
für ihre Zwecke paßt, und es noch vor Sonnenuntergang zu glühenden und
geharnischten Artikeln zu verarbeiten, die der Eilzug nach der Hauptstadt ihres
Landes tragen soll. Wie viel von der maßlosen Leidenschaftlichkeit dieser Artikel
dem angebornen Temperament, der gegenseitigen Überreizung oder dein Absinth
der Cafes, in denen sie sich zusammenfinden, zuzuschreiben ist, entscheide, wer
kann. Der Grundton ist fast durchweg Auflehnung gegen jede Autorität und
ein pessimistisches Sichherumtummeln auf Gemeinplätzen, unter denen sich das
Prinzip, daß jede zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung getroffne
Maßregel >zö ipLO ein Eingriff in die Rechte des Individuums ist, besondrer
Beliebtheit erfreut. An der Gehässigkeit gegen Deutschland, die diese Kreise
beseelt, tragen neben dem Einflüsse begabter Schriftsteller — wir greifen als
besonders bekanntes Beispiel nur M>ne Adam heraus — die Verleumdungen
schuld, die gegen deutsche Staatsmänner, deutsche Kriegführung und deutsche
Politik um so ungestrafter verbreitet werden dürfen, als Deutschland in diesen
Comateln so gut wie keine Stimme hat; eher kommt noch mitunter ein Deutsch-
Österreicher zu Wort.

Es war kein Halten mehr von dem Tage an, wo für diese kosmopolitische
Presse die Parole ausgegeben wurde, daß eine panslawistische Bewegung in
Böhmen allen Interessen, denen man in diesen Kreisen das Wort redet, förder¬
lich sei, das heißt, daß sie dazu angethan sei, eine monarchische und mit Deutsch¬
land verbündete Regierung zu schwächen und den mit den umstürzlerischen
Elementen aller Länder Hand in Hand gehenden Panslawismus dein Deutsch¬
tum gegenüber zu unterstützen. Die vernichtenden und vergötternden Epitheta
für den Unterdrücker und den Unterdrückten wollten nicht vorn und nicht hinten
reichen, und ein ungarischer Skribent, den die Erinnerung an seinen letzten
„großartigen" Artikel begeisterte, und der dabei doch empfand, daß es ihm
nicht gelungen war, der soeben nach Budapest abgesandten Prosa seine ganze
ohnmächtige Wut einzuhauchen, versuchte dies dadurch auszudrücken, daß er
ganz erschöpft ausrief: ^'üurg-is voulu ein'ils in'sntsnäissknt rug-ir.

Schwer war es nicht gewesen, die Tschechen von ihrem guten Recht, das
ihnen schon Palacty auseinandergesetzt hatte, und von der wohlwollenden Teil¬
nahme insbesondre Frankreichs und Rußlands zu überzeugen. Man weiß,
mit wie tendenziöser Auszeichnung die Soloth in Paris aufgenommen wurden,
und bis zum heutigen Tage bringen noch die ersten Pariser Journale ihren
Revanchegelüsten das pekuniäre Opfer, daß sie, um französischen Anschauungen
Eingang in Böhmen zu verschaffen, einer Anzahl tschechischer Studentenver¬
einigungen regelmäßige Gratisexemplare bewilligen.

Wie wenig sich aber den Franzosen diese künstlich hervorgerufne Teil¬
nahme an dem „zum Himmel schreienden" Schicksal Böhmens mitgeteilt hatte,
konnten wiederholt junge Tschechen bestätigen, die in den Kreisen der franzö¬
sischen Studentenschaft erst ausführlich hatten beschreiben müssen, was eigentlich


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[0295] Böhmische Wirren Nihilisten, Karlisten, Fenicr sind Tag für Tag damit beschäftigt, aus soeben er¬ schienenen radikalen und revolutionären französischen Blättern aufzusaugen, was für ihre Zwecke paßt, und es noch vor Sonnenuntergang zu glühenden und geharnischten Artikeln zu verarbeiten, die der Eilzug nach der Hauptstadt ihres Landes tragen soll. Wie viel von der maßlosen Leidenschaftlichkeit dieser Artikel dem angebornen Temperament, der gegenseitigen Überreizung oder dein Absinth der Cafes, in denen sie sich zusammenfinden, zuzuschreiben ist, entscheide, wer kann. Der Grundton ist fast durchweg Auflehnung gegen jede Autorität und ein pessimistisches Sichherumtummeln auf Gemeinplätzen, unter denen sich das Prinzip, daß jede zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung getroffne Maßregel >zö ipLO ein Eingriff in die Rechte des Individuums ist, besondrer Beliebtheit erfreut. An der Gehässigkeit gegen Deutschland, die diese Kreise beseelt, tragen neben dem Einflüsse begabter Schriftsteller — wir greifen als besonders bekanntes Beispiel nur M>ne Adam heraus — die Verleumdungen schuld, die gegen deutsche Staatsmänner, deutsche Kriegführung und deutsche Politik um so ungestrafter verbreitet werden dürfen, als Deutschland in diesen Comateln so gut wie keine Stimme hat; eher kommt noch mitunter ein Deutsch- Österreicher zu Wort. Es war kein Halten mehr von dem Tage an, wo für diese kosmopolitische Presse die Parole ausgegeben wurde, daß eine panslawistische Bewegung in Böhmen allen Interessen, denen man in diesen Kreisen das Wort redet, förder¬ lich sei, das heißt, daß sie dazu angethan sei, eine monarchische und mit Deutsch¬ land verbündete Regierung zu schwächen und den mit den umstürzlerischen Elementen aller Länder Hand in Hand gehenden Panslawismus dein Deutsch¬ tum gegenüber zu unterstützen. Die vernichtenden und vergötternden Epitheta für den Unterdrücker und den Unterdrückten wollten nicht vorn und nicht hinten reichen, und ein ungarischer Skribent, den die Erinnerung an seinen letzten „großartigen" Artikel begeisterte, und der dabei doch empfand, daß es ihm nicht gelungen war, der soeben nach Budapest abgesandten Prosa seine ganze ohnmächtige Wut einzuhauchen, versuchte dies dadurch auszudrücken, daß er ganz erschöpft ausrief: ^'üurg-is voulu ein'ils in'sntsnäissknt rug-ir. Schwer war es nicht gewesen, die Tschechen von ihrem guten Recht, das ihnen schon Palacty auseinandergesetzt hatte, und von der wohlwollenden Teil¬ nahme insbesondre Frankreichs und Rußlands zu überzeugen. Man weiß, mit wie tendenziöser Auszeichnung die Soloth in Paris aufgenommen wurden, und bis zum heutigen Tage bringen noch die ersten Pariser Journale ihren Revanchegelüsten das pekuniäre Opfer, daß sie, um französischen Anschauungen Eingang in Böhmen zu verschaffen, einer Anzahl tschechischer Studentenver¬ einigungen regelmäßige Gratisexemplare bewilligen. Wie wenig sich aber den Franzosen diese künstlich hervorgerufne Teil¬ nahme an dem „zum Himmel schreienden" Schicksal Böhmens mitgeteilt hatte, konnten wiederholt junge Tschechen bestätigen, die in den Kreisen der franzö¬ sischen Studentenschaft erst ausführlich hatten beschreiben müssen, was eigentlich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551/295>, abgerufen am 04.07.2024.