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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr.

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Böhmische lvirroil

Dagegen hat man leider die Ortsbehörden, die sich amtsvergessener Beihilfe
bei dergleichen Demonstrationen schuldig gemacht haben, nicht die volle Schwere
des Gesetzes fühlen lassen.

Wer von den Gefahren, die dem österreichischen Staat von der Koalition
anarchistischer und panslawistischer Tendenzen drohen, nicht genügend überzeugt
sein sollte, dein möchten wir das Lesen einiger der bessern anarchistischen und
panslawistischen Pariser und Petersburger Revüen empfehlen, in denen bei der
mit Bestimmtheit vorausgesagten Aufteilung Österreichs die Zuweisung des
größern Teils seines Staatenkomplexes an slawische Staaten in Aussicht ge¬
nommen ist.

Daß ein nach seiner Abstammung von Vater- und Mutterseite so echter
Tscheche wie Radetzky, dem schon im Jahre 1828 die panslawistischen Tendenzen
Rußlands klar geworden waren, deren Gefährlichkeit für Österreich besonders
betont (vergl. "Militärische Betrachtungen über die Lage Österreichs"), ent¬
spricht ganz seiner sonstigen Haltung als eines österreichischen Patrioten,
Die Tschechen, die diesen Standpunkt heutzutage nicht teilen, dürfen sich über
die politische Kategorie, in die sie sich stellen, keine Illusionen machen; sie sind
Feinde Österreichs, und was sie von ihrer Verehrung für den Monarchen und
das kaiserliche Haus zu sagen wissen, ist leider nichts als platonischer Dunst.

Wenn es zur Wiederherstellung eines geordneten Zustands in Böhmen
mit Verhandlungen zwischen den sich dort gegenüberstehenden Parteien nicht
gethan ist, weil es sich bei dem böhmischen Sprachenzwist der Natur der Sache
nach nicht um ein Parteikompromiß, sondern um die Abwehr eines Angriffs
auf die Oberhoheit und diskretionäre Machtsphüre des Kaiserstaats handelt,
so folgt daraus andrerseits von selbst, was das Erforderliche ist.

Die Regierung muß handeln. Zuwarten empfiehlt sich in der Politik nur
dann, wenn sich der Sachverhalt auch ohne Zuthun des Beteiligten beständig
bessert. Rußland hat auf dem Gebiet einer solchen passiven Politik, dem
röeutällölnsnt des Fürsten Gortschakoff, große Erfolge auszuweisen gehabt. Wenn
man dagegen gewahr wird, daß die Dinge bei müßigem Zuschauen durch schwäch¬
liches Gehenlassen alle Tage schlimmer werden, so gilt es zu handeln. In
diesem Sinne könnte eine politische Lage kaum klarer sein als die, in der Öster¬
reich gegenwärtig ist; wenn die Negierung nicht bald handelt, kann man un¬
gefähr voraussagen, wie lange es noch dauern kann, bis es zum Handeln zu
spät ist.

Was besonders Böhmen und die Sprachenfrage anlangt, von der hier
in erster Reihe die Rede ist, so ist das Programm nicht schwer aufzustellen-
Die österreichische Regierung müßte vor allem ihr Ansehen dadurch neu be¬
festigen, daß sie die Staatssprache in Böhmen im bisherigen Umfang wieder
herstellt, und wenn dies geschehn ist -- nicht eher --, wird es Zeit sein, für
die Beschwerden Böhmens Abhilfe zu schaffen, in freisinnigster Weise und unter
möglichster Berücksichtigung aller billigen Wünsche, sie mögen von tschechischer
Seite laut geworden sein oder von deutsch-österreichischer.


Böhmische lvirroil

Dagegen hat man leider die Ortsbehörden, die sich amtsvergessener Beihilfe
bei dergleichen Demonstrationen schuldig gemacht haben, nicht die volle Schwere
des Gesetzes fühlen lassen.

Wer von den Gefahren, die dem österreichischen Staat von der Koalition
anarchistischer und panslawistischer Tendenzen drohen, nicht genügend überzeugt
sein sollte, dein möchten wir das Lesen einiger der bessern anarchistischen und
panslawistischen Pariser und Petersburger Revüen empfehlen, in denen bei der
mit Bestimmtheit vorausgesagten Aufteilung Österreichs die Zuweisung des
größern Teils seines Staatenkomplexes an slawische Staaten in Aussicht ge¬
nommen ist.

Daß ein nach seiner Abstammung von Vater- und Mutterseite so echter
Tscheche wie Radetzky, dem schon im Jahre 1828 die panslawistischen Tendenzen
Rußlands klar geworden waren, deren Gefährlichkeit für Österreich besonders
betont (vergl. „Militärische Betrachtungen über die Lage Österreichs"), ent¬
spricht ganz seiner sonstigen Haltung als eines österreichischen Patrioten,
Die Tschechen, die diesen Standpunkt heutzutage nicht teilen, dürfen sich über
die politische Kategorie, in die sie sich stellen, keine Illusionen machen; sie sind
Feinde Österreichs, und was sie von ihrer Verehrung für den Monarchen und
das kaiserliche Haus zu sagen wissen, ist leider nichts als platonischer Dunst.

Wenn es zur Wiederherstellung eines geordneten Zustands in Böhmen
mit Verhandlungen zwischen den sich dort gegenüberstehenden Parteien nicht
gethan ist, weil es sich bei dem böhmischen Sprachenzwist der Natur der Sache
nach nicht um ein Parteikompromiß, sondern um die Abwehr eines Angriffs
auf die Oberhoheit und diskretionäre Machtsphüre des Kaiserstaats handelt,
so folgt daraus andrerseits von selbst, was das Erforderliche ist.

Die Regierung muß handeln. Zuwarten empfiehlt sich in der Politik nur
dann, wenn sich der Sachverhalt auch ohne Zuthun des Beteiligten beständig
bessert. Rußland hat auf dem Gebiet einer solchen passiven Politik, dem
röeutällölnsnt des Fürsten Gortschakoff, große Erfolge auszuweisen gehabt. Wenn
man dagegen gewahr wird, daß die Dinge bei müßigem Zuschauen durch schwäch¬
liches Gehenlassen alle Tage schlimmer werden, so gilt es zu handeln. In
diesem Sinne könnte eine politische Lage kaum klarer sein als die, in der Öster¬
reich gegenwärtig ist; wenn die Negierung nicht bald handelt, kann man un¬
gefähr voraussagen, wie lange es noch dauern kann, bis es zum Handeln zu
spät ist.

Was besonders Böhmen und die Sprachenfrage anlangt, von der hier
in erster Reihe die Rede ist, so ist das Programm nicht schwer aufzustellen-
Die österreichische Regierung müßte vor allem ihr Ansehen dadurch neu be¬
festigen, daß sie die Staatssprache in Böhmen im bisherigen Umfang wieder
herstellt, und wenn dies geschehn ist — nicht eher —, wird es Zeit sein, für
die Beschwerden Böhmens Abhilfe zu schaffen, in freisinnigster Weise und unter
möglichster Berücksichtigung aller billigen Wünsche, sie mögen von tschechischer
Seite laut geworden sein oder von deutsch-österreichischer.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551/290>, abgerufen am 04.07.2024.