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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr.

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Böhmische Wirren

suchte, passiert sein, daß der Tscheche, mit dein er zu thun hatte, und der an¬
fänglich kein Wort deutsch zu verstehn vorgab, mit jeder fernern Minute, die
das Gespräch währte, größere Sprachfertigkeit im Deutschen entwickelte, bis
er sich schließlich als erfahrner Linguist entpuppte. Daß er anfänglich kein
Wort deutsch verstand, war lediglich ein Ausfluß der nationalen Erbitterung;
sobald er sah, daß dazu im einzelnen Fall keine Veranlassung war, zog er
die Krallen ein, und es war, als hätte er nie welche gehabt. Daß der Tscheche,
auch abgesehen von seinen Talenten, einer der liebenswürdigsten Gesellschafter
ist, mit denen einen das Schicksal zusammenbringen kann, sei nur deshalb bei¬
läufig erwähnt, weil sich davon die Deutschen, die nicht wenigstens ein bischen
Tschechisch radebrecheu, nicht immer überzeugt haben dürften.

Während viele Tschechen vermöge des dem Slawen meist angebornen
Sprachtalents geläufig und mit einem durchaus uicht unangenehmen Accent
deutsch sprechen, ist umgekehrt die Zahl der Deutschen, deren Leistung ein
tschechisches Ohr befriedigen könnte, verhältnismäßig gering. Man geht wohl
kaum irre, wenn man annimmt, daß nnr der, der diese schöne, aber äußerst
schwierige Sprache schon in frühester Kindheit gelernt hat, mit ihr, was man
sagen möchte, wirklich zurechtkommt.

Auch der Umstand darf, wenn es sich um das gegenseitige Verhältnis
der beiden Sprachen handelt, nicht außer acht gelassen werden, daß der Deutsche
tschechisch nur dem Tschechen zu Gefallen und nur zum Gebrauch in Böhmen
lernt, während das Deutsche dem Tscheche" schon beim ersten Schritt über die
Grenzen seines engern Vaterlandes unerläßlich ist.

Die Spracheufrage ist, wie wir augedeutet haben, lediglich ein Vorwand,
ein Agitationsmittcl in den Händen derer, denen es darum zu thun ist, den
Tschechen glauben zu machen, der Grund, warum man auf der Staatssprache
bestehe, sei Hochmut und böser Wille. Wäre man nicht schlecht zu sprechen
auf die Deutschen, und fühlte man sich nicht durch die Herabdrückung des König¬
reichs zu einer Provinz beschwert, wäre für die Tschechen nichts einfacher und
leichter als sich nach wie vor der deutschen Sprache im Verkehr mit den Be¬
hörden und während ihrer Militärzeit, wo es vorgeschrieben ist, zu bedienen.
Mit etwas gutem Willen muß jeder Mensch einsehen, daß ein Staat wie
Österreich, wenn er nicht aus dem Leim gehn soll, einer möglichst in alle
Schichten des Volks eingedrungnen Staatssprache schlechterdings nicht entraten
kann, und daß die von den Panslawisten und Autonomen gemachten Versuche,
die deutsche Sprache aus ihrer bisherigen Stellung zu verdrängen, ganz ebenso
gegen den österreichischen Staat wie gegen die deutsche Bevölkerung Böhmens
gerichtet sind.

Als bei den Rekrutierungen die ersten Symptome der Zde-Bewegung
wahrnehmbar wurden, ist von den Militärbehörden in ausführlichen Rapporten
auf die Notwendigkeit hingewiesen worden, diesen Samen der Insubordination
und vatcrlandsseindlicher, anarchistischer Tendenzen im Keimen zu ersticken. Es
ist auch militürischerseits mit der nötigen Energie dagegen eingeschritten worden.


Grenzboten I 1900 3K
Böhmische Wirren

suchte, passiert sein, daß der Tscheche, mit dein er zu thun hatte, und der an¬
fänglich kein Wort deutsch zu verstehn vorgab, mit jeder fernern Minute, die
das Gespräch währte, größere Sprachfertigkeit im Deutschen entwickelte, bis
er sich schließlich als erfahrner Linguist entpuppte. Daß er anfänglich kein
Wort deutsch verstand, war lediglich ein Ausfluß der nationalen Erbitterung;
sobald er sah, daß dazu im einzelnen Fall keine Veranlassung war, zog er
die Krallen ein, und es war, als hätte er nie welche gehabt. Daß der Tscheche,
auch abgesehen von seinen Talenten, einer der liebenswürdigsten Gesellschafter
ist, mit denen einen das Schicksal zusammenbringen kann, sei nur deshalb bei¬
läufig erwähnt, weil sich davon die Deutschen, die nicht wenigstens ein bischen
Tschechisch radebrecheu, nicht immer überzeugt haben dürften.

Während viele Tschechen vermöge des dem Slawen meist angebornen
Sprachtalents geläufig und mit einem durchaus uicht unangenehmen Accent
deutsch sprechen, ist umgekehrt die Zahl der Deutschen, deren Leistung ein
tschechisches Ohr befriedigen könnte, verhältnismäßig gering. Man geht wohl
kaum irre, wenn man annimmt, daß nnr der, der diese schöne, aber äußerst
schwierige Sprache schon in frühester Kindheit gelernt hat, mit ihr, was man
sagen möchte, wirklich zurechtkommt.

Auch der Umstand darf, wenn es sich um das gegenseitige Verhältnis
der beiden Sprachen handelt, nicht außer acht gelassen werden, daß der Deutsche
tschechisch nur dem Tschechen zu Gefallen und nur zum Gebrauch in Böhmen
lernt, während das Deutsche dem Tscheche» schon beim ersten Schritt über die
Grenzen seines engern Vaterlandes unerläßlich ist.

Die Spracheufrage ist, wie wir augedeutet haben, lediglich ein Vorwand,
ein Agitationsmittcl in den Händen derer, denen es darum zu thun ist, den
Tschechen glauben zu machen, der Grund, warum man auf der Staatssprache
bestehe, sei Hochmut und böser Wille. Wäre man nicht schlecht zu sprechen
auf die Deutschen, und fühlte man sich nicht durch die Herabdrückung des König¬
reichs zu einer Provinz beschwert, wäre für die Tschechen nichts einfacher und
leichter als sich nach wie vor der deutschen Sprache im Verkehr mit den Be¬
hörden und während ihrer Militärzeit, wo es vorgeschrieben ist, zu bedienen.
Mit etwas gutem Willen muß jeder Mensch einsehen, daß ein Staat wie
Österreich, wenn er nicht aus dem Leim gehn soll, einer möglichst in alle
Schichten des Volks eingedrungnen Staatssprache schlechterdings nicht entraten
kann, und daß die von den Panslawisten und Autonomen gemachten Versuche,
die deutsche Sprache aus ihrer bisherigen Stellung zu verdrängen, ganz ebenso
gegen den österreichischen Staat wie gegen die deutsche Bevölkerung Böhmens
gerichtet sind.

Als bei den Rekrutierungen die ersten Symptome der Zde-Bewegung
wahrnehmbar wurden, ist von den Militärbehörden in ausführlichen Rapporten
auf die Notwendigkeit hingewiesen worden, diesen Samen der Insubordination
und vatcrlandsseindlicher, anarchistischer Tendenzen im Keimen zu ersticken. Es
ist auch militürischerseits mit der nötigen Energie dagegen eingeschritten worden.


Grenzboten I 1900 3K
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[0289] Böhmische Wirren suchte, passiert sein, daß der Tscheche, mit dein er zu thun hatte, und der an¬ fänglich kein Wort deutsch zu verstehn vorgab, mit jeder fernern Minute, die das Gespräch währte, größere Sprachfertigkeit im Deutschen entwickelte, bis er sich schließlich als erfahrner Linguist entpuppte. Daß er anfänglich kein Wort deutsch verstand, war lediglich ein Ausfluß der nationalen Erbitterung; sobald er sah, daß dazu im einzelnen Fall keine Veranlassung war, zog er die Krallen ein, und es war, als hätte er nie welche gehabt. Daß der Tscheche, auch abgesehen von seinen Talenten, einer der liebenswürdigsten Gesellschafter ist, mit denen einen das Schicksal zusammenbringen kann, sei nur deshalb bei¬ läufig erwähnt, weil sich davon die Deutschen, die nicht wenigstens ein bischen Tschechisch radebrecheu, nicht immer überzeugt haben dürften. Während viele Tschechen vermöge des dem Slawen meist angebornen Sprachtalents geläufig und mit einem durchaus uicht unangenehmen Accent deutsch sprechen, ist umgekehrt die Zahl der Deutschen, deren Leistung ein tschechisches Ohr befriedigen könnte, verhältnismäßig gering. Man geht wohl kaum irre, wenn man annimmt, daß nnr der, der diese schöne, aber äußerst schwierige Sprache schon in frühester Kindheit gelernt hat, mit ihr, was man sagen möchte, wirklich zurechtkommt. Auch der Umstand darf, wenn es sich um das gegenseitige Verhältnis der beiden Sprachen handelt, nicht außer acht gelassen werden, daß der Deutsche tschechisch nur dem Tschechen zu Gefallen und nur zum Gebrauch in Böhmen lernt, während das Deutsche dem Tscheche» schon beim ersten Schritt über die Grenzen seines engern Vaterlandes unerläßlich ist. Die Spracheufrage ist, wie wir augedeutet haben, lediglich ein Vorwand, ein Agitationsmittcl in den Händen derer, denen es darum zu thun ist, den Tschechen glauben zu machen, der Grund, warum man auf der Staatssprache bestehe, sei Hochmut und böser Wille. Wäre man nicht schlecht zu sprechen auf die Deutschen, und fühlte man sich nicht durch die Herabdrückung des König¬ reichs zu einer Provinz beschwert, wäre für die Tschechen nichts einfacher und leichter als sich nach wie vor der deutschen Sprache im Verkehr mit den Be¬ hörden und während ihrer Militärzeit, wo es vorgeschrieben ist, zu bedienen. Mit etwas gutem Willen muß jeder Mensch einsehen, daß ein Staat wie Österreich, wenn er nicht aus dem Leim gehn soll, einer möglichst in alle Schichten des Volks eingedrungnen Staatssprache schlechterdings nicht entraten kann, und daß die von den Panslawisten und Autonomen gemachten Versuche, die deutsche Sprache aus ihrer bisherigen Stellung zu verdrängen, ganz ebenso gegen den österreichischen Staat wie gegen die deutsche Bevölkerung Böhmens gerichtet sind. Als bei den Rekrutierungen die ersten Symptome der Zde-Bewegung wahrnehmbar wurden, ist von den Militärbehörden in ausführlichen Rapporten auf die Notwendigkeit hingewiesen worden, diesen Samen der Insubordination und vatcrlandsseindlicher, anarchistischer Tendenzen im Keimen zu ersticken. Es ist auch militürischerseits mit der nötigen Energie dagegen eingeschritten worden. Grenzboten I 1900 3K

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551/289>, abgerufen am 04.07.2024.