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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr.

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Das Lbeubürtigkeitsrecht des preußischen Uöittgshauses

Waren die Harrach ein altreichsgräfliches Haus? Ihr Reichsgrafendiplvm
datiert vom 20. Juli 1627.

Es ist nun unmöglich, hier auf die Streitfrage hinsichtlich des Begriffs der
"altreichsgräflichen" Häuser einzugehn. Ich muß mich damit begnügen, fest¬
zustellen, daß einige meinen, unter "alten" Reichsgrasen feien nur solche zu
verstehn, die seit unvordenklicher Zeit im Besitz der Grafenwürde waren, während
andre das Jahr 1658 für die Unterscheidung zwischen alten und neuen Grafen
für maßgebend halten. Es wären also nach der einen Ansicht die Harrach alte
Reichsgrasen, nach der andern aber nicht.

Ich halte nun meinerseits die Ansicht, das Jahr 1658 sei das Grenzjahr,
für falsch und den unvordenklichen Besitz der Grafenwürde für das richtige
Kennzeichen der alten Reichsgrasen, aber zu der Zeit Friedrichs des Großen
herrschte, soweit ich sehen kann, die, das Jahr 1658 sei das Grenzjahr.

Hiernach kommt man aber über die Feststellung nicht hinaus, daß Friedrich
der Große sehr wahrscheinlich die Gräfin Auguste Harrach für ebenbürtig an¬
gesehen haben würde.


2

Es wird daher die Frage zu untersuchen sein, ob das preußische Haus¬
recht seit Friedrichs Zeit strenger geworden ist.

Ein Hindernis für das Eintreten einer solchen Verschärfung giebt es
nicht. Zwar hebt Treitschke mit Recht hervor, daß das Schreiben Friedrichs
des Großen "als Erklärung des Oberhaupts der Dynastie für die Nachfolger
bindend war, solange sie nicht durch ein Hausgesetz beseitigt war,"'^) allein es
kann keinem Zweifel unterliegen, daß dem nichts entgegenstand, das Ebenbürtig¬
keitsrecht des preußischen Hauses noch zu steigern, auch durch Observanz. Hat
nun eine Steigerung stattgefunden? Worin besteht diese Steigerung?

Um die Beantwortung dieser Frage zu finden, ist es unumgänglich, das
gemeine Recht der Zeit zwischen dein Schreiben Friedrichs des Großen und
dem Jahre der Vermählung Friedrich Wilhelms 111. mit der Gräfin Auguste
Harrach zu untersuchen.

Zu diesem Zwecke sind drei Perioden zu unterscheiden. Zunächst die Zeit
bis zum Untergange des Reichs, also bis zum Jahre 1806, sodann die Zeit
vom Jahre 1806 bis zum Abschluß der deutschen Bundesakte, also bis zum
Jahre 1815, endlich die Zeit vom Jahre 1815 bis zum Jahre 1824.

Über die Frage, was in den letzten Jahrzehnten des untergehenden heiligen
römischen Reichs hinsichtlich der Ebenbürtigkeit gemeines Recht gewesen sei,
herrscht in der Wissenschaft Streit.

Ich kann hierauf nur ganz kurz eingehn.

I. I. Moser und seine Schule nehmen an, daß nach gemeinem Rechte
die Ehe eines hochadlichen Herrn mit einer Dame von stiftsmäßigem niedern
Adel ebenbürtig sei. (Er erklärt "eines Fürsten Ehe mit einer nicht Stifts-



Preußische Geschichte, Band 4, Seite 739.
Das Lbeubürtigkeitsrecht des preußischen Uöittgshauses

Waren die Harrach ein altreichsgräfliches Haus? Ihr Reichsgrafendiplvm
datiert vom 20. Juli 1627.

Es ist nun unmöglich, hier auf die Streitfrage hinsichtlich des Begriffs der
„altreichsgräflichen" Häuser einzugehn. Ich muß mich damit begnügen, fest¬
zustellen, daß einige meinen, unter „alten" Reichsgrasen feien nur solche zu
verstehn, die seit unvordenklicher Zeit im Besitz der Grafenwürde waren, während
andre das Jahr 1658 für die Unterscheidung zwischen alten und neuen Grafen
für maßgebend halten. Es wären also nach der einen Ansicht die Harrach alte
Reichsgrasen, nach der andern aber nicht.

Ich halte nun meinerseits die Ansicht, das Jahr 1658 sei das Grenzjahr,
für falsch und den unvordenklichen Besitz der Grafenwürde für das richtige
Kennzeichen der alten Reichsgrasen, aber zu der Zeit Friedrichs des Großen
herrschte, soweit ich sehen kann, die, das Jahr 1658 sei das Grenzjahr.

Hiernach kommt man aber über die Feststellung nicht hinaus, daß Friedrich
der Große sehr wahrscheinlich die Gräfin Auguste Harrach für ebenbürtig an¬
gesehen haben würde.


2

Es wird daher die Frage zu untersuchen sein, ob das preußische Haus¬
recht seit Friedrichs Zeit strenger geworden ist.

Ein Hindernis für das Eintreten einer solchen Verschärfung giebt es
nicht. Zwar hebt Treitschke mit Recht hervor, daß das Schreiben Friedrichs
des Großen „als Erklärung des Oberhaupts der Dynastie für die Nachfolger
bindend war, solange sie nicht durch ein Hausgesetz beseitigt war,"'^) allein es
kann keinem Zweifel unterliegen, daß dem nichts entgegenstand, das Ebenbürtig¬
keitsrecht des preußischen Hauses noch zu steigern, auch durch Observanz. Hat
nun eine Steigerung stattgefunden? Worin besteht diese Steigerung?

Um die Beantwortung dieser Frage zu finden, ist es unumgänglich, das
gemeine Recht der Zeit zwischen dein Schreiben Friedrichs des Großen und
dem Jahre der Vermählung Friedrich Wilhelms 111. mit der Gräfin Auguste
Harrach zu untersuchen.

Zu diesem Zwecke sind drei Perioden zu unterscheiden. Zunächst die Zeit
bis zum Untergange des Reichs, also bis zum Jahre 1806, sodann die Zeit
vom Jahre 1806 bis zum Abschluß der deutschen Bundesakte, also bis zum
Jahre 1815, endlich die Zeit vom Jahre 1815 bis zum Jahre 1824.

Über die Frage, was in den letzten Jahrzehnten des untergehenden heiligen
römischen Reichs hinsichtlich der Ebenbürtigkeit gemeines Recht gewesen sei,
herrscht in der Wissenschaft Streit.

Ich kann hierauf nur ganz kurz eingehn.

I. I. Moser und seine Schule nehmen an, daß nach gemeinem Rechte
die Ehe eines hochadlichen Herrn mit einer Dame von stiftsmäßigem niedern
Adel ebenbürtig sei. (Er erklärt „eines Fürsten Ehe mit einer nicht Stifts-



Preußische Geschichte, Band 4, Seite 739.
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[0283] Das Lbeubürtigkeitsrecht des preußischen Uöittgshauses Waren die Harrach ein altreichsgräfliches Haus? Ihr Reichsgrafendiplvm datiert vom 20. Juli 1627. Es ist nun unmöglich, hier auf die Streitfrage hinsichtlich des Begriffs der „altreichsgräflichen" Häuser einzugehn. Ich muß mich damit begnügen, fest¬ zustellen, daß einige meinen, unter „alten" Reichsgrasen feien nur solche zu verstehn, die seit unvordenklicher Zeit im Besitz der Grafenwürde waren, während andre das Jahr 1658 für die Unterscheidung zwischen alten und neuen Grafen für maßgebend halten. Es wären also nach der einen Ansicht die Harrach alte Reichsgrasen, nach der andern aber nicht. Ich halte nun meinerseits die Ansicht, das Jahr 1658 sei das Grenzjahr, für falsch und den unvordenklichen Besitz der Grafenwürde für das richtige Kennzeichen der alten Reichsgrasen, aber zu der Zeit Friedrichs des Großen herrschte, soweit ich sehen kann, die, das Jahr 1658 sei das Grenzjahr. Hiernach kommt man aber über die Feststellung nicht hinaus, daß Friedrich der Große sehr wahrscheinlich die Gräfin Auguste Harrach für ebenbürtig an¬ gesehen haben würde. 2 Es wird daher die Frage zu untersuchen sein, ob das preußische Haus¬ recht seit Friedrichs Zeit strenger geworden ist. Ein Hindernis für das Eintreten einer solchen Verschärfung giebt es nicht. Zwar hebt Treitschke mit Recht hervor, daß das Schreiben Friedrichs des Großen „als Erklärung des Oberhaupts der Dynastie für die Nachfolger bindend war, solange sie nicht durch ein Hausgesetz beseitigt war,"'^) allein es kann keinem Zweifel unterliegen, daß dem nichts entgegenstand, das Ebenbürtig¬ keitsrecht des preußischen Hauses noch zu steigern, auch durch Observanz. Hat nun eine Steigerung stattgefunden? Worin besteht diese Steigerung? Um die Beantwortung dieser Frage zu finden, ist es unumgänglich, das gemeine Recht der Zeit zwischen dein Schreiben Friedrichs des Großen und dem Jahre der Vermählung Friedrich Wilhelms 111. mit der Gräfin Auguste Harrach zu untersuchen. Zu diesem Zwecke sind drei Perioden zu unterscheiden. Zunächst die Zeit bis zum Untergange des Reichs, also bis zum Jahre 1806, sodann die Zeit vom Jahre 1806 bis zum Abschluß der deutschen Bundesakte, also bis zum Jahre 1815, endlich die Zeit vom Jahre 1815 bis zum Jahre 1824. Über die Frage, was in den letzten Jahrzehnten des untergehenden heiligen römischen Reichs hinsichtlich der Ebenbürtigkeit gemeines Recht gewesen sei, herrscht in der Wissenschaft Streit. Ich kann hierauf nur ganz kurz eingehn. I. I. Moser und seine Schule nehmen an, daß nach gemeinem Rechte die Ehe eines hochadlichen Herrn mit einer Dame von stiftsmäßigem niedern Adel ebenbürtig sei. (Er erklärt „eines Fürsten Ehe mit einer nicht Stifts- Preußische Geschichte, Band 4, Seite 739.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551/283>, abgerufen am 30.06.2024.