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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr.

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Knie zwischen Rom und dein mittlern Etrurie", so gelegt worden, daß sie durch
die feste Stube hindurchführte, also ganz in den Händen ihrer Besatzung war,
Rechts steigen die gelben Felswände empor, mit Massen von Epheu Überkleider,
der in dichten dunkelgrünen Teppichen herabhängt, links öffnet sich der Blick
i" die weite Landschaft hinaus, am umfassendsten und schönsten von einer
Bastion, ganz oben auf der Höhe des Plateaus, unweit der Porta San
Patrizio. Hier genossen anch einige Einheimische behaglich und still sich sonnend
den köstlichen Abend und die Aussicht. Tief unten liegt das breite Thal der
Paglia, die zwischen Weißen Sandbänken zur Tiber hinabströmt, besät mit
zahlreichen Einzelhöfen zwischen grünenden Feldern und Weinpflanzungen, die
den schönen goldgelben Orvieto liefern, eingeschlossen von sanften, zum Teil
bewaldeten Höhenzügen. Im Norden ragt der spitze Kegel des Monte Amiato
auf, im Südosten über blauen Berglinien der schneebedeckte Kamm der Apen¬
ninen. Erst von hier ans, die Umgegend in ganzer Ausdehnung vor Augen,
begreift man völlig die beherrschende Lage der alten Stadt und ihre Wichtigkeit
für die Päpste, denen sie schon seit 1157 gehörte. Auf dem höchsten Punkt,
am Ostende, hat anch der Kardinal Albornvz 1364 die "Festung" (Fortezza)
gebaut, zur Beherrschung des alten steilen Ausgangs vom Thale her und
Zugleich als Zwingburg gegen die Bürgerschaft, eine Anlage, wie sie sich
zu diesem doppelten Zwecke in so vielen italienischen Städten, in Perugia,
Sienci, Florenz, Mailand und audern mehr findet. Sie hat noch einmal die
Rolle einer Zwingburg gespielt, als am 9. September 1860 die Orvietaner,
unterstützt von der umbrischen Nachbarschaft, die päpstliche Besatzung verjagten
und sich den im Kirchenstaat einmarschierenden Piemontesen anschlössen. Eine
Inschrift über dem Thor erinnert daran. Seitdem ist die Festung in einen
aussichtsreichen öffentlichen Garten verwandelt, dessen offnes Amphitheater
nach antiker Weise zu Festen und Schaustellungen dient.

Im Nordwesten stand schon der purpurne Abendhimmel über der alten
Felsenstadt, als ich zum Bahnhof hinnnterfnhr.

Von Orvieto kann man direkt nach Siena gelangen, wenn man bei Ehinsi,
dem uralten Clusium, auf die Nebenlinie übergeht, die nach Empoli an der Bahn
bon Florenz nach Pisa führt, oder mau unternimmt den Ausflug von Florenz aus,
Wozu etwa drei Stunden für die Hinfahrt, zurück etwas weniger erforderlich sind.
Denn die Bahn steigt vom Arnvthal ans nach Siena stark um. Bei der Abfahrt
aus Florenz zeigte der klare Morgen das breite reichbebante Arnothal und das
weißschunmerndc Fiesole auf seiner Höhe in schönster Beleuchtung. Das Coupe
teilten mit mir nur ein jüngeres Ehepaar aus Sieur und ein Herr, der mir
anfangs den Eindruck eines Engländers machte, sich aber dann als ein russischer
Offizier und als langjähriger Adjutant eines Großfürsten zu erkennen gab,
selbstverständlich ein feingebildeter Mann lind weit gereist, wie er denn jetzt
""f einer Tour von Odessa über Konstantinopel, Athen, Brindisi, Neapel,
Nom, Florenz nach Pisa, Genua, Nizza und Paris begriffen war und anch
Deutschland kannte. Bon Florenz begeistert, wollte er auch Siena sehen, und


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Knie zwischen Rom und dein mittlern Etrurie», so gelegt worden, daß sie durch
die feste Stube hindurchführte, also ganz in den Händen ihrer Besatzung war,
Rechts steigen die gelben Felswände empor, mit Massen von Epheu Überkleider,
der in dichten dunkelgrünen Teppichen herabhängt, links öffnet sich der Blick
i» die weite Landschaft hinaus, am umfassendsten und schönsten von einer
Bastion, ganz oben auf der Höhe des Plateaus, unweit der Porta San
Patrizio. Hier genossen anch einige Einheimische behaglich und still sich sonnend
den köstlichen Abend und die Aussicht. Tief unten liegt das breite Thal der
Paglia, die zwischen Weißen Sandbänken zur Tiber hinabströmt, besät mit
zahlreichen Einzelhöfen zwischen grünenden Feldern und Weinpflanzungen, die
den schönen goldgelben Orvieto liefern, eingeschlossen von sanften, zum Teil
bewaldeten Höhenzügen. Im Norden ragt der spitze Kegel des Monte Amiato
auf, im Südosten über blauen Berglinien der schneebedeckte Kamm der Apen¬
ninen. Erst von hier ans, die Umgegend in ganzer Ausdehnung vor Augen,
begreift man völlig die beherrschende Lage der alten Stadt und ihre Wichtigkeit
für die Päpste, denen sie schon seit 1157 gehörte. Auf dem höchsten Punkt,
am Ostende, hat anch der Kardinal Albornvz 1364 die „Festung" (Fortezza)
gebaut, zur Beherrschung des alten steilen Ausgangs vom Thale her und
Zugleich als Zwingburg gegen die Bürgerschaft, eine Anlage, wie sie sich
zu diesem doppelten Zwecke in so vielen italienischen Städten, in Perugia,
Sienci, Florenz, Mailand und audern mehr findet. Sie hat noch einmal die
Rolle einer Zwingburg gespielt, als am 9. September 1860 die Orvietaner,
unterstützt von der umbrischen Nachbarschaft, die päpstliche Besatzung verjagten
und sich den im Kirchenstaat einmarschierenden Piemontesen anschlössen. Eine
Inschrift über dem Thor erinnert daran. Seitdem ist die Festung in einen
aussichtsreichen öffentlichen Garten verwandelt, dessen offnes Amphitheater
nach antiker Weise zu Festen und Schaustellungen dient.

Im Nordwesten stand schon der purpurne Abendhimmel über der alten
Felsenstadt, als ich zum Bahnhof hinnnterfnhr.

Von Orvieto kann man direkt nach Siena gelangen, wenn man bei Ehinsi,
dem uralten Clusium, auf die Nebenlinie übergeht, die nach Empoli an der Bahn
bon Florenz nach Pisa führt, oder mau unternimmt den Ausflug von Florenz aus,
Wozu etwa drei Stunden für die Hinfahrt, zurück etwas weniger erforderlich sind.
Denn die Bahn steigt vom Arnvthal ans nach Siena stark um. Bei der Abfahrt
aus Florenz zeigte der klare Morgen das breite reichbebante Arnothal und das
weißschunmerndc Fiesole auf seiner Höhe in schönster Beleuchtung. Das Coupe
teilten mit mir nur ein jüngeres Ehepaar aus Sieur und ein Herr, der mir
anfangs den Eindruck eines Engländers machte, sich aber dann als ein russischer
Offizier und als langjähriger Adjutant eines Großfürsten zu erkennen gab,
selbstverständlich ein feingebildeter Mann lind weit gereist, wie er denn jetzt
"»f einer Tour von Odessa über Konstantinopel, Athen, Brindisi, Neapel,
Nom, Florenz nach Pisa, Genua, Nizza und Paris begriffen war und anch
Deutschland kannte. Bon Florenz begeistert, wollte er auch Siena sehen, und


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[0257] Knie zwischen Rom und dein mittlern Etrurie», so gelegt worden, daß sie durch die feste Stube hindurchführte, also ganz in den Händen ihrer Besatzung war, Rechts steigen die gelben Felswände empor, mit Massen von Epheu Überkleider, der in dichten dunkelgrünen Teppichen herabhängt, links öffnet sich der Blick i» die weite Landschaft hinaus, am umfassendsten und schönsten von einer Bastion, ganz oben auf der Höhe des Plateaus, unweit der Porta San Patrizio. Hier genossen anch einige Einheimische behaglich und still sich sonnend den köstlichen Abend und die Aussicht. Tief unten liegt das breite Thal der Paglia, die zwischen Weißen Sandbänken zur Tiber hinabströmt, besät mit zahlreichen Einzelhöfen zwischen grünenden Feldern und Weinpflanzungen, die den schönen goldgelben Orvieto liefern, eingeschlossen von sanften, zum Teil bewaldeten Höhenzügen. Im Norden ragt der spitze Kegel des Monte Amiato auf, im Südosten über blauen Berglinien der schneebedeckte Kamm der Apen¬ ninen. Erst von hier ans, die Umgegend in ganzer Ausdehnung vor Augen, begreift man völlig die beherrschende Lage der alten Stadt und ihre Wichtigkeit für die Päpste, denen sie schon seit 1157 gehörte. Auf dem höchsten Punkt, am Ostende, hat anch der Kardinal Albornvz 1364 die „Festung" (Fortezza) gebaut, zur Beherrschung des alten steilen Ausgangs vom Thale her und Zugleich als Zwingburg gegen die Bürgerschaft, eine Anlage, wie sie sich zu diesem doppelten Zwecke in so vielen italienischen Städten, in Perugia, Sienci, Florenz, Mailand und audern mehr findet. Sie hat noch einmal die Rolle einer Zwingburg gespielt, als am 9. September 1860 die Orvietaner, unterstützt von der umbrischen Nachbarschaft, die päpstliche Besatzung verjagten und sich den im Kirchenstaat einmarschierenden Piemontesen anschlössen. Eine Inschrift über dem Thor erinnert daran. Seitdem ist die Festung in einen aussichtsreichen öffentlichen Garten verwandelt, dessen offnes Amphitheater nach antiker Weise zu Festen und Schaustellungen dient. Im Nordwesten stand schon der purpurne Abendhimmel über der alten Felsenstadt, als ich zum Bahnhof hinnnterfnhr. Von Orvieto kann man direkt nach Siena gelangen, wenn man bei Ehinsi, dem uralten Clusium, auf die Nebenlinie übergeht, die nach Empoli an der Bahn bon Florenz nach Pisa führt, oder mau unternimmt den Ausflug von Florenz aus, Wozu etwa drei Stunden für die Hinfahrt, zurück etwas weniger erforderlich sind. Denn die Bahn steigt vom Arnvthal ans nach Siena stark um. Bei der Abfahrt aus Florenz zeigte der klare Morgen das breite reichbebante Arnothal und das weißschunmerndc Fiesole auf seiner Höhe in schönster Beleuchtung. Das Coupe teilten mit mir nur ein jüngeres Ehepaar aus Sieur und ein Herr, der mir anfangs den Eindruck eines Engländers machte, sich aber dann als ein russischer Offizier und als langjähriger Adjutant eines Großfürsten zu erkennen gab, selbstverständlich ein feingebildeter Mann lind weit gereist, wie er denn jetzt "»f einer Tour von Odessa über Konstantinopel, Athen, Brindisi, Neapel, Nom, Florenz nach Pisa, Genua, Nizza und Paris begriffen war und anch Deutschland kannte. Bon Florenz begeistert, wollte er auch Siena sehen, und Grenzboten I 1W0

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551/257>, abgerufen am 04.07.2024.