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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr.

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ihrer Sage z. V. Theseus in Attika und im vollen Lichte der Geschichte Epa-
minondas durchführte, mis er Megalopolis und Messene gründete, war eben
nicht nur eine politische Zentralisierung, sondern ebenso gut eine örtliche, und
diese vollzog sich in dein sehr früh hochentwickelten Etrurien much sehr früh.
Aber wahrend Sieur, obwohl römische Kolonie (Senn Julin), im Altertum
unbedeutend blieb, stand auf dem Felsen von Orvieto die wichtigste der zwölf
etruskischen Buudesstndte, Volsinii, das die Römer, sich in den Kampf zwischen
den Geschlechtern und dem Volke einmischend, schon 265 v, Chr. völlig zer¬
störten. Erst im sechsten Jahrhundert taucht der Ort als eine bewohnte
Stätte, als Ilrbs vstuL wieder auf, ein an die alte Vergangenheit anknüpfender
Name, aus dem später die moderne Form Orvieto hervorging. Doch an Be¬
deutung wurde es im Mittelalter von dem früher wenig genannten Siena weit
übertroffen, und so sind beide Städte in dem, was sie an Denkmälern bieten,
außerordentlich verschieden.

Es war ein herrlicher, frischer, ganz frühlingsmüßiger Morgen gegen Ende
November, als ich von Rom auf der großen Schnellzugsliuie nach Florenz
abfuhr. Alles strahlte im hellen Sonnenlichte: die grüne Campagna mit ihren
Ackerfluren und weidenden Herden, die langen Bogenreihen der Aquädukte, die
schönen Linien der Albaner- und Sabinerbergc, über die sich weißglänzend die
frisch beschneiten höhern Rücken der Apenninen erhoben, und der zackige Sornkte,
der im Norden zunächst das Bild abschloß. Ich konnte das alles sehr bequem
beobachten, denn nnßer mir war mir ein junges italienisches Ehepaar im Coupe,
der Mann klein, behend, beweglich, die Frau kräftig, ruhig, von regelmäßigen aber
mehr ausgeprägten als feinen Zügen, mit starkem schlvarzem Haar, leicht gebogner
Nase und schwarzen, großen, weit offnen Angen von dem etwas starren Blick,
den Homer an der /Soc??res -rorvt" "Ltz"?, der "ochsenäugigen" Herrscherin Here
preist, lind den man nicht nur um antiken Hereköpfen, sondern auch an modernen
Italienerinnen häufig findet. Im breiten, baumreichen, sorgfältig angebauten
Tiberthale ging es dann aufwärts, nur streckenweise dicht an dem schönen,
grünen Flusse hin; hoch oben seitwärts ragten die kleinen Städte der Land¬
schaft: Stimiglianv, Otrieoli, wo der berühmte Zeuskopf gefunden worden ist,
Citlal Castellana, das antike Falerii, wo Goethe die letzte Nacht vor seiner
Ankunft in Rom znbrnchte, endlich, auf seinem flachen .Kegel malerisch auf¬
gebaut, das Bergnest Orte, wo die Linie nach Foligno und Ancona ab¬
geht. Nach kaum zweistündiger Fahrt tauchte links dicht an der Bahn ein
mächtiger gelblichbrauner Felsblock auf, dessen Wände so steil abfallen, daß
die oben liegende Stadt zunächst fast unsichtbar bleibt; es war Orvieto. Eine
Drahtseilbahn vermittelt heute den Verkehr zwischen dem Bahnhof und der
mehr als 200 Meter über der Thalsohle liegenden Stadt. Kaum ein halb
Dutzend Mensche" benützten die bequeme Gelegenheit, darunter ein deutsches
Ehepaar, und auch oben war von Fremden außer diesem nichts z" bemerken-
Seit Wochen, sagte daun die muntre gesprächige Wirtin des trefflichen Albergo
Tvrdi e Aquila bianca, eine ältere Frau, die einmal schön gewesen sein mußte


ihrer Sage z. V. Theseus in Attika und im vollen Lichte der Geschichte Epa-
minondas durchführte, mis er Megalopolis und Messene gründete, war eben
nicht nur eine politische Zentralisierung, sondern ebenso gut eine örtliche, und
diese vollzog sich in dein sehr früh hochentwickelten Etrurien much sehr früh.
Aber wahrend Sieur, obwohl römische Kolonie (Senn Julin), im Altertum
unbedeutend blieb, stand auf dem Felsen von Orvieto die wichtigste der zwölf
etruskischen Buudesstndte, Volsinii, das die Römer, sich in den Kampf zwischen
den Geschlechtern und dem Volke einmischend, schon 265 v, Chr. völlig zer¬
störten. Erst im sechsten Jahrhundert taucht der Ort als eine bewohnte
Stätte, als Ilrbs vstuL wieder auf, ein an die alte Vergangenheit anknüpfender
Name, aus dem später die moderne Form Orvieto hervorging. Doch an Be¬
deutung wurde es im Mittelalter von dem früher wenig genannten Siena weit
übertroffen, und so sind beide Städte in dem, was sie an Denkmälern bieten,
außerordentlich verschieden.

Es war ein herrlicher, frischer, ganz frühlingsmüßiger Morgen gegen Ende
November, als ich von Rom auf der großen Schnellzugsliuie nach Florenz
abfuhr. Alles strahlte im hellen Sonnenlichte: die grüne Campagna mit ihren
Ackerfluren und weidenden Herden, die langen Bogenreihen der Aquädukte, die
schönen Linien der Albaner- und Sabinerbergc, über die sich weißglänzend die
frisch beschneiten höhern Rücken der Apenninen erhoben, und der zackige Sornkte,
der im Norden zunächst das Bild abschloß. Ich konnte das alles sehr bequem
beobachten, denn nnßer mir war mir ein junges italienisches Ehepaar im Coupe,
der Mann klein, behend, beweglich, die Frau kräftig, ruhig, von regelmäßigen aber
mehr ausgeprägten als feinen Zügen, mit starkem schlvarzem Haar, leicht gebogner
Nase und schwarzen, großen, weit offnen Angen von dem etwas starren Blick,
den Homer an der /Soc??res -rorvt« "Ltz»?, der „ochsenäugigen" Herrscherin Here
preist, lind den man nicht nur um antiken Hereköpfen, sondern auch an modernen
Italienerinnen häufig findet. Im breiten, baumreichen, sorgfältig angebauten
Tiberthale ging es dann aufwärts, nur streckenweise dicht an dem schönen,
grünen Flusse hin; hoch oben seitwärts ragten die kleinen Städte der Land¬
schaft: Stimiglianv, Otrieoli, wo der berühmte Zeuskopf gefunden worden ist,
Citlal Castellana, das antike Falerii, wo Goethe die letzte Nacht vor seiner
Ankunft in Rom znbrnchte, endlich, auf seinem flachen .Kegel malerisch auf¬
gebaut, das Bergnest Orte, wo die Linie nach Foligno und Ancona ab¬
geht. Nach kaum zweistündiger Fahrt tauchte links dicht an der Bahn ein
mächtiger gelblichbrauner Felsblock auf, dessen Wände so steil abfallen, daß
die oben liegende Stadt zunächst fast unsichtbar bleibt; es war Orvieto. Eine
Drahtseilbahn vermittelt heute den Verkehr zwischen dem Bahnhof und der
mehr als 200 Meter über der Thalsohle liegenden Stadt. Kaum ein halb
Dutzend Mensche» benützten die bequeme Gelegenheit, darunter ein deutsches
Ehepaar, und auch oben war von Fremden außer diesem nichts z» bemerken-
Seit Wochen, sagte daun die muntre gesprächige Wirtin des trefflichen Albergo
Tvrdi e Aquila bianca, eine ältere Frau, die einmal schön gewesen sein mußte


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551/254>, abgerufen am 04.07.2024.