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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr.

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Gin Wort über die preußischen Generalkommissionen

So erleben wir das wunderbare, Wohl nur in Preußen mögliche Schauspiel,
daß ein Gerichtsassessar ein bis zwei Jahre nach bestandnen Examen die
schwierigsten landivirtschaftlichen Probleme spielend löst, Ländereien einschätzt,
umfassende Wegeanlagen projektiert und ausführt, Brücken baut, die Bauern
über die künftig zu befolgende Wirtschaftsweise aufklärt, Ent- lind Bewässerungen
anlegt, ohne nach dem Wortlaut des Gesetzes genötigt zu sein, eine sachver¬
ständige Belehrung einzuholen. Das geschieht denn auch ziemlich selten, denn
was mancher Jurist gelegentlich an technologischen Ausdrücken von den Bauern
aufgreift, dient oft mir dazu, seinen Protokollen und Berichten den nötigen,
"ach oben hin Eindruck machenden Erdgeruch zu geben. Man hat nnn zwar,
um sich vor der Öffentlichkeit und dein eignen Genüssen ein wenig zu snlviereu,
ein paar Kunststückchen gemacht, sodaß die brutale Wirklichkeit nicht so kraß
zu Tage tritt, und die sogenannte technische Qnalifikntwn eingeführt, die erst
nach etwa zweijähriger Thätigkeit verlieh" wird. Wo sich jedoch die Herren
die drzu erforderlichen, umfassenden Kenntnisse holen, darüber vermögen auch
eingeweihte Kopfe keinen Aufschluß zu geben. Man schickt die Assessoren neuer¬
dings drei bis sechs Monate auf die Domänen; aber durch dieses Mittel wird
bei dem heutigen Stande der Agriknltnrlvissenschaft oft mir ein schädliches
Dilettantentum erzeugt, das in Verbindung mit dem von der Behörde ge
forderten selbstbewußten Auftreten vom ersten Augenblick an nur geeignet ist,
auch bei den gewissenhaftesten Herren das Mißverhältnis zwischen Wissen und
Sollen zu verdecken. Dieser Zustand muß namentlich in den ersten Jahren,
wo das autoritative Auftreten noch nicht zur zweiten Natur geworden ist,
sicher allen so peinlich sein, daß ich überzeugt bin, eS würde kein Gerichts-
assessvr zu dieser Karriere greifen, wenn nicht die sehr günstigen pekuniären
Aussichten und die Anwartschaft auf den Titel eines Regierungsrath dazu
verlockten.

Der interessierten ländlichen Bevölkerung bleibt natürlich die oft geringe
sachverständige Einsicht mancher Kommissare nicht verborgen. Da aber die
Macht der Kommissare bei dem eigentümlichen Geschäftsgange den Interessenten
gegenüber fast absolut ist, so fühlt sich selten jemand veranlaßt zu widersprechen,
"in es mit den Herren nicht zu verderben. Hat der Kommissar etwa acht bis
zehn Jahre draußen gewirkt und sich durch Selbststudium vielleicht im fünften
oder sechsten Jahre das notwendige Maß an praktischen Kenntnissen erworben,
so kommt er als Regierungsrat in das Kollegin"! der Generalkommission nud
macht einem neuen unerfahrnen Assessor Platz, der sich nun in derselben Weise
ans Kosten der Interessenten nnsbildet.

Die zweite, wenig zahlreiche Klasse sind die sogenannten technischen Be¬
amten, d. h. Landwirte. Man hat immer das Bedürfnis empfunden, wenigstens
einige wirkliche Sachverständige in der Kommission zu haben, und so haben
jederzeit auch einige Landwirte zu den sonst verschlossenen Pforten der offiziellen
landwirtschaftlichen Behörde Preußens Einlaß gefunden. Aber auch hier hat
man häufig nicht das Richtige getroffen. Früher nahm man es mit der Vor-


Gin Wort über die preußischen Generalkommissionen

So erleben wir das wunderbare, Wohl nur in Preußen mögliche Schauspiel,
daß ein Gerichtsassessar ein bis zwei Jahre nach bestandnen Examen die
schwierigsten landivirtschaftlichen Probleme spielend löst, Ländereien einschätzt,
umfassende Wegeanlagen projektiert und ausführt, Brücken baut, die Bauern
über die künftig zu befolgende Wirtschaftsweise aufklärt, Ent- lind Bewässerungen
anlegt, ohne nach dem Wortlaut des Gesetzes genötigt zu sein, eine sachver¬
ständige Belehrung einzuholen. Das geschieht denn auch ziemlich selten, denn
was mancher Jurist gelegentlich an technologischen Ausdrücken von den Bauern
aufgreift, dient oft mir dazu, seinen Protokollen und Berichten den nötigen,
»ach oben hin Eindruck machenden Erdgeruch zu geben. Man hat nnn zwar,
um sich vor der Öffentlichkeit und dein eignen Genüssen ein wenig zu snlviereu,
ein paar Kunststückchen gemacht, sodaß die brutale Wirklichkeit nicht so kraß
zu Tage tritt, und die sogenannte technische Qnalifikntwn eingeführt, die erst
nach etwa zweijähriger Thätigkeit verlieh» wird. Wo sich jedoch die Herren
die drzu erforderlichen, umfassenden Kenntnisse holen, darüber vermögen auch
eingeweihte Kopfe keinen Aufschluß zu geben. Man schickt die Assessoren neuer¬
dings drei bis sechs Monate auf die Domänen; aber durch dieses Mittel wird
bei dem heutigen Stande der Agriknltnrlvissenschaft oft mir ein schädliches
Dilettantentum erzeugt, das in Verbindung mit dem von der Behörde ge
forderten selbstbewußten Auftreten vom ersten Augenblick an nur geeignet ist,
auch bei den gewissenhaftesten Herren das Mißverhältnis zwischen Wissen und
Sollen zu verdecken. Dieser Zustand muß namentlich in den ersten Jahren,
wo das autoritative Auftreten noch nicht zur zweiten Natur geworden ist,
sicher allen so peinlich sein, daß ich überzeugt bin, eS würde kein Gerichts-
assessvr zu dieser Karriere greifen, wenn nicht die sehr günstigen pekuniären
Aussichten und die Anwartschaft auf den Titel eines Regierungsrath dazu
verlockten.

Der interessierten ländlichen Bevölkerung bleibt natürlich die oft geringe
sachverständige Einsicht mancher Kommissare nicht verborgen. Da aber die
Macht der Kommissare bei dem eigentümlichen Geschäftsgange den Interessenten
gegenüber fast absolut ist, so fühlt sich selten jemand veranlaßt zu widersprechen,
»in es mit den Herren nicht zu verderben. Hat der Kommissar etwa acht bis
zehn Jahre draußen gewirkt und sich durch Selbststudium vielleicht im fünften
oder sechsten Jahre das notwendige Maß an praktischen Kenntnissen erworben,
so kommt er als Regierungsrat in das Kollegin»! der Generalkommission nud
macht einem neuen unerfahrnen Assessor Platz, der sich nun in derselben Weise
ans Kosten der Interessenten nnsbildet.

Die zweite, wenig zahlreiche Klasse sind die sogenannten technischen Be¬
amten, d. h. Landwirte. Man hat immer das Bedürfnis empfunden, wenigstens
einige wirkliche Sachverständige in der Kommission zu haben, und so haben
jederzeit auch einige Landwirte zu den sonst verschlossenen Pforten der offiziellen
landwirtschaftlichen Behörde Preußens Einlaß gefunden. Aber auch hier hat
man häufig nicht das Richtige getroffen. Früher nahm man es mit der Vor-


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[0229] Gin Wort über die preußischen Generalkommissionen So erleben wir das wunderbare, Wohl nur in Preußen mögliche Schauspiel, daß ein Gerichtsassessar ein bis zwei Jahre nach bestandnen Examen die schwierigsten landivirtschaftlichen Probleme spielend löst, Ländereien einschätzt, umfassende Wegeanlagen projektiert und ausführt, Brücken baut, die Bauern über die künftig zu befolgende Wirtschaftsweise aufklärt, Ent- lind Bewässerungen anlegt, ohne nach dem Wortlaut des Gesetzes genötigt zu sein, eine sachver¬ ständige Belehrung einzuholen. Das geschieht denn auch ziemlich selten, denn was mancher Jurist gelegentlich an technologischen Ausdrücken von den Bauern aufgreift, dient oft mir dazu, seinen Protokollen und Berichten den nötigen, »ach oben hin Eindruck machenden Erdgeruch zu geben. Man hat nnn zwar, um sich vor der Öffentlichkeit und dein eignen Genüssen ein wenig zu snlviereu, ein paar Kunststückchen gemacht, sodaß die brutale Wirklichkeit nicht so kraß zu Tage tritt, und die sogenannte technische Qnalifikntwn eingeführt, die erst nach etwa zweijähriger Thätigkeit verlieh» wird. Wo sich jedoch die Herren die drzu erforderlichen, umfassenden Kenntnisse holen, darüber vermögen auch eingeweihte Kopfe keinen Aufschluß zu geben. Man schickt die Assessoren neuer¬ dings drei bis sechs Monate auf die Domänen; aber durch dieses Mittel wird bei dem heutigen Stande der Agriknltnrlvissenschaft oft mir ein schädliches Dilettantentum erzeugt, das in Verbindung mit dem von der Behörde ge forderten selbstbewußten Auftreten vom ersten Augenblick an nur geeignet ist, auch bei den gewissenhaftesten Herren das Mißverhältnis zwischen Wissen und Sollen zu verdecken. Dieser Zustand muß namentlich in den ersten Jahren, wo das autoritative Auftreten noch nicht zur zweiten Natur geworden ist, sicher allen so peinlich sein, daß ich überzeugt bin, eS würde kein Gerichts- assessvr zu dieser Karriere greifen, wenn nicht die sehr günstigen pekuniären Aussichten und die Anwartschaft auf den Titel eines Regierungsrath dazu verlockten. Der interessierten ländlichen Bevölkerung bleibt natürlich die oft geringe sachverständige Einsicht mancher Kommissare nicht verborgen. Da aber die Macht der Kommissare bei dem eigentümlichen Geschäftsgange den Interessenten gegenüber fast absolut ist, so fühlt sich selten jemand veranlaßt zu widersprechen, »in es mit den Herren nicht zu verderben. Hat der Kommissar etwa acht bis zehn Jahre draußen gewirkt und sich durch Selbststudium vielleicht im fünften oder sechsten Jahre das notwendige Maß an praktischen Kenntnissen erworben, so kommt er als Regierungsrat in das Kollegin»! der Generalkommission nud macht einem neuen unerfahrnen Assessor Platz, der sich nun in derselben Weise ans Kosten der Interessenten nnsbildet. Die zweite, wenig zahlreiche Klasse sind die sogenannten technischen Be¬ amten, d. h. Landwirte. Man hat immer das Bedürfnis empfunden, wenigstens einige wirkliche Sachverständige in der Kommission zu haben, und so haben jederzeit auch einige Landwirte zu den sonst verschlossenen Pforten der offiziellen landwirtschaftlichen Behörde Preußens Einlaß gefunden. Aber auch hier hat man häufig nicht das Richtige getroffen. Früher nahm man es mit der Vor-

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

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Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551/229>, abgerufen am 02.07.2024.