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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr.

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polnischen Einwohner zu verdeutschen. Wenn man oft hört und liest, das sei
ja gar uicht die Absicht, man wolle die Polen ruhig polnisch lassen, aber sie
nötigen, die Herrschaft der deutschen Sprache anzuerkennen, die Verschmelzung
mit dem Deutschtum nicht zu hindern u. dergl. -- so sprechen die Thatsachen
dagegen. Die Ordnung, die heute in Posen gehaudhnbt wird, bedeutet Ent¬
nationalisierung, Verdeutschung der Polen, und mau ist sich mir nicht ganz
klar darüber, wo mau vor alle", anfassen soll, ob beim Adel oder beim Bürger
oder beim Bauern. Früher hat mau auch viel geschwankt bei dem Entschluß
darüber, wie nun, die Polen behandeln solle; aber damals standen dem Staat
nur Adel und Klerus gegenüber, und man fragte sich, ob mau sie mit Güte
oder mit Härte zu guten Preußen machen solle. Man fing es bald so, bald
anders an, reizte den Widerstand und zog sich wieder zurück, bis man sich
endlich unter dem Zauber der von Bismarck eingeleiteten Politik der Kraft ein
Programm fertig machte mit dem Motto: "Und folgst du nicht willig, so
brauch ich Gewalt."

Inzwischen hatte sich aber das Polentum materiell gehoben und moralisch
in seinem nationalen Bewußtsein verschanzt; es hatte eine tüchtige Truppe in
dem emporsteigenden polnischen Bürgertum gefunden, ja sogar der Bauer war
zum Kampf durch Schule und Zeitungen vorbereitet worden. Der Kulturkampf
brachte reiches Wasser auf die polnische Mühle, der Stuhl von Gnesen erhielt
von dem Grafen Ledochowski an bis auf Herrn Stablewski hernb eine nationale
Bedeutung, wie er sie seit der Zerstörung Polens nicht gehabt hatte. Der
Polnische Widerstand rief verstärkte staatliche Maßnahmen zur Verfolgung des
einmal begonnenen Feldzugs hervor, und so stehn Nur jetzt mitten in einem
Ringen, dessen Ausgang ungewiß, dessen verbitternder Charakter aber gewiß ist.

Es ist nnter diesen Umständen von besondern: Interesse, einen Blick über
die Grenze zu werfen, um zu sehen, wie dort bei den Russen die Dinge liegen,
wo derselbe Kampf gegen das Polentum von russischer Seite nun schon seit
fünfunddreißig Jahren geführt wird, daneben her auch dem eingewanderten
und einwandernden Deutschtum der Krieg erklärt worden ist. Während wir
uns abmühen, Deutsche in Posen anzusiedeln, müht man sich ans russischer
Seite, sich der überhandnehmenden Deutschen zu erwehren. Ein vor zwei
Jahren in Moskau in russischer Sprache erschienenes Buch über das russische
Weichselgebiet bietet uus hierüber einigen interessanten Stoff.") Der ungenannte
Verfasser hat jedenfalls über Mitteilungen verfügt, die den Archiven der Re¬
gierung entnommen sind, nud lauge genug im Lande gelebt, daß er einen tiefen
Blick in die Zustände des Landes thun konnte. Ich beschränke mich hier vor¬
läufig darauf, das Kapitel des Buches herauszuheben, worin das dortige
Deutschtum behandelt wird.

Nachdem der Verfasser in einem vorhergehenden Kapitel den unheilvollen



") Skizzen des Weichselgebiets von W. R. 1897. (Der Verfasser soll der jetzige Gouverneur
von Pctriknu, ein Sohn deS eheartigen GencralgouverneurS Gurko sein.)
Grenzvoten I 1900 Z

polnischen Einwohner zu verdeutschen. Wenn man oft hört und liest, das sei
ja gar uicht die Absicht, man wolle die Polen ruhig polnisch lassen, aber sie
nötigen, die Herrschaft der deutschen Sprache anzuerkennen, die Verschmelzung
mit dem Deutschtum nicht zu hindern u. dergl. — so sprechen die Thatsachen
dagegen. Die Ordnung, die heute in Posen gehaudhnbt wird, bedeutet Ent¬
nationalisierung, Verdeutschung der Polen, und mau ist sich mir nicht ganz
klar darüber, wo mau vor alle», anfassen soll, ob beim Adel oder beim Bürger
oder beim Bauern. Früher hat mau auch viel geschwankt bei dem Entschluß
darüber, wie nun, die Polen behandeln solle; aber damals standen dem Staat
nur Adel und Klerus gegenüber, und man fragte sich, ob mau sie mit Güte
oder mit Härte zu guten Preußen machen solle. Man fing es bald so, bald
anders an, reizte den Widerstand und zog sich wieder zurück, bis man sich
endlich unter dem Zauber der von Bismarck eingeleiteten Politik der Kraft ein
Programm fertig machte mit dem Motto: „Und folgst du nicht willig, so
brauch ich Gewalt."

Inzwischen hatte sich aber das Polentum materiell gehoben und moralisch
in seinem nationalen Bewußtsein verschanzt; es hatte eine tüchtige Truppe in
dem emporsteigenden polnischen Bürgertum gefunden, ja sogar der Bauer war
zum Kampf durch Schule und Zeitungen vorbereitet worden. Der Kulturkampf
brachte reiches Wasser auf die polnische Mühle, der Stuhl von Gnesen erhielt
von dem Grafen Ledochowski an bis auf Herrn Stablewski hernb eine nationale
Bedeutung, wie er sie seit der Zerstörung Polens nicht gehabt hatte. Der
Polnische Widerstand rief verstärkte staatliche Maßnahmen zur Verfolgung des
einmal begonnenen Feldzugs hervor, und so stehn Nur jetzt mitten in einem
Ringen, dessen Ausgang ungewiß, dessen verbitternder Charakter aber gewiß ist.

Es ist nnter diesen Umständen von besondern: Interesse, einen Blick über
die Grenze zu werfen, um zu sehen, wie dort bei den Russen die Dinge liegen,
wo derselbe Kampf gegen das Polentum von russischer Seite nun schon seit
fünfunddreißig Jahren geführt wird, daneben her auch dem eingewanderten
und einwandernden Deutschtum der Krieg erklärt worden ist. Während wir
uns abmühen, Deutsche in Posen anzusiedeln, müht man sich ans russischer
Seite, sich der überhandnehmenden Deutschen zu erwehren. Ein vor zwei
Jahren in Moskau in russischer Sprache erschienenes Buch über das russische
Weichselgebiet bietet uus hierüber einigen interessanten Stoff.") Der ungenannte
Verfasser hat jedenfalls über Mitteilungen verfügt, die den Archiven der Re¬
gierung entnommen sind, nud lauge genug im Lande gelebt, daß er einen tiefen
Blick in die Zustände des Landes thun konnte. Ich beschränke mich hier vor¬
läufig darauf, das Kapitel des Buches herauszuheben, worin das dortige
Deutschtum behandelt wird.

Nachdem der Verfasser in einem vorhergehenden Kapitel den unheilvollen



«) Skizzen des Weichselgebiets von W. R. 1897. (Der Verfasser soll der jetzige Gouverneur
von Pctriknu, ein Sohn deS eheartigen GencralgouverneurS Gurko sein.)
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[0017] polnischen Einwohner zu verdeutschen. Wenn man oft hört und liest, das sei ja gar uicht die Absicht, man wolle die Polen ruhig polnisch lassen, aber sie nötigen, die Herrschaft der deutschen Sprache anzuerkennen, die Verschmelzung mit dem Deutschtum nicht zu hindern u. dergl. — so sprechen die Thatsachen dagegen. Die Ordnung, die heute in Posen gehaudhnbt wird, bedeutet Ent¬ nationalisierung, Verdeutschung der Polen, und mau ist sich mir nicht ganz klar darüber, wo mau vor alle», anfassen soll, ob beim Adel oder beim Bürger oder beim Bauern. Früher hat mau auch viel geschwankt bei dem Entschluß darüber, wie nun, die Polen behandeln solle; aber damals standen dem Staat nur Adel und Klerus gegenüber, und man fragte sich, ob mau sie mit Güte oder mit Härte zu guten Preußen machen solle. Man fing es bald so, bald anders an, reizte den Widerstand und zog sich wieder zurück, bis man sich endlich unter dem Zauber der von Bismarck eingeleiteten Politik der Kraft ein Programm fertig machte mit dem Motto: „Und folgst du nicht willig, so brauch ich Gewalt." Inzwischen hatte sich aber das Polentum materiell gehoben und moralisch in seinem nationalen Bewußtsein verschanzt; es hatte eine tüchtige Truppe in dem emporsteigenden polnischen Bürgertum gefunden, ja sogar der Bauer war zum Kampf durch Schule und Zeitungen vorbereitet worden. Der Kulturkampf brachte reiches Wasser auf die polnische Mühle, der Stuhl von Gnesen erhielt von dem Grafen Ledochowski an bis auf Herrn Stablewski hernb eine nationale Bedeutung, wie er sie seit der Zerstörung Polens nicht gehabt hatte. Der Polnische Widerstand rief verstärkte staatliche Maßnahmen zur Verfolgung des einmal begonnenen Feldzugs hervor, und so stehn Nur jetzt mitten in einem Ringen, dessen Ausgang ungewiß, dessen verbitternder Charakter aber gewiß ist. Es ist nnter diesen Umständen von besondern: Interesse, einen Blick über die Grenze zu werfen, um zu sehen, wie dort bei den Russen die Dinge liegen, wo derselbe Kampf gegen das Polentum von russischer Seite nun schon seit fünfunddreißig Jahren geführt wird, daneben her auch dem eingewanderten und einwandernden Deutschtum der Krieg erklärt worden ist. Während wir uns abmühen, Deutsche in Posen anzusiedeln, müht man sich ans russischer Seite, sich der überhandnehmenden Deutschen zu erwehren. Ein vor zwei Jahren in Moskau in russischer Sprache erschienenes Buch über das russische Weichselgebiet bietet uus hierüber einigen interessanten Stoff.") Der ungenannte Verfasser hat jedenfalls über Mitteilungen verfügt, die den Archiven der Re¬ gierung entnommen sind, nud lauge genug im Lande gelebt, daß er einen tiefen Blick in die Zustände des Landes thun konnte. Ich beschränke mich hier vor¬ läufig darauf, das Kapitel des Buches herauszuheben, worin das dortige Deutschtum behandelt wird. Nachdem der Verfasser in einem vorhergehenden Kapitel den unheilvollen «) Skizzen des Weichselgebiets von W. R. 1897. (Der Verfasser soll der jetzige Gouverneur von Pctriknu, ein Sohn deS eheartigen GencralgouverneurS Gurko sein.) Grenzvoten I 1900 Z

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551/17>, abgerufen am 30.06.2024.