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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr.

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rinnen doppelte Anzüge zu tragen und sich aus Liebe zu den Unternehmern
und Arbeitern der Luxusindustrien die Stuben mit Teppichen, Vorhängen,
Bildern und Nippfiguren vollzustopfen.

Es ist offenbar, daß diese wunderliche Abhängigkeit der Moral des Ein¬
zelnen vom wirtschaftlichen Zustande der Gesamtheit nur gelöst und dieser
Zwang zum Mehrverbrauch über unsre wirklichen Bedürfnisse nur beseitigt
werden könnte, wenn wir entweder zur Wirtschaftsweise der Alten zurückkehrten,
von der Chrematistik zur Ökonomik (daß jene maßlos ist, während bei dieser
die Produktion auf die Befriedigung des wirklichen Bedürfnisses beschränkt
bleibt, hat bekanntlich Aristoteles hervorgehoben), oder wenn wir zum Sozia¬
lismus fortschritten. Diesen hat denn auch Hilty ins Auge gefaßt. Die heutige
Sozialdemokratie verabscheut er natürlich. Richtig, schreibt er, sei theoretisch
soviel: "Eine Entäußerung des Privatbesitzes ist --- soweit es nicht unrechtes
Gut betrifft -- von den Besitzenden nicht zu fordern; wohl aber sollen
sie versuchen, ihn im allgemeinen Interesse zu verwalten und überhaupt
Herren, nicht Sklaven ihres Besitzes zu sein. Das wissen eigentlich alle
bessern Menschen; sie haben nur den Mut nicht, an die volle Ausführbarkeit
einer solchen ökonomischen Lebensansicht zu glauben. Der richtige Sozialismus,
der auch mit dem Christentum völlig übereinstimmt, ist der ideelle, freiwillig
gewollte, nicht zwangsweise herbeigeführte Gemeinbesitz, wie ihn schon Aristo¬
teles verlangt. Der gewöhnliche Sozialismus streift mit grober Hand die
ganze Blüte dieser sittlichen Gesinnung hinweg und will gewaltsam erzwingen,
was eben nur als Frucht einer solchen allgemeinen Gesinnung den Menschen
wirklich dauernde Hilfe bringen könnte, und zwar sowohl den nicht Besitzenden
wie den Besitzenden, die eben auch nur mit dieser Gesinnung vollkommen recht¬
mäßig besitzen." Auch um der für das Glück so wichtigen Regelung der Arbeit
willen findet er den Sozialismus wünschenswert. Jede rechte Arbeit gewähre
Glück, wenn sie den Kräften angemessen und der Mensch dabei von der rich¬
tigen Gesinnung beseelt sei. "Die Idee der Sozialisten von einer Arbeits¬
armee, in der jeder den bestimmten Platz angewiesen erhält, der ihm zukommt,
wäre in der That das Hilfsmittel für den größern Teil der menschlichen Übel,
wenn es eine Garantie für die richtige Arbeitsverteilung gäbe." Man darf
sagen, das Christentum und der heutige Sozialismus würden, wenn sie sich
allgemein verwirklichen ließen, ganz denselben gesellschaftlichen Zustand erzeugen,
obwohl sie von entgegengesetzten Geistesverfassungen und Absichten ausgehn.
Das Christentum will eine von irdischen Wünschen und Bestrebungen losge¬
löste Gesinnung erzeugen, die sich sozial dadurch beweist, daß man den Nächsten
liebt wie sich selbst, und damit ist weder ein den Durchschnitt übersteigender
Mehrgenuß noch Mehrbesitz verträglich. Der Sozialismus will die Massen
von den Leiden der Armut befreien durch eine Güterverteilung, die nur bei
der opferwilligsten Gesinnung aller höher Befähigten aufrecht erhalten werden
könnte, diese Gesinnung also, die keine andre als die christliche ist, erzeugen
müßte, wenn nicht die durch Gewalt oder durch eine ganz merkwürdige Ent-


rinnen doppelte Anzüge zu tragen und sich aus Liebe zu den Unternehmern
und Arbeitern der Luxusindustrien die Stuben mit Teppichen, Vorhängen,
Bildern und Nippfiguren vollzustopfen.

Es ist offenbar, daß diese wunderliche Abhängigkeit der Moral des Ein¬
zelnen vom wirtschaftlichen Zustande der Gesamtheit nur gelöst und dieser
Zwang zum Mehrverbrauch über unsre wirklichen Bedürfnisse nur beseitigt
werden könnte, wenn wir entweder zur Wirtschaftsweise der Alten zurückkehrten,
von der Chrematistik zur Ökonomik (daß jene maßlos ist, während bei dieser
die Produktion auf die Befriedigung des wirklichen Bedürfnisses beschränkt
bleibt, hat bekanntlich Aristoteles hervorgehoben), oder wenn wir zum Sozia¬
lismus fortschritten. Diesen hat denn auch Hilty ins Auge gefaßt. Die heutige
Sozialdemokratie verabscheut er natürlich. Richtig, schreibt er, sei theoretisch
soviel: „Eine Entäußerung des Privatbesitzes ist —- soweit es nicht unrechtes
Gut betrifft — von den Besitzenden nicht zu fordern; wohl aber sollen
sie versuchen, ihn im allgemeinen Interesse zu verwalten und überhaupt
Herren, nicht Sklaven ihres Besitzes zu sein. Das wissen eigentlich alle
bessern Menschen; sie haben nur den Mut nicht, an die volle Ausführbarkeit
einer solchen ökonomischen Lebensansicht zu glauben. Der richtige Sozialismus,
der auch mit dem Christentum völlig übereinstimmt, ist der ideelle, freiwillig
gewollte, nicht zwangsweise herbeigeführte Gemeinbesitz, wie ihn schon Aristo¬
teles verlangt. Der gewöhnliche Sozialismus streift mit grober Hand die
ganze Blüte dieser sittlichen Gesinnung hinweg und will gewaltsam erzwingen,
was eben nur als Frucht einer solchen allgemeinen Gesinnung den Menschen
wirklich dauernde Hilfe bringen könnte, und zwar sowohl den nicht Besitzenden
wie den Besitzenden, die eben auch nur mit dieser Gesinnung vollkommen recht¬
mäßig besitzen." Auch um der für das Glück so wichtigen Regelung der Arbeit
willen findet er den Sozialismus wünschenswert. Jede rechte Arbeit gewähre
Glück, wenn sie den Kräften angemessen und der Mensch dabei von der rich¬
tigen Gesinnung beseelt sei. „Die Idee der Sozialisten von einer Arbeits¬
armee, in der jeder den bestimmten Platz angewiesen erhält, der ihm zukommt,
wäre in der That das Hilfsmittel für den größern Teil der menschlichen Übel,
wenn es eine Garantie für die richtige Arbeitsverteilung gäbe." Man darf
sagen, das Christentum und der heutige Sozialismus würden, wenn sie sich
allgemein verwirklichen ließen, ganz denselben gesellschaftlichen Zustand erzeugen,
obwohl sie von entgegengesetzten Geistesverfassungen und Absichten ausgehn.
Das Christentum will eine von irdischen Wünschen und Bestrebungen losge¬
löste Gesinnung erzeugen, die sich sozial dadurch beweist, daß man den Nächsten
liebt wie sich selbst, und damit ist weder ein den Durchschnitt übersteigender
Mehrgenuß noch Mehrbesitz verträglich. Der Sozialismus will die Massen
von den Leiden der Armut befreien durch eine Güterverteilung, die nur bei
der opferwilligsten Gesinnung aller höher Befähigten aufrecht erhalten werden
könnte, diese Gesinnung also, die keine andre als die christliche ist, erzeugen
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551/135>, abgerufen am 25.08.2024.