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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr.

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Frau Venus

Sie dort ruhig, bis ich Sie rufe; dann kommen Sie bis ein den Eingang, aber
nicht weiter. Ich war über ihre Rede verwundert, und es durchzuckte mich ein
Gedanke, den ich doch nicht festzuhalten wagte; zögernd that ich, wie sie verlangte.
Kurze Zeit darauf hörte ich sie meinen Namen rufen, und als ich um den Felsen trat --
da stand am Rande des Wassers sie selbst, Venus, die lieblichste der Göttinnen, in
ihrer ganzen unverhüllten Schönheit: den einen Arm hatte sie auf das Haupt ge¬
legt, den andern hielt sie vor sich und schaute ruhig in den klaren Wasserspiegel.
Das durch die grünen Ranken gedämpfte Sonnenlicht beleuchtete die schöne Gestalt,
um die die farbigen Lichter spielten. So sehr wirkte die überraschende Schönheit
des Bildes auf meine Einbildungskraft, daß ich völlig die Wirklichkeit vergessend
die Erscheinung anstarrte. Nach einer Weile wandte sich die Gestalt, kauerte nieder
und nahm, mir den Rücken zuwendend, die Stellung der badenden Venus an. Ich
war in einer sehr großen Aufregung, und ohne zu wissen, was ich that, stürzte ich
nuf die Göttin zu. Sie aber rief strenge: Zurück, ich befehle es Ihnen, und
zugleich warf sie mit den Händen so viel Wasser auf mich, daß ich bestürzt zurück¬
wich. Sie rief mir zu: Jetzt gehn Sie in Ihr Versteck zurück und kommen nicht
früher, als bis man Sie ruft. Ich folgte sogleich dieser Anordnung, denn ich
war verwirrt und beschämt: teils verdroß es mich, daß ich durch meine Unbesonnenheit
die schöne Täuschung zerstört hatte, teils zürnte ich der Baronesse wegen des, wie
mir schien, frivolen Spiels. Je länger ich warte" mußte, um so verdrießlicher
wurde meine Stimmung. Ich rief, erhielt aber keine Antwort. Da plötzlich sah
ich auf einer Biegung des Wegs, auf dem wir gekommen waren, und die ich von
meinem Standpunkt ans wahrnehmen konnte, in weiter Entfernung die Baronesse
nuf ihrem Esel, den sie zur größten Eile antrieb, wobei der Junge ihr behilflich
war. Dieser Verrat erregte vollends meinen Zorn; ich sprang hinter der Flüchtigen
her und erreichte sie völlig atemlos an einer Stelle, wo der Weg sie zu lnugsamerm
Fortschreiten nötigte. Als sie mich erhitzt und erregt nahe herangekommen sah, sah
sie mir ruhig und fest ins Auge und fragte daun: Haben Sie die Linie meines
Rückens beachtet? Man hat mir immer gesagt, daß sie von vollkommner Schönheit
sei. Diese Frage empörte mich und bewirkte, daß ich, alle Rücksicht vergessend,
ihr harte Worte sogte. Sie wurde ganz bleich, und ohne etwas zu erwidern
oder mich noch einmal anzusehen, trieb sie nur mit ängstlicher Hast ihren Esel be¬
ständig zur Eile an, wandte sich auch nicht links der Anhöhe zu, sondern blieb uns
dem Wege, der thalabwärts über Vagni caldi führt. Ich folgte ihr, einige Schritte
zurückbleibend, in der unbehaglichsten Stimmung. Als wir in Ponte Serraglio,
dem Hauptort der Bäder, über den Platz kamen, sprang die Baronesse plötzlich zur
Erde und eilte auf einen Herrn zu, den sie mit allen Zeichen alter Bekanntschaft
begrüßte, und an dessen Arm sie, mich keines Blickes würdigend, den Weg
fortsetzte.

Ich war sehr unzufrieden mit mir selbst, denn ich hatte die Empfindung, gegen
die Baronesse ungerecht gewesen zu sein. Ich hatte vergessen, daß es unsre Auf¬
gabe ist, die Menschen nach ihrer eigensten Natur zu versteh", nicht aber sie nach
dem Maßstab unsrer individuellen Bildung zu beurteilen. Und sie war doch offenbar
kein unsrer modernen christlichen Zeit angehörendes Wesen, sondern eine rein heid¬
nische Natur, eine echte Tochter des Zeus!

In dieser Stimmung wollte ich der Baronesse nicht begegnen und nahm des¬
halb an diesem Tage nicht um den gemeinschaftlichen Mahlzeiten teil. Am Abend
war ich im Lesezimmer des Kasinos, als ein Bekannter mit dem Herrn eintrat,
den die Baronesse so frenndschnftlich begrüßt hatte. Er wurde mir als ein Mit¬
glied der russischen Gesandtschaft in Rom vorgestellt. Ich sagte, daß ich ihn schon
an Morgen gesehen hatte, als er mir die Baronesse entführt habe. -- Also darf


Frau Venus

Sie dort ruhig, bis ich Sie rufe; dann kommen Sie bis ein den Eingang, aber
nicht weiter. Ich war über ihre Rede verwundert, und es durchzuckte mich ein
Gedanke, den ich doch nicht festzuhalten wagte; zögernd that ich, wie sie verlangte.
Kurze Zeit darauf hörte ich sie meinen Namen rufen, und als ich um den Felsen trat —
da stand am Rande des Wassers sie selbst, Venus, die lieblichste der Göttinnen, in
ihrer ganzen unverhüllten Schönheit: den einen Arm hatte sie auf das Haupt ge¬
legt, den andern hielt sie vor sich und schaute ruhig in den klaren Wasserspiegel.
Das durch die grünen Ranken gedämpfte Sonnenlicht beleuchtete die schöne Gestalt,
um die die farbigen Lichter spielten. So sehr wirkte die überraschende Schönheit
des Bildes auf meine Einbildungskraft, daß ich völlig die Wirklichkeit vergessend
die Erscheinung anstarrte. Nach einer Weile wandte sich die Gestalt, kauerte nieder
und nahm, mir den Rücken zuwendend, die Stellung der badenden Venus an. Ich
war in einer sehr großen Aufregung, und ohne zu wissen, was ich that, stürzte ich
nuf die Göttin zu. Sie aber rief strenge: Zurück, ich befehle es Ihnen, und
zugleich warf sie mit den Händen so viel Wasser auf mich, daß ich bestürzt zurück¬
wich. Sie rief mir zu: Jetzt gehn Sie in Ihr Versteck zurück und kommen nicht
früher, als bis man Sie ruft. Ich folgte sogleich dieser Anordnung, denn ich
war verwirrt und beschämt: teils verdroß es mich, daß ich durch meine Unbesonnenheit
die schöne Täuschung zerstört hatte, teils zürnte ich der Baronesse wegen des, wie
mir schien, frivolen Spiels. Je länger ich warte» mußte, um so verdrießlicher
wurde meine Stimmung. Ich rief, erhielt aber keine Antwort. Da plötzlich sah
ich auf einer Biegung des Wegs, auf dem wir gekommen waren, und die ich von
meinem Standpunkt ans wahrnehmen konnte, in weiter Entfernung die Baronesse
nuf ihrem Esel, den sie zur größten Eile antrieb, wobei der Junge ihr behilflich
war. Dieser Verrat erregte vollends meinen Zorn; ich sprang hinter der Flüchtigen
her und erreichte sie völlig atemlos an einer Stelle, wo der Weg sie zu lnugsamerm
Fortschreiten nötigte. Als sie mich erhitzt und erregt nahe herangekommen sah, sah
sie mir ruhig und fest ins Auge und fragte daun: Haben Sie die Linie meines
Rückens beachtet? Man hat mir immer gesagt, daß sie von vollkommner Schönheit
sei. Diese Frage empörte mich und bewirkte, daß ich, alle Rücksicht vergessend,
ihr harte Worte sogte. Sie wurde ganz bleich, und ohne etwas zu erwidern
oder mich noch einmal anzusehen, trieb sie nur mit ängstlicher Hast ihren Esel be¬
ständig zur Eile an, wandte sich auch nicht links der Anhöhe zu, sondern blieb uns
dem Wege, der thalabwärts über Vagni caldi führt. Ich folgte ihr, einige Schritte
zurückbleibend, in der unbehaglichsten Stimmung. Als wir in Ponte Serraglio,
dem Hauptort der Bäder, über den Platz kamen, sprang die Baronesse plötzlich zur
Erde und eilte auf einen Herrn zu, den sie mit allen Zeichen alter Bekanntschaft
begrüßte, und an dessen Arm sie, mich keines Blickes würdigend, den Weg
fortsetzte.

Ich war sehr unzufrieden mit mir selbst, denn ich hatte die Empfindung, gegen
die Baronesse ungerecht gewesen zu sein. Ich hatte vergessen, daß es unsre Auf¬
gabe ist, die Menschen nach ihrer eigensten Natur zu versteh», nicht aber sie nach
dem Maßstab unsrer individuellen Bildung zu beurteilen. Und sie war doch offenbar
kein unsrer modernen christlichen Zeit angehörendes Wesen, sondern eine rein heid¬
nische Natur, eine echte Tochter des Zeus!

In dieser Stimmung wollte ich der Baronesse nicht begegnen und nahm des¬
halb an diesem Tage nicht um den gemeinschaftlichen Mahlzeiten teil. Am Abend
war ich im Lesezimmer des Kasinos, als ein Bekannter mit dem Herrn eintrat,
den die Baronesse so frenndschnftlich begrüßt hatte. Er wurde mir als ein Mit¬
glied der russischen Gesandtschaft in Rom vorgestellt. Ich sagte, daß ich ihn schon
an Morgen gesehen hatte, als er mir die Baronesse entführt habe. — Also darf


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[0103] Frau Venus Sie dort ruhig, bis ich Sie rufe; dann kommen Sie bis ein den Eingang, aber nicht weiter. Ich war über ihre Rede verwundert, und es durchzuckte mich ein Gedanke, den ich doch nicht festzuhalten wagte; zögernd that ich, wie sie verlangte. Kurze Zeit darauf hörte ich sie meinen Namen rufen, und als ich um den Felsen trat — da stand am Rande des Wassers sie selbst, Venus, die lieblichste der Göttinnen, in ihrer ganzen unverhüllten Schönheit: den einen Arm hatte sie auf das Haupt ge¬ legt, den andern hielt sie vor sich und schaute ruhig in den klaren Wasserspiegel. Das durch die grünen Ranken gedämpfte Sonnenlicht beleuchtete die schöne Gestalt, um die die farbigen Lichter spielten. So sehr wirkte die überraschende Schönheit des Bildes auf meine Einbildungskraft, daß ich völlig die Wirklichkeit vergessend die Erscheinung anstarrte. Nach einer Weile wandte sich die Gestalt, kauerte nieder und nahm, mir den Rücken zuwendend, die Stellung der badenden Venus an. Ich war in einer sehr großen Aufregung, und ohne zu wissen, was ich that, stürzte ich nuf die Göttin zu. Sie aber rief strenge: Zurück, ich befehle es Ihnen, und zugleich warf sie mit den Händen so viel Wasser auf mich, daß ich bestürzt zurück¬ wich. Sie rief mir zu: Jetzt gehn Sie in Ihr Versteck zurück und kommen nicht früher, als bis man Sie ruft. Ich folgte sogleich dieser Anordnung, denn ich war verwirrt und beschämt: teils verdroß es mich, daß ich durch meine Unbesonnenheit die schöne Täuschung zerstört hatte, teils zürnte ich der Baronesse wegen des, wie mir schien, frivolen Spiels. Je länger ich warte» mußte, um so verdrießlicher wurde meine Stimmung. Ich rief, erhielt aber keine Antwort. Da plötzlich sah ich auf einer Biegung des Wegs, auf dem wir gekommen waren, und die ich von meinem Standpunkt ans wahrnehmen konnte, in weiter Entfernung die Baronesse nuf ihrem Esel, den sie zur größten Eile antrieb, wobei der Junge ihr behilflich war. Dieser Verrat erregte vollends meinen Zorn; ich sprang hinter der Flüchtigen her und erreichte sie völlig atemlos an einer Stelle, wo der Weg sie zu lnugsamerm Fortschreiten nötigte. Als sie mich erhitzt und erregt nahe herangekommen sah, sah sie mir ruhig und fest ins Auge und fragte daun: Haben Sie die Linie meines Rückens beachtet? Man hat mir immer gesagt, daß sie von vollkommner Schönheit sei. Diese Frage empörte mich und bewirkte, daß ich, alle Rücksicht vergessend, ihr harte Worte sogte. Sie wurde ganz bleich, und ohne etwas zu erwidern oder mich noch einmal anzusehen, trieb sie nur mit ängstlicher Hast ihren Esel be¬ ständig zur Eile an, wandte sich auch nicht links der Anhöhe zu, sondern blieb uns dem Wege, der thalabwärts über Vagni caldi führt. Ich folgte ihr, einige Schritte zurückbleibend, in der unbehaglichsten Stimmung. Als wir in Ponte Serraglio, dem Hauptort der Bäder, über den Platz kamen, sprang die Baronesse plötzlich zur Erde und eilte auf einen Herrn zu, den sie mit allen Zeichen alter Bekanntschaft begrüßte, und an dessen Arm sie, mich keines Blickes würdigend, den Weg fortsetzte. Ich war sehr unzufrieden mit mir selbst, denn ich hatte die Empfindung, gegen die Baronesse ungerecht gewesen zu sein. Ich hatte vergessen, daß es unsre Auf¬ gabe ist, die Menschen nach ihrer eigensten Natur zu versteh», nicht aber sie nach dem Maßstab unsrer individuellen Bildung zu beurteilen. Und sie war doch offenbar kein unsrer modernen christlichen Zeit angehörendes Wesen, sondern eine rein heid¬ nische Natur, eine echte Tochter des Zeus! In dieser Stimmung wollte ich der Baronesse nicht begegnen und nahm des¬ halb an diesem Tage nicht um den gemeinschaftlichen Mahlzeiten teil. Am Abend war ich im Lesezimmer des Kasinos, als ein Bekannter mit dem Herrn eintrat, den die Baronesse so frenndschnftlich begrüßt hatte. Er wurde mir als ein Mit¬ glied der russischen Gesandtschaft in Rom vorgestellt. Ich sagte, daß ich ihn schon an Morgen gesehen hatte, als er mir die Baronesse entführt habe. — Also darf

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551/103>, abgerufen am 04.07.2024.