Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Line Lrühlingsfcchrt nach den Abruzzen und nach Apulien

ein nächsten Tage stattfindenden Festes völlig besetzt, und wir mußten wohl oder
übel mit dem zweiten vorlieb nehmen. Er ließ an ursprünglicher Einfachheit
und Unsauberkeit nichts zu wünschen übrig. Aber für alle Unannehmlichkeiten
wurden wir durch die Komik unsrer Lage reichlich entschädigt. Unser Erscheinen
in diesem Albergo, der bis dahin wohl noch niemals ein fremdländisches Ehe¬
paar in seinen Mauern gesehen hatte, gestaltete sich zu einem Ereignisse ersten
Ranges. Von der Straße ab Scharte sich bis zum piano nobils auf der weiten,
großen Steintreppe die Einwohnerschaft der umliegenden Straßen, Alt und
Jung, zusammen, im kleinen Gastzimmer erschienen die Honoratioren des
Städtleins, um uns Artigkeiten aller Art zu erweisen; das beste Zimmer, der
Familiensalon, wurde sür uns hergerichtet, vier alte Weiber, Schwestern oder
Tanten des Wirts, Hausgenossinnen nach italienischer Art, sämtlich reif, im
zweiten Teile des Faust ohne weitere Maskierung und Uniformierung sofort
als Phorkyas aufzutreten, veranstalteten auf meinen Wunsch eine große
mora^lors") -- aber so gut gemeint und ergötzlich das alles war, eine rechte
Befriedigung vermochte bei uns nicht durchzudringen, da sämtliche Männlein
und Weiblein (und es waren ihrer recht viele, es war ein fortwährendes
Kommen und Gehen) eine lähmende Leichenbittermiene in ihren Gesichtern zur
Schau trugen.

Leise geflüsterte Worte wie grüncts pomplioa^lors u. Ä. drangen an mein
Ohr, und da man vorzugsweise mit Geschäftigkeit ein Nachbarzimmer auf¬
suchte, das jedesmal behutsam geschlossen wurde, so lag nichts näher als
die Vermutung, daß hier ein Schwerkranker läge, dessen Ableben in den
nächsten Stunden zu erwarten sei. Und als ich gar auf meine Frage, ob
jemand im Hause unwohl sei. die Antwort erhielt: Jawohl, der Vater der
Wirtin, war meine Vermutung zur Gewißheit geworden. Man stelle sich vor,
welche Gefühle sich unser bemächtigten, und mit welchen Empfindungen wir
der kommenden Nacht entgegensahen! Ich wurde ernstlich beunruhigt lind war
schon recht verzweifelt, als sich das Mißverständnis, denn um ein solches
handelte es sich, auflöste und erklärte. Allerdings war jemand schwerkrank,
aber das war ein guter Freund des Wirts, der in einer ganz andern Straße
wohnte; der Schwiegervater dagegen litt nur an einer mglattm ä'Wsietö., wie
man sie sehr possierlich umschrieb, die sich für den alten Herrn natürlich des
Abends besonders fühlbar machte. Ich bedaure, daß mir nicht die Gabe
verliehen ist, den Wirrwarr und das Durcheinander und die verschiednen
dabei beteiligten Persönlichkeiten mit vollen Farben zu schildern; auf keinem
Theater kann es bunter und seltsamer zugehen als an jenem Abende im aldsrZo
nuovo zu Atri. Die vier Parzen, der pfiffig sein wollende und doch recht



Eine Überschwemmung, ein Scheuern des Fußbodens! ein erprobtes Mittel, um den
Übermut gewisser kleiner nächtlicher Ruhestörer zu dämpfen.
Grenzboten III 18SS N
Line Lrühlingsfcchrt nach den Abruzzen und nach Apulien

ein nächsten Tage stattfindenden Festes völlig besetzt, und wir mußten wohl oder
übel mit dem zweiten vorlieb nehmen. Er ließ an ursprünglicher Einfachheit
und Unsauberkeit nichts zu wünschen übrig. Aber für alle Unannehmlichkeiten
wurden wir durch die Komik unsrer Lage reichlich entschädigt. Unser Erscheinen
in diesem Albergo, der bis dahin wohl noch niemals ein fremdländisches Ehe¬
paar in seinen Mauern gesehen hatte, gestaltete sich zu einem Ereignisse ersten
Ranges. Von der Straße ab Scharte sich bis zum piano nobils auf der weiten,
großen Steintreppe die Einwohnerschaft der umliegenden Straßen, Alt und
Jung, zusammen, im kleinen Gastzimmer erschienen die Honoratioren des
Städtleins, um uns Artigkeiten aller Art zu erweisen; das beste Zimmer, der
Familiensalon, wurde sür uns hergerichtet, vier alte Weiber, Schwestern oder
Tanten des Wirts, Hausgenossinnen nach italienischer Art, sämtlich reif, im
zweiten Teile des Faust ohne weitere Maskierung und Uniformierung sofort
als Phorkyas aufzutreten, veranstalteten auf meinen Wunsch eine große
mora^lors") — aber so gut gemeint und ergötzlich das alles war, eine rechte
Befriedigung vermochte bei uns nicht durchzudringen, da sämtliche Männlein
und Weiblein (und es waren ihrer recht viele, es war ein fortwährendes
Kommen und Gehen) eine lähmende Leichenbittermiene in ihren Gesichtern zur
Schau trugen.

Leise geflüsterte Worte wie grüncts pomplioa^lors u. Ä. drangen an mein
Ohr, und da man vorzugsweise mit Geschäftigkeit ein Nachbarzimmer auf¬
suchte, das jedesmal behutsam geschlossen wurde, so lag nichts näher als
die Vermutung, daß hier ein Schwerkranker läge, dessen Ableben in den
nächsten Stunden zu erwarten sei. Und als ich gar auf meine Frage, ob
jemand im Hause unwohl sei. die Antwort erhielt: Jawohl, der Vater der
Wirtin, war meine Vermutung zur Gewißheit geworden. Man stelle sich vor,
welche Gefühle sich unser bemächtigten, und mit welchen Empfindungen wir
der kommenden Nacht entgegensahen! Ich wurde ernstlich beunruhigt lind war
schon recht verzweifelt, als sich das Mißverständnis, denn um ein solches
handelte es sich, auflöste und erklärte. Allerdings war jemand schwerkrank,
aber das war ein guter Freund des Wirts, der in einer ganz andern Straße
wohnte; der Schwiegervater dagegen litt nur an einer mglattm ä'Wsietö., wie
man sie sehr possierlich umschrieb, die sich für den alten Herrn natürlich des
Abends besonders fühlbar machte. Ich bedaure, daß mir nicht die Gabe
verliehen ist, den Wirrwarr und das Durcheinander und die verschiednen
dabei beteiligten Persönlichkeiten mit vollen Farben zu schildern; auf keinem
Theater kann es bunter und seltsamer zugehen als an jenem Abende im aldsrZo
nuovo zu Atri. Die vier Parzen, der pfiffig sein wollende und doch recht



Eine Überschwemmung, ein Scheuern des Fußbodens! ein erprobtes Mittel, um den
Übermut gewisser kleiner nächtlicher Ruhestörer zu dämpfen.
Grenzboten III 18SS N
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0089" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/231259"/>
          <fw type="header" place="top"> Line Lrühlingsfcchrt nach den Abruzzen und nach Apulien</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_245" prev="#ID_244"> ein nächsten Tage stattfindenden Festes völlig besetzt, und wir mußten wohl oder<lb/>
übel mit dem zweiten vorlieb nehmen. Er ließ an ursprünglicher Einfachheit<lb/>
und Unsauberkeit nichts zu wünschen übrig. Aber für alle Unannehmlichkeiten<lb/>
wurden wir durch die Komik unsrer Lage reichlich entschädigt. Unser Erscheinen<lb/>
in diesem Albergo, der bis dahin wohl noch niemals ein fremdländisches Ehe¬<lb/>
paar in seinen Mauern gesehen hatte, gestaltete sich zu einem Ereignisse ersten<lb/>
Ranges. Von der Straße ab Scharte sich bis zum piano nobils auf der weiten,<lb/>
großen Steintreppe die Einwohnerschaft der umliegenden Straßen, Alt und<lb/>
Jung, zusammen, im kleinen Gastzimmer erschienen die Honoratioren des<lb/>
Städtleins, um uns Artigkeiten aller Art zu erweisen; das beste Zimmer, der<lb/>
Familiensalon, wurde sür uns hergerichtet, vier alte Weiber, Schwestern oder<lb/>
Tanten des Wirts, Hausgenossinnen nach italienischer Art, sämtlich reif, im<lb/>
zweiten Teile des Faust ohne weitere Maskierung und Uniformierung sofort<lb/>
als Phorkyas aufzutreten, veranstalteten auf meinen Wunsch eine große<lb/>
mora^lors") &#x2014; aber so gut gemeint und ergötzlich das alles war, eine rechte<lb/>
Befriedigung vermochte bei uns nicht durchzudringen, da sämtliche Männlein<lb/>
und Weiblein (und es waren ihrer recht viele, es war ein fortwährendes<lb/>
Kommen und Gehen) eine lähmende Leichenbittermiene in ihren Gesichtern zur<lb/>
Schau trugen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_246" next="#ID_247"> Leise geflüsterte Worte wie grüncts pomplioa^lors u. Ä. drangen an mein<lb/>
Ohr, und da man vorzugsweise mit Geschäftigkeit ein Nachbarzimmer auf¬<lb/>
suchte, das jedesmal behutsam geschlossen wurde, so lag nichts näher als<lb/>
die Vermutung, daß hier ein Schwerkranker läge, dessen Ableben in den<lb/>
nächsten Stunden zu erwarten sei. Und als ich gar auf meine Frage, ob<lb/>
jemand im Hause unwohl sei. die Antwort erhielt: Jawohl, der Vater der<lb/>
Wirtin, war meine Vermutung zur Gewißheit geworden. Man stelle sich vor,<lb/>
welche Gefühle sich unser bemächtigten, und mit welchen Empfindungen wir<lb/>
der kommenden Nacht entgegensahen! Ich wurde ernstlich beunruhigt lind war<lb/>
schon recht verzweifelt, als sich das Mißverständnis, denn um ein solches<lb/>
handelte es sich, auflöste und erklärte. Allerdings war jemand schwerkrank,<lb/>
aber das war ein guter Freund des Wirts, der in einer ganz andern Straße<lb/>
wohnte; der Schwiegervater dagegen litt nur an einer mglattm ä'Wsietö., wie<lb/>
man sie sehr possierlich umschrieb, die sich für den alten Herrn natürlich des<lb/>
Abends besonders fühlbar machte. Ich bedaure, daß mir nicht die Gabe<lb/>
verliehen ist, den Wirrwarr und das Durcheinander und die verschiednen<lb/>
dabei beteiligten Persönlichkeiten mit vollen Farben zu schildern; auf keinem<lb/>
Theater kann es bunter und seltsamer zugehen als an jenem Abende im aldsrZo<lb/>
nuovo zu Atri.  Die vier Parzen, der pfiffig sein wollende und doch recht</p><lb/>
          <note xml:id="FID_21" place="foot"> Eine Überschwemmung, ein Scheuern des Fußbodens! ein erprobtes Mittel, um den<lb/>
Übermut gewisser kleiner nächtlicher Ruhestörer zu dämpfen.</note><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten III 18SS N</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0089] Line Lrühlingsfcchrt nach den Abruzzen und nach Apulien ein nächsten Tage stattfindenden Festes völlig besetzt, und wir mußten wohl oder übel mit dem zweiten vorlieb nehmen. Er ließ an ursprünglicher Einfachheit und Unsauberkeit nichts zu wünschen übrig. Aber für alle Unannehmlichkeiten wurden wir durch die Komik unsrer Lage reichlich entschädigt. Unser Erscheinen in diesem Albergo, der bis dahin wohl noch niemals ein fremdländisches Ehe¬ paar in seinen Mauern gesehen hatte, gestaltete sich zu einem Ereignisse ersten Ranges. Von der Straße ab Scharte sich bis zum piano nobils auf der weiten, großen Steintreppe die Einwohnerschaft der umliegenden Straßen, Alt und Jung, zusammen, im kleinen Gastzimmer erschienen die Honoratioren des Städtleins, um uns Artigkeiten aller Art zu erweisen; das beste Zimmer, der Familiensalon, wurde sür uns hergerichtet, vier alte Weiber, Schwestern oder Tanten des Wirts, Hausgenossinnen nach italienischer Art, sämtlich reif, im zweiten Teile des Faust ohne weitere Maskierung und Uniformierung sofort als Phorkyas aufzutreten, veranstalteten auf meinen Wunsch eine große mora^lors") — aber so gut gemeint und ergötzlich das alles war, eine rechte Befriedigung vermochte bei uns nicht durchzudringen, da sämtliche Männlein und Weiblein (und es waren ihrer recht viele, es war ein fortwährendes Kommen und Gehen) eine lähmende Leichenbittermiene in ihren Gesichtern zur Schau trugen. Leise geflüsterte Worte wie grüncts pomplioa^lors u. Ä. drangen an mein Ohr, und da man vorzugsweise mit Geschäftigkeit ein Nachbarzimmer auf¬ suchte, das jedesmal behutsam geschlossen wurde, so lag nichts näher als die Vermutung, daß hier ein Schwerkranker läge, dessen Ableben in den nächsten Stunden zu erwarten sei. Und als ich gar auf meine Frage, ob jemand im Hause unwohl sei. die Antwort erhielt: Jawohl, der Vater der Wirtin, war meine Vermutung zur Gewißheit geworden. Man stelle sich vor, welche Gefühle sich unser bemächtigten, und mit welchen Empfindungen wir der kommenden Nacht entgegensahen! Ich wurde ernstlich beunruhigt lind war schon recht verzweifelt, als sich das Mißverständnis, denn um ein solches handelte es sich, auflöste und erklärte. Allerdings war jemand schwerkrank, aber das war ein guter Freund des Wirts, der in einer ganz andern Straße wohnte; der Schwiegervater dagegen litt nur an einer mglattm ä'Wsietö., wie man sie sehr possierlich umschrieb, die sich für den alten Herrn natürlich des Abends besonders fühlbar machte. Ich bedaure, daß mir nicht die Gabe verliehen ist, den Wirrwarr und das Durcheinander und die verschiednen dabei beteiligten Persönlichkeiten mit vollen Farben zu schildern; auf keinem Theater kann es bunter und seltsamer zugehen als an jenem Abende im aldsrZo nuovo zu Atri. Die vier Parzen, der pfiffig sein wollende und doch recht Eine Überschwemmung, ein Scheuern des Fußbodens! ein erprobtes Mittel, um den Übermut gewisser kleiner nächtlicher Ruhestörer zu dämpfen. Grenzboten III 18SS N

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/89
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/89>, abgerufen am 15.01.2025.