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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

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Line Friihlingsfahrt nach den Abruzzen und nach Apulien

zur Flußbrücke gelangt, die ebenso wie ein Teil der Stadtmauer und ein
Stadtthor (porig, Roman" mit Wasserleitungsbogen) noch aus der römischen
Kaiserzeit stammt. Sie sührt in kühnem Bogen über den in der tiefen Fels¬
schlucht brausenden Tronto, der, wie man deutlich erkennen kann, seit der
Römerzeit sein Bett wesentlich vertieft hat; schroff fallen die Ufer ab, in ihren
Schluchten hier und da üppigem Pflanzenwuchs Raum gewährend oder durch
hervorstürzende kleine Wasserfälle belebt. Die eigne Art und Schönheit dieses
von uralten Bäumen, Palästen und Kirchen umrahmten Landschaftsbildes läßt
sich umso weniger beschreiben, als sich der Zauber eines die Sprache der Jahr¬
tausende redenden Bodens immer nur an Ort und Stelle ganz empfinden läßt.

Auf unsern Wegen in Aseoli war uns wiederholt ein Mann begegnet
und aufgefallen, der uns als der echte Typus eines Abruzzenräubers erschienen
war, so wie er unsrer Phantasie vorzuschweben Pflegt: dunkle Hautfarbe, tief¬
schwarzes, starkes, fast struppiges volles Haupt- und Barthaar, funkelnde
Augen und einfarbig blaner Jackenanzng von grobem Bauerntuch. Der Manu
hatte uns in seiner wilden Erscheinung viel Vergnügen bereitet; ein leises
Gruseln aber überkam uns doch, als dieser Mann zu unserm Kutscher für die
Wagenfahrt, die wir am nächsten Tage unternehmen wollten, bestimmt wurde.
Indessen überwand das gute Zeugnis, das ihm von unserm Freunde Gabrielli
ausgestellt wurde, unsre Bedenken und Besorgnisse, und unser Vertrauen
wurde denn auch nicht getäuscht. Der Abruzzenräuber erwies sich als ein
ganz bescheidner, brauchbarer Mensch, der uns nach alter Kutschersitte auf jede
Stelle aufmerksam machte, an der einmal vor Jahren jemand verunglückt war,
uns selbst aber trotz flotten Mährens vor jeglichem Schaden sorgsam behütete.
Es ging nach Teramo, einem mehr als 30 Kilometer südlich liegenden Bischofssitz.
Die Fahrt war wonnig. Größere Anhöhen mußten genommen werden; an
fruchtbaren Feldern, schönen Landsitzen, trefflichen Obstgärten und einem
wunderbar malerischen Felsennest, Namens Civitella del Tronto, mit riesiger
Fortezza ging es vorüber. Dazu eine frische, gewürzige Luft, in der unzählige
Singvögel ihre Lieder erschallen ließen!

Teramo selbst bietet nicht viel, es ist ein dürftiger Ort mit geringer
Gewaltthätigkeit; an vergangne Zeiten erinnern im wesentlichen nur das
romanische Hauptportal des Doms und in ihm eine große Goldschmiedearbeit
aus dem fünfzehnten Jahrhundert. Dafür war der Gasthof zum Gcirtchen
(gigrclwotto) weit besser, als man es hätte erwarten können: Verpflegung,
Zimmereinrichtung und Bedienung waren tadellos. Wären wir doch hier zur
Nacht geblieben! Unser Reiseplan führte uns statt dessen am Abend noch
nach dem wiederum 30 Kilometer südlich liegenden Atri, die Wagenfahrt
war zwar schön, zumal da sich nach Sonnenuntergang Tausende und aber
Tausende hellglühender Leuchtkäferchen einstellten -- ein wundervoll magisches
Schauspiel --, aber in der Stadt selbst war der "bessere" Gasthof wegen eines


Line Friihlingsfahrt nach den Abruzzen und nach Apulien

zur Flußbrücke gelangt, die ebenso wie ein Teil der Stadtmauer und ein
Stadtthor (porig, Roman» mit Wasserleitungsbogen) noch aus der römischen
Kaiserzeit stammt. Sie sührt in kühnem Bogen über den in der tiefen Fels¬
schlucht brausenden Tronto, der, wie man deutlich erkennen kann, seit der
Römerzeit sein Bett wesentlich vertieft hat; schroff fallen die Ufer ab, in ihren
Schluchten hier und da üppigem Pflanzenwuchs Raum gewährend oder durch
hervorstürzende kleine Wasserfälle belebt. Die eigne Art und Schönheit dieses
von uralten Bäumen, Palästen und Kirchen umrahmten Landschaftsbildes läßt
sich umso weniger beschreiben, als sich der Zauber eines die Sprache der Jahr¬
tausende redenden Bodens immer nur an Ort und Stelle ganz empfinden läßt.

Auf unsern Wegen in Aseoli war uns wiederholt ein Mann begegnet
und aufgefallen, der uns als der echte Typus eines Abruzzenräubers erschienen
war, so wie er unsrer Phantasie vorzuschweben Pflegt: dunkle Hautfarbe, tief¬
schwarzes, starkes, fast struppiges volles Haupt- und Barthaar, funkelnde
Augen und einfarbig blaner Jackenanzng von grobem Bauerntuch. Der Manu
hatte uns in seiner wilden Erscheinung viel Vergnügen bereitet; ein leises
Gruseln aber überkam uns doch, als dieser Mann zu unserm Kutscher für die
Wagenfahrt, die wir am nächsten Tage unternehmen wollten, bestimmt wurde.
Indessen überwand das gute Zeugnis, das ihm von unserm Freunde Gabrielli
ausgestellt wurde, unsre Bedenken und Besorgnisse, und unser Vertrauen
wurde denn auch nicht getäuscht. Der Abruzzenräuber erwies sich als ein
ganz bescheidner, brauchbarer Mensch, der uns nach alter Kutschersitte auf jede
Stelle aufmerksam machte, an der einmal vor Jahren jemand verunglückt war,
uns selbst aber trotz flotten Mährens vor jeglichem Schaden sorgsam behütete.
Es ging nach Teramo, einem mehr als 30 Kilometer südlich liegenden Bischofssitz.
Die Fahrt war wonnig. Größere Anhöhen mußten genommen werden; an
fruchtbaren Feldern, schönen Landsitzen, trefflichen Obstgärten und einem
wunderbar malerischen Felsennest, Namens Civitella del Tronto, mit riesiger
Fortezza ging es vorüber. Dazu eine frische, gewürzige Luft, in der unzählige
Singvögel ihre Lieder erschallen ließen!

Teramo selbst bietet nicht viel, es ist ein dürftiger Ort mit geringer
Gewaltthätigkeit; an vergangne Zeiten erinnern im wesentlichen nur das
romanische Hauptportal des Doms und in ihm eine große Goldschmiedearbeit
aus dem fünfzehnten Jahrhundert. Dafür war der Gasthof zum Gcirtchen
(gigrclwotto) weit besser, als man es hätte erwarten können: Verpflegung,
Zimmereinrichtung und Bedienung waren tadellos. Wären wir doch hier zur
Nacht geblieben! Unser Reiseplan führte uns statt dessen am Abend noch
nach dem wiederum 30 Kilometer südlich liegenden Atri, die Wagenfahrt
war zwar schön, zumal da sich nach Sonnenuntergang Tausende und aber
Tausende hellglühender Leuchtkäferchen einstellten — ein wundervoll magisches
Schauspiel —, aber in der Stadt selbst war der „bessere" Gasthof wegen eines


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/88>, abgerufen am 15.01.2025.