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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

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Der Schutz der Arbeitswilligen im Reichstage

auf einen arbeiterfeindlichen Willen bei den Regierungen zu schließen der
helle Unsinn ist. Der gebildete Mann, der auf das Schlagwort von der
"Zuchthausvorlage" hineingefallen ist, hat sich -- es ist, wenn man offen
sein will, gar nicht anders auszudrücken -- einfach zu schämen. Das gilt
natürlich ganz besonders für alle die, die des Z 8 wegen die ganze Vorlage
ostentativ als nicht einmal einer Kommissionsberatung wert abgelehnt haben.

Es ist in Vorstehendem versucht worden, dem Leser von dem Inhalt des
Gesetzentwurfs -- soweit das im Rahmen eines Grenzbotenartikels möglich
ist -- ein Bild zu geben. Vor allem war dabei der in den Änderungen an
dem bisher geltenden Rechtszustande ausgedrückte gesetzgeberische Wille der
verbündeten Regierungen -- die bekanntlich mit Einstimmigkeit die Einbringung
des Entwurfs beschlossen haben -- klar und dem in dem Entwurf zur Ge¬
werbenovelle von 1891 geäußerten Willen gegenüberzustellen. Es ergiebt sich
daraus, daß der gesetzgeberische Wille von 1899 in der Hauptsache auf das¬
selbe hinausläuft wie der von 1891, daß die Unterschiede nur in der Auf¬
machung, in den Ausführuugsvorschlägen u. dergl., überhaupt in mehr oder
weniger unwesentlichen Beiwerk bestehen.

Mit allem erdenklichen Nachdruck ist in den Neichstagsverhandluugen
vom 19. bis 22. Juni durch die Regierungsvertreter das Wesentliche in der
Borlage von dem Unwesentlichen getrennt, die Grundsätze von den Ausführuugs-
mvdalitüten geschieden worden. Wiederholt ist namentlich auch von ihnen her¬
vorgehoben worden, daß die jetzt vorgeschlagnen Grundsätze nichts andres
wollen als die 1891 vorgeschlagnen. Die oppositionelle Mehrheit des Reichs¬
tags hat diese namens der verbündeten Regierungen abgegebnen Erklärungen
mit höhnenden Lärm als unwahr zurückgewiesen, ohne auch nur den Schein
eines Beweises dasür zu erbringen, ja ohne überhaupt auf eine sachliche Be¬
handlung des Wesentlichen einzugehen. Sie hat das Beiwerk in kluger Berech¬
nung wegen des Eindrucks außer dem Hause zur Hauptsache gemacht und daran
eine halb berechtigte, halb rabulistische, im ganzen erschreckend unwahrhaftige
Kritik geübt. Es gehört zu den Gepflogenheiten des heutigen Parlamentaris¬
mus, deu Regierungsvertretern ohne Bedenken vorzuwerfen, daß sie gegen
ihre Überzeugung sprechen, es aber, wenn einem Abgeordneten dergleichen zu¬
getraut wird, mit Entrüstung als gegen den Takt verstoßend zurückzuweisen.
Die Grenzboten sind an diesen widersinnigen Komment nicht gebunden.

Im weitern wird, und zwar wieder im Zusammenhang mit den Vor¬
gängen in der Ära Berlepsch, gezeigt werden, was die Opposition gegen den
Schutz der Arbeitswilligen wirklich bedeutet, und was sie wert ist. Auch soll
noch untersucht werden, wie weit die Einseitigkeiten der modernen Staats¬
wissenschaft etwa die Opponenten zu ihrem exaltierten Gebaren verleitet haben.




Grenzboten III 18998
Der Schutz der Arbeitswilligen im Reichstage

auf einen arbeiterfeindlichen Willen bei den Regierungen zu schließen der
helle Unsinn ist. Der gebildete Mann, der auf das Schlagwort von der
„Zuchthausvorlage" hineingefallen ist, hat sich — es ist, wenn man offen
sein will, gar nicht anders auszudrücken — einfach zu schämen. Das gilt
natürlich ganz besonders für alle die, die des Z 8 wegen die ganze Vorlage
ostentativ als nicht einmal einer Kommissionsberatung wert abgelehnt haben.

Es ist in Vorstehendem versucht worden, dem Leser von dem Inhalt des
Gesetzentwurfs — soweit das im Rahmen eines Grenzbotenartikels möglich
ist — ein Bild zu geben. Vor allem war dabei der in den Änderungen an
dem bisher geltenden Rechtszustande ausgedrückte gesetzgeberische Wille der
verbündeten Regierungen — die bekanntlich mit Einstimmigkeit die Einbringung
des Entwurfs beschlossen haben — klar und dem in dem Entwurf zur Ge¬
werbenovelle von 1891 geäußerten Willen gegenüberzustellen. Es ergiebt sich
daraus, daß der gesetzgeberische Wille von 1899 in der Hauptsache auf das¬
selbe hinausläuft wie der von 1891, daß die Unterschiede nur in der Auf¬
machung, in den Ausführuugsvorschlägen u. dergl., überhaupt in mehr oder
weniger unwesentlichen Beiwerk bestehen.

Mit allem erdenklichen Nachdruck ist in den Neichstagsverhandluugen
vom 19. bis 22. Juni durch die Regierungsvertreter das Wesentliche in der
Borlage von dem Unwesentlichen getrennt, die Grundsätze von den Ausführuugs-
mvdalitüten geschieden worden. Wiederholt ist namentlich auch von ihnen her¬
vorgehoben worden, daß die jetzt vorgeschlagnen Grundsätze nichts andres
wollen als die 1891 vorgeschlagnen. Die oppositionelle Mehrheit des Reichs¬
tags hat diese namens der verbündeten Regierungen abgegebnen Erklärungen
mit höhnenden Lärm als unwahr zurückgewiesen, ohne auch nur den Schein
eines Beweises dasür zu erbringen, ja ohne überhaupt auf eine sachliche Be¬
handlung des Wesentlichen einzugehen. Sie hat das Beiwerk in kluger Berech¬
nung wegen des Eindrucks außer dem Hause zur Hauptsache gemacht und daran
eine halb berechtigte, halb rabulistische, im ganzen erschreckend unwahrhaftige
Kritik geübt. Es gehört zu den Gepflogenheiten des heutigen Parlamentaris¬
mus, deu Regierungsvertretern ohne Bedenken vorzuwerfen, daß sie gegen
ihre Überzeugung sprechen, es aber, wenn einem Abgeordneten dergleichen zu¬
getraut wird, mit Entrüstung als gegen den Takt verstoßend zurückzuweisen.
Die Grenzboten sind an diesen widersinnigen Komment nicht gebunden.

Im weitern wird, und zwar wieder im Zusammenhang mit den Vor¬
gängen in der Ära Berlepsch, gezeigt werden, was die Opposition gegen den
Schutz der Arbeitswilligen wirklich bedeutet, und was sie wert ist. Auch soll
noch untersucht werden, wie weit die Einseitigkeiten der modernen Staats¬
wissenschaft etwa die Opponenten zu ihrem exaltierten Gebaren verleitet haben.




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[0065] Der Schutz der Arbeitswilligen im Reichstage auf einen arbeiterfeindlichen Willen bei den Regierungen zu schließen der helle Unsinn ist. Der gebildete Mann, der auf das Schlagwort von der „Zuchthausvorlage" hineingefallen ist, hat sich — es ist, wenn man offen sein will, gar nicht anders auszudrücken — einfach zu schämen. Das gilt natürlich ganz besonders für alle die, die des Z 8 wegen die ganze Vorlage ostentativ als nicht einmal einer Kommissionsberatung wert abgelehnt haben. Es ist in Vorstehendem versucht worden, dem Leser von dem Inhalt des Gesetzentwurfs — soweit das im Rahmen eines Grenzbotenartikels möglich ist — ein Bild zu geben. Vor allem war dabei der in den Änderungen an dem bisher geltenden Rechtszustande ausgedrückte gesetzgeberische Wille der verbündeten Regierungen — die bekanntlich mit Einstimmigkeit die Einbringung des Entwurfs beschlossen haben — klar und dem in dem Entwurf zur Ge¬ werbenovelle von 1891 geäußerten Willen gegenüberzustellen. Es ergiebt sich daraus, daß der gesetzgeberische Wille von 1899 in der Hauptsache auf das¬ selbe hinausläuft wie der von 1891, daß die Unterschiede nur in der Auf¬ machung, in den Ausführuugsvorschlägen u. dergl., überhaupt in mehr oder weniger unwesentlichen Beiwerk bestehen. Mit allem erdenklichen Nachdruck ist in den Neichstagsverhandluugen vom 19. bis 22. Juni durch die Regierungsvertreter das Wesentliche in der Borlage von dem Unwesentlichen getrennt, die Grundsätze von den Ausführuugs- mvdalitüten geschieden worden. Wiederholt ist namentlich auch von ihnen her¬ vorgehoben worden, daß die jetzt vorgeschlagnen Grundsätze nichts andres wollen als die 1891 vorgeschlagnen. Die oppositionelle Mehrheit des Reichs¬ tags hat diese namens der verbündeten Regierungen abgegebnen Erklärungen mit höhnenden Lärm als unwahr zurückgewiesen, ohne auch nur den Schein eines Beweises dasür zu erbringen, ja ohne überhaupt auf eine sachliche Be¬ handlung des Wesentlichen einzugehen. Sie hat das Beiwerk in kluger Berech¬ nung wegen des Eindrucks außer dem Hause zur Hauptsache gemacht und daran eine halb berechtigte, halb rabulistische, im ganzen erschreckend unwahrhaftige Kritik geübt. Es gehört zu den Gepflogenheiten des heutigen Parlamentaris¬ mus, deu Regierungsvertretern ohne Bedenken vorzuwerfen, daß sie gegen ihre Überzeugung sprechen, es aber, wenn einem Abgeordneten dergleichen zu¬ getraut wird, mit Entrüstung als gegen den Takt verstoßend zurückzuweisen. Die Grenzboten sind an diesen widersinnigen Komment nicht gebunden. Im weitern wird, und zwar wieder im Zusammenhang mit den Vor¬ gängen in der Ära Berlepsch, gezeigt werden, was die Opposition gegen den Schutz der Arbeitswilligen wirklich bedeutet, und was sie wert ist. Auch soll noch untersucht werden, wie weit die Einseitigkeiten der modernen Staats¬ wissenschaft etwa die Opponenten zu ihrem exaltierten Gebaren verleitet haben. Grenzboten III 18998

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/65>, abgerufen am 15.01.2025.