Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.Der Schutz der Arbeitswilligen im Reichstage Sind in den Fällen des Absatz 2 mildernde Umstände vorhanden, so tritt Dieser Paragraph ist in der amtlichen Begründung der Vorlage ganz So bequem durften es sich die Herren "Chefs" unter keinen Umständen Der Schutz der Arbeitswilligen im Reichstage Sind in den Fällen des Absatz 2 mildernde Umstände vorhanden, so tritt Dieser Paragraph ist in der amtlichen Begründung der Vorlage ganz So bequem durften es sich die Herren „Chefs" unter keinen Umständen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0064" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/231234"/> <fw type="header" place="top"> Der Schutz der Arbeitswilligen im Reichstage</fw><lb/> <p xml:id="ID_167"> Sind in den Fällen des Absatz 2 mildernde Umstände vorhanden, so tritt<lb/> Gefängnisstrafe nicht unter sechs Monaten, für die Rädelsführer Gefängnisstrafe<lb/> nicht unter einem Jahre ein.</p><lb/> <p xml:id="ID_168"> Dieser Paragraph ist in der amtlichen Begründung der Vorlage ganz<lb/> außerordentlich oberflächlich behandelt, und in den Reichstagsverhandlungen<lb/> hat nur der preußische Handelsminister Brefeld einige Worte für ihn gefunden.<lb/> Wir hätten, meinte er, ja in zahlreichen Fällen des allgemeinen Strafrechts<lb/> in Rücksicht auf eine besondre Gefahr auch eine Erhöhung der Strafe vor¬<lb/> geschrieben. Dasselbe Prinzip komme hier zur Anwendung. Das sei doch<lb/> nicht unverständig? „Sie mögen ja verschiedner Meinung sein über die<lb/> Graduierung der Strafhandlungen, über die Abmessung der Strafen, über die<lb/> Art der Strafen. Das sind alles Dinge, über die man sich in der Kommission<lb/> unterhalten und verständigen kann. Das wollen Sie nun aber unmöglich<lb/> machen durch die Ablehnung der Vorlage."</p><lb/> <p xml:id="ID_169" next="#ID_170"> So bequem durften es sich die Herren „Chefs" unter keinen Umständen<lb/> machen, nachdem der unglückselige Vorschlag der Zuchthausstrafe für einen<lb/> vielleicht möglichen, zunächst aber nur am grünen Tisch der Gesetzentwerfer<lb/> konstruierten Vedürfuisfall so viel Unrat angerichtet hatte. Es ist über die<lb/> Oehnhauser Kaiserrede, in der der Gesetzentwurf mit dem Zuchthausparagraphen<lb/> als eine — im Konzept wenigstens — schon fertige Sache erwähnt wurde,<lb/> und den Mißbrauch kaiserlicher Reden zu Hetzereien gegen den Kaiser in den<lb/> Grenzboten seinerzeit das Nötige gesagt worden. In der Sache selbst ist zu<lb/> bemerken, daß doch auch ganz unverdächtige Sozialreformer die scharfe Ein¬<lb/> dämmung der Streikfreiheit für die in den Betrieben der in K 8 der Vorlage<lb/> bezeichneten Art beschäftigten Arbeiter als notwendig bezeichnet haben, und daß<lb/> in England in solchen Fällen unter Umständen Zwangsarbeit, das ist Zucht¬<lb/> haus, verhängt werden kann. Es wird darauf bei der Besprechung des Ver¬<lb/> haltens der Professoren und Kathederpolitiker zur Entrüstungskomödie noch<lb/> zurückgekommen werden. Ob der Wille des Gesetzgebers, wie ihn die Vorlage<lb/> verwirklichen möchte, wenn er Gesetz würde, überhaupt praktische Bedeutung<lb/> gewinnen könnte, ist nicht vorauszusagen, da die Bestimmungen des all¬<lb/> gemeinen Strafgesetzbuchs in den meisten aller denkbaren Fälle anwendbar<lb/> sein werden und schon furchtbar scharfe Strafen verhängen. Die Sache<lb/> hat eine rein theoretische Bedeutung, ist eine Doktorfrage für die Herren<lb/> Kriminalisten, Daß man sich vermessen hat, sie in der Vorlage ohne das<lb/> geringste kriminalistische Verständnis zu lösen, war ein unverantwortlicher<lb/> Fehler. Er hat der auf die Gedankenlosigkeit und Skandalsucht der Massen<lb/> spekulierenden Agitation das willkommenste Wasser auf die Mühle gegossen<lb/> und das zugkräftigste Schlagwort geliefert, aber der gebildete Mann wird<lb/> bei nüchternem Verstände ohne weiteres zugeben müssen, daß daraus auf die<lb/> Absicht einer Unterbindung der Koalitionsfreiheit der Arbeiter oder auf eine<lb/> Untergrabung des Streikrechts zu Gunsten der Unternehmerklasse, überhaupt</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0064]
Der Schutz der Arbeitswilligen im Reichstage
Sind in den Fällen des Absatz 2 mildernde Umstände vorhanden, so tritt
Gefängnisstrafe nicht unter sechs Monaten, für die Rädelsführer Gefängnisstrafe
nicht unter einem Jahre ein.
Dieser Paragraph ist in der amtlichen Begründung der Vorlage ganz
außerordentlich oberflächlich behandelt, und in den Reichstagsverhandlungen
hat nur der preußische Handelsminister Brefeld einige Worte für ihn gefunden.
Wir hätten, meinte er, ja in zahlreichen Fällen des allgemeinen Strafrechts
in Rücksicht auf eine besondre Gefahr auch eine Erhöhung der Strafe vor¬
geschrieben. Dasselbe Prinzip komme hier zur Anwendung. Das sei doch
nicht unverständig? „Sie mögen ja verschiedner Meinung sein über die
Graduierung der Strafhandlungen, über die Abmessung der Strafen, über die
Art der Strafen. Das sind alles Dinge, über die man sich in der Kommission
unterhalten und verständigen kann. Das wollen Sie nun aber unmöglich
machen durch die Ablehnung der Vorlage."
So bequem durften es sich die Herren „Chefs" unter keinen Umständen
machen, nachdem der unglückselige Vorschlag der Zuchthausstrafe für einen
vielleicht möglichen, zunächst aber nur am grünen Tisch der Gesetzentwerfer
konstruierten Vedürfuisfall so viel Unrat angerichtet hatte. Es ist über die
Oehnhauser Kaiserrede, in der der Gesetzentwurf mit dem Zuchthausparagraphen
als eine — im Konzept wenigstens — schon fertige Sache erwähnt wurde,
und den Mißbrauch kaiserlicher Reden zu Hetzereien gegen den Kaiser in den
Grenzboten seinerzeit das Nötige gesagt worden. In der Sache selbst ist zu
bemerken, daß doch auch ganz unverdächtige Sozialreformer die scharfe Ein¬
dämmung der Streikfreiheit für die in den Betrieben der in K 8 der Vorlage
bezeichneten Art beschäftigten Arbeiter als notwendig bezeichnet haben, und daß
in England in solchen Fällen unter Umständen Zwangsarbeit, das ist Zucht¬
haus, verhängt werden kann. Es wird darauf bei der Besprechung des Ver¬
haltens der Professoren und Kathederpolitiker zur Entrüstungskomödie noch
zurückgekommen werden. Ob der Wille des Gesetzgebers, wie ihn die Vorlage
verwirklichen möchte, wenn er Gesetz würde, überhaupt praktische Bedeutung
gewinnen könnte, ist nicht vorauszusagen, da die Bestimmungen des all¬
gemeinen Strafgesetzbuchs in den meisten aller denkbaren Fälle anwendbar
sein werden und schon furchtbar scharfe Strafen verhängen. Die Sache
hat eine rein theoretische Bedeutung, ist eine Doktorfrage für die Herren
Kriminalisten, Daß man sich vermessen hat, sie in der Vorlage ohne das
geringste kriminalistische Verständnis zu lösen, war ein unverantwortlicher
Fehler. Er hat der auf die Gedankenlosigkeit und Skandalsucht der Massen
spekulierenden Agitation das willkommenste Wasser auf die Mühle gegossen
und das zugkräftigste Schlagwort geliefert, aber der gebildete Mann wird
bei nüchternem Verstände ohne weiteres zugeben müssen, daß daraus auf die
Absicht einer Unterbindung der Koalitionsfreiheit der Arbeiter oder auf eine
Untergrabung des Streikrechts zu Gunsten der Unternehmerklasse, überhaupt
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