Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.Das deutsche Lesebuch Vaterlande das deutsche Einheitsgefühl den rechten Ausdruck fand; bis man Auf alle die Männer einzugehn, die wesentliche Verdienste um die Förde¬ Diese Grundsätze hat er selber am Schlüsse seines Werks noch näher be¬ Sein zweiter Vorwurf, der Mangel einer reinen kindlichen Sprache, trifft Der größte Übelstand bei den meisten Lese- und andern Schulbüchern ist die Geldgier
der Verfasser und der Verleger, die womöglich jedes Jahr eine neue veränderte Auflage in die Welt schicken. Das deutsche Lesebuch Vaterlande das deutsche Einheitsgefühl den rechten Ausdruck fand; bis man Auf alle die Männer einzugehn, die wesentliche Verdienste um die Förde¬ Diese Grundsätze hat er selber am Schlüsse seines Werks noch näher be¬ Sein zweiter Vorwurf, der Mangel einer reinen kindlichen Sprache, trifft Der größte Übelstand bei den meisten Lese- und andern Schulbüchern ist die Geldgier
der Verfasser und der Verleger, die womöglich jedes Jahr eine neue veränderte Auflage in die Welt schicken. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0575" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/231745"/> <fw type="header" place="top"> Das deutsche Lesebuch</fw><lb/> <p xml:id="ID_1882" prev="#ID_1881"> Vaterlande das deutsche Einheitsgefühl den rechten Ausdruck fand; bis man<lb/> erkannte, daß sich der religiöse Geist im Lesebuche nicht durch massenhafte Ein-<lb/> führung biblischen Stoffs, sondern durch innere Durchdringung des Ganzen<lb/> Geltung verschaffen müsse, wie dies besonders Philipp Wackernagel und Claus<lb/> Harms durchführten; bis man erkannte, daß eine friedliche Betonung des kon¬<lb/> fessionellen Standpunkts heilsamer sei als eine einfache Verleugnung der Kon¬<lb/> fession.</p><lb/> <p xml:id="ID_1883"> Auf alle die Männer einzugehn, die wesentliche Verdienste um die Förde¬<lb/> rung dieser Grundgedanken und so um die weitere Entwicklung des Lesebuchs<lb/> selbst gehabt haben, wie Goltzsch, Theel, Bock und alle die spätern, würde uns<lb/> hier zu weit führen, geschweige denn, daß wir den Verfasser bei allen seinen<lb/> interessanten Nebenausführungen bis zum jüdischen und zum sozialdemokratischen<lb/> Lesebuch und zur Kameruner Fibel hin begleiten könnten, die er alle in den<lb/> Kreis seiner Besprechung zieht. Wir müssen uns mit dem Hinweis begnügen,<lb/> daß Bürger gerade auch die wichtigern neuen Lesebuchwerke sehr gründlich be¬<lb/> spricht, um den Leser Schlüsse daraus ziehen zu lassen auf das, was mau<lb/> als bleibende Grundsätze für die künftige Weiterbildung des Lesebuchs festzu¬<lb/> halten habe.</p><lb/> <p xml:id="ID_1884"> Diese Grundsätze hat er selber am Schlüsse seines Werks noch näher be¬<lb/> stimmt durch eine Hervorhebung der Mängel, die nach seiner Meinung dem<lb/> Lesebuche unsrer Tage noch anhaften. Wenn Bürger als ersten Mangel den<lb/> nennt, daß dem Lesebuche die innere Einheitlichkeit fehle, wie sie z. B. die<lb/> Bibel aufweise, so ist nicht leicht zu sagen, inwieweit man diesem ziemlich all¬<lb/> gemeinen Ausdruck zustimmen oder ihn ablehnen muß. Notwendig erscheint<lb/> uns auch formell eine gewisse Ordnung, die für das ganze Buch gleichsam das<lb/> Rückgrat abgiebt, und inhaltlich ein einheitlicher Geist, der das Buch durch¬<lb/> dringt: beides wird aber doch Bürger wohl nicht allen Lesebüchern abstreiten<lb/> wollen? Daß daneben doch ein reicher Wechsel der Stimmen und der Stoffe<lb/> herrsche, das scheint uns der Auffassungsweise des Kindes wie der Aufgabe<lb/> des Lesebuchs durchaus zu entsprechen: das Lesebuch soll nicht ein Leitfaden<lb/> für einen systematischen Unterricht sein. Da Bürger auf die „fetzenhafte<lb/> Kompilation" der Lesebücher schilt, scheint es fast, als vermisse er mehr eine<lb/> äußere als eine innere Einheitlichkeit; der Gegensatz der „Kompilation" aber<lb/> wäre das doch von Bürger gewiß nicht empfohlne Wegwerfen des über-<lb/> kommnen Guten zu Gunsten einer einheitlichen Neuschöpfung.</p><lb/> <p xml:id="ID_1885" next="#ID_1886"> Sein zweiter Vorwurf, der Mangel einer reinen kindlichen Sprache, trifft<lb/> allerdings vielfach zu. Besonders könnten sich hier wohl noch gründliche<lb/> Kenner von Welt, Natur und Geschichte, die zugleich Kenner des kindlichen<lb/> Geistes wären, große Verdienste erwerben, wenn sie ihr Wissen der Jugend des<lb/> Volks in einfacher und doch packender Form darböten; das wäre vielleicht<lb/> wichtiger noch als die moderne Erfindung der „Hochschulvorträge" für „das<lb/> Volk."*) Der dritte Vorwurf, daß unsre Lesebücher zu umfangreich seien, als<lb/> daß ihr Inhalt wirklich Eigentum der Kinder werden könnte, scheint uns wie<lb/> der erste auf einem anfechtbaren Grundsatze zu fußen. Je reichhaltiger das<lb/> Lesebuch ist, desto leichter wird es jedenfalls auch nach der Schulzeit eine<lb/> Stellung als Haushund behaupten. Ein sehr beschränkter Stoff ist aber immer</p><lb/> <note xml:id="FID_229" place="foot"> Der größte Übelstand bei den meisten Lese- und andern Schulbüchern ist die Geldgier<lb/> der Verfasser und der Verleger, die womöglich jedes Jahr eine neue veränderte Auflage in die<lb/> Welt schicken.</note><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0575]
Das deutsche Lesebuch
Vaterlande das deutsche Einheitsgefühl den rechten Ausdruck fand; bis man
erkannte, daß sich der religiöse Geist im Lesebuche nicht durch massenhafte Ein-
führung biblischen Stoffs, sondern durch innere Durchdringung des Ganzen
Geltung verschaffen müsse, wie dies besonders Philipp Wackernagel und Claus
Harms durchführten; bis man erkannte, daß eine friedliche Betonung des kon¬
fessionellen Standpunkts heilsamer sei als eine einfache Verleugnung der Kon¬
fession.
Auf alle die Männer einzugehn, die wesentliche Verdienste um die Förde¬
rung dieser Grundgedanken und so um die weitere Entwicklung des Lesebuchs
selbst gehabt haben, wie Goltzsch, Theel, Bock und alle die spätern, würde uns
hier zu weit führen, geschweige denn, daß wir den Verfasser bei allen seinen
interessanten Nebenausführungen bis zum jüdischen und zum sozialdemokratischen
Lesebuch und zur Kameruner Fibel hin begleiten könnten, die er alle in den
Kreis seiner Besprechung zieht. Wir müssen uns mit dem Hinweis begnügen,
daß Bürger gerade auch die wichtigern neuen Lesebuchwerke sehr gründlich be¬
spricht, um den Leser Schlüsse daraus ziehen zu lassen auf das, was mau
als bleibende Grundsätze für die künftige Weiterbildung des Lesebuchs festzu¬
halten habe.
Diese Grundsätze hat er selber am Schlüsse seines Werks noch näher be¬
stimmt durch eine Hervorhebung der Mängel, die nach seiner Meinung dem
Lesebuche unsrer Tage noch anhaften. Wenn Bürger als ersten Mangel den
nennt, daß dem Lesebuche die innere Einheitlichkeit fehle, wie sie z. B. die
Bibel aufweise, so ist nicht leicht zu sagen, inwieweit man diesem ziemlich all¬
gemeinen Ausdruck zustimmen oder ihn ablehnen muß. Notwendig erscheint
uns auch formell eine gewisse Ordnung, die für das ganze Buch gleichsam das
Rückgrat abgiebt, und inhaltlich ein einheitlicher Geist, der das Buch durch¬
dringt: beides wird aber doch Bürger wohl nicht allen Lesebüchern abstreiten
wollen? Daß daneben doch ein reicher Wechsel der Stimmen und der Stoffe
herrsche, das scheint uns der Auffassungsweise des Kindes wie der Aufgabe
des Lesebuchs durchaus zu entsprechen: das Lesebuch soll nicht ein Leitfaden
für einen systematischen Unterricht sein. Da Bürger auf die „fetzenhafte
Kompilation" der Lesebücher schilt, scheint es fast, als vermisse er mehr eine
äußere als eine innere Einheitlichkeit; der Gegensatz der „Kompilation" aber
wäre das doch von Bürger gewiß nicht empfohlne Wegwerfen des über-
kommnen Guten zu Gunsten einer einheitlichen Neuschöpfung.
Sein zweiter Vorwurf, der Mangel einer reinen kindlichen Sprache, trifft
allerdings vielfach zu. Besonders könnten sich hier wohl noch gründliche
Kenner von Welt, Natur und Geschichte, die zugleich Kenner des kindlichen
Geistes wären, große Verdienste erwerben, wenn sie ihr Wissen der Jugend des
Volks in einfacher und doch packender Form darböten; das wäre vielleicht
wichtiger noch als die moderne Erfindung der „Hochschulvorträge" für „das
Volk."*) Der dritte Vorwurf, daß unsre Lesebücher zu umfangreich seien, als
daß ihr Inhalt wirklich Eigentum der Kinder werden könnte, scheint uns wie
der erste auf einem anfechtbaren Grundsatze zu fußen. Je reichhaltiger das
Lesebuch ist, desto leichter wird es jedenfalls auch nach der Schulzeit eine
Stellung als Haushund behaupten. Ein sehr beschränkter Stoff ist aber immer
Der größte Übelstand bei den meisten Lese- und andern Schulbüchern ist die Geldgier
der Verfasser und der Verleger, die womöglich jedes Jahr eine neue veränderte Auflage in die
Welt schicken.
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |