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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

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Okkultismus und Buddhismus

ist das sich Wiederfinden als jenes Selbst, welches über alle Abhängigkeit,
selbst über jene von den höchsten mystischen Kräften, erhaben ist, einzig in sich
selbst ruht und einzig in sich selbst die Quelle seines Lebens ist und hat." Es
gelte die höchsten Interessen der Menschheit, heißt es Seite 149, "und in erster
Linie der Ungezählten, die heute vergeblich, sei es nach Kraft, nach innerm
Halt, sei es nach Frieden ringen." Den Übergang von den Herzens- zu den
Verstandesokknltisten macht einer, der zwar als Ziel des Okkultismus den Nach¬
weis der Unsterblichkeit bezeichnet, auf der individuellen Fortdauer jedoch nicht
besteht, sondern auch mit der unverminderten Erhaltung des "pankosmischeu
moralischen Prinzips der Wesen" zufrieden ist, d. h. also, wenn der Schatz
der von den frühern Menschen erworbnen sittlichen Kräfte und Werte in später
lebenden Menschen oder andern geistigen Wesen fortbesteht. Die Verstandes¬
vkknltisten betrachten Erscheinungen wie das Hellsehen, Wahrträumen, den
"Mediumismus" usw. als bisher unerklärte Naturereignisse, die, ganz abgesehen
von ihrer etwaigen Bedeutung für Religion und Sittlichkeit, dem Forscher die
Pflicht auflegen, sich mit ihnen zu beschäftigen und durch ihre Erklärung
unsre Naturerkenutnis zu erweitern. Du Pret hat die "biologische" Auf¬
fassung verbreitet, daß, wie für deu augen- und ohrenlosen Wurm die Welt
der Farben und der Töne nicht vorhanden ist, und wie den organischen Wesen
bei ihrer Fortentwicklung von niedern zu höhern Arten mit jedem neuen Sinne
eine neue Welt aufgeht, so auch mit den fünf Sinnen des höhern Tiers und
mit den bekannten Geisteskräften des Menschen der Fortschritt noch nicht ab¬
geschlossen ist, sondern noch ein höherer Sinn erworben und durch ihn das
Weltbild erweitert werden kann. Die Entfaltung dieser höhern Dciseinsfvrm,
die Fortentwicklung des "Ätherkeims" auf Darwinschen Wegen zu fördern,
soll nach Seite 11 die Aufgabe des Okkultismus fein. Die nüchternsten unter
den Halbgläubigen sehen denn auch ein, daß der sogenannte Okkultismus, wenn
man alles Schwindelhafte davon ausschließt und die fraglichen Thatsachen
wissenschaftlich behandelt, nichts andres ist als einerseits Metaphysik und ander¬
seits Naturwissenschaft.

Das Urteil der Verständigen über die Sache steht längst fest. Den
spiritistischen Unfug muß man energisch bekämpfen, denn zahlreiche Schwach¬
köpfe verlieren dabei nicht bloß Zeit und Geld, sondern schnappen über; uns
ist ein Fall bekannt, wo eine Fran, die sich dem Wahn ergeben hatte, ihre
ganze Familie zu Grunde gerichtet hat. Soweit die außergewöhnlichen Er¬
scheinungen, mit denen sich die Okkultisten beschäftigen, nicht auf Einbildung
oder Betrug beruhen, hat allerdings die Wissenschaft die Pflicht, sich damit
zu beschäftigen, und es ist wohl möglich, daß sie, wie ihr Du Pret und Hart¬
mann vorwerfen, diese Pflicht bis jetzt ungebührlich vernachlässigt hat. Aber
diese Erscheinungen durch den Namen Okkultismus vou andern Erscheinungs¬
gebieten abzusondern, ist mau uicht berechtigt; denn als Erscheinungen'third


Okkultismus und Buddhismus

ist das sich Wiederfinden als jenes Selbst, welches über alle Abhängigkeit,
selbst über jene von den höchsten mystischen Kräften, erhaben ist, einzig in sich
selbst ruht und einzig in sich selbst die Quelle seines Lebens ist und hat." Es
gelte die höchsten Interessen der Menschheit, heißt es Seite 149, „und in erster
Linie der Ungezählten, die heute vergeblich, sei es nach Kraft, nach innerm
Halt, sei es nach Frieden ringen." Den Übergang von den Herzens- zu den
Verstandesokknltisten macht einer, der zwar als Ziel des Okkultismus den Nach¬
weis der Unsterblichkeit bezeichnet, auf der individuellen Fortdauer jedoch nicht
besteht, sondern auch mit der unverminderten Erhaltung des „pankosmischeu
moralischen Prinzips der Wesen" zufrieden ist, d. h. also, wenn der Schatz
der von den frühern Menschen erworbnen sittlichen Kräfte und Werte in später
lebenden Menschen oder andern geistigen Wesen fortbesteht. Die Verstandes¬
vkknltisten betrachten Erscheinungen wie das Hellsehen, Wahrträumen, den
„Mediumismus" usw. als bisher unerklärte Naturereignisse, die, ganz abgesehen
von ihrer etwaigen Bedeutung für Religion und Sittlichkeit, dem Forscher die
Pflicht auflegen, sich mit ihnen zu beschäftigen und durch ihre Erklärung
unsre Naturerkenutnis zu erweitern. Du Pret hat die „biologische" Auf¬
fassung verbreitet, daß, wie für deu augen- und ohrenlosen Wurm die Welt
der Farben und der Töne nicht vorhanden ist, und wie den organischen Wesen
bei ihrer Fortentwicklung von niedern zu höhern Arten mit jedem neuen Sinne
eine neue Welt aufgeht, so auch mit den fünf Sinnen des höhern Tiers und
mit den bekannten Geisteskräften des Menschen der Fortschritt noch nicht ab¬
geschlossen ist, sondern noch ein höherer Sinn erworben und durch ihn das
Weltbild erweitert werden kann. Die Entfaltung dieser höhern Dciseinsfvrm,
die Fortentwicklung des „Ätherkeims" auf Darwinschen Wegen zu fördern,
soll nach Seite 11 die Aufgabe des Okkultismus fein. Die nüchternsten unter
den Halbgläubigen sehen denn auch ein, daß der sogenannte Okkultismus, wenn
man alles Schwindelhafte davon ausschließt und die fraglichen Thatsachen
wissenschaftlich behandelt, nichts andres ist als einerseits Metaphysik und ander¬
seits Naturwissenschaft.

Das Urteil der Verständigen über die Sache steht längst fest. Den
spiritistischen Unfug muß man energisch bekämpfen, denn zahlreiche Schwach¬
köpfe verlieren dabei nicht bloß Zeit und Geld, sondern schnappen über; uns
ist ein Fall bekannt, wo eine Fran, die sich dem Wahn ergeben hatte, ihre
ganze Familie zu Grunde gerichtet hat. Soweit die außergewöhnlichen Er¬
scheinungen, mit denen sich die Okkultisten beschäftigen, nicht auf Einbildung
oder Betrug beruhen, hat allerdings die Wissenschaft die Pflicht, sich damit
zu beschäftigen, und es ist wohl möglich, daß sie, wie ihr Du Pret und Hart¬
mann vorwerfen, diese Pflicht bis jetzt ungebührlich vernachlässigt hat. Aber
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gebieten abzusondern, ist mau uicht berechtigt; denn als Erscheinungen'third


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[0547] Okkultismus und Buddhismus ist das sich Wiederfinden als jenes Selbst, welches über alle Abhängigkeit, selbst über jene von den höchsten mystischen Kräften, erhaben ist, einzig in sich selbst ruht und einzig in sich selbst die Quelle seines Lebens ist und hat." Es gelte die höchsten Interessen der Menschheit, heißt es Seite 149, „und in erster Linie der Ungezählten, die heute vergeblich, sei es nach Kraft, nach innerm Halt, sei es nach Frieden ringen." Den Übergang von den Herzens- zu den Verstandesokknltisten macht einer, der zwar als Ziel des Okkultismus den Nach¬ weis der Unsterblichkeit bezeichnet, auf der individuellen Fortdauer jedoch nicht besteht, sondern auch mit der unverminderten Erhaltung des „pankosmischeu moralischen Prinzips der Wesen" zufrieden ist, d. h. also, wenn der Schatz der von den frühern Menschen erworbnen sittlichen Kräfte und Werte in später lebenden Menschen oder andern geistigen Wesen fortbesteht. Die Verstandes¬ vkknltisten betrachten Erscheinungen wie das Hellsehen, Wahrträumen, den „Mediumismus" usw. als bisher unerklärte Naturereignisse, die, ganz abgesehen von ihrer etwaigen Bedeutung für Religion und Sittlichkeit, dem Forscher die Pflicht auflegen, sich mit ihnen zu beschäftigen und durch ihre Erklärung unsre Naturerkenutnis zu erweitern. Du Pret hat die „biologische" Auf¬ fassung verbreitet, daß, wie für deu augen- und ohrenlosen Wurm die Welt der Farben und der Töne nicht vorhanden ist, und wie den organischen Wesen bei ihrer Fortentwicklung von niedern zu höhern Arten mit jedem neuen Sinne eine neue Welt aufgeht, so auch mit den fünf Sinnen des höhern Tiers und mit den bekannten Geisteskräften des Menschen der Fortschritt noch nicht ab¬ geschlossen ist, sondern noch ein höherer Sinn erworben und durch ihn das Weltbild erweitert werden kann. Die Entfaltung dieser höhern Dciseinsfvrm, die Fortentwicklung des „Ätherkeims" auf Darwinschen Wegen zu fördern, soll nach Seite 11 die Aufgabe des Okkultismus fein. Die nüchternsten unter den Halbgläubigen sehen denn auch ein, daß der sogenannte Okkultismus, wenn man alles Schwindelhafte davon ausschließt und die fraglichen Thatsachen wissenschaftlich behandelt, nichts andres ist als einerseits Metaphysik und ander¬ seits Naturwissenschaft. Das Urteil der Verständigen über die Sache steht längst fest. Den spiritistischen Unfug muß man energisch bekämpfen, denn zahlreiche Schwach¬ köpfe verlieren dabei nicht bloß Zeit und Geld, sondern schnappen über; uns ist ein Fall bekannt, wo eine Fran, die sich dem Wahn ergeben hatte, ihre ganze Familie zu Grunde gerichtet hat. Soweit die außergewöhnlichen Er¬ scheinungen, mit denen sich die Okkultisten beschäftigen, nicht auf Einbildung oder Betrug beruhen, hat allerdings die Wissenschaft die Pflicht, sich damit zu beschäftigen, und es ist wohl möglich, daß sie, wie ihr Du Pret und Hart¬ mann vorwerfen, diese Pflicht bis jetzt ungebührlich vernachlässigt hat. Aber diese Erscheinungen durch den Namen Okkultismus vou andern Erscheinungs¬ gebieten abzusondern, ist mau uicht berechtigt; denn als Erscheinungen'third

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/547>, abgerufen am 15.01.2025.