Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.Okkultismus und Buddhismus le Ansichten über den Sinn und den Zweck des Christentums Grenzboten III 1899 68
Okkultismus und Buddhismus le Ansichten über den Sinn und den Zweck des Christentums Grenzboten III 1899 68
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[Abbildung]
Okkultismus und Buddhismus
le Ansichten über den Sinn und den Zweck des Christentums
mögen tausendfach auseinander gehn, über eins aber besteht kein
Zweifel, daß es das Erdenleben als Vorbereitung auf ein jenseitiges
Leben aufgefaßt wissen will. Wenn Paulus, der große Gemeinde¬
gründer, den nicht wenige für den eigentlichen Stifter der Kirche
halten, nicht wüßte, was das Christentum zu bedeuten hat, wer sollte es da
wohl wissen? Paulus aber sagt den Korinthern, daß, wenn es keine Auferstehung
der Toten gäbe, seine Predigt vergeblich sein würde, und die Christen die
elendesten aller Menschen wären. Nun ist es aber schwierig, an ein Jenseits
zu glauben, wenn von drüben kein Lebenszeichen herüberdringt. Paulus hat
daran geglaubt, weil ihm der auferstandne Christus erschienen ist, die ersten
Christen haben mit Engeln und mit den Seelen der Verstorbnen wie mit guten
Freunden verkehrt, und in der Kirche ist dieser Verkehr mit Christus, mit den
Heiligen im Himmel und mit den Seelen der noch Unerlösten, auch mit Teufeln,
durch die Jahrhunderte fortgegangen, bei den Katholiken bis auf den heutigen
Tag. Der Protestantismus hat in der Aufklärungszeit die Brücke ins Jenseits
abgebrochen. Seine hervorragendsten Vertreter haben erklärt, daß wir uns
an dem Buchstaben der Schrift und an dem Zeugnisse unsrer Vernunft genügen
lassen müssen, daß über die Sinnenwelt hinaus keine Erfahrung reicht, daß
die vermeintlichen Erfahrungen der Visionäre leere Einbildungen und Sinnes¬
täuschungen sind, und daß wir aus Gründen der praktischen Vernunft zwar
ans Jenseits zu glauben, sinnfällige Beweise seiner Wirklichkeit aber nicht zu
verlangen haben; glaube ich an ein Gespenst, schreibt Kant, so muß ich an
alle Gespenster glauben; und da wir nun den durch die Kausalität gesetzlich
geordneten Lauf der Natur nicht durch Gespensterspuk in Verwirrung bringen
lassen dürfen, so dürfen wir uns also in keinem einzigen Falle auf ein Zuge¬
ständnis an die Mystiker einlassen. Aber die Zahl der nüchternen und zugleich
starken Geister, die den Unsterblichkeitsglauben ohne sinnfällige Beweise festzu¬
halten vermögen, ist nicht groß. Die Masse der heutigen Kulturmenschen be¬
schränkt sich deshalb mit ihrem Denken, Dichten und Trachten aufs Diesseits,
entweder bloß praktisch oder auch theoretisch, durch das ausdrückliche Bekenntnis
zum Materialismus und Atheismus; solche aber, die eines Jenseits bedürfen,
Grenzboten III 1899 68
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