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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

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Briefe eines Zurückgekehrten

noch tief das Gefühl für das Große und Schöne in der Einfachheit. Je
niedriger das Land, desto höher der Himmel, desto mehr blaue Luft, Sonne,
mächtigere, freiere Wolkengebilde; das war eine unentdeckte Wahrheit. Übrigens
reicht ein Gang durch die deutschen Gemäldesammlungen hin, zu erkennen,
daß die landschaftlichen Reize des norddeutschen Tieflands auch heute noch
lange nicht genug künstlerisch verwertet sind. Es ist weit dahin, bis man
sagen kann, sie sind ausgeschöpft. Es ist noch keiner dagewesen, der sich die
Abend- und Nachtstimmungen, wo jede Einzelheit vor dem weiten, tiefen
Horizonte wie abgelöst steht und sich wunderbare Farbentöne von dunkelrot
bis hellgrünlichgelb und milchweiß auf der hohen Wand des Himmels mischen,
so zum Ziele seiner Darstellung gemacht hätte, wie drei Generationen von
Künstlern aller Nationen, die die Alpen, das Mittelgebirge und sogar deu
Apennin gemalt und wieder gemalt haben. In Hamburg erfreuen sich die
Werke der Worpsweder und einiger holsteinischer Künstler, die dieses anstreben,
großer Teilnahme, anch praktischer d. h. zahlender, wie ich zu meiner Freude
in deu Häusern kunstliebender Privatleute wahrnahm.




Lübeck hat im höchsten Grade die Eigenschaften der echten alten Hanse¬
städte, neben denen Hamburg nur ein Emporkömmling ist, allerdings einer,
dem es sehr geglückt ist. Lübeck ist eine geschlossene Existenz, die ehrwürdiges
Alter mit einigen Spuren des Rückgangs verbindet, unter denen aber noch
immer ein Strom ruhiger Weiterentwicklung, wenn auch in behaglicher Enge,
weitergeht. Eine gesunde Verbindung, die wohlthuend anmutet. Welch er¬
freuliches Bild, wenn man aus dem Bahnhof tritt und Lübeck wie eine turm¬
reiche Insel vor sich liegen sieht, im Flachland zwar und schou am Süßwasser,
aber doch schon eine echte Küstenstadt in der Schiffe mastenreichem Wald, be¬
herrscht von seinem dunkelbraunen Dom, der, wie der ganze Marktplatz, höher
als die übrige Stadt liegt. Das bedeutendste Denkmal ist jedenfalls das im
wahren Wortsinn unvergleichliche Rathaus aus dunkeln, schwärzlich wirkenden,
glasierten Ziegeln, die in der Mischung mit roten den durch Masse und schöne
Verhältnisse ausgezeichneten Ban wie einen dunkelgeharnischten Ritter hin¬
stellen. Dabei sind aber die Außentreppen, die verbindenden Bogengänge mit
Galerien und die Türmchen höchst lebendig. Und im Innern zeugt die ge¬
schnitzte Stube von der Pracht, die in der wehrhaften Stadt wohnte. Unter
den Kirchen ist der Dom mit seinen Türmen im Übergangsstil etwas schwer,
um so leichter schwingen sich die schmalen Hallen der Marienkirche zur Höhe,
vor allem aber das Chor. Es ist kein Mangel an Metall in diesem Gottes¬
hause. Der Protestantismus zieht sonst vor, das Metall im Beutel zu be¬
halten. Hier ist es freigebig verwandt. Die Kanzel gleicht einer Art von
Salramentshäuschen, ist höchst bewegt, jeden Pfeiler zieren Votivbilder und


Briefe eines Zurückgekehrten

noch tief das Gefühl für das Große und Schöne in der Einfachheit. Je
niedriger das Land, desto höher der Himmel, desto mehr blaue Luft, Sonne,
mächtigere, freiere Wolkengebilde; das war eine unentdeckte Wahrheit. Übrigens
reicht ein Gang durch die deutschen Gemäldesammlungen hin, zu erkennen,
daß die landschaftlichen Reize des norddeutschen Tieflands auch heute noch
lange nicht genug künstlerisch verwertet sind. Es ist weit dahin, bis man
sagen kann, sie sind ausgeschöpft. Es ist noch keiner dagewesen, der sich die
Abend- und Nachtstimmungen, wo jede Einzelheit vor dem weiten, tiefen
Horizonte wie abgelöst steht und sich wunderbare Farbentöne von dunkelrot
bis hellgrünlichgelb und milchweiß auf der hohen Wand des Himmels mischen,
so zum Ziele seiner Darstellung gemacht hätte, wie drei Generationen von
Künstlern aller Nationen, die die Alpen, das Mittelgebirge und sogar deu
Apennin gemalt und wieder gemalt haben. In Hamburg erfreuen sich die
Werke der Worpsweder und einiger holsteinischer Künstler, die dieses anstreben,
großer Teilnahme, anch praktischer d. h. zahlender, wie ich zu meiner Freude
in deu Häusern kunstliebender Privatleute wahrnahm.




Lübeck hat im höchsten Grade die Eigenschaften der echten alten Hanse¬
städte, neben denen Hamburg nur ein Emporkömmling ist, allerdings einer,
dem es sehr geglückt ist. Lübeck ist eine geschlossene Existenz, die ehrwürdiges
Alter mit einigen Spuren des Rückgangs verbindet, unter denen aber noch
immer ein Strom ruhiger Weiterentwicklung, wenn auch in behaglicher Enge,
weitergeht. Eine gesunde Verbindung, die wohlthuend anmutet. Welch er¬
freuliches Bild, wenn man aus dem Bahnhof tritt und Lübeck wie eine turm¬
reiche Insel vor sich liegen sieht, im Flachland zwar und schou am Süßwasser,
aber doch schon eine echte Küstenstadt in der Schiffe mastenreichem Wald, be¬
herrscht von seinem dunkelbraunen Dom, der, wie der ganze Marktplatz, höher
als die übrige Stadt liegt. Das bedeutendste Denkmal ist jedenfalls das im
wahren Wortsinn unvergleichliche Rathaus aus dunkeln, schwärzlich wirkenden,
glasierten Ziegeln, die in der Mischung mit roten den durch Masse und schöne
Verhältnisse ausgezeichneten Ban wie einen dunkelgeharnischten Ritter hin¬
stellen. Dabei sind aber die Außentreppen, die verbindenden Bogengänge mit
Galerien und die Türmchen höchst lebendig. Und im Innern zeugt die ge¬
schnitzte Stube von der Pracht, die in der wehrhaften Stadt wohnte. Unter
den Kirchen ist der Dom mit seinen Türmen im Übergangsstil etwas schwer,
um so leichter schwingen sich die schmalen Hallen der Marienkirche zur Höhe,
vor allem aber das Chor. Es ist kein Mangel an Metall in diesem Gottes¬
hause. Der Protestantismus zieht sonst vor, das Metall im Beutel zu be¬
halten. Hier ist es freigebig verwandt. Die Kanzel gleicht einer Art von
Salramentshäuschen, ist höchst bewegt, jeden Pfeiler zieren Votivbilder und


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[0523] Briefe eines Zurückgekehrten noch tief das Gefühl für das Große und Schöne in der Einfachheit. Je niedriger das Land, desto höher der Himmel, desto mehr blaue Luft, Sonne, mächtigere, freiere Wolkengebilde; das war eine unentdeckte Wahrheit. Übrigens reicht ein Gang durch die deutschen Gemäldesammlungen hin, zu erkennen, daß die landschaftlichen Reize des norddeutschen Tieflands auch heute noch lange nicht genug künstlerisch verwertet sind. Es ist weit dahin, bis man sagen kann, sie sind ausgeschöpft. Es ist noch keiner dagewesen, der sich die Abend- und Nachtstimmungen, wo jede Einzelheit vor dem weiten, tiefen Horizonte wie abgelöst steht und sich wunderbare Farbentöne von dunkelrot bis hellgrünlichgelb und milchweiß auf der hohen Wand des Himmels mischen, so zum Ziele seiner Darstellung gemacht hätte, wie drei Generationen von Künstlern aller Nationen, die die Alpen, das Mittelgebirge und sogar deu Apennin gemalt und wieder gemalt haben. In Hamburg erfreuen sich die Werke der Worpsweder und einiger holsteinischer Künstler, die dieses anstreben, großer Teilnahme, anch praktischer d. h. zahlender, wie ich zu meiner Freude in deu Häusern kunstliebender Privatleute wahrnahm. Lübeck hat im höchsten Grade die Eigenschaften der echten alten Hanse¬ städte, neben denen Hamburg nur ein Emporkömmling ist, allerdings einer, dem es sehr geglückt ist. Lübeck ist eine geschlossene Existenz, die ehrwürdiges Alter mit einigen Spuren des Rückgangs verbindet, unter denen aber noch immer ein Strom ruhiger Weiterentwicklung, wenn auch in behaglicher Enge, weitergeht. Eine gesunde Verbindung, die wohlthuend anmutet. Welch er¬ freuliches Bild, wenn man aus dem Bahnhof tritt und Lübeck wie eine turm¬ reiche Insel vor sich liegen sieht, im Flachland zwar und schou am Süßwasser, aber doch schon eine echte Küstenstadt in der Schiffe mastenreichem Wald, be¬ herrscht von seinem dunkelbraunen Dom, der, wie der ganze Marktplatz, höher als die übrige Stadt liegt. Das bedeutendste Denkmal ist jedenfalls das im wahren Wortsinn unvergleichliche Rathaus aus dunkeln, schwärzlich wirkenden, glasierten Ziegeln, die in der Mischung mit roten den durch Masse und schöne Verhältnisse ausgezeichneten Ban wie einen dunkelgeharnischten Ritter hin¬ stellen. Dabei sind aber die Außentreppen, die verbindenden Bogengänge mit Galerien und die Türmchen höchst lebendig. Und im Innern zeugt die ge¬ schnitzte Stube von der Pracht, die in der wehrhaften Stadt wohnte. Unter den Kirchen ist der Dom mit seinen Türmen im Übergangsstil etwas schwer, um so leichter schwingen sich die schmalen Hallen der Marienkirche zur Höhe, vor allem aber das Chor. Es ist kein Mangel an Metall in diesem Gottes¬ hause. Der Protestantismus zieht sonst vor, das Metall im Beutel zu be¬ halten. Hier ist es freigebig verwandt. Die Kanzel gleicht einer Art von Salramentshäuschen, ist höchst bewegt, jeden Pfeiler zieren Votivbilder und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/523>, abgerufen am 15.01.2025.