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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

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Briefe eines Zurückgekehrten

Tiefen. In der ursprünglich von gleichen Gefühlen und Interessen ge¬
triebnen Reisegesellschaft vollzieh" sich sehr bald Sondernngen. Kaum haben
sie die Mühe der Einpassung in das enge Gehäuse hinter sich, so vergessen
viele vollständig ihren vorherigen Zustand. Man merkt, die Menschen
wollen auch aus dieser Gegenwart alles machen, was gemacht werden kann.
Wohl sieht man hier Augen, die keine Thräne mehr haben, mit angst¬
voller Sehnsucht den letzten Schimmer des Landes festhalten, von dem wir
uns mit Sturmeseile entfernen. Aber gleich daneben fordern andre voll
Eifer den fehlenden Mann sür eine Skatpartie. Das immer wieder versuchte
Experiment wird auch dieses mal gemacht, durch einen Unterzeichnungsbogen
Musik und Deklamationskräuzchen und Unterhaltungszirkel mit bestimmtem
Programm für zehn Tage ins Leben zu rufen. Doch beteiligt sich kaum
jemand daran. Natürlich, denn die Mehrzahl der Reisenden sind Deutsche,
die Zwang und System besonders aus der Unterhaltung Verbanne sehen wollen.
Ich habe auf Schiffen, wo das englische Element überwog, diese Einrichtung
mit Erfolg anwenden sehen. Was man dort nicht sieht, hat sich dagegen bei
uns schon organisiert: eine große Kneiperei nach allen Regeln der Kunst.
Nach amerikanisch-geschmackloser Sitte traktiert sich eine Gesellschaft von Deutsch-
Amerikanern gegenseitig mit Milwaukecbier, dessen Vorzüge vor dem bayrischen
man laut preisen hört. Es sind Leute aus allen Teilen der Union, die sich
großenteils vorher nicht gekannt haben. Geschäfts- und Geselligkeitstriebe lassen
sie wie Ol zusammenrinnen. Einzelne davon kannte ich sonst als vortreffliche
Menschen; als Gruppe, die sich durch Trinken, Rauchen und lautes Reden in
ein Vergnügen hineinsteigert, das sür alle Nebenmenschen lästig ist, ist mir
diese Art zuwider.

Wie sich diese Leute, denen es drüben offenbar "geglückt" ist, schnell ver¬
einigen, das erinnert mich an die Vereinsgründung, die zwei schiffbrüchige
Deutsche auf einer einsamen Insel in dem Augenblick vollziehn, wo sie zum
erstenmale aufeinandertreffen. Man kann sicher sein, daß in wenigen Tagen
die neuen Freunde einander nicht mehr ausstehn können. Sobald einmal die
Oberfläche abgegrast ist, stoßen sie auf eine Menge von Unvereinbarkeiten. Es
fehlt ihnen eben jede Gemeinsamkeit der Vildnngsgrundlagen und vor allem
ein ausreichender Gemeinbesitz von gesellschaftlichen Formen. Sie fordern in
dieser Beziehung unglaublich wenig von einander. Durch diese Genügsamkeit
erniedrigen sie aber überall, wo sie hinkommen, das gesellschaftliche Niveau.
Leider tragen sie ihren Bier- und Cigarrendunst, ihr Lärmen und Gläserklingen
überall mit sich. Duldet man sie und ihre Atmosphäre nicht in der Oberwelt,
so steigen sie in die Unterwelt hinab. In einem amerikanischen Bahnzug findet
man sie dann bei Negern und Jrlündern im Smoking Car, und im Hotel
vertagen sie sich ins Kutscherzimmer. Mehr, als man glaubt, schadet der
Deutsche mit diesen Gebräuchen seiner gesellschaftlichen Stellung. Ins Politische


Briefe eines Zurückgekehrten

Tiefen. In der ursprünglich von gleichen Gefühlen und Interessen ge¬
triebnen Reisegesellschaft vollzieh» sich sehr bald Sondernngen. Kaum haben
sie die Mühe der Einpassung in das enge Gehäuse hinter sich, so vergessen
viele vollständig ihren vorherigen Zustand. Man merkt, die Menschen
wollen auch aus dieser Gegenwart alles machen, was gemacht werden kann.
Wohl sieht man hier Augen, die keine Thräne mehr haben, mit angst¬
voller Sehnsucht den letzten Schimmer des Landes festhalten, von dem wir
uns mit Sturmeseile entfernen. Aber gleich daneben fordern andre voll
Eifer den fehlenden Mann sür eine Skatpartie. Das immer wieder versuchte
Experiment wird auch dieses mal gemacht, durch einen Unterzeichnungsbogen
Musik und Deklamationskräuzchen und Unterhaltungszirkel mit bestimmtem
Programm für zehn Tage ins Leben zu rufen. Doch beteiligt sich kaum
jemand daran. Natürlich, denn die Mehrzahl der Reisenden sind Deutsche,
die Zwang und System besonders aus der Unterhaltung Verbanne sehen wollen.
Ich habe auf Schiffen, wo das englische Element überwog, diese Einrichtung
mit Erfolg anwenden sehen. Was man dort nicht sieht, hat sich dagegen bei
uns schon organisiert: eine große Kneiperei nach allen Regeln der Kunst.
Nach amerikanisch-geschmackloser Sitte traktiert sich eine Gesellschaft von Deutsch-
Amerikanern gegenseitig mit Milwaukecbier, dessen Vorzüge vor dem bayrischen
man laut preisen hört. Es sind Leute aus allen Teilen der Union, die sich
großenteils vorher nicht gekannt haben. Geschäfts- und Geselligkeitstriebe lassen
sie wie Ol zusammenrinnen. Einzelne davon kannte ich sonst als vortreffliche
Menschen; als Gruppe, die sich durch Trinken, Rauchen und lautes Reden in
ein Vergnügen hineinsteigert, das sür alle Nebenmenschen lästig ist, ist mir
diese Art zuwider.

Wie sich diese Leute, denen es drüben offenbar „geglückt" ist, schnell ver¬
einigen, das erinnert mich an die Vereinsgründung, die zwei schiffbrüchige
Deutsche auf einer einsamen Insel in dem Augenblick vollziehn, wo sie zum
erstenmale aufeinandertreffen. Man kann sicher sein, daß in wenigen Tagen
die neuen Freunde einander nicht mehr ausstehn können. Sobald einmal die
Oberfläche abgegrast ist, stoßen sie auf eine Menge von Unvereinbarkeiten. Es
fehlt ihnen eben jede Gemeinsamkeit der Vildnngsgrundlagen und vor allem
ein ausreichender Gemeinbesitz von gesellschaftlichen Formen. Sie fordern in
dieser Beziehung unglaublich wenig von einander. Durch diese Genügsamkeit
erniedrigen sie aber überall, wo sie hinkommen, das gesellschaftliche Niveau.
Leider tragen sie ihren Bier- und Cigarrendunst, ihr Lärmen und Gläserklingen
überall mit sich. Duldet man sie und ihre Atmosphäre nicht in der Oberwelt,
so steigen sie in die Unterwelt hinab. In einem amerikanischen Bahnzug findet
man sie dann bei Negern und Jrlündern im Smoking Car, und im Hotel
vertagen sie sich ins Kutscherzimmer. Mehr, als man glaubt, schadet der
Deutsche mit diesen Gebräuchen seiner gesellschaftlichen Stellung. Ins Politische


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[0514] Briefe eines Zurückgekehrten Tiefen. In der ursprünglich von gleichen Gefühlen und Interessen ge¬ triebnen Reisegesellschaft vollzieh» sich sehr bald Sondernngen. Kaum haben sie die Mühe der Einpassung in das enge Gehäuse hinter sich, so vergessen viele vollständig ihren vorherigen Zustand. Man merkt, die Menschen wollen auch aus dieser Gegenwart alles machen, was gemacht werden kann. Wohl sieht man hier Augen, die keine Thräne mehr haben, mit angst¬ voller Sehnsucht den letzten Schimmer des Landes festhalten, von dem wir uns mit Sturmeseile entfernen. Aber gleich daneben fordern andre voll Eifer den fehlenden Mann sür eine Skatpartie. Das immer wieder versuchte Experiment wird auch dieses mal gemacht, durch einen Unterzeichnungsbogen Musik und Deklamationskräuzchen und Unterhaltungszirkel mit bestimmtem Programm für zehn Tage ins Leben zu rufen. Doch beteiligt sich kaum jemand daran. Natürlich, denn die Mehrzahl der Reisenden sind Deutsche, die Zwang und System besonders aus der Unterhaltung Verbanne sehen wollen. Ich habe auf Schiffen, wo das englische Element überwog, diese Einrichtung mit Erfolg anwenden sehen. Was man dort nicht sieht, hat sich dagegen bei uns schon organisiert: eine große Kneiperei nach allen Regeln der Kunst. Nach amerikanisch-geschmackloser Sitte traktiert sich eine Gesellschaft von Deutsch- Amerikanern gegenseitig mit Milwaukecbier, dessen Vorzüge vor dem bayrischen man laut preisen hört. Es sind Leute aus allen Teilen der Union, die sich großenteils vorher nicht gekannt haben. Geschäfts- und Geselligkeitstriebe lassen sie wie Ol zusammenrinnen. Einzelne davon kannte ich sonst als vortreffliche Menschen; als Gruppe, die sich durch Trinken, Rauchen und lautes Reden in ein Vergnügen hineinsteigert, das sür alle Nebenmenschen lästig ist, ist mir diese Art zuwider. Wie sich diese Leute, denen es drüben offenbar „geglückt" ist, schnell ver¬ einigen, das erinnert mich an die Vereinsgründung, die zwei schiffbrüchige Deutsche auf einer einsamen Insel in dem Augenblick vollziehn, wo sie zum erstenmale aufeinandertreffen. Man kann sicher sein, daß in wenigen Tagen die neuen Freunde einander nicht mehr ausstehn können. Sobald einmal die Oberfläche abgegrast ist, stoßen sie auf eine Menge von Unvereinbarkeiten. Es fehlt ihnen eben jede Gemeinsamkeit der Vildnngsgrundlagen und vor allem ein ausreichender Gemeinbesitz von gesellschaftlichen Formen. Sie fordern in dieser Beziehung unglaublich wenig von einander. Durch diese Genügsamkeit erniedrigen sie aber überall, wo sie hinkommen, das gesellschaftliche Niveau. Leider tragen sie ihren Bier- und Cigarrendunst, ihr Lärmen und Gläserklingen überall mit sich. Duldet man sie und ihre Atmosphäre nicht in der Oberwelt, so steigen sie in die Unterwelt hinab. In einem amerikanischen Bahnzug findet man sie dann bei Negern und Jrlündern im Smoking Car, und im Hotel vertagen sie sich ins Kutscherzimmer. Mehr, als man glaubt, schadet der Deutsche mit diesen Gebräuchen seiner gesellschaftlichen Stellung. Ins Politische

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/514>, abgerufen am 15.01.2025.