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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

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Transvaal

aufrichtigen Sympathien zu bekunden und den Briten die empfindlichsten, nach¬
haltigsten Niederlagen zu wünschen.

Das ist freilich wenig genug und leider alles, was wir im Augenblick
thun können. Aber unterlassen sollen wir es trotzdem nicht. Wenn vor vier
Jahren der deutsche Kaiser in seiner bekannten Depesche an den Präsidenten
Krüger die Boeren zur blutigen Zurückweisung des Jamesonschen Einfalls be¬
glückwünschte, so hat er damit den Gefühlen des ganzen deutschen Volks den
richtigen Ausdruck gegeben, und es ist sehr fraglich, ob trotz aller ganz erklär¬
lichen Bedenken der zünftigen Diplomatie diese kaiserliche Depesche nicht auch
der Ausfluß einer richtigen Politik war. Wenn in England die imperialistische
Tollheit noch weiter zunimmt, so wird es gerade dem Deutschen Reiche viel¬
leicht bald sehr erwünscht erscheinen, daß die schwächern unter den Nationen
wüßten und vertrauten, es gäbe noch eine starke Nation in der Welt, die ihre
Rechte achtet und sie nach Kräften zu vertreten gewillt ist gegen die Ver¬
gewaltigung durch die augenblicklich Stärksten. Es steht doch noch nicht so
ganz fest, daß es in der zivilisierten Welt ein für allemal aus und vorbei ist
mit Gerechtigkeit, Gesittung und Humanität im Verhältnis zwischen Nation
und Nation, und daß sich das barbarische, man möchte fast sagen: tierische
Ideal der allerneusten Völkerrechtsgelehrten bald verwirklichen wird, wonach
der Stärkere den Schwächern von Rechts wegen aufzufressen hat, bis sich zu-
guderletzt die beiden Stärksten gegenseitig zerfleischen. Und wenn wir Deutschen
auch wirklich schon auf der Höhe dieser idealen Vorstellung angelangt wären,
könnten wir dann hoffen, die Gefräßigkeit des englischen Barbaren dadurch
von uns abzulenken, daß wir ihm zu dem Gewaltakt gegen Transvaal guten
Appetit wünschen? Wenn ihm die Vernichtung der südafrikanischen Republik
geglückt ist, dann wird er erst recht Lust haben, Deutschland zu vernichten-
Das Listsrum esuseo, (?örinaing.rQ S8Sö äslöiräam als schon offen ausgegebne
Lösung der britischen Imperialisten wird nach dem Niederwerfen Transvaals
erst recht mit unzweideutiger Unverschämtheit laut werden, vollends wenn wir
uns als Herrn Chamberlains verständnisvolle Schüler aufspielen.

Gott sei Dank giebt es auch in England noch Männer genug, die sich
über die augenblickliche Übermacht der imperialistischen Strömung entrüsten,
gute Engländer und kluge erfahrne Weltpolitiker, deren Stimme zwar zur
Zeit durch die in der Presse stark gefälschte öffentliche Meinung überschrieen
wird, die aber trotzdem auf den endlichen Sieg von Vernunft und Gesittung
rechnen, und deuen wir den Sieg nicht erschweren, sondern von Herzen wünschen
und nach Kräften erleichtern sollten.

In einem offnen Brief an den britischen Premierminister, Lord Salisbury,
hat kürzlich ein, wie die Zeitungen sagen, angesehener englischer Politiker,
Frederick Harrison, dem Imperialismus die Wahrheit ins Gesicht gesagt, und
wir Deutschen tonnen sie uns auch gesagt sein lassen.


Transvaal

aufrichtigen Sympathien zu bekunden und den Briten die empfindlichsten, nach¬
haltigsten Niederlagen zu wünschen.

Das ist freilich wenig genug und leider alles, was wir im Augenblick
thun können. Aber unterlassen sollen wir es trotzdem nicht. Wenn vor vier
Jahren der deutsche Kaiser in seiner bekannten Depesche an den Präsidenten
Krüger die Boeren zur blutigen Zurückweisung des Jamesonschen Einfalls be¬
glückwünschte, so hat er damit den Gefühlen des ganzen deutschen Volks den
richtigen Ausdruck gegeben, und es ist sehr fraglich, ob trotz aller ganz erklär¬
lichen Bedenken der zünftigen Diplomatie diese kaiserliche Depesche nicht auch
der Ausfluß einer richtigen Politik war. Wenn in England die imperialistische
Tollheit noch weiter zunimmt, so wird es gerade dem Deutschen Reiche viel¬
leicht bald sehr erwünscht erscheinen, daß die schwächern unter den Nationen
wüßten und vertrauten, es gäbe noch eine starke Nation in der Welt, die ihre
Rechte achtet und sie nach Kräften zu vertreten gewillt ist gegen die Ver¬
gewaltigung durch die augenblicklich Stärksten. Es steht doch noch nicht so
ganz fest, daß es in der zivilisierten Welt ein für allemal aus und vorbei ist
mit Gerechtigkeit, Gesittung und Humanität im Verhältnis zwischen Nation
und Nation, und daß sich das barbarische, man möchte fast sagen: tierische
Ideal der allerneusten Völkerrechtsgelehrten bald verwirklichen wird, wonach
der Stärkere den Schwächern von Rechts wegen aufzufressen hat, bis sich zu-
guderletzt die beiden Stärksten gegenseitig zerfleischen. Und wenn wir Deutschen
auch wirklich schon auf der Höhe dieser idealen Vorstellung angelangt wären,
könnten wir dann hoffen, die Gefräßigkeit des englischen Barbaren dadurch
von uns abzulenken, daß wir ihm zu dem Gewaltakt gegen Transvaal guten
Appetit wünschen? Wenn ihm die Vernichtung der südafrikanischen Republik
geglückt ist, dann wird er erst recht Lust haben, Deutschland zu vernichten-
Das Listsrum esuseo, (?örinaing.rQ S8Sö äslöiräam als schon offen ausgegebne
Lösung der britischen Imperialisten wird nach dem Niederwerfen Transvaals
erst recht mit unzweideutiger Unverschämtheit laut werden, vollends wenn wir
uns als Herrn Chamberlains verständnisvolle Schüler aufspielen.

Gott sei Dank giebt es auch in England noch Männer genug, die sich
über die augenblickliche Übermacht der imperialistischen Strömung entrüsten,
gute Engländer und kluge erfahrne Weltpolitiker, deren Stimme zwar zur
Zeit durch die in der Presse stark gefälschte öffentliche Meinung überschrieen
wird, die aber trotzdem auf den endlichen Sieg von Vernunft und Gesittung
rechnen, und deuen wir den Sieg nicht erschweren, sondern von Herzen wünschen
und nach Kräften erleichtern sollten.

In einem offnen Brief an den britischen Premierminister, Lord Salisbury,
hat kürzlich ein, wie die Zeitungen sagen, angesehener englischer Politiker,
Frederick Harrison, dem Imperialismus die Wahrheit ins Gesicht gesagt, und
wir Deutschen tonnen sie uns auch gesagt sein lassen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/490>, abgerufen am 15.01.2025.