Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Line Frühlingsfahrt nach den Abruzzen uns nach Apulien

Wir nahmen unsern Reiseweg durch Ungarn, einmal weil wir das heilige
Stefansland noch nicht kannten, und sodann weil sich auf diese Weise die
Eisenbahnkosten für alle Bewohner der östlichen preußischen Provinzen wesentlich
billiger stellen. Man gewinnt nicht den Eindruck, daß die Magyaren mit den
Erfolgen ihres Zonentarifs sehr zufrieden sind, sie würden ihn sonst nicht in
verschiednen Beziehungen "rückwärts revidiert" haben; aber das braucht uns
nicht abzuhalten, die sich aus ihm ergebenden Vorteile wahrzunehmen. Man
zahlt von Oderberg nach Ancona, oder mit andern Worten von der preußischen
Grenze ab bis mitten nach Italien hinein, wenn man auf der Eisenbahn die
zweite und auf dem Dampfschiff die erste Klasse benutzt, für eine Rundreise¬
karte von sechzigtägiger Giltigkeit rund 75 Mark. Das ist ungefähr die Hälfte
dessen, was man sonst für eine gleich lange Eisenbahnstrecke in zweiter Klasse
zu entrichten hat, und dabei fährt man, ohne den Zuschlag der V-Züge, in
bequemern und bessern Wagen (Doppelfenster!) als auf den deutschen Bahnen.
Freilich darf hierbei nicht verschwiegen werden, daß die Schnelligkeit der
ungarischen Staatsbahnen und der Anschluß in Budapest zu wünschen übrig
lassen. Aber wer würde nicht gern in Budapest einige Zeit verweilen? Es
würde unbillig sein, wenn man den Magyaren die Anerkennung verweigern
wollte, daß sie in kurzer Zeit verstanden haben, ihre Hauptstadt in wahrhaft
königlicher Weise auszugestalten. Von der Natur wunderbar begünstigt, von
der breiten, majestätischen Donau durchflossen, an und auf schön geformten Bergen
liegend, ist Budapest durch die begeisterte Liebe des ganzen Landes binnen
wenig Jahrzehnten zu einer wahren Musterstadt umgeschaffen worden, von der
mancher große deutsche Ort in Wohlfahrts-, Gesnndheits- und Verkehrs¬
einrichtungen recht viel lernen kann.

Allerdings scheinen die Magyaren ihre ganze Kraft auf die Hebung dieses,
ihres ersten und größten Gemeinwesens verwandt zu haben; auf dem flachen
Lande sieht es wesentlich anders aus, die Pußta, durch die die Eisenbahn
führt, dürfte von den neuzeitlichen Umwälzungen noch nicht allzusehr berührt
sein. Ihre Eigentümlichkeit erregt die Aufmerksamkeit jedes Reisenden. Zu
einem vollen Genusse aber steigert sich die Fahrt erst in Kroatien. Hier führt
sie uns in das herrlichste Hochgebirge mit mächtigen hochstämmigen Waldungen
und schönen saftigen Wiesen; es muß eine Lust sein, dieses jungfräuliche Stück
Erde zu durchwandern. Doch plötzlich ändert sich die Landschaft. Bei einer
Meereshöhe von etwa 800 Metern wird das Gebirge kahl, rauh und öde; es
wird so steinig und felsig, daß kaum ein Grashalm diesem Boden entwachsen
kann. Die häßlichste Natur umgiebt uns. Aber nicht lange währt es, und
wir empfangen eine neue Überraschung. Es eröffnet sich die herrlichste Fern¬
sicht, der Blick wird frei, aus der Tiefe erstrahlt das blaue Wasser des
Quarnero-Golfes, und ringsum erheben sich mächtige, schöngeformte Berge in
staunenswerter Mannigfaltigkeit. Die Boden- und Meeresgestaltung dieser


Line Frühlingsfahrt nach den Abruzzen uns nach Apulien

Wir nahmen unsern Reiseweg durch Ungarn, einmal weil wir das heilige
Stefansland noch nicht kannten, und sodann weil sich auf diese Weise die
Eisenbahnkosten für alle Bewohner der östlichen preußischen Provinzen wesentlich
billiger stellen. Man gewinnt nicht den Eindruck, daß die Magyaren mit den
Erfolgen ihres Zonentarifs sehr zufrieden sind, sie würden ihn sonst nicht in
verschiednen Beziehungen „rückwärts revidiert" haben; aber das braucht uns
nicht abzuhalten, die sich aus ihm ergebenden Vorteile wahrzunehmen. Man
zahlt von Oderberg nach Ancona, oder mit andern Worten von der preußischen
Grenze ab bis mitten nach Italien hinein, wenn man auf der Eisenbahn die
zweite und auf dem Dampfschiff die erste Klasse benutzt, für eine Rundreise¬
karte von sechzigtägiger Giltigkeit rund 75 Mark. Das ist ungefähr die Hälfte
dessen, was man sonst für eine gleich lange Eisenbahnstrecke in zweiter Klasse
zu entrichten hat, und dabei fährt man, ohne den Zuschlag der V-Züge, in
bequemern und bessern Wagen (Doppelfenster!) als auf den deutschen Bahnen.
Freilich darf hierbei nicht verschwiegen werden, daß die Schnelligkeit der
ungarischen Staatsbahnen und der Anschluß in Budapest zu wünschen übrig
lassen. Aber wer würde nicht gern in Budapest einige Zeit verweilen? Es
würde unbillig sein, wenn man den Magyaren die Anerkennung verweigern
wollte, daß sie in kurzer Zeit verstanden haben, ihre Hauptstadt in wahrhaft
königlicher Weise auszugestalten. Von der Natur wunderbar begünstigt, von
der breiten, majestätischen Donau durchflossen, an und auf schön geformten Bergen
liegend, ist Budapest durch die begeisterte Liebe des ganzen Landes binnen
wenig Jahrzehnten zu einer wahren Musterstadt umgeschaffen worden, von der
mancher große deutsche Ort in Wohlfahrts-, Gesnndheits- und Verkehrs¬
einrichtungen recht viel lernen kann.

Allerdings scheinen die Magyaren ihre ganze Kraft auf die Hebung dieses,
ihres ersten und größten Gemeinwesens verwandt zu haben; auf dem flachen
Lande sieht es wesentlich anders aus, die Pußta, durch die die Eisenbahn
führt, dürfte von den neuzeitlichen Umwälzungen noch nicht allzusehr berührt
sein. Ihre Eigentümlichkeit erregt die Aufmerksamkeit jedes Reisenden. Zu
einem vollen Genusse aber steigert sich die Fahrt erst in Kroatien. Hier führt
sie uns in das herrlichste Hochgebirge mit mächtigen hochstämmigen Waldungen
und schönen saftigen Wiesen; es muß eine Lust sein, dieses jungfräuliche Stück
Erde zu durchwandern. Doch plötzlich ändert sich die Landschaft. Bei einer
Meereshöhe von etwa 800 Metern wird das Gebirge kahl, rauh und öde; es
wird so steinig und felsig, daß kaum ein Grashalm diesem Boden entwachsen
kann. Die häßlichste Natur umgiebt uns. Aber nicht lange währt es, und
wir empfangen eine neue Überraschung. Es eröffnet sich die herrlichste Fern¬
sicht, der Blick wird frei, aus der Tiefe erstrahlt das blaue Wasser des
Quarnero-Golfes, und ringsum erheben sich mächtige, schöngeformte Berge in
staunenswerter Mannigfaltigkeit. Die Boden- und Meeresgestaltung dieser


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0047" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/231217"/>
          <fw type="header" place="top"> Line Frühlingsfahrt nach den Abruzzen uns nach Apulien</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_108"> Wir nahmen unsern Reiseweg durch Ungarn, einmal weil wir das heilige<lb/>
Stefansland noch nicht kannten, und sodann weil sich auf diese Weise die<lb/>
Eisenbahnkosten für alle Bewohner der östlichen preußischen Provinzen wesentlich<lb/>
billiger stellen. Man gewinnt nicht den Eindruck, daß die Magyaren mit den<lb/>
Erfolgen ihres Zonentarifs sehr zufrieden sind, sie würden ihn sonst nicht in<lb/>
verschiednen Beziehungen &#x201E;rückwärts revidiert" haben; aber das braucht uns<lb/>
nicht abzuhalten, die sich aus ihm ergebenden Vorteile wahrzunehmen. Man<lb/>
zahlt von Oderberg nach Ancona, oder mit andern Worten von der preußischen<lb/>
Grenze ab bis mitten nach Italien hinein, wenn man auf der Eisenbahn die<lb/>
zweite und auf dem Dampfschiff die erste Klasse benutzt, für eine Rundreise¬<lb/>
karte von sechzigtägiger Giltigkeit rund 75 Mark. Das ist ungefähr die Hälfte<lb/>
dessen, was man sonst für eine gleich lange Eisenbahnstrecke in zweiter Klasse<lb/>
zu entrichten hat, und dabei fährt man, ohne den Zuschlag der V-Züge, in<lb/>
bequemern und bessern Wagen (Doppelfenster!) als auf den deutschen Bahnen.<lb/>
Freilich darf hierbei nicht verschwiegen werden, daß die Schnelligkeit der<lb/>
ungarischen Staatsbahnen und der Anschluß in Budapest zu wünschen übrig<lb/>
lassen. Aber wer würde nicht gern in Budapest einige Zeit verweilen? Es<lb/>
würde unbillig sein, wenn man den Magyaren die Anerkennung verweigern<lb/>
wollte, daß sie in kurzer Zeit verstanden haben, ihre Hauptstadt in wahrhaft<lb/>
königlicher Weise auszugestalten. Von der Natur wunderbar begünstigt, von<lb/>
der breiten, majestätischen Donau durchflossen, an und auf schön geformten Bergen<lb/>
liegend, ist Budapest durch die begeisterte Liebe des ganzen Landes binnen<lb/>
wenig Jahrzehnten zu einer wahren Musterstadt umgeschaffen worden, von der<lb/>
mancher große deutsche Ort in Wohlfahrts-, Gesnndheits- und Verkehrs¬<lb/>
einrichtungen recht viel lernen kann.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_109" next="#ID_110"> Allerdings scheinen die Magyaren ihre ganze Kraft auf die Hebung dieses,<lb/>
ihres ersten und größten Gemeinwesens verwandt zu haben; auf dem flachen<lb/>
Lande sieht es wesentlich anders aus, die Pußta, durch die die Eisenbahn<lb/>
führt, dürfte von den neuzeitlichen Umwälzungen noch nicht allzusehr berührt<lb/>
sein. Ihre Eigentümlichkeit erregt die Aufmerksamkeit jedes Reisenden. Zu<lb/>
einem vollen Genusse aber steigert sich die Fahrt erst in Kroatien. Hier führt<lb/>
sie uns in das herrlichste Hochgebirge mit mächtigen hochstämmigen Waldungen<lb/>
und schönen saftigen Wiesen; es muß eine Lust sein, dieses jungfräuliche Stück<lb/>
Erde zu durchwandern. Doch plötzlich ändert sich die Landschaft. Bei einer<lb/>
Meereshöhe von etwa 800 Metern wird das Gebirge kahl, rauh und öde; es<lb/>
wird so steinig und felsig, daß kaum ein Grashalm diesem Boden entwachsen<lb/>
kann. Die häßlichste Natur umgiebt uns. Aber nicht lange währt es, und<lb/>
wir empfangen eine neue Überraschung. Es eröffnet sich die herrlichste Fern¬<lb/>
sicht, der Blick wird frei, aus der Tiefe erstrahlt das blaue Wasser des<lb/>
Quarnero-Golfes, und ringsum erheben sich mächtige, schöngeformte Berge in<lb/>
staunenswerter Mannigfaltigkeit.  Die Boden- und Meeresgestaltung dieser</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0047] Line Frühlingsfahrt nach den Abruzzen uns nach Apulien Wir nahmen unsern Reiseweg durch Ungarn, einmal weil wir das heilige Stefansland noch nicht kannten, und sodann weil sich auf diese Weise die Eisenbahnkosten für alle Bewohner der östlichen preußischen Provinzen wesentlich billiger stellen. Man gewinnt nicht den Eindruck, daß die Magyaren mit den Erfolgen ihres Zonentarifs sehr zufrieden sind, sie würden ihn sonst nicht in verschiednen Beziehungen „rückwärts revidiert" haben; aber das braucht uns nicht abzuhalten, die sich aus ihm ergebenden Vorteile wahrzunehmen. Man zahlt von Oderberg nach Ancona, oder mit andern Worten von der preußischen Grenze ab bis mitten nach Italien hinein, wenn man auf der Eisenbahn die zweite und auf dem Dampfschiff die erste Klasse benutzt, für eine Rundreise¬ karte von sechzigtägiger Giltigkeit rund 75 Mark. Das ist ungefähr die Hälfte dessen, was man sonst für eine gleich lange Eisenbahnstrecke in zweiter Klasse zu entrichten hat, und dabei fährt man, ohne den Zuschlag der V-Züge, in bequemern und bessern Wagen (Doppelfenster!) als auf den deutschen Bahnen. Freilich darf hierbei nicht verschwiegen werden, daß die Schnelligkeit der ungarischen Staatsbahnen und der Anschluß in Budapest zu wünschen übrig lassen. Aber wer würde nicht gern in Budapest einige Zeit verweilen? Es würde unbillig sein, wenn man den Magyaren die Anerkennung verweigern wollte, daß sie in kurzer Zeit verstanden haben, ihre Hauptstadt in wahrhaft königlicher Weise auszugestalten. Von der Natur wunderbar begünstigt, von der breiten, majestätischen Donau durchflossen, an und auf schön geformten Bergen liegend, ist Budapest durch die begeisterte Liebe des ganzen Landes binnen wenig Jahrzehnten zu einer wahren Musterstadt umgeschaffen worden, von der mancher große deutsche Ort in Wohlfahrts-, Gesnndheits- und Verkehrs¬ einrichtungen recht viel lernen kann. Allerdings scheinen die Magyaren ihre ganze Kraft auf die Hebung dieses, ihres ersten und größten Gemeinwesens verwandt zu haben; auf dem flachen Lande sieht es wesentlich anders aus, die Pußta, durch die die Eisenbahn führt, dürfte von den neuzeitlichen Umwälzungen noch nicht allzusehr berührt sein. Ihre Eigentümlichkeit erregt die Aufmerksamkeit jedes Reisenden. Zu einem vollen Genusse aber steigert sich die Fahrt erst in Kroatien. Hier führt sie uns in das herrlichste Hochgebirge mit mächtigen hochstämmigen Waldungen und schönen saftigen Wiesen; es muß eine Lust sein, dieses jungfräuliche Stück Erde zu durchwandern. Doch plötzlich ändert sich die Landschaft. Bei einer Meereshöhe von etwa 800 Metern wird das Gebirge kahl, rauh und öde; es wird so steinig und felsig, daß kaum ein Grashalm diesem Boden entwachsen kann. Die häßlichste Natur umgiebt uns. Aber nicht lange währt es, und wir empfangen eine neue Überraschung. Es eröffnet sich die herrlichste Fern¬ sicht, der Blick wird frei, aus der Tiefe erstrahlt das blaue Wasser des Quarnero-Golfes, und ringsum erheben sich mächtige, schöngeformte Berge in staunenswerter Mannigfaltigkeit. Die Boden- und Meeresgestaltung dieser

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/47
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/47>, abgerufen am 15.01.2025.