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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

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Nikolaus Lenau und Gustav Schwab

Sehnsucht hatte ein Ziel gefunden, sein Lebensmut schien sich kraftvoll empor-
recken, sein ganzes Dasein einem bestimmten Punkte zusteuern zu wollen. Aber
es schien nur so. Denn nun zeigte es sich, daß er schon nicht mehr über
jenes Maß fester Selbstbestimmung verfügte, das notwendig ist, um den un¬
löslichen seelischen und leiblichen Bund mit einem geliebten Wesen einzugehn.
Nun zeigte sich in voller Wahrheit, was er in seinem Gedichte "Der trübe
Wandrer" klagend ausruft:


Die Asche meiner Hoffnungen, die Kriinze
Geliebter Toten flattern mir vorüber.

Die Gestalt Berthas stand als drohendes Schreckbild vor seinen Sinnen. Sie
hatte seine edle Seele entweiht, er fühlte sich nicht mehr würdig genug, Lotten
offen seine Neigung zu bekennen und ihr Herz zu begehren. Es kam nicht
einmal zu einer unzweideutigen Aussprache, wenngleich jeder den Herzensznstand
des andern kannte. Lenau glaubte eben nicht mehr an die Gunst des spröden
Schicksals, wollte nicht mehr daran glauben. Vererbung und Anlage, der
gänzliche Maugel an einer ernsten, milden, erzieherischen Vaterliebe, die sür
ihren "Niki" (Nikolaus) überquellende mütterliche Zärtlichkeit, der Tod seiner
heißgeliebten Mutter, die Treulosigkeit Berthas und so manch andres Erlebnis
hatten bestimmend auf sein Wesen eingewirkt, hatten seine alte Zweifelsucht
nachgerade auf eine gefährliche Höhe gebracht und den Schleier der "sinnenden
Melancholie" schon zu sest um sein Inneres gewoben, als daß seine Seele
einen sieghaften Durchbruch zum Lichte des Glückes hätte finden können.

Dazu kam das Drückende und Unfertige seiner äußern Lage, mit der er
zu ringen hatte. Das ihm von seiner verstorbnen Großmutter zugeflossene
Vermögen war nicht hoch genug bemessen, einen eignen Herd zu gründen und
die Verantwortung sür eine Familie zu übernehmen, ganz abgesehen davon,
daß Lenau überhaupt kein wirtschaftliches Genie war. Eine gesicherte Lebens¬
stellung, die bei der Entscheidung dieser Frage Hütte ausschlaggebend sein können,
hatte Lenau nicht. Auch die Hoffnung seiner Freunde, daß er das Studium
der Medizin zu einem geregelten Abschluß bringe, erfüllte sich nicht. Nach
Würzburg, dessen Universitätsklinik er für die beste Anstalt hielt, ging er nicht,
weil er hier vor einem Jahre nicht promovieren konnte. In Heidelberg aller¬
dings machte er Anläufe, dieses Studium zu vollenden. Er erwog sogar den
Plan, nach beendigtem Doktorat als Choleraarzt nach England oder Frankreich
zu reisen, "um -- und das ist sehr bezeichnend für das unstete Wesen
Lemnius -- recht in der Welt herumzufahren." So nahm er sich vor, den
Winter von 1831 auf 1832 .in Heidelberg zu studieren. Und am 8. November
1831 teilt er Schurz mit, daß er sich freue, das bewegte Gemütsleben zu
Stuttgart, wo alles nur den Dichter haben und genießen wolle, mit dem
strengern Leben der Wissenschaft vertauscht zu haben. Er besuche die Kliniken
nebst einigen Vorlesungen und erwarte große Ausbeute für sein Wissen. Das


Nikolaus Lenau und Gustav Schwab

Sehnsucht hatte ein Ziel gefunden, sein Lebensmut schien sich kraftvoll empor-
recken, sein ganzes Dasein einem bestimmten Punkte zusteuern zu wollen. Aber
es schien nur so. Denn nun zeigte es sich, daß er schon nicht mehr über
jenes Maß fester Selbstbestimmung verfügte, das notwendig ist, um den un¬
löslichen seelischen und leiblichen Bund mit einem geliebten Wesen einzugehn.
Nun zeigte sich in voller Wahrheit, was er in seinem Gedichte „Der trübe
Wandrer" klagend ausruft:


Die Asche meiner Hoffnungen, die Kriinze
Geliebter Toten flattern mir vorüber.

Die Gestalt Berthas stand als drohendes Schreckbild vor seinen Sinnen. Sie
hatte seine edle Seele entweiht, er fühlte sich nicht mehr würdig genug, Lotten
offen seine Neigung zu bekennen und ihr Herz zu begehren. Es kam nicht
einmal zu einer unzweideutigen Aussprache, wenngleich jeder den Herzensznstand
des andern kannte. Lenau glaubte eben nicht mehr an die Gunst des spröden
Schicksals, wollte nicht mehr daran glauben. Vererbung und Anlage, der
gänzliche Maugel an einer ernsten, milden, erzieherischen Vaterliebe, die sür
ihren „Niki" (Nikolaus) überquellende mütterliche Zärtlichkeit, der Tod seiner
heißgeliebten Mutter, die Treulosigkeit Berthas und so manch andres Erlebnis
hatten bestimmend auf sein Wesen eingewirkt, hatten seine alte Zweifelsucht
nachgerade auf eine gefährliche Höhe gebracht und den Schleier der „sinnenden
Melancholie" schon zu sest um sein Inneres gewoben, als daß seine Seele
einen sieghaften Durchbruch zum Lichte des Glückes hätte finden können.

Dazu kam das Drückende und Unfertige seiner äußern Lage, mit der er
zu ringen hatte. Das ihm von seiner verstorbnen Großmutter zugeflossene
Vermögen war nicht hoch genug bemessen, einen eignen Herd zu gründen und
die Verantwortung sür eine Familie zu übernehmen, ganz abgesehen davon,
daß Lenau überhaupt kein wirtschaftliches Genie war. Eine gesicherte Lebens¬
stellung, die bei der Entscheidung dieser Frage Hütte ausschlaggebend sein können,
hatte Lenau nicht. Auch die Hoffnung seiner Freunde, daß er das Studium
der Medizin zu einem geregelten Abschluß bringe, erfüllte sich nicht. Nach
Würzburg, dessen Universitätsklinik er für die beste Anstalt hielt, ging er nicht,
weil er hier vor einem Jahre nicht promovieren konnte. In Heidelberg aller¬
dings machte er Anläufe, dieses Studium zu vollenden. Er erwog sogar den
Plan, nach beendigtem Doktorat als Choleraarzt nach England oder Frankreich
zu reisen, „um — und das ist sehr bezeichnend für das unstete Wesen
Lemnius — recht in der Welt herumzufahren." So nahm er sich vor, den
Winter von 1831 auf 1832 .in Heidelberg zu studieren. Und am 8. November
1831 teilt er Schurz mit, daß er sich freue, das bewegte Gemütsleben zu
Stuttgart, wo alles nur den Dichter haben und genießen wolle, mit dem
strengern Leben der Wissenschaft vertauscht zu haben. Er besuche die Kliniken
nebst einigen Vorlesungen und erwarte große Ausbeute für sein Wissen. Das


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[0468] Nikolaus Lenau und Gustav Schwab Sehnsucht hatte ein Ziel gefunden, sein Lebensmut schien sich kraftvoll empor- recken, sein ganzes Dasein einem bestimmten Punkte zusteuern zu wollen. Aber es schien nur so. Denn nun zeigte es sich, daß er schon nicht mehr über jenes Maß fester Selbstbestimmung verfügte, das notwendig ist, um den un¬ löslichen seelischen und leiblichen Bund mit einem geliebten Wesen einzugehn. Nun zeigte sich in voller Wahrheit, was er in seinem Gedichte „Der trübe Wandrer" klagend ausruft: Die Asche meiner Hoffnungen, die Kriinze Geliebter Toten flattern mir vorüber. Die Gestalt Berthas stand als drohendes Schreckbild vor seinen Sinnen. Sie hatte seine edle Seele entweiht, er fühlte sich nicht mehr würdig genug, Lotten offen seine Neigung zu bekennen und ihr Herz zu begehren. Es kam nicht einmal zu einer unzweideutigen Aussprache, wenngleich jeder den Herzensznstand des andern kannte. Lenau glaubte eben nicht mehr an die Gunst des spröden Schicksals, wollte nicht mehr daran glauben. Vererbung und Anlage, der gänzliche Maugel an einer ernsten, milden, erzieherischen Vaterliebe, die sür ihren „Niki" (Nikolaus) überquellende mütterliche Zärtlichkeit, der Tod seiner heißgeliebten Mutter, die Treulosigkeit Berthas und so manch andres Erlebnis hatten bestimmend auf sein Wesen eingewirkt, hatten seine alte Zweifelsucht nachgerade auf eine gefährliche Höhe gebracht und den Schleier der „sinnenden Melancholie" schon zu sest um sein Inneres gewoben, als daß seine Seele einen sieghaften Durchbruch zum Lichte des Glückes hätte finden können. Dazu kam das Drückende und Unfertige seiner äußern Lage, mit der er zu ringen hatte. Das ihm von seiner verstorbnen Großmutter zugeflossene Vermögen war nicht hoch genug bemessen, einen eignen Herd zu gründen und die Verantwortung sür eine Familie zu übernehmen, ganz abgesehen davon, daß Lenau überhaupt kein wirtschaftliches Genie war. Eine gesicherte Lebens¬ stellung, die bei der Entscheidung dieser Frage Hütte ausschlaggebend sein können, hatte Lenau nicht. Auch die Hoffnung seiner Freunde, daß er das Studium der Medizin zu einem geregelten Abschluß bringe, erfüllte sich nicht. Nach Würzburg, dessen Universitätsklinik er für die beste Anstalt hielt, ging er nicht, weil er hier vor einem Jahre nicht promovieren konnte. In Heidelberg aller¬ dings machte er Anläufe, dieses Studium zu vollenden. Er erwog sogar den Plan, nach beendigtem Doktorat als Choleraarzt nach England oder Frankreich zu reisen, „um — und das ist sehr bezeichnend für das unstete Wesen Lemnius — recht in der Welt herumzufahren." So nahm er sich vor, den Winter von 1831 auf 1832 .in Heidelberg zu studieren. Und am 8. November 1831 teilt er Schurz mit, daß er sich freue, das bewegte Gemütsleben zu Stuttgart, wo alles nur den Dichter haben und genießen wolle, mit dem strengern Leben der Wissenschaft vertauscht zu haben. Er besuche die Kliniken nebst einigen Vorlesungen und erwarte große Ausbeute für sein Wissen. Das

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/468>, abgerufen am 15.01.2025.