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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

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Nikolaus Lenau und Gustav Schwab

an schönen Erfahrungen über den wahren Menschenwert, reicher an manchem
Freunde und an Lebensmut und Selbstvertrauen. Er habe eine poetische Wall¬
fahrt gemacht zu Uhland, Mayer, Justinus Karner, habe Ebert hier getroffen,
sein ganzes Leben wäre ein höchst poetisches. Die lebhafteste Teilnahme, die
feurigste Ermunterung würde ihm zu teil von allen, die er hier genannt habe.
Aber enthusiastisch wäre schou bei seiner ersten Begegnung Schwab von seiner
Poesie ergriffen. Er müsse Schurz gestehen, daß es ihm unendlich behaglich
sei zu sehen, wie jeder Gedanke sogleich zündete in dem empfänglichen Gemüte
dieses Mannes; eine solche Wirksamkeit hätte er seinen Leistungen nicht zu¬
getraut, sei auch vieles davon auf die große Lebhaftigkeit Schwabs zu setzen.
Am ersten Tage seines Hierseins habe ihn Schwab abends in einen Leseverein
geführt und dort mehrere Gedichte Lenaus selbst mit großem Feuer vor¬
getragen. Als sich die Gesellschaft getrennt hätte, seien nnr Schwab, er und
ein junger Dichter, Gustav Pfizer, zurückgeblieben. Da wäre noch gelesen,
getrunken, Brüderschaft getrunken, geraset worden auf mancherlei Art bis
spät "ach Mitternacht. Es wäre der 9. Angust gewesen. Einige Stunden
wären genug gewesen, die drei Dichter zu Freunden zu machen. Wie trüge
seien dagegen die Entwürfe der Freundschaft im kalten Leben derer, die nichts
hätte" von dem Glücke dieser Dichtergenossen! Er erwähnt ferner, daß er nach
Würzburg gehn wolle, wo nach allem die beste Anstalt sei.")

Das erste Zusammensein Lenaus mit Schwab am mehrfach erwähnten
9. August 1831 war nur kurz, da der österreichische Dichter schon am nächsten
Morgen früh nach München abreiste. Weil sich Bayern aber gegen Österreich wegen
der in Lenans Heimat herrschenden Cholera abgesperrt hatte, konnte er nicht
nach Wien gelangen und kehrte nach Schwaben zurück. Als Lenau dann in
dem gastlichen Hause in der Hohenstraße längere Zeit lebte, sah er auf einem
Spaziergange mit Gustav Schwab zum erstenmale Lotte Gmelin, um deren
Liebe er sich bewarb. Es war der 22. August 1831. Ein 22. August ist
auch Lenaus Todestag. Die erste Annäherung an das liebliche Mädchen, das
damals im vollsten Blütenlenz seines Lebens stand (sie hatte noch nicht das
neunzehnte Jahr erreicht!), geschah in Schwabs Hause. Die stille Bundes¬
genossin Lottens -- freilich, ohne daß das schüchterne Mädchen eine Ahnung
davon hatte -- war die Tonkunst: Lotte sang die Beethovensche Adelaide so
"göttlich," daß sich Lenau hinter einen eisernen Ofen stellte und in das harte
Metall biß, um seine innere Aufregung zu bemeistern. Mit inniger Teilnahme
sahen die schwäbischen Freunde das Aufkeimen der Neigung in Lenau -- sie
hofften von der Liebe zu diesem schönen Mädchen einen günstigen Einfluß auf
seine umdüsterte Gemütswelt, auf seinen Hang zur Schwermut. Wie geistige
Erfrischung war ihm der Gesang Lottens in die Seele gedrungen. Seine Liebes-



Für das Studium der Medizin.
Nikolaus Lenau und Gustav Schwab

an schönen Erfahrungen über den wahren Menschenwert, reicher an manchem
Freunde und an Lebensmut und Selbstvertrauen. Er habe eine poetische Wall¬
fahrt gemacht zu Uhland, Mayer, Justinus Karner, habe Ebert hier getroffen,
sein ganzes Leben wäre ein höchst poetisches. Die lebhafteste Teilnahme, die
feurigste Ermunterung würde ihm zu teil von allen, die er hier genannt habe.
Aber enthusiastisch wäre schou bei seiner ersten Begegnung Schwab von seiner
Poesie ergriffen. Er müsse Schurz gestehen, daß es ihm unendlich behaglich
sei zu sehen, wie jeder Gedanke sogleich zündete in dem empfänglichen Gemüte
dieses Mannes; eine solche Wirksamkeit hätte er seinen Leistungen nicht zu¬
getraut, sei auch vieles davon auf die große Lebhaftigkeit Schwabs zu setzen.
Am ersten Tage seines Hierseins habe ihn Schwab abends in einen Leseverein
geführt und dort mehrere Gedichte Lenaus selbst mit großem Feuer vor¬
getragen. Als sich die Gesellschaft getrennt hätte, seien nnr Schwab, er und
ein junger Dichter, Gustav Pfizer, zurückgeblieben. Da wäre noch gelesen,
getrunken, Brüderschaft getrunken, geraset worden auf mancherlei Art bis
spät „ach Mitternacht. Es wäre der 9. Angust gewesen. Einige Stunden
wären genug gewesen, die drei Dichter zu Freunden zu machen. Wie trüge
seien dagegen die Entwürfe der Freundschaft im kalten Leben derer, die nichts
hätte» von dem Glücke dieser Dichtergenossen! Er erwähnt ferner, daß er nach
Würzburg gehn wolle, wo nach allem die beste Anstalt sei.")

Das erste Zusammensein Lenaus mit Schwab am mehrfach erwähnten
9. August 1831 war nur kurz, da der österreichische Dichter schon am nächsten
Morgen früh nach München abreiste. Weil sich Bayern aber gegen Österreich wegen
der in Lenans Heimat herrschenden Cholera abgesperrt hatte, konnte er nicht
nach Wien gelangen und kehrte nach Schwaben zurück. Als Lenau dann in
dem gastlichen Hause in der Hohenstraße längere Zeit lebte, sah er auf einem
Spaziergange mit Gustav Schwab zum erstenmale Lotte Gmelin, um deren
Liebe er sich bewarb. Es war der 22. August 1831. Ein 22. August ist
auch Lenaus Todestag. Die erste Annäherung an das liebliche Mädchen, das
damals im vollsten Blütenlenz seines Lebens stand (sie hatte noch nicht das
neunzehnte Jahr erreicht!), geschah in Schwabs Hause. Die stille Bundes¬
genossin Lottens — freilich, ohne daß das schüchterne Mädchen eine Ahnung
davon hatte — war die Tonkunst: Lotte sang die Beethovensche Adelaide so
„göttlich," daß sich Lenau hinter einen eisernen Ofen stellte und in das harte
Metall biß, um seine innere Aufregung zu bemeistern. Mit inniger Teilnahme
sahen die schwäbischen Freunde das Aufkeimen der Neigung in Lenau — sie
hofften von der Liebe zu diesem schönen Mädchen einen günstigen Einfluß auf
seine umdüsterte Gemütswelt, auf seinen Hang zur Schwermut. Wie geistige
Erfrischung war ihm der Gesang Lottens in die Seele gedrungen. Seine Liebes-



Für das Studium der Medizin.
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[0467] Nikolaus Lenau und Gustav Schwab an schönen Erfahrungen über den wahren Menschenwert, reicher an manchem Freunde und an Lebensmut und Selbstvertrauen. Er habe eine poetische Wall¬ fahrt gemacht zu Uhland, Mayer, Justinus Karner, habe Ebert hier getroffen, sein ganzes Leben wäre ein höchst poetisches. Die lebhafteste Teilnahme, die feurigste Ermunterung würde ihm zu teil von allen, die er hier genannt habe. Aber enthusiastisch wäre schou bei seiner ersten Begegnung Schwab von seiner Poesie ergriffen. Er müsse Schurz gestehen, daß es ihm unendlich behaglich sei zu sehen, wie jeder Gedanke sogleich zündete in dem empfänglichen Gemüte dieses Mannes; eine solche Wirksamkeit hätte er seinen Leistungen nicht zu¬ getraut, sei auch vieles davon auf die große Lebhaftigkeit Schwabs zu setzen. Am ersten Tage seines Hierseins habe ihn Schwab abends in einen Leseverein geführt und dort mehrere Gedichte Lenaus selbst mit großem Feuer vor¬ getragen. Als sich die Gesellschaft getrennt hätte, seien nnr Schwab, er und ein junger Dichter, Gustav Pfizer, zurückgeblieben. Da wäre noch gelesen, getrunken, Brüderschaft getrunken, geraset worden auf mancherlei Art bis spät „ach Mitternacht. Es wäre der 9. Angust gewesen. Einige Stunden wären genug gewesen, die drei Dichter zu Freunden zu machen. Wie trüge seien dagegen die Entwürfe der Freundschaft im kalten Leben derer, die nichts hätte» von dem Glücke dieser Dichtergenossen! Er erwähnt ferner, daß er nach Würzburg gehn wolle, wo nach allem die beste Anstalt sei.") Das erste Zusammensein Lenaus mit Schwab am mehrfach erwähnten 9. August 1831 war nur kurz, da der österreichische Dichter schon am nächsten Morgen früh nach München abreiste. Weil sich Bayern aber gegen Österreich wegen der in Lenans Heimat herrschenden Cholera abgesperrt hatte, konnte er nicht nach Wien gelangen und kehrte nach Schwaben zurück. Als Lenau dann in dem gastlichen Hause in der Hohenstraße längere Zeit lebte, sah er auf einem Spaziergange mit Gustav Schwab zum erstenmale Lotte Gmelin, um deren Liebe er sich bewarb. Es war der 22. August 1831. Ein 22. August ist auch Lenaus Todestag. Die erste Annäherung an das liebliche Mädchen, das damals im vollsten Blütenlenz seines Lebens stand (sie hatte noch nicht das neunzehnte Jahr erreicht!), geschah in Schwabs Hause. Die stille Bundes¬ genossin Lottens — freilich, ohne daß das schüchterne Mädchen eine Ahnung davon hatte — war die Tonkunst: Lotte sang die Beethovensche Adelaide so „göttlich," daß sich Lenau hinter einen eisernen Ofen stellte und in das harte Metall biß, um seine innere Aufregung zu bemeistern. Mit inniger Teilnahme sahen die schwäbischen Freunde das Aufkeimen der Neigung in Lenau — sie hofften von der Liebe zu diesem schönen Mädchen einen günstigen Einfluß auf seine umdüsterte Gemütswelt, auf seinen Hang zur Schwermut. Wie geistige Erfrischung war ihm der Gesang Lottens in die Seele gedrungen. Seine Liebes- Für das Studium der Medizin.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/467>, abgerufen am 28.01.2025.